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Ich fühlte aber meine Kräfte sehr erschöpft, und Todesahnungen erfüllte» meine Seele; doch sie waren mir nicht schröcklich. Die Welt bot mir ja nur Leiden, daß ich mich nach der stillen Grabesruhe sehnte. In der nächsten Nacht fühlte ich eine gewisse Beklommenheit, ein Jusammciiziehcn der Brust. Bald fehlte cs mir an Luft, bald wurde mein Alhem wieder freier, bis ich endlich von Neuem in einen Zustand der Besinnungslosigkeit verfiel- Was alsdann mit mir geschehen, davon ist mir nichts bewußt. Ich erwachte erst in Deine» Armen wieder, mein Antoine!"
Sey gepriesen, allmächtiger Gott! rief Latour: daß du mir den Gedanken cingabst, die Geliebte noch einmal zu sehen in der Grabesnacht. Hätt' ich diesen Vorsatz nicht ausgcführt, ach dann, meine Felicie, wärest Du eines fürchterlichen Todes gestorben! Q des unverzeihlichen Leichtsinns, der verdammungswürdigcn Unvorsichtigkeit der Menschen: die Entschlummerte» eher zu beerdigen, als bis die untrüglichsten Zeichen des wahren Todes eintretcn! Ick schaudrc vor Entsetzen, wenn ich bedenke, wie Du aufgcwacht wärest in dem engen dunkeln Hause, wie Du leise aber in Derzwcif- lungsangst nach Hülfe gerufen, und Niemand Dich gehört hätte, wie Du dann — o ich will cs nicht vollenden, das Schreckcnsgemälde, Deine Nerven sind noch zu schwach, meine Felicie. und ertragen solche Erschütterung nicht. Weg mit der Scene des Grausens! Laß uns auf schönere Bilder blicken, welche die Zukunft uns verspricht, aus Bilder der stillen Liebe und Glückseligkeit.
„Versprichst Du auch nicht zu viel, theurer Freund meiner Jugend':" lispelte Felicie sanft. „Wohl ist mir jetzt klar bewußt, daß Deiner Liebe ei» . Wunder gelungen, daß Du mich dem entrissen, und mich dem Leben auf's Neue wieder- gegcben hast. Ach gern nehme ich dich Geschenk von Dir an, und freudig bekenne ich cs, daß ich Ließ neue Daseyn nächst Gottes Gnade nur Dir allein verdanke! Ach dürft' ich es auch nur an Deiner Seite genießen! Aber werde ich nicht in Dillvns, meines Gatten Haus zurückkchren müssen's"
Nein, Felicie, das wirst Du nicht, das darfst Du nicht! Die Bande, die Dich an den Unwürdigen fesselten, sind gelöst durch das Grab. Er selbst hat Dich aufgcgcben und Dich von ihm für geschieden gehalten, als er in den Schooß der kühlen Erde Dich senken ließ. Nur bis an der Grüfte Schranken hat dieEheGültigkeit-darüber hinaus
^ kann ihr Gesetz nicht mehr herrschen. Für Dillon bist Du todt und mußt cs fortan bleiben ; für mich aber, der Dich nächst Gottes Allmacht zum irdischen Daseyn wieder weckte, sollst Du fortan leben. Und kannst Du bangen, daß Gott unsrer Liebe zürnen werde? Hält' er wohl dann ein solches Wunder durch sie gcthan'i
FelicienS Zweifel waren leicht beruhigt. Das neue Leben hätte für sie ja auch keinen Werth, noch weniger Reiz haben können, wenn sie cs nicht mit dem Geliebten ihrer Seele, den sie mit Recht als den Schöpfer desselben betrachtete, thcilen durfte- Es wurde verabredet, daß das seltsame Ereigniß ein tiefes Gchcimniß bleiben sollte. Nur der Tod- tengräber, dessen Frau und der altc Rcnaud wußten darum, und von allen Dreien war kein Verreich zu fürchten. Sich mit Felicie» in Paris ehelich zu verbinden — wollte und konnte Latour nicht wagen. Er durfte kaum hoffen, einen Priester zu finden, der ihm und Derbois Tochter, nach genommener Kenntniß des wahren Verhältnisses, die kirchliche Einsegnung crthcilen möchte, denn nicht Alle, so ließ es sich vorausschen, würden seine Ansichten und Meinungen theilen. Auch stand zu erwarten, daß der höchst seltene Vorfall, sobald er im mindesten nur ruchbar würde, gleich zu einem allgemeinen Stadtgespräch werde», und endlich zu einem verwickelten Rechtsstreit nothwendig Veranlassung geben müßte, dessen Ausgang auch noch sehr zweifelhaft sey. Alle diese Folgen mußten vermieden werden. Daher beschloß Latour, sobald als möglich nach London zu gehen, sich dort häuslich niederzulasscn und seiner durch ihn erstandenen und neu belebten Felicie die Hand zum eheliche» Bunde zu reichen. An Unterhalt konnte es ihn» in verschiedenen Fächern, der Heilkunde erfahrenen Arzte, nicht fehlen. Auch durfte er hoffen, durch den Verkauf seines väterlichen Grundstücks einige tausend Livres zu gewinne», durch welches Geld er in den Stand gesetzt werden konnte, in Englands Hauptstadt sich anständig einzurichten, und sich die ersten Hülfsmittcl zum weiteren Fortkommen zu erwerben.
(Fortsetzung folgt.)
Tode ^ einem