5. Seite — Nr. 137
Nagolder TagVlatt „Der Gesellschafter«
Freitag, de» 14. Juni 1840
Mittelmeer und WestmSchte
Einer grundlegende» Neuordnung entgegen
NSK Die Erklärung des Duce, daß das faschistische Imperium zur Wahrung seiner Lebensrechte die Waffen gegen England und Frankreich erhebe, und die Verkündung der italienischen Kriegsziele Korsika und Tunis, Gibraltar und Suez haben das Mittelmeerproblem zur entscheidenden Diskussion gestellt.
England ist von Nom in steigendem Maße als ungebetener Fremdling in diesem Raum empfunden worden. Denn die Briten sind in ihn eingedrungen, sie haben sich Stützpunkt um Stützpunkt geschaffen, um die große Durchgangsstraße im Interesse vorteilhafter Handelsbeziehungen kontrollieren zu können, und sie sind hierbei immer stärker in Gegnerschaft zu Italien geraten, dem nach Mussolinis Wort vom 1. November 193 in Mailand das Mittelmeer das Leben schlechthin bedeutet.
Als vor einigen Wochen London zur Tarnung seines gegen unser Ruhrgebiet geplanten Stoßes das internationale Augenmerk auf das östliche Mittelmeer und den Balkan lenkte und die englische Schiffahrt von der Route Suez—Gibraltar auf die um das Kap der Guten Hoffnung umlenkte, hat es seine wichtigste Straße vorsorglich gesperrt, und es bestehen wenig Aussichten, daß sie noch einmal dem englischen Verkehr im alten Umfang zur Verfügung stehen wird. Schon jetzt, ehe noch die ersten kriegerischen Maßnahmen Italiens die englische und französische Handelsschiffahrt im Mittelmeer getroffen haben, übersieht man in London die Schäden, die jene voreilige und oberflächliche Tüuschungsmaßnahme bewirkt haben.
Angesichts eines sich von Tag zu Tag weiter verknappenden Schiffsraums macht es schon etwas aus, ob die mittlere Fahrtdauer von England nach Indien durch das Mittelmeer IS Tage oder um das Kap wenigstens 26 Tage dauert, nach Hongkong 23 oder 30 und nach Sydney 28 oder 31 Tage. In runden Zahlen macht das nämlich nicht nur eine beachtliche Verteuerung der Transporte aus, sondern auch einen erhöhten Tonnagebedarf um vier Fünftel, ein Drittel und ein Siebentel für dringend benötigte Einfuhren.
3m ersten halben Jahre 1939 gingen durchd^nSuez- kanal 18 Millionen Tonnen Waren aus Australien, Fernost und Vorderasten, und hiervon erhielt England de« weitaus größten Teil. Kriegswichtig waren davon besonders die Transporte mit Kautschuk, Jute und Erdöl, und nicht nur wir wissen, daß die Westmächte bisher fast 75 v. H. ihrer Oelimporte aus dem Orient und durch das Mittelmeer erhielten. Nicht minder ist uns bekannt, daß die Erz- bezllge aus Nordafrika für die Schwer- und Rüstungsindustrie der Westmächte eine höchst bedeutsame Rolle spielen, namentlich nach dem Ausfall der skandinavischen Erze und der Hüttenerzeugnisse Belgiens und Luxemburgs; jetzt werden Algier, Tunis und Marokko mit ihren Erzgruben gleichfalls ausfallen, weil der Aktionsradius der italienischen Bomber und U-Boote zur Kontrolle und Unterbindung dieser Nachschubwege mehr als ausreicht.
Ebenso dürfte die Rolle Gibraltars als die einer der wichtigsten britische» Kontrollstationen beendet sein; was dieses Zwinguri für den neutralen Handel bedeutet, mag daraus erhellen, daß die unberechtigte Festhaltung eines spanischen Getreidetransportes ausreichte, um Madrid einen vollen Tag ohne Brotkorn sein zu taffen!
