/ Vermächtnis unö Mahnung

Grün stehen die Saaten, wenn Pfingsten in Deutschland gefeiert wird. Ein Fest der Freude über die blühende, gesegnete Flur das war Pfingsten von alters her. Das Brauchtum, das mit diesem Fest verknüpft und überall in den deut­schen Gauen noch gepflegt wird, lebte und blühte schon, noch ehe die Kirche dem Pfingstfest ihre eige­nen Sinngehalte gab Was uns aus diesem alten Brauchtum entgegenweht, ist der Hauch jenes ge­sunden und starken Lebens der germanischen Men­schen, die auch in harten Not- und Kampfzeiten beim Anblick der grünen Felder dies nicht ver­gaßen: Freude über den Segen der Götter, Stolz auf die eigene Leistung, dankbaren Aufblick zu den Sternen.

DaS alte Sinnbild des Frühlings, grüne Reiser, Palmen und Weidenzweige, Symbole der Frucht­barkeit, die dem Bauernhof die Kraft der Frucht­barkeit verleihen sollen, begegnen uns auch im Pfingstschmuck der Häuser, Höfe und Ställe Da­neben aber leben gerade in den Pfingsttagen all jene Volkssptele auf, die seit Jahrhunderten das deutsche Landvolk zu einer frohen feiernden Ge­meinschaft vereinen. Gerade in diesem alten Brauch­tum aber finden wir Heutigen den alten mahnen­den Sinngehalt der deutschen Pfingsten.

Mannigfaltig und bunt sind die Volksspiele der Pfingsttage in den deutschen Gauen. Scherz- und Geschicklichkeitsspiele sind es heute meist nur noch, hier und da aber auch noch Wettkämpfe, die ein gewisses Maß von Mut, Kraft und körperlicher Tüchtigkeit erfordern. Da gibt es z. B. das Nin- aelstechen. ein Wettspiel, das Geistesgegenwart und Gewandtheit verlangt. Flache, fünfmal durchlöcherte Holzscheiben, die an einem Strick hängen, müssen von den darunter hinwegreitenden oder laufenden Burschen mit einem hölzernen Stecher durchbohrt werden. In Süddeutschlands Bergen werden die Funkenräoer von den Gipfeln talwärts geschleudert, um weit ins gesegnete Land hinein die reinigende Kraft des Feuers zu tragen. Lustig ist das Sack­hüpfen. bei dem beide Füße in einem Sack stecken, das Gansreiten und das Topfschlagen, zu diesen Spielen treten alte Wettkämpfe: Fechten, Wettreiten um Felder und Wiesen, Wettlauf. Der Brauch, dem Sieger in all diesen Spielen eineMaienkönigin" anzuvertrauen, ist in Westdeutschland auch beim Pfingstfest üblich.

All diese Spiele und Bräuche aber finden ihren tatsächlichen Ursprung in den dörflichen Tüchtig­keitsproben, die in altdeutscher Zeit dem gesunden Auslesegedanken dienten. Eine starke und gesunde Jugend war den Germanen das Unterpfand der völkischen Zukunft. Proben des Mutes, der Kraft und der Gesundheit waren die Spiele in jener Zeit. Die gewandtesten, gesündesten und mutigsten Burschen und Mädchen des Dorfes fanden sich darin zusammen. In einem Monat, in dem die Heimaterde in neuer Jugendkraft aufblühte, dach­ten die Ahnen auch an die gesunde Entwicklung der eigenen Volksjugend und bereiteten durch einen planvollen Volkssport einer rassischen Auslese den Weg, die das deutsche Volk germanischer Rasse so tapfer und ruhmvoll alle Gefahren und Stürme überwinden ließ.

Das ist der heute halb vergessene Sinn jener alten Bräuche und Spiele in der Pfingstzeit. Und es ist kein Zufall, daß diese alten Bräuche in den letzten Jahren mehr denn in den Jahrzehnten der Rationalisierung und Verstädterung überall wieder neu auflebten und gepflegt wurden. Das deutsche Landvolk hat sich heute wieder aus seine Sendung besonnen: Vorkämpfer eines gesunden, natürlichen und starken Lebens zu sein zum Wohl der gesamten nationalen Jugend.

