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Nagolder TagblattDer Gesellschafter"

Freitag, den IS. Zanuar ISIS

Wenn nach starker Kälte plötzliches Tauwetter einsetzt, macht sich bei vielen Menschen ein gewisses Rervenkribüeln bemerkbar, das man als eine Art verfrühter Föhnwirjung bezeichnen kann. Dieses Nervenkribbeln scheint gegenwärtig besonders in England und Frankreich zu Hause zu sein, denn anders ist der Zustand politischer Unruhe, von dem alle Meldungen aus London und Paris erfüllt sind, kaum zu be­zeichnen. Man hat richtig Angst vor den kommenden Wochen und Monaten, die ja immer näher an den gefährlichen Frühling heranführen. Man greift verzweifelt nach allen möglichen Plänen, die Abhilfe bringen sollen. Aber man erkennt ebenso bestürzt, daß das Plänemachen allein nicht genügt, weil die Wirklichkeit dadurch für die demokratischen Allerweltsbeglücker keineswegs erfreulicher wird.

Nachdem kurz vor Weihnachten die englischen Kriegs­hetzer in persona nach Frankreich hinübersuhren, um dort eine Sitzung des obersten Kriegsrates mit viel Pauken und Trompeten durchzuführen, steht gegenwärtig ein Rück- besuchderfranzösischenVasalleninLondon in Aussicht. Auch er wird die Form eines obersten Kriegsrates tragen. Aber die Abhaltung dieser Be­sprechungen auf englischem Boden macht sie, nach allem was man hört, kaum aussichtsreicher und erfreulicher. Der Grund für dieses unbefriedigte nervöse Hin- und Hervrrhandeln er­gibt sich aus dem einfachen Rückblick aus die Ergebnisse der Dezember-Veranstaltung. Damals mutzten sofort die eng­lischen und französischen Zeitungen aktivere Matznahmen gegen Deutschland und die mögliche Ausweitung des Krie­ges nach Norden und Süden ankündigen. Aber bei diesen Ankündigungen ist es zunächst mehr oder weniger geblieben Es gab Querschläge, die mit hörbarem Geräusch in die Pläne hineinprasselten. Die Hoffnung, die Türkei mit gro­ßer Beschleunigung den englisch-französischen Kriegsplänen dienstbar machen zu können, ist nach der schweren Erdbeben­katastrophe einer spürbaren Skepsis gewichen. Und auch im Norden sieht man auf einmal Wetterwolken. Der bisherige finnisch-russische Krieg ist in den letzten Wochen durch die Kälte stark abgedrosselt worden. Was geschieht jedoch, wenn er wieder auftaut? Noch unbefriedigender aber ist die Bilanz der im Dezember angskündigten militärischen Reg­samkeit. Diese sah gefährliche Vorstöße der englischen Luftwaffe gegen Norddeutschland und die deutschen Küsten vor. Die englischen Bomber kamen auch bis hart an die deutschen Inseln heran. Aber dann war es mit den er­hofften Angriffserfolgen auch vorbei. In mehreren Luft­schlachten wurde dem englischen Luftfahrtministerium die Ueberlegenheit der deutschen Maschinen in einem Umfange klargemacht, wie selbst die größten Pessi­misten in London und Paris nicht erwartet hatten. Die deutsche Flak schoß und die deutschen Flieger wackelten. Und dieses Wackeln war vernichtender als alles andere, denn es besagte mit militärischer Sachlichkeit, daß Dutzende von englischen Maschinen inzwischen in den Tiefen der Nordsee gelandet waren, um ihre fehlgeworsenen Bomben zu besuchen. Und dieser Endeffekt entsprach ja nun wirklich nicht den Absichten der britisch-französischen Kriegführung.

Es wäre nun falsch, die Hoffnung zu hegen, daß die Eng­länder damit endgültig ihre Attentatspläne auf den Nor­den und Süden begraben hätten. Diese werden vielmehr weitergesponnen, sogar brutaler und rücksichtsloser denn je. Aber man sieht, daß man mit eigener Hilfe nicht viel er­reichen kann und man sucht nunHilfe" bei den Neutralen selbst. Genau wie es in Polen geschah, will man dieNeu­tralen selbst zu aktiver Verteidigung ihrer angeblich ge­fährdeten Stellung aufrufen. Man will den gesamten Nor­den zum Kriegsgebiet machen, wobei der Norden selbst die Soldaten zu stellen, England aber nur Geldmittel, Flug­zeuge und Waffen zu liefern hätte. Das ist zwar als Hilfs­maßnahme verdammt wenig, aber England hat tatsächlich kaum mehr anzubieten, denn die deutsche Luftwaffe zwingt die Engländer, auch an sich zu denken. Aeberdies wollen auch die Dominions nicht so mit Menschenmaterial Heraus­rücken, wie man in London gern möchte. Kanada und

Ein Nachrichtentrupp stellt die Verbindung wieder her

Ein feindlicher Eranattreffer hat einen Leitungsmast umge­legt. Der Nachrichtentrupp ist vorgegangen, um den zerrissenen Nervenstrang" wieder instand zu setzen. Während er arbeitet, er­folgt plötzlich ein feindlicher Feuerüberfall, im gleichen Au­genblick hat der Bautrupp in Eranatlöchern Deckung genom­men. (PK. Hanselmann, Atlan­tic, Zander-M.-K.)

