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pflanzte seine Banner auf die Erdwälle von 'Lripol; Jom von Kiew, Wladimir Monomach und Rostislaw waren dessen Führer. Ader -von der Ucbcrmächt bedrängt, stürzten die Russen in die Fluchen bcr vom Regen ange- schwvllcnen Stugna. Monomach " hatte den Schmerz, seinen Bruder, den kapfern Rostiv­law, ertrinken zu sehen. Vergebens war es, daß er sich selbst in die Fluchen stürzte: nur sein Leben, nicht das seines Bruders wurde gerettet, und die unglückliche Mutter, welche den Sieger zurück erwartete, hatte den Schmerz, einen Sohns dessen Leben noch nicht drei und zwanzig Frechlinge zählte, auf der Tödtcnbahrc zu sehen. Eine zweite Schlacht wurde auf dem Feldbanne von Kiew zür Be­freiung des belagerten Torschcsk gewagt, aber sic endete wie die erste; Sawtopolk entfloh, nur von zwei Kriegern bcglcirct, und das unglückliche Torschcsk fiel dem Feinde anheim. Die Sieger waren zugleich Vernichter; die Stadt wurde von dem Boden Gottes vertilgt und die Bewohner als Sklaven hinweggctric- ben. Ach, es war eine dunkle Traucrzeit, und ich will sic euch mit denselben Worten schildern, mit welchen der fromme Mönch des Höhkcnklostcrs sie in der ältesten Urkunde über Rußlands Geschichte beschrieb. Nestor , der Zeitgenosse dieser Leiden, sagt:Die Städte veröden, in den Dörfern brennen Kirchen, Hauser, Hutten und Scycuncn. Die Bewoh­ner hauchen unter Schwertern ihr Leben aus, oder sie erwarten zitternd den Tod. Nackt und unbcschuht ziehen die Gefangenen mit Ketten beladen in die unbekannten Wüsten der Barbaren und Jgcn einander weinend: "Ich bin aus dieser russischen Stadt, ich aus jenem Dorfe." Keine Hecrdcn , keine Rosse sichen wir auf unfern Weiden - die Aecker sind mit Unkraut überwachsen und wilde Thiere Hausen da, wo sonst Christen wohnten. Niemals hat man vor unserer Zeit in Rußland gesehen, was wir jetzt zur Strafe unserer Sünden erschauen und erleiden:"

Unter denjenigen, welche -hinausgetricbcn wurden in die schmähliche Knechtschaft, war auch ein Greis hoch an Jahren; an seiner Seite wankte eine zarte Jungfrau und ein blühender Jünglmg, ihr Verlobter. Ach, die Unglücklichen hatten schönere Tage gesehen, sie waren aus Murom nach Torschcsk hinüber

gewandert, um unter Freunden und Bekann­ten das Hochzeitsfcst zu feiern. Wie waren sie nun so elend und einst so glücklich; der Jüngling hoch geachtet im Schwert- und Lan­zenkampf, und Anastasia, mit dem Beinamen Solowei, die Krone der Jungfrauen. Auf bucharischcn Teppichen wandelte ihr Fuß, Freude und Gran; umgab ihre Tage, und was ihr schönes Auge erblickte, war ihr hold und ergeben. Doch wandelbar ist des Men­schen Geschick; an demselben Tage, wo sie dem Geliebten züm ewigen Eigenthum ange­traut werden sollte, wurde sic mit ihren Lie­ben dem grenzenlosen Elend übergeben. Aber die Liebe lindert auf Erden jedcS Wehe; ein heiliges Gefühl einigte jetzt die drei Dulder wie einst in ihres Glückes Sonnenschein. Ei­ner verbarg dem Andern seine Schmerzen, um ihn nicht zu betrüben, und Jeder litt nur, wenn er des Andern Qualen sah. Der Fuß der Jungfrau war blutig und ange- schwollen auf dem Pfade der Verwüstung den sic wandelten, da zog Igor ihr Verlobter die Bastschuhe ab, welche ihm das Mitleid zuge- worscn, und reichte sie der Geliebten. Diese nahm sic mit innigem Danke, kniete vor den: Vater nieder, küßte die wunden Maale, welche ihnl die Steine geschnitten, bekleidete ihn mit den weichen Sohlen und freute sich, wie er nun kräftiger dahinschritt. Als sie nun in der Mitte des Tages rasteten und ihnen Speise gereicht wurde, wmr derselben so wenig, daß sich kaum Einer daran crsat- tigen konnte. Igor reichte Anastasia sein Thränenbrvd, sie nahm es nur tim cs dem Vater zu geben. So darbten, hungerten, litten sie und waren doch nicht ganz unglück­lich, denn sie waren schuldlos..

Da traten einige der Räuber zu der Jung­frau, zeigten ihr ein Kunstwerk, das sie er­beutet und fragten: Was ist das, und was beginnt man damit? Anastasia erkannte ihr Eigcnthum, eine Harfe, in Grichenland ver­fertigt; sie war Meisterin auf derselben und' ihres schönen Gesanges wegen nännte man sie Nachtigall. Als sie nun die Vertrante . ihrer glücklichen Vergangenheit wicdersah, i drückte sie dieselbe wie ein belebtes Wesen an ! ihr Herz und begann, um Trost und Kraft zu erflehen, ein geistliches Lied, denn sie war > fromm und gottesfürchtig. Heilig sind die