Deutsches Schicksal im Südkaukasus
Die knnäertjäftrige Oesvkiekte vnittewdergisvleer Sieäler nvä Kolonist«» / Von krieZsberieU er Or. Heinpelronno
?L. Im Osten, Anfang Juni.
Zum Ob-rleiter dreier Staatsgüter aus der Südkrim, zu einem deutschen Kriegsverwaltungsrat, kommt ein tatarischer Arbeiter In -sauer Muttersprache spricht der Tatare mit seinem Vorgesetzten, und er erhält in fließendem Tatarisch die Antwort. Zu ein paar Brocken Russisch und auf der Krim wohl auch Tatarisch hat es jeder deutsche Soldat gebracht. Fließend sprechen - dazu sind nicht einmal die Fleißigsten, in ihrer Freizeit stets mit Wörterbuch und Grammatik bewaffnet, bisher gekommen. Daher unser Erstaunen, und dann später der Bericht des Kriegsverwaltungsrats, der das wechselvolle Geschick eines Deutschen in der Sowjetunion abrollen ließ . . .
Vor über hundert Jahren sind seine Vorfahren aus Süd-Württemberg in den Kaukasus eingewandert. Man schrieb das Jahr 1817, als sich fünfhundert Familien aufmachten, die Donau abwärts zogen und über Ulm, Regensburg, Wien dann schließlich ans Schwarze Meer kamen, um von dort aus über Odessa in den Kaukasus zu wandern. Diese Auswanderer.hatten die Wirren der napoleo- nischen Kriege mitgemacht, hatten in der Heimat nicht mehr die richtigen Verdiensimöglichkeiten, waren außerdem in dem Glauben befangen, daß wieder einmal rin Weltuntergang bevorstände. So wollten sie in die angebliche Urheimat der Menschheit auswandern, in den Südkaukasus, wo nach ihrer Meinung auf dem Berg Ararat nach der Sündflut Noah mit seiner Arche gelandet, von wo aus die Erde neu besiedelt wurde. Dort am Ararat wollten sie das Ende der Menschheit abwarten. Der russische Zar Alexander l., der mit einer würt- tembergischen Prinzessin verheiratet war, sah in diesen Auswanderern die besten Kolonisten zur Urbarmachung der Gebiete im Südkaukasus, die wenige Jahrzehnte zuvor erobert worden waren. So kamen die Württemberg?! in diese Gebiete, und es erhielt zunächst jede Familie 25 Hektar Land zugewiesen Als der erwartete Weltuntergang nun doch nicht eintrat, da gingen die Kolonisten mit deutschem Fleiß an die Bebauung des Bodens, und sie schufen sich in kurzer Zeit blühende Besitztümer.
Der Kaukasus ist die Urheimat des Weines. Hier wachsen edelste Sorten wild, Hirtenjungen brachten den Kolonisten prächtige Trauben und diese erfaßten die Situation sofort und begannen im großen Stil mit dem Weinbau. Durch Anlage von vielen Brunnen schufen die deutschen Siedler im Steppengebiet rin Kulturland, das an Fruchtbarkeit und an Reichtum der Erträge alle Erwartungen übertraf und einen Erntesegen gab, wie er beispiellos war Aus einem Hektar ernteten die Bauern in einem guten Jahr 3V 000 bis 40 000 Liter des besten Weines. Nie kam es vor, daß die Trauben einmal nicht reif wurden — schon im August war die Erntezeit. Und so schufen sich die Deutschen große Besitztümer, kauften immer neues Steppenland hinzu und machten es urbar. Für einen Spottpreis, etwa 24 Mark für den Hektar, war das Land zu erwerben, und so kam es. daß der Familienbesth des Kriegsverwaltungsrats im Jahre 1917 5000 Hektar fruchtbaren Landes umfaßte, davon 500 d» in Weingärten. Es wurden in großer Menge Getreide und Baumwolle angrhgut, gewaltige Viehherden gehörten zum Besitz, in den Kellereien, die zu den größten Rußlands gehörten, lagerten 5 000 000 Liter bester Südwetne, außerdem 1000 000 Liter guten Weinbrands. Die deutschen Siedler hatten sich im 19. Jahrhundert in der völlig asiatischen Umgebung blutmäßig vollkommen rein gehalten, obwohl sie jede Bindung mit der Heimat verloren hatten. Erst In der vierten Generation nahm man die Beziehungen mit dem Mutterland wieder auf Die Kinder besuchten deutsche Schulen, der Abschluß des deutsche» Realgymnasiums in Tiflis berechtigte zum Studium an den Hochschulen im Reich, und so ging der KriegsSerwaltungsrat nach Stuttgart-Hohenheim, um dort Landwirtschaft zu studieren. Aus Deutschland brachten sich viele der Studenten ihre Frauen mit. so auch der Kriegsvcrwaltungsrat.