Die Bombardierung des Hafens von Marseille und die mehrfache Unterbrechung der Strecke Marseille—Lyon hat darüber hinaus schon vor dem Eintritt Italiens in den Krieg gezeigt, welche tödlichen Gefahren Frankreich bereits durch die Tätigkeit deutscher Flugzeuge erwachsen muffen, die viele Hunderte Kilometer weit von ihren Horsten entfernt die wichtigste französische Nachschublinie für Truppen aus Nordafrika und dem Nahen Osten zu treffen wußten. Dieita - lieuischen Bomber stehen nur wenige Flugminnten von dieser Lebensader entfernt, und sie können mit dieser Linie nicht nur die Transporte zur nordfranzöfischen Front treffen, sondern auch die Versorgung der englisch-französischen Armee im Nahen Orient aus der Heimat.
Auch wenn wir uns jeder Prophezeiung über die Möglichkeiten und den Verlauf des Krieges im Mittelmeer enthalten — eins steht fest, daß es einer grundlegenden Neuordnung unterworfen werden wird. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß nach dem Kriege die verbündeten Italiener nicht einzig auf die beiden großen Linien Sizilien—Libyen und Libyen—Rhodos angewiesen sein werden, ebenso, daß die englische Transversale Gibraltar—Suez über Malta und mit den Stützpunkten Zypern, Haifa und Alexandria sowie die französische Route Marseille—Algier einen höchst erheblichen Bedeutungswandel erfahren haben dürften. In jedem Falle wird es mit dem britischen Herrschaftsanspruch in diesem Meere und dem von ihm abhängigen Küstenraum vorüber sein.
Als am 15. Juli 1036 die Londoner „Times" schrieb: „Im Kriegsfall mit Italien werden unsere Verbindungen mit dem Mittelmeer völlig blockiert", ahnte das Blatt nicht, wie bald seine Befürchtung Wahrheit werden würde. Aber die Schuld hieran trifft niemand anders als die Westmächte, voran England selbst. Sie wollten überholte Herrschaftsansprüche auch dort gegen jede geschichtliche Vernunft aus- rechterhalten, wo unabdingbare Lebensnotwendrgkeiten großer junger Nationen entscheidend beeinträchtigt wurden. Jetzt wird von Italien die Rechnung für diesen Machthunger vorgelegt.
And mit ihrer Begleichung beginnt ein neues Blatt i« der europäischen Geschichte! —ow.
Zum Wehrmachtsbericht
Eine Woche seit Beginn der großen Offensive oder der großen Schlacht in Frankreich ist vergangen. Was unsere Truppen in der vergangenen Woche vollbracht haben, findet am sinnfälligsten seinen Ausdruck in den Namen Rouen, Eompiegne und Reims, lieber Eompiegne sind deutsche Soldaten als Sieger hinweggezogen — über den Platz, wo im November 1918 unerbittliche und hochfahrende Sieger dem zusammengebrochenen Deutschland jene brutalen Waffenstillstandsbedingungen auferlegten, die in der Geschichte aller Völker ohne Beispiel sind. Heute stehen deutsche Soldaten in der alten Krönungsstadt der französischen Könige, in Reims.
Die bedeutendsten Erfolge allerdings sind auf dem rechten Flügel der Offensive erzielt worden. Hier befindet sich der Feind in Auflösung Es wiederholen sich die Szenen und Bilder der Flandernschlacht. Wie vor 14 Tagen die Trümmer der Flandernarmee, so wurden jetzt beiSt. Valery starke feindliche Verbände von der erwürgenden Einkreisung unseres Heeres gepackt. Die Einnerung an die Hölle von Dünkirchen und das Schicksal der in den letzten Tagen am Westausaana des Kanals versenkte« sieben Transvorter
dämpfte diesmal jedes Verlangen, auf dem Wege über das Meer die rettenden Küsten zu erreichen. Mehr als 26 000 Mann haben kapituliert, unter ihnen sechs Generale. Der eine Brite, der sich darunter befindet, wirkt geradezu wie ein Zeuge der Ohnmacht Englands, dem zusammenbrechenden Trabanten irgendwie wirkungsvoll zu helfen.
