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Seelen lag, schien sich auch über bi'e ganze Na­tur verbreitet zu haben. Leiser Regen säuselte unaufhörlich durch die vom Herbst entfärbten Wälder, und ein kaltes Lüftchen jagte die gel­ben Blätter in di« Fluchen der Moldau, die eintönig und tief neben dem Wege hinrauschtc. Jetzt erschien bei der nächsten Wendung der Straße das graue Gemäuer eines ansehnlichen Schlosses. Der Graf erdliektc eS zuerst, er deu­tete schweigend darauf hi» und ein schwerer «Seufzer entwand sich seiner Brust. Luitgarde verstand, was bei dein Anblick der wohlbekannte» Mauern ihres Oheims Seele bewegte; auch sie schwieg, seinen Schmerz durch dich Schweigen ehrend, und so, still, in düstern Gedanken und wehmüchigen.Gefühlen, betrat sie zuerst das Schloß das ihr künftiger Wohnst» ftyn sollte.

Aber ihr klarer Sinn scheuchte bald die dun­keln Bilder von sich weg, und wenn auch in den weiten, halbleere» Säle», in den hohen Gemächern, wo hier und da beschädigte Ge­rüche an alte Verwüstungen erinnerten, eine wchmüthige Stimmung sie ergreife» wollte, wi­derstand sie ihr mit Kraft und Besonnenheit, gab sich Mühe, sich zu beschäftigen und mit Hellen Aussichten in die fröhlichere Zukunft zu erheitern, wenn ihr lieber Jugendgefpielc und Brämigam, den sie nun seit so vielen Jahren nicht gesehen hatte, mit seiner Gegenwart diese tiefe Einsamkeit beleben und die seltsamen Wün­sche und Ahnungen, die oft in ihrer Brust auf­wallte», ganz löschen und befriedigen würde.

Aber Graf Friedrich kam noch immer nicht. Geschäfte hielten ihn in Wien zurück, wohin er bald nach seines Vaters Abreise gekommen war, und wo er seine bedeutenden Sammlungen, die Früchte seiner-Reifen, unter der Anleitung ge­lehrter Männer zu ordnen gedachte, che er sich damit in seine ländliche Einsamkeit begab. Luitgarde schmähte ihn darüber in ihren Brie­fen aus, aber sie suchte sich die Zeit, so gut cs ging, zu vertreiben. Sie übernahm die Führung des ganzen Hauswesens, sie leitete die Arbc-«cn, die zur Verbesserung des beschädigten Schlosses oorgenommc» wurde», sie durchsirjch an Hellen Lagen die umliegende Gegend und arbeitete bei unfreundlichem Wetter fleißig mit ihren Frauen. Dann brachte sic die Abende mit ihrem Oheim und dem Pfarrer vor dem freundlichen Kami,,- fcuer zu, wo sie, was ihr in dem Laufe des still und rhätig verlebten Tages begegnet war, dem Oheim mitthciltc, seinen Rath, fe nr Mei­nung forderte, oder doch einen Gegenstand zum lebhafte» Gespräche lieferte.

Gleich an einem der ersten Tage, als noch Alles im Schlösse ihre Neugierde reihte, und kein Geräthc, kein Gemählde ihrer Aufmerksam­keit entging, hatte sie in einem Saal, durch

welchen sie jederzeit gehen mußte, um von ih­ren Zimmern in die des Oheims zu kommen, ein Bild von mittelmässiger Größe entdeckt, das ihre Aufmerksamkeit lebhaft auf sich zog, und je mehr sie cs betrachtete, jemehr fesselte. Es schien ein Kerkcrgcwölbe, vielleicht ein Burg- verließ aus alter Zeit vorzustellcn. Hohe Bo­gengänge vertieftet, sich im Hintergründe in ferne schauerliche Dunkelheit, im Vorgrundc rechts war ganz in der Höbe oben eine einzige runde Ocffnnng, durch welche der Schein des Mon­des in das tiefe dunkle Gewölbe und auf die Gestalt eines gefangenen Ritters fiel, der mit schweren Ketten belastet auf seinem Strohlager saß. Man konnte sein Gesicht nicht sehen. Der Kopf, von reichen dunkeln Locken umschattet, war vom Zuseher abgcwendet, aber die gebeugte Stellung, bas in eine Hand schwermüihig ge­stützte Haupt, während der andern einige Kerb­hölzer achtlos entglitten, auf denen mit einem verrosteten Nagel, der daneben am Boden lag, Striche, vermuthlich die Zahl seiner Leidens - tage, gegraben waren. Das alles in der däm­mernden Beleuchtung des Mondstrahles machte ein sprechendes Ganzes aus und ergriff Lniigar- ben schaurig und gehcimnißvoll. Sic konnte sich lange nicht von dem Bilde losrcißcn, sie konnte sich cs nicht versagen, so oft sie durch den Saal ging, davor stehen zu bleiben, es z» betccichtcn und sich in die Leidensgeschichte, in die Gefühle des armen Gefangenen recht lebhaft hinein zu denken, «:nd endlich befragte sic Abends am Kamin vcn Oheim um das Bild und die Geschichte des gefangenen Ritters. Graf Mar- tinitz wußte ihr wenig Bescheid zu geben. Wahr­scheinlich war das Ganze blvs eine Vorstellung des Mahlers, den er nannte; wenn aber eine wahre Geschichte zum Grunde lag, wie er in sei­ner Kindheit wohl manchmal von seiner Groß­tante hatte erzählen hören, die eine lebende Chronik ihres Hauses war, so stellte dieß Bild einen ihren Ahnherrn vor, der in de» Zeiten dcS HussitenknegS gelebt und wegen Rcligionsmei- nungen vom König Sigmund war gefangen ge­halten worden.

Ach, das waren auch böse Zeiten, wie die unsrtge»! sagte der Pfarrer, indem er seufzend zum Hunmel blickte.

Ja wohl, crwiedcrle der Graf, und nun vertiefte» sich die beide» Greise in ein Gespräch, das in der damaligen Zeit wohl der Hauptge- gensiand aller Bespräche war, in Klagen über die Leiden ihres Vaterlands , die unüberschba- den Folgen derselben auf Kinder und Kindes- krnder. Vor Allem führte der Pfarrer die Ver­wilderung des Volkes an, wo die drückende Noch das Härteste und Schlechteste gebietet und keine Gottesfurcht den bösen Begierden ein Ge-