Unsere Gegenwart ist ernst und hart. Pfingsten ist ein Fest der Freude und der Hoffnung das darf es uns auch in dieser Zeit des entscheidenden Kampfes sein. Freude und Stolz bewegen uns auch heute im Rückblick aus das bisher in diesem Kampfe Erreicht;. Pfingstliche Hoffnung aber läßt das Grün der Maien in unseren Herzen erblühen, wenn wir auf die deutsche Sendung schauen, die nach dem Siege eine neue bessere Welt auf den Trümmern alter, schlechter Ordnungen aufwachsen lassen wird. Jedem von uns aber soll das Brauchtum dieser Tage Vermächtnis und Mahnung der Ahnen sein, die in ihrem heiligen Verantwortungsbewußtsein unermüdlich an der Aufzucht und Erhaltung eines starken und tapferen Geschlechtes arbeiteten, um die höchsten Güter des Volkes zu verteidigen: Reinheit, Ehre und Freiheit. O. O. bo erster-

Stimmen deutscher Dichter

Nun ist wohl wahr, daß der Sommer und son­derlich das Frühjahr viel schön sind. Gleich wenn der Winterschnee auftauet, und man den bloßen Leib der Erde zum erstenmal wiedersieht, fängt diese Vielschönheit an, und geht denn immer mit größeren Schritten fort, bis Blumen und Blätter aufgeblüht sind, und der Mensch vor dem vollen Frühling steht, wie ein Kind vor einem schönen Blumenkorb. Und gewiß lehret uns der Frühling Gott und seine Güte sonderlich; denn was so zu Herzen geht, muß aus irgendeinem Herzen kommen. Und also sind die Frühlings- und Sommerfesttage gar sehr am rechten Ort. ökattkias Ulauckius.

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Man hatte uns schon am Vorabend zum Pfingst- gottesdienst befohlen, weil man am ersten Feiertag vorn einen Angriff erwartete. Es war im letzten Kriegsjahr, und wir nahmen auch die Feldgottes­dienste hin. Der Altar war in einem zerschossenen Walde aufgebaut, und während der ganzen Predigt rief ein Kuckuck. Wir alle lauschten nach der Bir­kenwand hin, hinter der der Ruf erklang, als stehe dort die Gotteskirche, von der der Pfarrer sprach.

Urnst XVieekert.

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Jeder Frühlingssonntag schließt nur für ein paar Menschen, die imstande sind, ihn zu genießen, unter Millionen, die nicht dazu imstande sind, das Glück der Erde und also den Himmel auf.

Wilhelm kaalre.

Nicht ein Wunder, sondern die Unerschöpflichkeit der Natur erhebt den Geist. äeaa Paul.

Pfingstliche Reiterspiele

Pen voll sechs Reitern zusammenstellte, die nun um den Maienkranz reiten sollten Immer wieder jagte eine Gruppe über die Weide hin nach dem gesteckten Ziel und wieder zurück. Lauter Jubel der Zuschauer grüßte und lohnte jedesmal den Sieger. Nun stellten sich die besten zu einem letzten Wettkampf nebeneinander in die Reihe. Mit ihnen ritt Eberhard selbst, der. schon in jungen Jahren als guter Reiter gegolten hatte. Er trug den Sieg davon, ließ sich aber den Maien­kranz nicht reichen, sondern gebot den Gesellen, noch einmal zu reiten, und krönte dann den Sieger. In sausendem Galopp, die Burschen mit erhobe­nem Arm zum Mitreiten aufsordernd, jagte nun Eberhard aus eine Weidebuche zu und ritt unter

Gras Eberhard im Bart ist an Pfingsten nach Bernloch gekommen, mit den Bauern dort den Maien zu begehen und Frieden zwischen den Dör­fern Bernloch und Waldstetten zu stiften, die in Grenzstreitigkeiten miteinander lebten. Herr von Waldstetten ist sei» Hofmeister Albrecht Speth.

Graf Eberhard bestieg sein Roß und setzte sich an die Spitze der berittenen jungen Gesellen und jüngeren Bauern, die am Reiterspiel teilnehmen wollten Jörg ritt ihm zur Seite, den Weg auf den Osang zu weisen.