Während deutsche Truppen bereits zwischen Rouen und Vermont mit starken Kräften die hier bereits in gemächlicher Breite dahinfließende Seine überschritten haben und, wie der letzte französische Heeresbericht offen zugibt, bis Evreux vorgedrungen sind, wird eine weitere abgesprengte Armeegruppe in Richtung Le Havre nördlich der Seine gegen die Meeresküste zurückgedrängt. Durch den Einsatz der deutschen Luftwaffe gegen feindliche Transportschiffe und Häfen ist ihr die Möglichkeit genommen, sich über das Meer aus Le Havre zu retten.
Im Raum von Paris sind unsere Truppen weit über die äußersten Grenzen des Vormarsches vom September 1914 hinausgedrungen. Paris ist nicht nur vom Nordwesten bedroht; im Norden der Stadt sind wir sogar bis auf 20 Kilometer an das Weichbild herangekommen. Bei Senlis begegnen unsere Soldaten einem anderen Denkmal. In gleich gehässigen Worten wie das von Eompiegne bezeichnet es die Stelle unseres äußersten Vormarsches von 1914. Hier sind die Schlachtfelder derMarne von 1914 und 1918 erreicht. Die Marne selbst ist bereits an vielen Stellen im Kampf überschritten. Der Schicksalsfluß des Weltkrieges schreckt diesmal nicht. Schon ist Chalon sur Marne genommen und sind die Schlachtfelder von 1915 überschritten. Auch zwischen Argonnen und Maas geht es vorwärts. Schon istVerdun in Sichtweite, etwa 20 bis 30 Kilometer im Osten von unseren vorstoßenden Truppen entfernt.
Die Zahl der bisher festgestellten 100 000 Gefangenen und vor allem die Tatsache, daß neben einem französischen Korpskommandeur noch fünf Divisionskommandeure in dem von unseren Armeen umschlossenen Kessel sich befanden, zeigt, daß es sich auch hier um recht beträchtliche feindliche Kräfte gehandelt hat, die von den deutschen Operationen vernichtet oder ausgeschaltet wurden. Die Beute an allen Teilen der Front ist schlechthin unermeßlich. Wie geradezu ungeheuer die Verluste des Feindes an wichtigsten Waffen und unentbehrlichem Material sind, wird eindrucksvoll durch die Mitteilung beleuchtet, daß allein im Bereich zweier deutscher Armeen lediglich durch sämtliche Waffen des Heeres 200 feindliche Panzer vernichtet oder erbeutet wurden. In diesen Zahlen find also die erfolgreichen Angriffe der Luftwaffe nicht enthalten.
Eine niederträchtige Tat
Feindliche Flieger warfen Brandbomben mitte« in die Stadt Soest
Berlin, 13. Juni. Von deutscher Seite ist wiederholt sestgestellt worden, daß britische und französische Flieger bei ihren nächtlichen Einflügen in deutsches Reichsgebiet ihre Bomben plan- und wahllos abwerfen und Leben und Eigentum der friedliche» Bevölkerung gefährdet und zum Teil vernichtet haben. Die Feststellung dieser Tatsache stieß von Fall zu Fall auf eine „entrüstete Ablehnung" durch die Feinde Deutschlands. Sowohl von amtlichen als auch privaten Stellen unserer Gegner wurde wiederholt versichert, daß ihre Flieger nur wichtige militärische Ziel« ^mit Bomben angrisfen und bereits beträchtliche Erfolge hierbei serzielt hätten.
Die Wirklichkeit siehb ganz anders aus, wie bis in die jüngsten Tage festgestellt worden ist. In der Nacht vom 12. Juni haben sich feindliche Flieger erneut unter völliger Außerachtlassung ihres angeblichen Auftrages wiederum einen besonders krassen Fall des Angriffs auf die friedliche Bevölkerung zuschulden kommen lasten. Mitten in die Stadt Soest warfen sie eine Anzahl Brandbomben, wodurch eine ganze Reihe von Privathäufern in Flamme» aufging.
