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Wohl dem, der seinen Schmerz Durch Weinen lindern kann. Doch immer ist's nicht Leid, Auö dem die Thränen sprießen; Noch and're Quellen gibts, Woraus gar oft sie fließen.

Die Thräne, die die Schaam Oft aus dem Auge preßt,

Sie ehret den fürwahr,

Dem sie das Auge näßt.

Denn wer sich schämt, ist noch Der Tugend sich bewußt,

Und noch lebt das Gefühl Davon in seiner Brust.

Drum lasse stets der Mensch,

Nach sträflichem Beginnen, Die Thränen reu'ger Schaam Nur unaufhaltsam rinnen.

Die Thräne, die geweint

An unsrer Lieben Grab, j Sie lindert unfern Schmerz,

Hält die Verzweiflung ab. Gleich sanftem Himmclsthau,

Der unsre Wunden heilt,

Gab sie die Vorsicht uns,

Wann Leiden uns ereilt.

Drum lasset immerhin

Der Wehmuth Thränen fließen, Die als Vergiß mein nicht Einst an den Gräbern sprießen.

Wann Unschuld Thränen weint, Verlassen und verkannt,

And ihr kein Retter naht,

Als Gottes Vaterhand;

Wann der bethränte Blick Au ihm nach Hülfe schaut,

Zu ihm, der liebend sie Und hoffend stets vertraut,

Dann ist die Rettung nah,

Der Himmel sieht ihr Sehnen, Denn Engel zählen ja

Werlaß'ner Unschuld Thränen.

Des Heuchlers Thränen sind Die schändlichsten der Welt,

Denn auch der Klügste wird Durch sie gar oft geprellt;

Und w ei n t die Heuchelei,

So lachs sie innerlich,

Und wer ihr glaubt, der ist Betrogen sicherlich.

Drum flieht sogleich, seht Ihr

Des Heuchlers Thränen fließen, Ihr werdet theuer sonst

Den Trug bezahlen müssen.

Weint Thränen des Gefühls Am Traualtar die Braut,

Die aus den Bräutigam Ihr Lebensglück gebaut;

So sind cs Thränen, die

Gemischt aus Schmerz und Lust, Dem Aug' entströmen, und Es pocht die junge Brust.

Denn was der Ehestand

Uns bringt nach vielen Jahren, Das hast Du, Leser! wohl

Oft an Dir selbst erfahren.

Wer Thränen auch vergießt An eines Vetters Grab,

Dem trocknet sie gar oft,

Die Erbschaft wieder ab. Aufrichtig weinte man.

Daß er nicht eher starb Und durch sein Dascyn wohl Oft Manche Lust verdarb.

Nun ist er todt, man weint.

Doch bleibt das Auge trocken. So weint das Krokodill,

Um uns sich anzulocken l

Wenn Bosheit, Rache, Wuth, Den Blick mit Thränen füllt, Dann seyd auf Eurer Hut;

Denn Rache ungestillt Sie schafft zum Tiger um.