er verweigerte eS fest. Ich stand während dieses Gespräches neben der Mutter, und hob meine kleinen Hände — ich war kaum zehn Jahre alt — bittend in die Höhe, und flehte: „Nehmt mich mit, ehrwürdiger Vater! — ach, bringt mich doch zu meinem lieben Vater!" Der Geistliche willigte ein. Ich begleitete ihn, aber die Mutter mußte Zurückbleiben, weil er fürchtete, der Anblick eines großen Unglücks könne ihr den Tod geben. So gelangte ich in den Kerker meines Vaters. — Regina! vierzehn Jahre sind seitdem verflossen — aber — als hätte ich ihn gestern gesehen, so lebendig steht das Bild meines Vaters in meiner Erinnerung — wie ich an sein Lager trat — in seine leeren, wunden Augenhöhlen starrte — wie ich ihn beim Namen rief — ihn umschlang — wie er mich an sich drückte — o Regina! währte mein Leben tausend Jahre, ich würde diesen fürchterlichen Augenblick nicht vergessen." — Regina hielt die Hände vors Gesicht und weinte still und schmerzlich. „Der Vater hielt mich lange in seinen Armen," fuhr Herrmann fort, „dann faßte er sich und sagte: „Mein Sohn, wenn du groß seyn wirst, dann räche mich! Diese Worte drangen tief in mein Herz und ich vergaß sie nicht. Der Geistliche, empört über die Grausamkeit des Stadtvog- tcs, forderte meinen Vater auf, ihm zu folgen. Er that cS, und verließ schwankend seinen Kerker, der Geistliche führte ihn, ich hielt seine Hand, und so gelangten wir durch den verborgenen Gang in die Marienkirche. Es war an einem Sonntage. Die Gemeinde war zum Gottesdienst versammelt. Kaum hatten wir die Kirche betreten, als das Glockenspiel der Uhr ertönte. Der Vater bebte vor Freude und Schmerz. „Führt mich zu meinem Werke!" sprach er. Ich führte ihn hinauf, während der Geistliche uns langsam folgte. Kaum war der Vater bei der Uhr angelangt, so griff er mit kräftiger Hand in das Räderwerk, zerriß die Ketten, sprengte die Federn, so daß im Augenblick ein wildes Summen und Sausen an der Uhr alle Anwesenden in Schrecken fetzte. Aller Blicke waren in die Höhe gerichtet, da sah und erkannte man meinen Vater, sah ihn augenlos noch mit Blutflecken bedeckt, und ein lautes Murren erhob sich. In dem Augenblick stürzte durch einen starken Stoß meines Vaters die Ilhr mit schrecklichem Gerassel herab in die Kirche, und lag r» tausend Stucken zertrüm
mert »m Boden. Der Stabtvogt, der ebenfalls in der Kirche war, sah todtenbleich und hebend, was um ihn vorgieng, sah die drohenden Mienen derer, die ihn umgaben, und stürzte zur Kirche hinaus. Das Volk stürmte ihm nach, und noch begreife ich nicht, wie er den Wüthenden entgieng, aber er entkam. Unter wildem Geschrei wälzte sich die Volksmasse nach seinem Hause, riß es nieder, plünderte und zertrümmerte sein prächtiges Haus- geräth, so daß in wenigen Stunden ein bloßer Schutthaufen an der Stelle zu sehen war, wo der Frevler gehaust hatte. Von ihm selbst habe ich seit dieser Zeit nichts vernommen. — Mein Vater wurde unter tausend Zeichen der Liebe und Theilnahme nach seinem Hause gebracht, wo er schon nach wenigen Stunden in den Armen meiner trostlosen Mutter den Geist aufgab."
Hier erfolgte wieder eine lange Pause, dann fuhr Herrmann fort: „Die Mutter konnte nicht in einer Stadt bleiben, wo sie so glücklich gewesen war, und so Schreckliches erlebt hatte. Sie hatte einen Bruder, der Schiffbauherr in Elbing war, zu diesem begab sie sich. Dort vertrauerte sie ihr übriges Leben, welches nur noch von kurzer Dauer war. Ehe zwei Jahre vergingen, war ich eine vater- und mutterlose Waise. Der Oheim welcher keine Kinder hatte, nahm mich an Kindesstatt an, und erzog mich mit väterlicher Sorgfalt. Ich hätte glücklich seyn können, hätte das SchicksN meiner Eltern nicht einen unauslöschlichen Eindruck auf mein junges Herz gemacht. Des Vaters Worte im Kerker: „Wenn du groß seyn wirst, rache mich!" waren nicht vergessen worden. Ich wuchs heran und der Rachgcdanke gewann immer mehr Stärke in mir. Ich halte bei meinem Oheim die Schiffbaukunst erlernt, und als meine Lehrjahre vorüber waren, wollte ich hinaus in die Welt. Der Oheim willigte ein. Meine erste Wanderung war nachDan- zig. Ach Regina! wie war mir zu Murhe, als ich in der langen Gasse das Haus meiner Eltern wicdersah. Seit des Vaters traurigem Tode stand es verödet und verschlossen. Niemand, hieß cs, könne es bewohnen, weil der Geist meines Vaters allnächtlich darin umgehe*)."
*) Noch jetzt wird in Danzig das Haus gezeigt, und die Sage, es spucke darin, hat sich dis jetzt erhalten.
(Fortsetzung folgt.)