Keines der Bauernrosse trug einen Sattel. Alle waren sauber gebürstet, und mit Maien geschmückt waren Mann und Roß Die Reiter blinzelten ver­gnügt in die sonnerfüllte Luft, und es schien ihnen ein leichtes zu sein und überaus köstlich, nun- den weißen Wolken, die über ihnen am blauen Himmel zogen, nachzurciten, in einen Tag hinein, der sie schöner dünkte als alle einmal gewesenen, noch schöner als jener, da sie mit dem Grafen nach Urach geritten waren

Dem Reitertrupp schloß sich die Gräfin mit ihrer Hofmeisterin und dem Gefolge an. Dahinter gingen mit frohem Lachen nnd Schäkern, blumen- und kränzegeschmückt, in lockeren Gruppen die Mädchen.

Die anfängliche Scheu allmäh­lich verlierend, hüpften die Kin­der neben dem Reitertrupp einher, trauten sich aber kaum, die Grä­fin, die ihnen wie aus einer an­deren Welt herniedergestiegen er­scheinen mochte, kecklich anzublicken.

Die Alten kamen hintennach.

Es dünkte sie geboten, Zurückhal­tung zu üben und einen gemesse­nen Abstand zu wahren. Sie über­sahen nicht die pfingstlichen Wie­sen, auf denen sich der Frühling in taufend Wundern verschwen­dete, und wenn sich ihre Herzen auch nicht mehr betören ließen, so liehen sie doch gerne ihr Ohr dem vielstimmigen Vogelchor, dessen Melodien unaufhörlich aus den Büschen brachen. Sie freuten sich der saatengrünen Accker, auf denen die Halme in leisem Wind- spielten, und alle mit­einander, die Alten und die Jungen sogen mit erre- gendem Behagen den Duft des seltsamen Maifestes ein, das ein so hoher Herr und seine Gemahlin mit ihnen feierten und er selbst als Maigraf an der Spitze ritt.

Auf der Höhe des Osang, wo er schon ansing, sich dem Nied entgegenzuneigen, machte der Graf halt. Eben kam, angeführt von Albrecht Speth, der Waldstetter Reitertrupp daher.

Nun rief der Graf zum Wettritt auf. Da spann­ten sich die Mienen der Reiter und manchem klopfte das Herz in Erwartung besonderer Dinge. Der Speth übernahm das Amt des Schiedsrichters, während der Graf mit keckem Zugriff Bernlocher lind Waldstetter untereinander zu kleinen Grup-

ihren Aesten weg, ohne mit dem Kopf daran zu streifen. Die jungen Gesellen folgten. Manchem hürstete ein Baumzweig den Haarschopf.

Indessen hatte der Graf eine Stange mit einer Kappe vorauf in die Erde gesteckt, riß diese nun, im Galopp an ihr vorbeireitend, mit sicherem Griff herunter und stülpte sie auf dem rückwärtigen Ritt wieder darüber. Gewaltiger Jubel brauste auf.

Wer von den Reitern Lust hatte, durfte an dem neuen Spiel teilnehmen, und, vom guten Beispiel angespornt, solgten die jungen Gesellen aus allen Dörsern, und immer belohnte lauter Beifall, wem das Stücklein gelang.

Oh, war das ein Tag! Glückselig wölbte sich der Himmel über den Weiden und Fluren, wölbte sich über dem Jubel des Volkes, das seinen Maien beging, hierbei noch die junge Gemeinde Bernloch feierte, und den Frieden zwischen zwei Nachbar­dörfern besiegeln wollte.

lAus:Der tausendjährige Acker, der Roman eines Dorfes". Deutscher BolkSoerlaa, München.),

MM

vom Grund bis zu den Gipfeln, So weit man sehen kann,

Jetzt blüht's in allen Wipfeln, Run geht das wandern an:

Lind von den Bergen nieder Erschallt sein Lied ins Eal, Llnd die zerstreuten Brüder Laßt Heimweh allzumal.

Oie Quellen von den Klüften, Oie Ström' auf grünem Plan, Oie Lerchen hoch in Lüften, Oer Dichter frisch voran.

