stätischer KobiaBaum mit breiten ungezackten und hochgcadertcn Blättern, dessen Früchte von der Größe einer Haselnuß einen köstlichen Geschmack hatten. Nicht lohne Mühe erreiche Manuele die untersten Auswüchse des dicken Stammes und schwang sich dann bis gegen die Mitte des Baumes, wo ein sehr breiter Ast einen ziemlich bequeme» Sitz darbot. Der Schlaf nahte heute der Ermüdeten srüher als gestern, denn schon während des Abendgebets schloß ffe ihre Augen und wurde auf kurze Zeit ihren Erdcnleide» entrückt.
Das Dunkel der entweichenden Nacht stritt noch mit dem erster Grauen des nahenden Morgens, als die Schlummernde erwachte und ein Geräusch hoch in den Lüften über sich wahrnahm. Ein neuer Schreck durchbebte die arme Manuele, als sie einen großen Geier erblickte, der ei» kleines blutendes Säugcthicr, ldas ihr wie ein junger Schakal vorkam) in den Krallen haltend auf den Kobia herab schwebte. Der gewaltige Vogel hatte auf dem Gipfel dieses Baumes sein Nest, aus welchem ihm jetzt die Jungen hungrig cntgcgcnschrien.
„Wenn Gottes Hülfe Dich nicht abermals ret- ct, so bist Du verloren!" dachte Manuele und harrte mit Jittern des schrecklichen Augenblicks, in welchem das gefiederte Raubthier auf sic hcrnicder- schicßen und seine bckrallten Füße in-ihren Kopf schlagen würde. Aber dieser schien die Nähe eines Menschen nicht zu wittern, er blieb ruhig in dem Neste droben sitzen und verzehrte seinen Raub. Zwei peinvolle Stunden vergiengc» der Unglücklichen wieder in fortwährender Todesangst. Gern wäre sie von dem gefährlichen Sitze heruntergeklettert und ciitstohen, aber die Vorsicht ricih ihr, sich ganz still zu verhalten, um durch kein Geräusch die Aufmerksamkeit des Vogels zu erregen. Endlich rauschte eS furchtbar oben in dem Gipfel des Kobia und Manuele sah ihrem gräßlichen Ende entgegen; — aber der Geier erhob sich aufwärts zu neuem Fluge und nach einer Minute war er über die Felsen ihren Blicken entschwunden.
Die Angstbefreite verließ nun eiligst den Baum, tem Himmel dankend: daß sie zum Drittenmale einer großen Gefahr entgangen war. Sie begann nun von neuem ihre Reise und verfolgte den Pfad, dem sie gestern gefolgt war. Er führte abermals eine Gebirkskette hinan, die «och weit höher war, als die am vorigen Tage überstiegene. Je weiter hinauf Manuele kam, desto beschwerlicher wurde ihr der Weg, der von den Regenbächen in die Sei-
tenwände der Berge gegraben zu seyn schien, und voll kleiner, runder sehr schlüpfriger Granilstcincn lag. Endlich nach einer ununlcrdrochenc» Wanderung von tz Stunden erreichte sie den höchsten Pik dieser Gcbirkskette, und eine herrliche Aussicht that sich vor ihr auf. Von alle» Seiten überblickte sie das Land auf eine Weite von mehreren Meilen. Die niedrigeren Berge Himer ihr glichen unermeßlichen, von einem dicken Nebel bedeckten Ebene. Rechts und links zeigte sich dem Blicke ein Chaos von ungeheuren Granitfelscn. Aber vorwärts lag eine große mit dem mannizfaltigtcn Grün bekleidete Fläche, und mitten in derselben, aber noch ziemlich weit von diesem Gipfel entfernt, ragten — o wer beschreibt Manuelcns Freude'j — eine Menge hoher seltsam gestalteter Thürme aus den vielen Gruppen der verschiedenartigste» Sträucher und Gebüsche, mit denen das freundliche Gelände besäet war, hervor.
Obgleich Manuele sehr erschöpft auf dieser Berg- spitze angclangt war, so fühlte sie sich jetzt durch den Anblick der lieblichen Flur doch auf einmal so gestärkt und crmuihigt, daß sie ohne Säumniß in die fruchtbare Ebene hinadsticg. Als der Boden flacherund der Weg bequemer wurde, vedoppclte sie ihre Schritte, um recht bald die unbekannt« große Stadl zu erreichen. — Aber wie erstaunte die Arme, als sie, aus einem Gebüsch tretend, gewahr wurde: daß die hohen Gegenstände, welche sie von jenem Berggipfel aus für Thürme angesehen, keine von Menschenhände gemachte Gebäude waren. Die schöpferische Natur hatte diese majestätischen Pflanzensäulcn hervorgebraebt. Es waren Baobabs, die Riesen unter den Bäumen, welche wirklich in einiger Entfernung ein thurmartigeS Ansehen haben. Niedergeschlagen über diese unerwartete Täuschung, doch zugleich von Bewunderung über diese königlichen Erwüchse ergriffen, setzte Manuele sich auf einen Stein, um von der rastlosen Wanderung ein wenig auszuruhen. Eben war sie beschäftigt, eine Kokosnuß, deren sie ein Paar gestern zu sich gesteckt hatte, zu zerschlagen und sich ein Mittagsmahl zu bereiten, als sic ganz in der Nähe das Gebrüll eines Trupps Elephanten hörte. Nach wenig Augenblicken wurden diese Riescngc- schöpfe auch sichtbar und nahmen ihren Lauf grade auf sie zu. Auf einen Baobab zu flüchten, gab es keine Zeit mehr, wenn auch diese Könige der Bäume, die einen ungeheuren hohen Stamm haben, mehr zugänglich gewesen wären.