Vier Augen.
Wenn Du je, mein lieber Leser, den Drang in Dir fnblst, frank und froh den Wanderstab zu ergreifen und berumzupilgern in dem schönen Vaterland; so würde ich Dir unmaßgeblich rachen, Deinen Stecken zu richten nach dem Herzen unseres deutschen Lundes. Da bat eine jener großen, gewaltigen Erdumwälzungcn in eigenwilliger, aber pbantasiereicher Laune ein chaotisches Meer von Felsen und himmelhohen Bergen hingeschleudert und tausend schöne Bäche und Flüsse rinnen aus seinen Spalten hervor und die Natur spricht in wundervollen, erhabenen Gebilden zu uns. Da beginnt auch der würdige Allvater „Main," der deutsche Strom mit den vielen Burgen, den großen Städten, den köstlichen Reben, seinen Lauf, und wenn Du es noch nicht erratben hast, so wirst Du jetzt wohl wissen, daß ich das Fichte lg ebirg meine. Einstens blickte man freilich mit größerer Sehnsucht nach diesen Bergen, da wurden diese wild-romantischen Schluchten mit gieriger Hast durchklowmen; denn den edelsten Schatz der Tiefe: das Gold, zog man reichlich aus den Eingcweiden dieser Höhen heraus. Die Wasser selbst bargen köstlichen Schmuck und eine Kette fichtelbergischer Perlen verschmähte kein Edelfräulein. Die Zeiten haben sich geändert; seitdem der Gerst der Aufklärung einzog in diese Berge, flohen scheu Gnomen und Erdgeister in ihre stiefsten Verstecke zurück und vergaßen, o Jammer! nicht einmal all jene Herrlichkeiten, mit denen sie ehedem so manchen Erdensohn glücklich gemacht. Nichts ist uns geblieben aus jenen schönen, gepriesenen Zeiten, als vergilbte Chroniken, und wo diese nicht ausreichen, empfängt uns die Sage in ihrer bald ernsten, bald gemütblich heitern Erscheinung. Wer lauschte ihr nicht gern, wenn sie uns erzählt von hochherzigen Rittern und Frauen; aber auch wenn sie des Grauenhaften zu berichten weiß, leihen wir ihr gern unser Öhr. Dort in jenen Bergen, in Schluchten und Wäldern hat sich das „Mährchen" eingenistct und weiß wunderbare Dinge zu erzählen von Gnomen und Erdgeistern, von vergrabenen Schätzen und versunkenen Bergwerken. Aber in Burg- und Klosterruinen tritt uns die „Sage" entgegen und spricht von Geschlechtern, die einst in Pracht uyd Herrlichkeit hier gehaust.
Stolz ragt noch heut das alte Schloß der mächtigen Herzoge von Meran, die ehrwürdige „P lassen bürg," in einem Kranz bewaldeter Höben gen Himmel und schutz- suchcnd drängen sich die Häuser des Städtchens E ul Illbach an seinen Fuß. In diesen Räumen waltete das Mittelalter in seiner ganzen ritterlichen Erscheinung, acht Jahrhunderte schauen auf diese altersgrauen Mauern herab, die, von Geschlecht zu Geschlecht übergehend, lange Zeit den Markgrafen v. Culmbach - Baireulh , aus dem Hause Zollern, zum Aufembalt gedient.
So geschah es gegen das Ende des 13. Jahrhunderts, daß sich nach dem Aussterben der Herzoge v. Meran, die das Schloß gebaut, die Grafen v. Orlamünde durch das Recht der Waffen in den Besitz von Burg und Landen setzten. Graf Otto der Vierte seines NamenS hatte das kecke Wagstück vollbracht» und als er sich in Sicher
heit auf der stolzen Burg der Merane sah, freite er um das schönste Fräulein im Land — um die einzige Tochter des Landgrafen v. Leuchtenberg.
Mit Sang und Klang führte er die reizende Carinte auf Plassenburg ein, und wie die Liebe schon manchen wilden Trotzkopf besänftigt hat, so strebte auch er fortan seiner Frau zu Gefallen zu leben und wurde ein ruhiger, nachgiebiger Ehegemahl. Das junge Paar lebte herrlich f und in Freuden, und zwei wunderschöne Kinder, rin Knab- lein und ein Mägdelein, waren die Liebespfändcr, welche die junge Gattin ihrem Herrn in den ersten drei Jahren schenkte.
Wie denn nun aber keine Freude ohne Leid bestehen kann, so geschah es auch hier, und es trug sich in eben die>em dritten Jahre zu, daß Herr Otto v. Orlamünde mit feinem Roß auf der Jagd stürzte und für todt nach z Hause gebracht wurde. Alles Webklagen war vergebens, ! drei Tage nach Quasimodogeniti verblich der edle Herr eines ! raschen Todes. '
Frau Carinte war über die Maßen untröstlich und so viel Mühe sich auch die benachbarten Herren und Ritter gaben, die junge, 25jäbrige Wittwe zu beruhigen, so schlugen doch alle Mittel fehl. Und es ging nun bereirs ein Jahr ins Land, seitdem Graf Otto das Zeitliche gesegnet, aber Frau Carintcn sah man immer noch im schwarzen Wittwenschlcier. So dringend nun auch die Bewerbungen der benachbarten und entfernteren Herren und Ritter waren, so konnte doch das Bild ihres seligen Ehcherrn durch I kein anderes aus ihrem Innern verdrängt werten, und sie ließ es sogar glcichmütbig über sich ergehen, daß sie nach und nach zu dem Ruf einer Männcrhasscrin gelangte.
Nun geschah es, daß auf das Ansuchen der Wittwe die hochangcsehencn Burggrafen v. Nürnberg die Verwaltung der Orlamünd'schen Länder übernehmen sollten. Um die wichtige Handlung recht feierlich zu begehen, ward auf > Plassenburg ein groß Waffenspicl angesagt, und so strömten denn bald von fern und nah die Herren in vollem ritterlichen Schmuck heran. Als aber eines Tages Frau Carinte mit ihrem Hofstaat am Erkerfenster lrhme, kam ein Zug Gcwassncter, herrlicher und schöner als alle anderen , den Berg heraufgesprcngt, und an ihrer Spitze tummelte sich auf arabischem Roß ein Ritter, schön wie „das Morgcnroth," und wie der hinauf grüßte und das Visir zurückschlug — da war es um das Herz der jungen Wittwe geschehen. Von Stund an entbrannte sie in rasender Liebe für den schönen Mann, und auch er zeigte sich nicht gleichgültig gegen die Reize der Herrin des Festes. Wie cs nun aber im Leben zu gehen Pflegt, konnte sich Frau Carinte nicht entschließen, ihrem Stolz etwas zu vergeben und dem Gegenstand ihrer Flamme auch nur mit einem Wort Hoffnung zu machen — ja sic vermaß sich gegen ihre Herren Vettern: „vier Augen" sähn auf ihr Thun und Treiben, und sic müsse sich dereinst vor diesen schämen, wenn sie das Orlamünd'schc Hab und Gut durch eine zweite Heirath zeriplitire!" Mit diesen vier Augen meinte sie aber ihre zarten Kindlcin.
Als nun die Feste zu Ende gingen und sich ein Nit-