Sie führten also bis zum Weltkrieg ein arbeitsreiches Leben, das ihnen jedoch den Lohn gab und sie zu wohlhabenden Leuten machte. Dann kam im Jahre 1917 der Zusammenbruch des Zarenreiches, die Bolschewisten zogen, nachdem sie die weißrusst- schen Armeen bezwungen hatten, im Jahre 1920 auch in den Kaukasus ein. Aller Gtoßbesitz wurde in dieser Zeit den Deutschen ab genoarme n. Da sic jedoch keine Fachkräfte zur Bewirtschaftung der Weingärten hatten, wurden sie. unter ihnen auch der Kriegsverwaltungsrat, auf ihren eigenen Gütern festgehalten. Er wurde auf seinem eigenen Besitz zunächst als Güterdirektor eingesetzt. Schon in dieser Zeit wurde er stets von Kommissaren bespitzelt, und nach drei Jahren, als der Nachwuchs der Bolschewisten glaubte, die Leitung selbst übernehmen zu können, wurde er entlassen und stand nun vor dem Nichts.
Bis zu 5 Hektar Land hatte man den deutschen Bauern als Eigentum gelassen. Sie schlossen sich nun ,u einer Genossenschaft, dem Winzerver - band „Concordia" zusammen, erzeugten erstklassige Südweine und richteten sich in vielen Groß- r rL»", Baku, Rostow, Samara, Leningrad und selbst in Sibirien große Lagerleiter ein, in denen dann der Wein auf Flaschen gefüllt und verkauft wurde. Sie hatten einen täglichen Umiak von 10 000 bis 20 000 Flaschen in jeder Filiale Der KriegsverwaltungSrat selbst übernahm die Leitung einer Filiale in Sibirien und siedelte 192F mit Frau und Kindern ln dieses Land. Als nun im Jahre 1929 das Kollektlvwesen ganz allgemein von den Sowjets eingeführt wurde, ging der Winzerverband immer mehr zurück, löste sich eine Filiale nach der anderen auf, da unttr diesen Verhältnissen den deutschen Bauern alle Lust zum Arbeiten genommen war. Der Terror gegen die Deutschen wurde immer stärker, und so wurde in diesem Jahre auch der Kriegsverwaltungsrat stellungslos. Nach Deutschland ließ man ihn mit seiner Familie nicht heraus; außer seinem Häuschen, einer Kuh und ein paar Hühnern besaß er nichts; er war ge> -zwangen, eine Stellung als Sowjet-Agronom an zunehmen, und mußte in West-Sibirien, im frucht- einführen^ Gegend, di« ersten Kolchosen
Nach 1933 verschärfte sich der Druck und Terror gegen die Deutschen. Sie wurden zu Tausenden nach Sibirien verbannt. Im Jahre 1935 wurde der KriegsverwaltungSrat plötzlich verhaftet. Man warf ihm vor, Verbindung mit Sowjetfeindcn gehabt zu haben, lieber ein halbes Jahr lang laß
er im Gefängnis, wurde in der bekannten Weise g e foltert und gequält, um das Geständnis zu erpressen, daß er gegen die Sowjetunion agitiert habe. Die Sowjets hatten jedoch keine» Erfolg, und so wurde er eines Tages verladen unh nach Moskau in das berüchtigte Lubljanka-Gcfängnis gebracht. Nun war mit dem Schauprozeß jeden Tag zu rechnen. Nach acht Tagen ging die Tür zur Zelle auf. Er wurde Herausgeführt, dachte, daß nun das Ende da sei Niemand sagte etwas. Ein Friseur kam, rasterte ihm den halbjahralten Bart ab. Dann sollte er ein Hemd anziehen und einen Binder umtun. Da diese Sachen während der Haft sortgenom- men waren, wurden ihm derartige Kleidungsstücke zugeworfen. Dann kam ein Photograph, machte mehrere Ausnahmen, und anschließend wurde er in seine Zelle zurückgesührt.
Nach ein paar Tagen betrat ein GPU.-Offtzier die Zelle. „Fertig machen!" Geht es nun zur Hinrichtung? Beide fuhren zum Bahnhof, bestiegen einen Zug, rollten viele Stunden, ohne daß der GPU.-Offizier sagte, was denn nun eigentlich werden sollte. Dann hielt der Zug wieder einmal. Sie stiegen aus. Der GPU.-Osfrzier übergab ihm einen Paß, aus dem hervorging, daß er Reichsdeutscher sei. „Gehen Sie jetzt durch diese Schranke, dann
haben Sie die Sowjetunion verlassen — Sie sind in Polen, hier sind die Fahrkarten bis ins Reichsgebiet."