Diese neue niederträchtige und gemeine Tat brachte den feigen Strauchrittern der Nacht und ihren Auftraggebern keinerlei mili
tätischen Gewinn. Wenn auch — wie durch einen Zufall — nur Sachschaden entstanden ist, so wird auch dieser neue völkerrechtswidrige Angriff bei uns bis zum Tage der Vergeltung nicht vergessen werden.
Verleumdungen der belgischen Negierung gegen die deutsche Wehrmacht
Berlin, io. Juni. Die sog. belgische Regierung, die bekanntlich nach London geflohen ist, verbreitet wieder einmal übelste Verleumdungen gegen die deutsche Wehrmacht. Nach Reuter behauptet sie: „Tausende von belgischen Zivilisten wurden an den von Flüchtlingen überfüllten Straßen von den Bomben und Maschinengewehrkugeln der deutschen Flugzeuge hingeschlachtet und tot aufgefunden." Jetzt sind es also deutsche Flugzeuge, die ihre Bomben und ME.s auf wehrlos dahinziehende Flüchtlinge richten. Diese Ereuelmeldung der belgischen Regierung wird vom belgischen Volk ebenso wenig beachtet werden wie die angeblichen Schandtaten der deutschen Soldaten im besetzten Belgien gegenüber der Bevölkerung. Diese weiß es bester, wer sie gequält und wer sie gemeordet hat. Weiter redet die belgische Regierung in London von einer neuen Armee, die bald bereitstehen werde und stolz darauf sei, an der Seite der Verbündeten wieder mitkämpfen zu dürfen. Die Regierung, die sich selbst in Sicherheit gebracht hat, will also weiterhin ihre Landsleute in den Tod für England treiben. Die Reste der geschlagenen belgischen Armee und die nach Frankreich evakuierten männlichen Zivilpersonen sitzen in Frankreich ohne Geld, sich selbst überlasten. Sie würden viel lieber nach Belgien zurückkehren, als jetzt für Frankreich und England nochmals zu kämpfen.
„Vom Kanal bis zum Oberrhein«
Berichte der finnischen Presse über die großen deutschen Erfolge
Helsinki, 13. Juni. Sämtliche Blätter berichten in großer Aufmachung über die deutschen Erfolge in Frankreich. „Helsingin Sanomat" hebt hervor, daß auch Reims erobert sei und sich die französischen Truppen aus der Champagne zurückziehen. „Uusi Suomi" stellt die Bedeutung des Hafens von Rouen für die französische Einfuhr heraus und betont, daß es der wichtigste Einfuhrhafen für Paris gewesen sei. U. a. berichtet das Blatt, daß riesige Flüchtlingsscharen aus Nordfrankreich und Paris in südwestlicher Richtung fliehen. „Uusi Suomi" berichtet aus Paris, daß die Stadt weiter evakuiert werde. Warenhäuser und Geschäfte seien geschloffen, öde und leer gähnen die Straßen bei Nacht.
„VomKanalbiszumOberrhein, anderganzen Front ist die Hölle auf Erden lo s", so charakterisiert „Helsingin Sanomat" die schweren Kämpfe, die die französischen Truppen zum Rückzug zwingen. Wälder und Gebäude, so heißt es in dem Bericht, brennen, Zehntausende von Kanonen donnern. Tausende von Flugzeugen greifen ununterbrochen die Stellungen des Feindes an, Rauch verdeckt den Himmel und nachts erleuchten Flammen die Landschaft.
Einbürgerung der im Reich lebenden Südtiroler
Berlin, 13. Juni. Der Reichsführer SS., Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstumes, gibt bekannt:
Auf Grund von Abmachungen, die im vergangenen Jahr zwischen dem Deutschen Reich und Italien getroffen wurden, kann zur Zeit jeder Volksdeutsche mit italienischer Staatsangehörigkeit in einem besonders verkürzten und gebührenfreien Einbürgerungsverfahren die deutsche Reichsangehörigkeit erwerben, wenn er aus dem ehemaligen Slldtirol stammt und jetzt im Großdeutschen Reich lebt.
