192
Nagold. ^Entlaufene Ochsen.^ Donnerstag den 7 . Juni sind von dem Altenstai- gex Diehmarkte ein'paar 4 jährige Ochsen entlaufen, der eine ist ein Nothblaße, der andere ein Falbe. Der redliche Zurückbringer dieser Ochsen erhalt eine gute Belohnung, und hat solche nach Herzogweiler dem Schuhmacher Jakob Schüberzu überliefern.
Anekdoten und Erzählungen.
We iberii si.
In der Grafschaft Artois lebte vor vielen Jahren ein Rittersmann, edel, groß- müthig, im Felde berühmt, und wohlge- bildet, außer daß er bei einem Sturme ein Auge verloren hatte. Er war mit einer schönen Dame vermählt, die seine Liebe erwicderte, nnd nur darüber Klage führte, daß er auf seinen Kriegs-Zügen jL oft und lange abwesend war.
Einst, auf einem Zuge zu den deutschen Rittern in Preußen, da er schon in das zweite Jahr ausbleibt, wird die junge Ehefrau ungeduldig, schenkt ihre Liebe einem bildschönen Knappen, und vergißt den tapfer» Gemahl so gänzlich, als wäre er gar nicht auf der Welt. Er unterdessen hat endlich sein blutiges Tagewerk geendet, und sehnt sich nach Hause und zu seinem lieben Weibchen zurück. Augcn-^ blicklich macht er sich aus den Weg, reitet Tag und Stacht, und sieht sich endlich in einem gewissen Dor>e nur noch sechs stunden von seinem väterlichen Schlosse entfernt. .Hier rastet er einmal, aber vor Tages-Anbruch ist er doch schon wieder auf dem Platze, heißt sein Pferd satteln, und sprengt seinen Leutsn voraus, um sein Weib noch im Bette zu überraschen. Es gelingt ihm: er kommt an, da man eben das Burgthor öffnet. Er springt ab, eilt die Stiegen hinauf, und steht plötzlich vor der Thüre seines Schlaf - Zimmers, Sie ist verschlossen. Er klopft an; er ruft; er thut einen tüchtigen Stoß dagegen. Jczt erst antwortet die Dame, die ihn beim
ersten Worte erkannt hatte: „ Wer ist da? "
Ritter. Ich, ich bin cs, dein Gemahl! Mach auf!
Frau. Gleich, Lieber! Laß mich nur ein Kleid Überwerfen.
Dieses Geschäft, so leicht es scheint, dauert doch eine gute Weile: denn die Dame weiß nicht, wo sie in der Eile mit dem Knappen hin soll, der ihr Gesellschaft geleistet hatte. Darüber verliert der Ritter die Geduld, ruft heftiger, und da auch das nicht hilft, hebt er an, die Thüre mit Fußtritten zu bearbeiten. Nun hat die Unglückliche weiter keinen andern Ausweg, als ihren Liebhaber hinter die Thüre zu stellen, die sich nach innen öffnete, und zu erwarten, ob er vielleicht so entschlüpfen könne. Dann zündet sie die Nacht-Lampe au und macht auf.
„Dem Himmel scp Dank, ruft sie dem Gemahl entgegen, daß m so glücklich wie-' der heimgekehrt bist! Und weißt du wohl, was ich so eben von dir geträumt habe?"
Ritter. Nun, was denn ?
Frau. Ep mir träumte, du sähest jczt mit dem einen Auge so klar als mit dem andern.
Ritter. Wollte Gott.
Frau. Ep, es ist vielleicht wirklich so.
Ritter. Nein.
F r a u. Ja, ich glaube doch.
Unter diesem Wortwechsel stellt sie geschwind die Lampe hin, faßt ihn in ihre Arme,, und indem sie lächelnd sein sehendes Auge zuhält, fragt sie: „Siehst du nichts? siehst du wirklich nichts, lieber Mann?"
„Keine Hand vor die Augen," versetzt er ungeduldig, und reißt sich los. Aber Freund Schildknappe war indeß schon längst die Treppe hinunter.
Auflösung der Charade in Nro. 45- Pomade.