427

so wie damals den immer steigenden Grad des Hungers und Durstes. Entweder um ihn von seinem Vorsatze abzubringen, oder um ihn doppelt zu quälen, gaben die Rich­ter Beseht, ihm außer Brvd und Waffer auch Wein und Suppe so hinzusiellen, daß sie zugleich den Sinn des Gesichts und den des Geruchs in Versuchung führ­ten, und dicß wurde bis zu seinem Todes­tage pünktlich vollzogen. Vitcrbi ließ aber jedesmal die unberührten Vorrathe vom gestrigen Tage unter seinen Mitgefange­nen vertheilen, und achtete der frischen Speisen nicht. In jenen drei Tagen spür­te er keine Schwache, keine unregelmäßige Musiularbewegung; Kopf und Geist wa­ren srei, er dachte und schrieb mit ge­wohnter Leichtigkeit. Vom fünften zum sechsten December fühlte er neben dem Heißhunger einen unmerklich steigenden, und den Hunger fast ganz verdrängenden Durst, der endlich so stechend wurde, daß er am sechsten, nachdem er kaum den vier­ten Theil seiner folternden Laufbahn voll­bracht hatte, ohne von seinem Vorhaben abzustehen, zur Linderung die Lippen und den Mund mit Waffer abkühlte und sich damit gurgelte, ohne jedoch einen Tro­pfen zu verschlucken.

Vom sechsten December an nahmen Diterbi's physische Kräfte ab; die Brust aber war frei, die Stimme hell und wohl­tönend, der Puls regelmäßig, und eine natürliche Hitze der Grad seines Bluts. Vom dritten bis sechsten December hatte er fast ununterbrochen geschrieben, und des Nachts einige Stunden gesunden Schlaf gehabt. Es kam keine Klage aus seinem Munde. Vom sechsten bis zum zehenten December stieg der Durst zu einer unleid­lichen Höhe. Das Gurgeln und Be­netzen wurde fortgesetzt, bald aber siegte die schwächere Natur, und am zehenten, in einem Anfalle unerträglicher Pein, griff er zum Wafferkrug und trank unmäßig. In den letzten drei Tagen hatte seine Schwä­

che bedeutend zugenommen; Stimme und Puls waren matter geworden, die Eptre- mitäten schon kalt. Dennoch unterließ er nicht, zu schreiben und zu arbeiten, hatte auch fortwährend einen gute» Schlot, der ihm nächtlich ein Paar Stunden Selbst­vergessen und alle Morgen einige Augen­blicke Erquickung zuführtc.

Vom zehenten bis zwölften Dezember zeigten sich fast gar keine Fortschritte in den Symptomen. Viterbi's Muth und Standhaftigkeit verleugneten sich keinen Augenblick. Er diktirte sein Tagehuch, unterschrieb beim Nachlesen, was er ge- billiget hatte, und strich das übrige aus. In der Nacht des zwölften zum dreize- henten Dezember wurden die Symptome auffallender. Die Schwache hatte bedeu­tend zugenommen, der Puls war kaum noch fühlbar, die Stimme außerordentlich schwach ; Kalte hatte sich über seinen gan­zen Körper verbreitet, vor allem aber quälte ihn fürchterlicher Durst. Am drei- gchenten Dezember früh glaubte der Un­glückliche schon, er fühle den nahen Tod in seinen Adern. Jetzt griff er vcn neu­em zum Wasserkrug, nahm zwei volle Zü­ge, und wünschte sich, den cintretenden starken Frost für Todeskälte haltend. Glück zum überstandenen Kampfe mit seiner Natur. Sich auf dem Lager ausstreckend, sagte er zu den ihn bewachenden Gens- d'armen:Seht ihr wohl, Kinder, wie ich mir aus dem Handel geholfen habe?" Dann, nach Verlaus einer Viertelstunde, verlangte er einen Schluck Brandwein, und da eben keiner vorrathig war, einen Trunk Wein. Ais man ihm einen Be­cher reichte, nahm er vier Löffel voll zu sich, worauf die Lebenswärme zurückkchrte und ein vierstündiger sanfter Schlaf er­folgte.

Gestärkt und wie neu geboren, folg­lich in seinen Hoffnungen getauscht, er­wachte Viterbi am Morgen des dreizehn­ten Dezembers. Im heftigsten Unwillen