Er war frei! Er konnte dieses Wunder nicht fassen, konnte es sich nicht erklären. An der Reichs- grcnze erwartete ihn sein Schwager und erzählte, daß er nach zahlreichen Verhandlungen des Auswärtigen Amtes befreit worden sei.
Und die Familie? Von ihr hatte er viele Monate nichts gehört. Auch die Frau, die immer noch Reichsdeutsche war, und die Kinder kamen bald darauf in Deutschland an.
In einer landwirtschaftlichen Kommission arbeitete er in der Folgezeit als Diplomlandivhct. Bei Ansbruch des Krieges gegen die Sowjetunion stellte er sich sofort zur Verfügung, um seine reichen Kenntnisse über den Bolschewismus nutzbar zu machen. Bei der Bearbeitung der Agrarordnung für die Ukraine fand er zunächst sein Arbeitsgebiet, und es war die größte Befriedigung seines Lebens, daß er. der die ersten Kollektiven in Sibirien einführen mußte, nun als erster diese in der Ukraine wieder auflöscn konnte. Jetzt leitet er drei große Weingärten auf der Südkrim. Seine reichen Erfahrungen, die er als Weinbauer im Kaukasus gemacht hatte, sind hier von großem Wert
Tragtiere bringen auf wenigen festen wegen der Sumpffrvnt am Kuban die Verpflegung zu den einzelnen Stützpunkten unserer Truppen (PK.-Aufnahme: Kriegsberichter Üleier-ScherN
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kL Nachdem aus einer der Roulette-Tafeln in Monte Carlo die Kugel schon ein paar aufregende Herzschläge lang gelaufen ist und mancher Spieler noch schnell seine letzten Jetons aus der sicheren Hand aus die unsichere Zahl setzte, sagt der Croupier plötzlich mit der gleichen beinahe grausamen Höflichkeit, mit der er einige Sekunden später die Perlmutter-Münzen zusammenharkt: „llien ne v» plusl" („Nichts geht mehr!") Dieser befehlende Ausruf bleibt einem noch lange km Ohr, wenn man die Spielsäle der „Lociäts snonxme ckes Kains 6e dier" auch längst verlassen hat. Denn er wird — so will einem scheinen — zum Echo der gesamten französischen Gegenwart.
Mit einem „Kien ne va plus" muß stch nun die südfranzösische Bevölkerung abfinden, wenn sie auch vor nicht allzu langer Zeit Hoffnung um Hoffnung darauf setzte, daß ihr Land ein Trockenplätzchen in der rings steigenden Flut der europäischen Verteidigung bleiben würde. Aber inzwischen ist Südfrankreich von den Pyrenäen bis an die Alpen von oen Wellen der großen europäischen Abwehreneraie überzogen, so daß nun selbst jene Franzosen, die mit dem Gedanken einer anglo-amerikanilchen Landung in Südfrankreich Hasardkren, um das „Kien ne va plus" nicht mehr herumkommen, sobald sie die Befestigungen an der Mittelmeerküste sehen und die Kräfte überblicken, die in und hinter diesen Befestigungen konzentriert sind.
Und von dem „Nichts geht mehr" werden auch die deutschen Soldaten überzeugt, die mit Vorstellungen aus der Zeit nach dem Frankreichfeldzug ans Mittelmeer gekommen und nun erstaunt sind, daß lediglich die Kulissen des „paradiesischen" Lebens stehen, das sich hier einst abspielte. Denn die Küste
SüdsrankretchS xvar überall dort, wo die Hotel- Palast-Städte und Gala-Badeorte liegen, eine Ko- loniedeSReisebürosCook und lebte ausschließlich von den friedlichen Invasionen der Engländer und Amerikaner, die Cook hier massenweise für eine Saison abgab. damit ihnen die „süße Kokotte Riviera" das Herz erwärme und die Brieftasche erleichtere.
Seit Jahrzehnten hatte stch ein großer Teil Südfrankreichs den Luxus geleistet, wir eine Orchidee am Baume Frankreichs zu blühen, betörend zu duften und teuer zu sein, ohne sich um seine Ernährung Sorgen machen zu müssen. Da der Baum, an dem diese Küsten schmarotzten (denn Orchideen sind Schmarotzer), sie mit allem speiste, was sie für ihr verwöhntes Leben brauchten, konnten sie auf ihren Feldern Blumen pflanzen oder Golfplätze anlegen, ihre Grundstücke mit Villen bebauen und statt des Viehs LuxusautoS und Segeljachten halten. Denn Blumen, Golfplätze, Villen, Autos und Jachten brachten Dollar-Gold ein Doch heute, wo der Baum Frankreichs alle seine Kraft braucht «nd seines starken kolonialen Wurzelwerkes beraubt wurde, ist das einst üppige Südfrankreich dort am schlechtesten dran, wo es am reichsten und prunkvollsten aussiebt. Zwischen Monte Carlo und St. Raphael findet dies seinen optischen Ausdruck, weil dort alle roßen und jedes zweite kleinere Hotel ge- chlossen und die meisten Villen verlasen sind. In Toulon oder Marseille dagegen merkt man es nur, wenn man zum Hafen geht, dann allerdings mit einer Wucht, der man stch nicht verschließen kann. Denn der Hafen von Toulon ist der Friedhof der französischen 'Kriegsflotte geworden, während die leeren Kais im Marsetl-
Generalfelömarschall Freiherr von Richlhofen zeichnet auf einem Feldflughafen am Kubanbrückenkopf einen kroatischen Jagdflieger mit dem Eisernen Kreuz aus (PK.-Aufn.: Kriegsberichter Reißmüller-Sch.)