Der Antrag auf Durchführung des Einbürgerungsverfahrens ist schriftlich an die Einbürgerungsstelle beim Reichsstatthalter in Tirol und Vorarlberg (Innsbruck) zu richten. Die Einbürge- rungsstelle läßt dem einzelnen Antragsteller sodann durch eine örtlich zuständige Dienststelle die Formblätter vorlegen, die von ihm für den Erwerb der Reichsangehörigkeit sowie die Aufgabe der italienischen Staatsangehörigkeit ausgefertigt werden müssen. Die Frist für die Stellung des Einbürgerungsantrages läuft mit dem 30. Juni 1840 ab.
.Lehrte« «m SeiniM nicht rnrSch«
Von Kriegsberichter Dr. Kr edel
(PK.) Die Kampfgruppe eines Geschwaders hatte heute einen großen Tag. Die überlebende Besatzung eines am ersten Tage des Feldzuges in Nordfrankreich, am 10. Mai, abgeschossenen Kampfflugzeuges kehrte aus der Gefangenschaft zurück, in der sie — verwundet — bis zum 4. Juni in Dünkirchen gewesen war: Flugzeugführer Oberleutnant V. R., Bordfunker S.
Es gab ein Riesenhallo, als der Oberleutnant vor dem Kasino erschien und die Kameraden ihn in seinem Eefangenenaufzuge als den Vermißten und längst Verlorengeglaubten wiedererkannten. So wie er heute vormittag in Dünkirchen in die Transport- 2u 52 gesteckt worden war, so stand er jetzt vor uns: groß, blond und lachend, strahlend vor Freude, daß er der Kameradschaft seines Verbandes zurückgegeben war, deren Bombenangriffe er in erzwungener Untätigkeit von seinem Lazarett, hart am Strande von Dünkirchen, aus mit leidenschaftlicher Anteilnahme hatte verfolgen können.
Nachdem die gegenseitige Begeisterung abgeklungen war, wurde der wiedergewonnene Kamerad im Triumph ins Kasino hineingeführt. Zunächst benachrichtigte der Kommandeur die Angehörigen, die bisher nur die wenig tröstende Mitteilung erhalten hatten: „Vermißt, vom Feindslug nicht zurückgekehrt."
Im Kasino hob dann ein großes Erzählen, Fragen und Antworten an. Oberleutnant V. R. hatte noch einen Kameraden eines anderen Geschwaders mitgebracht, der mit ihm die trostlosen Wochen der Gefangenschaft geteilt hatte und nun mit verbundenem Kopf neben ihm saß, glücklich über die frohe Stunde vor sich hinlächelte und schweigend zuhörte.
Oberleutnant V. R. war, als er bei Beginn der deutschen Offensive im Westen in seinem Staffelverband zum Feindflug gestartet war, nach geglücktem Bombenangriff auf das befohlene Ziel in Flandern von englischen Jägern angegriffen und nach Luftkampf, bei dem sein Bordschütze tödlich geworden war, mit mehr als 200 Treffern in der Maschine abgeschossen worden. Mit einer lebhaften Geste unterstreicht er, wie er trotz seiner Verwundung noch wahrgenommen habe, daß die feindlichen MG.-Ge- schosse wie ausgeschüttete Erbsen auf Rumpf und Trazdecks prasselten, dann qualmte der linke Motor. Der rechte stand. Es blieb ihm nur die geringe Zeit, die Maschine auf einem Acker leidlich hinzusetzen und sie in Brand zu setzen. Er wurde dann mit dem gleichfalls verwundeten Beobachter und dem heute mit ihm zurückgekehrten Bordwart von den Engländern gefangen genommen und nach Dünkirchen gebracht, wo sie mit anderen Kameraden bange Tage der Erwartung verbrachten und die Angriffe deutscher Flieger auf die Stadt und deren Beschießung durch schwere deutsche Artillerie erlebten.
