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den Tod zur Folge gehabt haben. Wir gingen, deshalb auf's Gcradcwvhl in das nächste Haus, und neigten uns tief vor der armseligen Familie, die uns auch gütig aufnahm, einen Platz am Herde cin- räumte, und frisches Wasser, um das mir bei unserm brennenden Durste zuerst flehten, reichte. Wir setzten uns, entblößten unsere erfrornen Füße, und Thränen des Mitleides flössen von den bleichen Wangen dieser gleichfalls sehr bedrängten Hüt- tenbewohncr, als sie unser» jämmerlichen Zustand erblickten. Es ward unterdessen völlig Nacht. Der eine Mann winkte uns, ihm zu folgen. Er führte uns in ein altes Gebäude. Ich erinnerte mich an spanische 'Schrcckensgeschichten: doch mein Kamerad sprach mir Muth ein und betheuerte, daß dieses Bauern ehrliches Gesicht gegen alle Gefahr bürge. Ban- ditengcsichter setzen ihm hinlänglich bekannt. Hier aber sep nichts zu fürchten. — Er hatte Recht. Unser Wirth führte uns in eine stark geheizte Korndarre, wies uns auf Stroh eine bequeme Lagerstatt an, und ließ uns nun allein. Wie froh waren wir, auf reinem Strohe, und im Warmen ausruhen zu können.
An Schlaf freilich war nicht zu denken. Das Ungeziefer, welches bereits überhand bei uns genommen harte, und die erfrornen Glieder quälten uns entsetzlich. Auch der Magen klopfte und mein ungeduldiger Gefährte fing schon an auf den Wirth zu schelten, daß er uns wohl ein Lager, aber keine Speise gegeben Härte. Er sollte bald beschämt werden, ßs mochte etwa Mitternacht sepn, da knarrte die Außenthüre. Erschrocken fuhren wir zusammen. Aber welche Freude, als wir den Wirth mit einem brennenden Fichtenspahn, und hinter ihm zwei Weiber, mit einem großen hölzernen Napfe, und einem guten Stücke Brod eintrcten sahen!
Nach der Mahlzeit schieden unsere Wohlthäter von uns. Am andern Mor
gen aber kamen sie wieder, brachten mir eine sehr gute Pelzmütze (denn ich war ohne Kopfbedeckung,) und meinem Ge- . fährte banden sie warme Lumpen um die Füße (denn er war barfuß). Nachdem sie uns beiden die Eiterbeulen sorgfältig bepflastert hatten, bedeuteten sie uns, daß wir nun weiter wandern müßten, weil wir hier vor Nachsuchung nicht sicher waren, und sie uns nicht länger beherbergen dürften. Wir warfen uns auf die Kniee und flehten. Sie aber wiesen mit einer seltsamen Mischung von Mitleid und Zorn zuletzt sogar auf große Hunde, mit welchen sie uns weghctzen müßten, wenn wir nicht gutwillig gingen. So machten wir uns also mit Seufzern von neuem, auf den Weg. Die Kälte faßte uns desto grimmiger an nach der Wärme; die Füße insbesondere schmerzreu ungeheuer. Die Nägel gingen einer nach dem andern ab. Ich seufzte: „Ach, wenn uns unsere Eltern daheim in diesem Zustande sähen!" Mein Begleiter erwiederte: „O, die sehen uns auch wieder, denn nun sind wir geborgen. Du kannst ja sonst so schön fingen; stimme doch an dein: Es kann ja nicht immer so bleiben!" — Ach, ich habe schon langst nicht mehr daran gedacht, daß froher Muth auch das schwerste Leiden geduldig ertragen hilft, und daß der Gesang sowohl den Schmerz vermindert, als die Freude erhöhet.
(Die Fortsetzung, folgt.)
In einer Gesellschaft, worin» Lessing war, sprach man von einer wohlgerathe- nen Uebersetzung, und einer sagte: ES seh merkwürdig, daß ein Kaufmann solch ein Meisterstück habe liefern können. „Mich wunderts nicht, sagte Lcssing, Kausleute sind des Ueb ersetz ens gewohnt."
Auflösung der Charade in Nro. 90.
Kirchhof.