ler Hafen demonstrieren, daß Frankreichs Handelsmacht dahin ist.
In den Städten der südsranzösischen Departements spürt man von dem „Kien ne va plus" freilich nur dann etwas, wenn man sich in die Speiselokale zum Essen setzt, Denn der einzige Fettfleck, der nach einem südsranzösischen Menü zurückbleibt, findet sich auf den Servietten der Frauen als Abdruck des Lippenrots. Sonst sieht man meist malerische, im Schrein ihrer Vergangenheit bewahrte Städte, voll Straßenleben, Bars mit den Stuhl- und Tischreihen aus den Gehsteigen, Schaufensterpracht und Kinoreklamen. Freilich ist das „süße Leben", von dem der Franzose so gern und verliebt spricht, stark saccharinisiert. Aber so- lange Spaziergänger auf den Boulevards noch „zu Hause" sind, solange kleine Geschäftsleute noch ihre Läden schließen und dranschreiben können: „Bin bis Monatsende auf dem Land", solange noch jede erhöhte Art von Tätigkeit bestaunt wird (man beobachte beispielsweise den Auflauf, den die Gefechtsübung einer Kompanie unter der Bevölkerung aus- lösen kann), solange die Südfranzosen so gut wie keine sliegergestörte Nacht hatten, scheint das „Kien ue vs plus" von dem vielen Licht, das auf das Leben hier niederfällt, überstrahlt zu werden. Freilich, es klingt aus dem Gehämmer, das die holzbesohlten Schuhe aus dem Asphalt vollführen, grinst hinter den stets leeren Fleischerläden hervor und taucht gar in den Weinläden dieses Rebenlandes aus, die allerhand Limonaden und Essenzen, nur keinen Wein mehr zu verkaufen haben
Wenn man das südfranzösische Leben beobachtet, dem die tägliche Arbeit als notwendiges Uebel an- gehänat scheint, so wünscht man, daß der Realismus, der unter den Franzosen dort so schöne Fortschritte macht, wo sie unmittelbar oder mittelbar mit den Besatzungtruppen arbeiten, sich überall durchsetzen möchte. Denn was ließe sich für Arbeitsleistung aus diesem Land herausholen, sobald die seltsamen Formen, die hier noch „tägliche Beschäftigung" heißen, in rationelle Arbeit verwandelt würden! Warum können Männer, die stch von morgens bis abends damit beschäftigen, zwischen dem Dschungel vollbesetzter Stühle herumzukriechen und Zigarettenstummel zu suchen, nicht Arbeit tun, die durchaus nicht so „erniedrigt"? Wie das gleiche Bild den Wunsch auSlöst, daß auch jene, die auf den Stühlen der Bars seßhaft sind, auf- stehen möchten, um an eine Arbeit zu gehen
Die Aufzählung verwandter „Werktags-Erscheinungen" könnte beliebig fortgesetzt werden, doch alle beweisen ja nur, daß das „Kien ne va plus" sehr viele Südfranzosen noch immer nicht zwingt, die Arbeitsleistung als ein der Allgemeinheit gehöriges Gut zu begreifen. Das aber erscheint uns als wirkliches Hindernis auf dem Wege Frankreichs in den Europäischen Schicksalskampf und wiegt die vielen Beispiele eindeutiger französischer Entschlossenheit, an der Verteidigung der heiligsten Güter der Menschheit teilzunehmen, nicht auf. Aber man darf darum doch nicht aufhören zu hoffen, daß da» „Kien u« va plus", das heute noch so sanft durch Südfrankreich klingt, morgen oder übermorgen so laut und zwingend wird, daß es auch die Zwischen- und Schwarzhändler, die Angler und Dauer-Spaziergänger, die Garnichtstuer und Vergangenheits- Anbeter weckt- kriexsderiebler ä. 8ebonderz
Durch Glaub und Hitze marschieren unsere Grenadiere zur Ablösung ihrer Kameraden an die Front (VK.-Aufnahme: Kriegsberichter waske-vckerl)