Oa wird die Welt so munter And nimmt die Reiseschuh,

Sein Liebchen mitten drunter,

Oie nickt ihm heimlich zu. Stchendorft

Das Lied im Nebel

Ein kleines Pfingsterlebnls, erzählt von Erneste Kuhrmann-Stone^

Dieser Pfingstsonntag war sich der Hoffnungen nicht bewußt, die sich auf ihm versammelt hatten. Wie viele Menschen waren ausgezogen in dem Ge­danken, Sonne und die königliche freie Sicht über die Berge und Wälder zu erleben! Ganze Züge voll waren es, große Kolonnen unterwegs nach der Ausschau. Aber je höher er stieg, der Bergweg, je kahler und einsamer und unwirtlicher es wurde, so daß die dürren Wegstangen zuletzt das einzige, armselige Ereignis blieben desto dichter nur hängten sich die breiten Nebeltücher vor die Höhe. Dies also war der stolze, königliche Berg des Schwarzwaldes, der Feldberg, dem man nicht nur ein paar Sonntagsstunden, nein, viele Wochen der Arbeit und der Erwartung hindurch zugewandert war. Er wandte sich ab und kehrte sich den Teufel an die Wünsche ver Leute. Wind heulte eisig um seine breiten, kahlen Flanken. Spitz stachen ver­einzelte. gestorbene Tannen in den Aufruhr der Lüfte, zwei oder drei. Dann wieder versanken sie hinter uns und nichts war mehr, das dem Auge ein Besonderes anbot.

Irgendwann einmal entstand zusehends ein graues Phantom im Weißen, ungewiß in den Kon­turen. Und das war dann der Turm. Man sah ihn erst, als man dicht vor ihm stand.

Nicht nötig, zu sagen, daß sich der Himmel nicht veränderte. Es war und blieb neblig und aus­sichtslos.,Man hatte es schon Stunden vorher ge­wußt. Warum eigentlich war man weitergelaufen? Weiter ins hoffnungslos Scheinende, das nur durch ein Wunder gewendet werden konnte? Warum? Warum kamen in breiten Strömen aus den ver­schiedenen Tälern her dennoch Menschen gezogen, viele, viele Unentwegte, ganze Schlangen aus Menschen, Hunderte von irgenoher. alle von glei­

chen sehnsüchtigen Wünschen getragen? Warum nur? Es war etwas daran, oas rührte und erinnerte. Es rührte, weil es ein Tun voll kindlichen Ver­trauens war Es erinnerte an die deutsche Wan­derung, den Aufbruch durch Nacht und Noi und Elend grauer Jahre, als man nur drei Schritte urück ins neblige Chaos, drei Schritte vorwärts n die verschleierte Zukunft sah, und als dennoch die Gläubigen aufbrachen, um höher, nur höher zu kommen, wenn auch der Marsch hinaus noch endlos, hoffnungslos, ratlos schien. War dies nicht ein stilles, unauffälliges Gleichnis am Wege, da- einen die Menschen, Mitwanderer auf der Suche nach Sonne, lieben lehrte? War dies nicht ein feines, stummes und doch beredtes Zeugnis: so sind sie, die Deutschen! Die Mühe und die Kälte eines feindlichen Schicksals verdrießen sie nicht sie gehen ihren Weg, sie fordern nicht und klagen nicht an, sie wandern in Geduld und Glauben. Denn irgendwann muß sich die Sonne liebend nie­derkehren I Dem Lichte und der Sonne gilt ja der ganze deutsche Wanderweg hinauf.

Sie kam nicht, an diesem ganzen Pstngsttaa nicht. Sie sparte sich für irgendein Künftiges auf. Aber als die Hunderte rings um den feuchten, stei­nernen Turm standen, in Wind und Kälte, die Jungen und die Alten da geschah das andere Seltsame: aus dichtem, drohendem Nebel, aus der Einöde und der kahlen Verlassenheit des Gipfels stieg eine Lerche gus, sang sich über Sturm und Kälte siegessicher hinweg, immer, immer hinauf, an ihrer eigenen Seligkeit empor, nur empor!

Mir aber war es, als gehöre dies alles zusam­men: der neblige Weg der Sehnsucht nach Höhe und Licht, die deutsche Seele und das jubelnd« Lied der Lerche im Nebel.

Bräutliche Verwandlung -°».n-

Ich entsinne mich seiner noch sehr gut, obwohl es nun, wenn ich richtig rechne, achtunddreißig Jahre sind, seit ich ihn zum letzten Male gesehen habe. Ich weiß nicht, wie er hieß und wer er war, und von seinem Leben und seinen Schicksalen hab^ ich nie etwas erfahren. Vielleicht ist er längst ge­storben, vielleicht lebt er auch noch, aber dann ist er ein Greis von mehr als siebzig Jahren, und wenn ich ihn sähe, würde ich ihn nicht wieder­erkennen.