Sie hatten von ihrer Eefangenenunterkunft aus in der Nähe des Strandes von Dünkirchen oft Gelegenheit, die vernichtende Wirkung der Bombenwürfe deutscher Kampfflieger und Stukas zu beobachten. Manche Bombe und viele Artilleriegeschoste fielen in ihre Nähe.
Die Einnahme Dünkirchens durch die Deutschen ließ auf sich warten. Sie hatten die Hoffnung bereits aufgegeben, durch schnellen deutschen Vorstoß aus der Gefangenschaft in Dünkirchen befreit zu werden. Sie hielten es daher für eine wunderbare Fügung, als sie eines Morgens beim Zurückschlagen der Verdunkelungsgardine ihrer Zelle vor ihren beglückten Augen auf den Straßen und am Strande die langerwarteten deutschen Truppen erblickten. In diesen Freudenminuten mußte selbst die Rücksicht auf die schwerverwundeten Kameraden dem Bewußtsein wiedergeschenkter Freiheit Platz machen. Ein ungeheures Freudengeheul durchbraust» die Lazarettsäle am Strande des eroberten Dünkirchen.
Ich habe in diesem noch nicht einen Monat alten Krieg der Bewegung und des Angriffs an der Westfront zahlreiche solcher Begebenheiten erlebt, bei denen vermißte Flugzeugbesatzungen, die mit ihrem Verbände zum Feindflug gestartet, aber nach Erledigung des Auftrages nicht zurückgekommen waren, ein Lebenszeichen aus der Gefangenschaft gaben oder plötzlich wieder auftauchten, wie erst kürzlich der Kommodore eines Geschwaders, Oberst L., oder die Besatzung des Leutnants von V., desselben Geschwaders, die nach Abschuß innerhalb der französischen Linien landen mußte. Einige Tage später befreite sie ein deutscher Angriff, wobei die französische Truppe ihrerseits in Gefangenschaft geriet und die Besatzung V. noch tätigen Anteil an der Gefangennahme nehmen konnte. Alle diese Flieger waren vermißt gewesen. Ihre Flugzeuge befanden sich in der Zahl derer, von denen es im Wehrmachtsbericht heißt: „...werden vermißt".
Vielen deutschen Müttern und Frauen bedeutet der Inhalt dieses Satzes Beunruhigung und Trauer. Er bringt Sorge und Ungewißheit. Mit ihnen aber teilen solche Sorgen die Kameraden der Staffel. Sie, die als Bodenpersonal ihre Besatzungen täglich zum Feindslug starten sehen, und jene, die ein fliegendes Flugzeug zu Hause im Horst als vermißt melden müssen. Niemals geben sie die Hoffnung auf, die abgeschlossenen und nunmehr als vermißt geführten Kameraden wiederzusehen oder aus Lazaretten oder aus der Gefangenschaft ein Lebenszeichen zu erhalten.
Man muß die Freude des jungen Eruppenkommandeurs gesehen haben, als er vor einigen Tagen von Heidelberg angerufen und ihm von der Schwester eines Lazaretts mitgeteilt wurde, daß einer seiner Staffelkapitäne, die von einem der ersten Feindflüge nicht wiedergekommen waren, aus der Gefangenschaft befreit worden sei und nun zwar verwundet, aber sonst wohlauf der Genesung entgegensieht. Der Satz geht wie ein Lauffeuer durch die Stuben der Unterkunft und ihrer Staffeln. Sofort werden die Angehörigen verständigt. Wieder ein Fall mehr in der langen Kette der Erfahrungen, daß Vermißtmeldungen von Fliegern mit Vorbehalt ausgenommen werden müssen.
Das ist ein Trost für die Angehörigen. Es ist aber auch ein Beweis mehr für die Zähigkeit und Tüchtigkeit des Fliegers, der sich niemals selbst aufgibt, solange er aus eigener Kraft noch in seiner Seel« das Fünkchen schlagen kann, das ihm Hoffnung «in, flößt und ihn dadurch eine schwierige Lage meistern läßt.