zu sehr an das Hmkenangehen gewöhnt, daß er auch dießmal durchaus nicht vorangehen wollte. Pflichtschuldigst erbot er sich, feinem Vorgesetzten aus dem Fuße nachjufo-lgcn. Diese große Bescheidenheit kam dem Pastor ganz zur Unzeit; cS galt jedoch hier seine Pastoralchre, und dieser mußte er schon das L>pscr der Selbstüberwindung bringen. In einem komischen Gemische von erkünsteltem Mu- the und sehr natürlichen Verzagtheit rief er dem Meßner zu: „Folgen Sie mir." Langsam und mit besonnener Vorsicht ging er letzt die Kanzeltreppc hinauf, und oben angclangt wiederholte er die bescheidene Frage nach der Ursache deS Erscheinens. — Keine Antwort. — Er zupft am Leichcn- hcmdc, und — das Gespenst fallt über den Armen her. Leichcngeruch durchdrang die Kirche. Man erholte sich, untersuchte und — es war und blieb der todte Magister.
Der Gedanke, daß man. seinen AmtS- bruder nur scheintodt beerdigt habe, daß er in der Nacht sich erholt, auf die Kanzel gestiegen, und hier erst verstorben sey, beschäftigte den Pastor mit Schaudern. Alle Möglichkeiten drangen ihm so wahr und ernst durch das Bewußtsexn, daß er sich lange nicht erholen konnte. Endlich bemerkte der Meßner, daß das Todtongc- wölbe mit Gewalt erbrochen sey, daß folglich noch eine fremde Hand bei dieser Auferstehung mit thatig gewesen sehn müsse. Deutliche Spuren von Hammcrschlagen von außen verriethen zu gewiß den mensch- Ilchen Frevel.
Die Entdeckung dieses gewaltsamen Einbruchs machte dem Pastor große Freude. Nur drängten sich die nahe liegenden Fragen: Wer kann durch die festver- schlossencn Thürcn in die Kirche? Wer hätte eine Ursache haben können, diesen Einbruch zu unternehmen? Warum stellte man den Leichnam auf die Kanzel? Auch diese Fragen fanden zum Thcil ihre Beantwortung in der Entdeckung des gewalt-
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samrn Durchbruch» eine» der niedrige» Kirchenfenster, neben welchem ein metal- lener Soldatenknops lag, mit welchem der Pastor zum Kommandeur der Stadt- garntson eiile, um durch diesen dem Tha- tcr auf die Spur zu kommen. Augen, blicklich wurde die Garnison zusammen- gerufen, nur Sm Knopf fehlte, und c» war gerade der musterhafteste aller Soldaten, welcher an diesem Mangel litt. Man nahm ihn in Verhaft, und — wi. der Erwarten bekannte er sich schuldig. Der Zusammenhang seiner Aussage war: „Als der selige Magister auf dem Para- dcbctte lag, bemerkte ich an dem einen Finger einen kostbaren Ring. Die Noth, der Hunger meiner Familie führte mich auf den Gedanken, diesen nun tovtcn Schatz in's Lebe» zurück zu rufen. Für Diebstahl konnte ich die Sache nicht halten. Beunruhigend war mir nur, daß ich Fenster und Gewölbe nicht wieder Herstellen konnte. Die reiche Kirche, tröstet« ich mich, kann leicht den kleinen Schaden heilen lassen, wenn nur die Noth de» HauseS gehoben ist. Mehr, als damals, leuchtet mir freilich jetzt meine Strafbar, keit ein. Als ich in der Gruft bemerkte, daß der gesuchte Ring bereits abgezogen, war, vielleicht von der Wittwe des Ver« storbenen, wollte ich mich an der eitlen Wittwe durch Aufstellung der Leiche auf der Kanzel rachen. Daß ich auch dadurch Unrecht that, erkenn' und fühl' ich, und unterwerfe mich willig der gesetzli- chen Strafe."
Die gutmüthige Offenheit des Sün. derk wirkte versöhnend auf die Richter, und schon hatte man beschlossen, ihm dir Strafe zu erlassen; nur dar Erkranken des Pastors an einem hitzigen Fieder stimmte sie um, und der Schuldige erhielt die rechtliche Bestrafung.
Auflösung der Charade in Nro. 6t. F ch - r r.