Nur weckte ich ihn gehen sähe, kann es sein, daß ich ihn wieder erkennen würde. Denn sein Gang mag der Grund gewesen sein, daß er uns Knaben mehr als' allen anderen Menschen auffiel, denen wir auf dem Schulweg begegneten. Ich sehe diesen Gang noch sehr deutlich vor mir; er wußte irgend­einen Fehler am Bein haben, und dadurch entstand etwas Schlenkerndes in der Bewegung des linken Fußes, und bei jedem Schritt wippte er ein wenig in die Höhe. Damals dachte ich natürlich nur wenig über ihn nach, er gehörte nur so zum Schulweg wie bestimmte Plakatsäulen oder Haus­türen, die auch ihren Charakter hatten. Erst später, als ich längst nicht mehr zur Schule ging, tauchte sein Gesicht und seine ganze Erscheinung vor mir auf, so wie sic auf mich gewirkt hatten, und eS fiel mir ein, daß mir sein Gesicht immer bleich und ernst erschienen war. Unter seiner Mütze war eine kreideweiße Stirn, und die Augen, die unter den dunklen Brauen hervorblickten, waren von einer traurigen, gleichmäßigen Ruhe. Es schien, als sehe er nichts von dem, was um ihn war. Wahrscheinlich war sein Leben nicht leicht, obwohl er noch im besten Alter war.

Das war in jenem Frühjahr vor nunmehr achtunddreißig Jahren. Da traf ich ihn näm- lich morgens nicht an der gewohnten Stelle, son­dern erst zwei Straßenkreuzungen weiter tauchte er von der Ferne mit seinem wippenden Gang auf; und eS zeigte sich, daß ich diesmal keineswegs zu früh in oer Schule war. Der Unbekannte war also wirklich verspätet, und das war zum erstenmal, daß ich mich nicht auf ihn verlassen konnte. Uebri-

gens konnte ich es äuch schon gleich seinem Schritt ansehen, daß er sich eilte, und später fiel mir ein, daß auch sein Gesichtsausdruck nicht so ruhig und ernst gewesen war, wie sonst. Aber dabei blieb eS nicht. Es mußte eine ganz ungewöhnliche Verände­rung mit ihm Vorgehen, denn in den folgenden Wochen ereignete es sich immer öfter, daß er zu spät war; eines Morgens steckte sogar eine kleine Zigarre kühn im rechten Mundwinkel. Das hatte ich noch nie an ihm gesehen; sein ganzes Wesen hatte etwas Unternehmendes; er sah nun viel jün­ger aus und kam daher, als hindere ihn sein Bein nicht im geringsten.

Ich hatte den Unbekannten mit dem wippenden Gang schon aufgegeben, als ich unerwartet eines Besseren belehrt werden sollte. Am zweiten Pfingst- tag nämlich machte -ich mit einem Freund eine Wanderung in die der Stadt nahen Wälder, die im frischen Grün prangten. Es war ein märchen­hafter. Tag.

Wir bogen eben um eine Waldecke, da kam uns von Ferne ein Pärchen entgegen. Ich erkannte so­fort den wippenden Schritt des Mannes, obwohl er einen Strohhut trug. Und als er näher kam, mußte ich staunen, welche Veränderungen nnt ihm vorgegangen waren: Er hatte einen neuen Anzug an und einen neuen Schlips mit einer funkelnden Nadel. In seiner Hand hatte er nicht eine kleine, sondern eine dicke Zigarre, und sein Auge war so heiter und frisch, wie ich es noch nie gesehen hatte.

Nun. es war kein Wunder, denn die junge Frau, die an seinem Arm hing, war jung und hübsch und lachte lustig. Dieses Bitd war so anders als alle die vielen hundert Bilder, die ich von dem Unbekannten mit dem wippenden Gang hatte, daß es fast gar nicht dazu gehörte. Ich muß mir Mühe geben, es mir ins Gedächtnis zurückzurufen, denn in mir lebte er immer noch weiter als der arme Arbeiter, der im verschossenen Mantel, die alte Schirmmütze auf dem Kopf, ernst und ein wenig traurig, morgens seinen Weg geht. Wer weiß, was alles mit ihm noch Gutes und Glückliches ge­schehen ist.