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Schuß noch stehen geblieben war, das Gleichgewicht verlieren , und so lang er war, auf den Felsen niederfallen. Meine Kugel war ihm durch die Brust gefahren, und die meinige, welche seinem durch den Todeskampf erstarrten Arm als Stützpunkt diente, hatte ihn noch für einen Augenblick stehend erhalten.
Beim Anblick des Todten — denn der alte Soldat sagte mir, daß seine Seele zu gleicher Zeit mit der Möwe davon geflogen sey, — hatten mich Muth und Standhaftigkeit gänzlich verlassen. Ein Zittern ergriff mich vom Kopf bis zu den Füßen, und mein erster Gedanke war, daß ich das, waS sich so eben zugetragen hatte, ernstlich und wahrhaft bedauerte. Ich würde das Leben dieses Menschen mit meinem eigenen gern wieder erkauft haben. Ich weinte wie ein Kind, und ohne die Gegenwart des Unteroffiziers, der mir Trost zusprach, würde ich mich gewiß mit dem Leichnam von der Höhe des Felsens in das Meer gestürzt haben. "
Oho! keine Kindereien! sagte der alte Soldat. Der Feind liegt am Boden, jetzt gilt es den Rückzug. Sic betragen sich schön für einen Sieger.
Sollen wir aber den Menschen hier liegen lassen? erwiederkc ich, indem mir nach und nach die Gefahren meiner eigenen Lage deutlicher wurden.
Das kommt darauf an. Man könnte glauben, erhübe sich selbst umgebracht. Doch nein! wir wollen ihn
lieber ins Meer werfen_Die Fluth zieht sich eben zurück.
Sie möge ihn zu fünfhundert Teufeln führen!
Das wäre vielleicht das Gescheitest», allein dort sind Leute am Strande, man könnte uns sehen, und wir könnten dann ernstlich kompromittirt werden. Kommen Sie! fort, fort von hier! das wird das Beste seyn! Sonst könnte man uns noch entdecken.
Und mit festem Schritte kletterte ick an der entgegengesetzten Seite vom Felsen herab, da auf der andern, wo man bequemer hinansteigen konnte, einige Leute sichtbar wurden. Der Unteroffizier folgte mir. Obgleich der Weg sehr steil und beschwerlich war und wir uns mit Händen und Fußen forthelfen mußten, so erreichten wir doch die Ebene des Strandes, ohne daß uns Jemand gesehen hatte.
sobald ich mich unten sah, neben mir meinen treuen Gefährten, der mich durch kräftige Zusprache ermunterte, so erholte ich mich ein wenig aus der gränzenlosen Verwirrung, in die mich die tragische Lösung dieses Doppcl- dramas verseht hatte. Ich beruhigte mich endlich bei dem Gedanken, daß cs denn doch besser gewesen sey, daß der Schuldige gefallen, als wenn ich cs gewesen wäre.
Ich bat den Unteroffizier, meinem alten Vater nichts von dem Vorfall zu sagen. Wir kamen überein, daß wir mit großer Umsicht den Gerüchten folgen wollten, welche unvermeidlich nach dem Tode des Herr» von P. sich verbreiten mußten, und daß wir nur dann mit Geständnissen dazwischen treten würden, wenn man unsere Theilnahme an der Katastrophe wissen würde und cm Läugnen von unserer Seite den Verdacht eines Verbrechens herbeiführen könnte, wo doch Alles auf eine rechtmäßige Art und Weise zngcgangen war. Nachdem wir dieses verabredet und beschlossen, betrat ich wieder meine Wohnung.
Es geschah erst am andern Tage und zwar ziemlich spät, als der Leichnam des Herrn von P. auf der kleinen Plattform des Felsens gefunden wurde, die uns zum Kampfplätze gedient hatte. Ich sah unrer meinem Fenster den trüben Zug vorübcrgchcn, der die Leiche zu den Ihrigen begleitete. Fischer hatten ihn in der Stellung gefunden, in welcher er den Geist ausgehaucht hatte, die Pistole krampfhaft in der Hand. Man sprach nur von einem Selbstmorde, den man sich um so leichter erklären wollte, als seit dem vorigen Tage sich das Gerücht verbreitet hatte, daß Frau v. P. wahnsinnig geworden sey.
In der That, als die Kammerjungfer die Ohnmächtige inS Leben zurückgerufen hatte, zeigte cs sich, daß sie den Verstand verloren hatte.
Die Frau wahnsinnig — der Mann getödtet — der Banquier von * war gerächt!" — —
Der lustige Paul starrte vor sich hin, als Karl seine Erzählung geendet hatte; beide saßen sich noch eine Weile gegenüber, dann verließen sie das Kabinet, ohne ein Wort welter mit einander gewechselt zu haben.
Napoleon und der Korporal.
Im Jahre 1813, nach den großen Unfällen von Moskau, durchstreifte Napoleon, von einem Adjutanten begleitet, die Nue de Charonne. Bei einem im Baue begriffenen großen Hause blieb er stehen und rief einen der Maurer zu sich heran. Als ihn dieser ins Auge gefaßt hatte, blieb er unbeweglich, wie angedonnert, stehen. „Erkennst Du mich?" fragte Napoleon mit scharfem Tone.
— „O ja, mein Kaiser!" — war die stotternde Antwort.
— „Auch ich erkenne Dich, fuhr Napoleon fort, Du nennst Dich Gregoire Boivin, warst Korporal im zweiten Chasseur - Regiment zu Fuß, bei meiner Garde. Bei Eßling wurdest Du zwei Mal blessirt. Auf den Vorschlag Deines Obersten gab ich Dir das Kreuz. Einige Zeit darauf genehmigte ich Deine Aufnahme in das Jnvalivenhaus. Wie kommt cs, daß ich Dich heute hier arbeiten sehe?" — Gregoire blieb stumm und schlug die Augen nieder. — „Nun, nahm Napoleon wieder das Wort, ich will Deinem Gedächtnisse zu Hülse kommen! Man hat Dich weg- gejagt, weil Du, nachdem Du eine Sottise begingest, Unsinn schwatztest. Wie, hast Du nicht, nachdem Du mit einigen Kameraden mehr als zu viel trankest, gerufen: Es lebe die Republik!? Was willst Du mit Deiner Republik? Das ist Unsinn, und man hat Recht gcthan, Dich fortzuschickcn." — Gregoire hatte jetzt so viel Fassung gewonnen, daß er sprechen konnte. „Ich weiß, mein Kaiser, daß ich gefehlt habe. Der Wein rumorte in meinem Kopfe, und da erinnerte ich mich, daß ich Volontair von 1793 war. Allein es ist doch hart, wegen eines solchen Fehlers so streng bestraft zu werden; wenn man übrigens Ew. Majestät so ergeben ist, wie ich, und gedient hat, wie ich, wenn man Frau und Kinder hat, wie ich, und das Alles wegen eines Glases Weines zu viel!" Bei diesen Worten stiegen dem alten Soldaten die Thränen in die Augen. Napoleon war lebhaft erregt. „Wie! rief er, Du hast Kinder? Das ist ein Anderes; doch sage mir, wo Haft Du Dein Kreuz?" — „Mein Kreuz, wiederholte Gre-