Der Page von Brieg.
(Fortsetzung.)
Der Qberrichter handelte indessen, wie Franz cS vermukhek halte. Nachdem er die dem Pagen weggcnommenen Papiere durchgclesen, degab ec sich eiligst ntr Herzogin, und meldete: daß er bis jetzt dem Diebe noch nicht auf die Spur gekommen sey, daß er aber eine and,e ihr vielleicht nicht unwichtige Entdeckung gemacht habe. Dabei überreichte er ikr die beschricvcnen,Blätter und erzählte ihr umständlich und wahr, wie Franz sich betragen, und wie man ihn pflichtgemäß habe behandeln mäßen. Mil einigen Zeichen des Unmuths hbrie Katharina de» Bericht an, denn es that ihr leid, daß gegen den neuen und redlichen Jüngling, der ihr Wohlwollen so sehr verdiente, ein so Hanes und kränkendes Verfahre» beobachtet worden war. Doch welch Erstaunen ergriff sie, als sie die Papiere durchlas. Nun ward cs völlig klar vor ihren Augen, nun war alles ennäthsclr, was ihr in dem Benehmen des Pagen noch bisweilen befremdend vorgekommen war. Aber aus ihre» Blicken sprach weder Zorn noch stolze Verachtung, wie der rauhe Pfleger der Justiz vorausgesetzt hakte; ihre sanften edlcn Züge verkündeten nur das innigste Mitleid welches sie für den hoffnungslosen Unglücklichen fühlt.
Sic mußte alle Kraft aufbieken, um ihre tiefe Rührung vor dem kalten, uncmpflndlichcn Manne, der sic leicht mißverstehen konnte, nicht allzusichtlich werden zu lassen. ,,Gebet diese Blätter dem Pa- gc» wieder zurück," sagte sie mit erzwungenem Gleichmuihe zu dem Oberrichter, ,,und verkündet ihm, daß er völlig frei und verdachtlos sey. Für seine Empfindungen ist er nicht strafbar, den» er har sie vor mir und aller Welt verborge» und mein sittliches Gefühl weder durch ein freches Wort, noch durch einen kühnen Blick beleidigt. Daß Ihr ihm sein still bewahrtes Geheimnis! gewaltsam entrissen habt, dafür kann er njchi. Meine Sorge wird es seyn, sobald als möglich solche Maaßrcgeln zu treffen, welche seiner Ruhe und meiner Pflicht heilsam sind. Euch aber gebiete ich bei Verlust meiner Gnade und bei strenger Verantwortung: daß Ihr das, was nur Euch, mir, und dem arme» Franz bekannt ist, behutsam verschweiget.' Ich würde es als eine Verletzung meiner fürstliche» Ehre ansehe», wen» Ihr nur ein Wort, sey es gegen wen es auch immer sey, offenbartet."
Der Oberrichter gelobte die gewissenhafteste Verschwiegenheit und begab sich hinweg. Als Katharina allein war, konnte sie nicht umhin, dem Schicksale des Jünglings, welchem sic wider ihren Willen «ine unglückliche Leidenschaft cingeflößt hatte, Thrä- nen der innigsten Rührung zu weihe». Sie wußte nur zu gur, wie lief das Weh gezwungener Entsagung schmerzt. Sie empfand es ja noch heute, wenn ihr sehnendes treues Herz an den geliebten Gatten dachte, der vielleicht auf immer für sie
verloren war. Ach und sic war ja noch glücklicher, als der arme licbckranke Jüngling. Sie durfte noch eine leise Hoffnung hegen, aber er hatte gar keine: sic durfte ihren Schmerz gefühlvollen Seelen klagen, und fand Trost und Lhcilnahme — Franz aber hatte den seinjgcn verhehlen »nd still in sich verschließen müssen, keinem fühlenden Herzen hatte er sein Leid vertrauen können. Sie begriff kaum, wie es ihm möglich gewesen war, einen so lange» und schwere» Kampf zu kämpfen. Ach und sic selbst kalte unwissend ihm diesen Kampf erschwert! — Nu» wußte sie es, warum er eigentlich einst nach Prcussen wollte, um dort Zerstreuung oder den Tod zu finden — und sie selbst hatte ihn zurückge- haltcn, und ihm, dem es Noch tbat, zu fliehen, durch sanfte Bitten, durch freunöltches Lächeln, durch erneute Beweise zunehmender Huld in ihre für ihn verderbliche Nähe gefesselt. Sie machte sich Vorwürfe, die Oual des Acmen vermehrt zu haben, und doch war sie unschuldig, doch sprach ihr Gewissen sie frei. Aber nun mußte der Jünglingent- fernk werden, je eher, je lieber. Es chgt ihr weh, daß sie den treuen, redliche» Pagen, an dessen Bedienung sie sich so sehr gewöhnt hatte, von sich verbannen sollte — aber fort mußte er nun, um seiner eignen Ruhe willen, das ward iyr nur allzuklar. Traurend sann sie nach, wie der Unglückliche auf eine für ihn nicht kränkende, wo möglich ehrenvolle Weise veranlaßt werden könnte, aus seinem bisherigen Verhältnisse zu treten.
Unterdessen kam der Oberlichter zu Franz, der in düster» Schmerz versunken auf seinem Lehnsessel dasaß und seine stieren Blicke auf den Fußboden heftete. ,,Hicr bringe ich Euch Eure Papiere wieder, Junker," sagte der Eintretendc ,,Jhr scyd unschuldig an dem Verbrechen, welches die Untersuchung zur Folge hatte, und erhaltet hiermit Eure vorige Freiheit wicde'c!"
Was hat die Herzogin geäußert? fragte Franz, ohne scin Auge zu erheben, mit dumpfem Tone-
„Ihrer unvergleichlichen Milde habt Ihr es zu i danken, daß Eure Lhorhcit verschwiegen und »»- bestraft bleibt. Hütet Euch aber für die Zukunft, Gedanken, die Euch nicht ziemen, in Schrift zu bringen, sondern ersticket sie lieber im Aufkeimcn. Was man für immer geheim halten will, dem muß man niemals Worte leihen. Der Blick schon wird oft zum Verräthcr des Innern, noch mehr aber das Wort, es sey gesprochen oder geschrieben!"
Dieß sagend verließ der Oberrichtcr das Gemach. Franz aber, von dem Gefühle der Schaam halb vernichtet, wollte die Herzogin nicht mehr sehen- Er erbebte vor dem Gedanken, ihr jetzt oder nächstens unter die Augen treten zu müssen) Darum mußte er eiligst von dannen; denn ,» jedem Augenblicke konnte ein Befehl komme», der ihn zu ihr beschied. Seine Zukunft war ihm gleichgültig, denn dahingewvrfc» und bedeutungslos erschien ihm »UN sein ganzes freudenlceizes Dajeyn.
(Fortsetzung folgt.)