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Australien verhandeln gegenwärtig sogar über den Aus­tausch von hohen Kommissaren zwecks direkter Fühlung­nahme und über die Einleitung von Direktverhandlungen mit Washington und Tokio. Unter solchen Un.ständen ver­steht man die englische Kribbeligkeit. Hier bahnen sich Ent­wicklungen für das Empire an, die nicht mehr von London aus, sondern vom Capitol in Washington bestimmt werden und die auch den oft asiatischen Problemen auf einmal ein ganz neues Gesicht geben. Auch die wirt­schaftlichen und finanziellen Schwierig­keiten treten mit zunehmender Stärke in die Verhand­lungszimmer des obersten Kriegsrates. Die Beschlagnahme und derUmtauschausländischerWertpapiere durch die englische Regierung wird mit Recht überall im Ausland als eine finanzielle Schwücheerichei- nung Londons gedeutet. Die Engländer sind also daraus angewiesen, mit ihren Reserven eine sparsame Wirtschaft zu betreiben. Sie können nicht mehr nur das Scheckbuch schwingen. Sie müssen auch an Deckung denken und dafür ihre Exportmöglichkeiten einsetzsn. Aber gerade hier macht die deutsche Seekriegführung den Engländern immer mehr zu schaffen. Wenn es schon mit dem Import nach England nicht klappt, weil der Schiffsraum wegtaut, wie soll unter diesen Umständen der Export die gewünschten Ausmaße er­reichen? Das sind Sorgen, die schon ein persönliches Pala­ver zwischen Daladier und Chamberlain und ihren Finanz- ministern rechtfertigen. Diese Sorgenschreien" nämlich direkt nach Abhilfe. Und allzu viel Zeit steht für diese Be­ratungen ja aller Wahrscheinlichkeit nach kaum zur Ver­fügung.

So lebt die brttische Herrenschichl!

Amsterdam, 17. Jan. Ein bezeichnendes Licht auf die völlige Gewissenlosigkeit, Skrupellosigkeit und hemmungslose Vergnü­gungssucht der herrschenden Schicht in England werfen die In­serate, die jetzt täglich in allen englischen Zeitungen, soweit sie von denbesseren Klassen" gelesen werden, erscheinen. Es sind Inserate der englischen Hotels, die in nicht mehr verhüllter Deutlichkeit einen Amüsierbetrieb und einen Eenutztaumel der Londoner sogenannten guten Gesellschaft verraten, den selbst wir kaum für möglich gehalten hätten.

Je drei Reihen für 6 Schilling" verkaufen dieTimes" von ihrem Anzeigenblatt an Hotels. Das führende Hotel in Vour- nemouth, das Royal-Bath-Hotel, inseriert hier mit folgendem Worten:Laßt den ganzen Rummel hinter Euch und stürzt Euch in die perlende Munterkeit des frohesten Hotels zu Vour- nemouth. hier verschwinden die Sorgen, hier am ..Königlichen

Bad" in Verbindung mit Tanz, freundlicher Musik und aus­gelassener Unterhaltung. Sie wird unterstützt und gesteigert Lurch unseren berühmten Weinkeller und die bekannte gute Küche. Ja, es ist wirklich wunderbar vergnüglich bei uns. Eure Sicherheit steht ganz außer Frage. Ein Luftschutzraum, gas­sicher und vorzüglich durchlüftet, ist im Hotel eingerichtet. For­dern Sie unsere Preisliste an."

Das Suncourt-Hotel läßt sich folgendermaßen in seinen In­seraten vernehmen:Häuslichkeit. In Kriegszeiten wird jede Art eigener Haushaltsführung zu einer Last, ganz besonders, wenn andere Verpflichtungen und Zumutungen so viel Zeit be­anspruchen. Weshalb nicht in eines derNord"-Hotels in Lon­don Lbersiedeln? Bei besonders günstigen, herabgesetzten Kosten und mit der Gewißheit der Befreiung von allen Unbequemlich­keiten! Ganz hervorragende Luftschutzeinrichtungen!"

Wenn man bedenkt, daß dieseherabgesetzten" Kosten immer­hin bedeuten, daß das billigste Zimmer in diesen Hotels pro Tag SO Mark kostet, dann ist es allerdings verständlich, daß eine Eesellschaftsschicht, die in dieser Form während des Krieges auftritt, sich auch gern allenVerpflichtungen und Zumutungen" dadurch entzieht, daß sie ihren Amüsierbetrieb zu dem nach den Feststellungen des englischen Ecsundheitsministe- riums nicht nur Sekt und Whisky, sondern auch Morphium, Heroin und Opium gehören in die luxuriösen Hotels ver­legt, wo sie garantiertunter sich" ist. Die besonderenVer­pflichtungen und Zumutungen" erträgt ja für diese reich ge­wordene Händlerschicht der englische Arbeiter und der franzö­sische Poilu.

Gipfelpunkt englischenTaktes" sind aber drei Inserate, die folgendermaßen lauten:Fahnen flattern über dem Or- chard-Hotel! Dieses Schiff kann Hitler nicht zum Sinken brin­gen! Auch seine Mannschaft kann er nicht von ihren Posten verscheuchen. Alte und neue Freunde erholen sich bei uns. Unsere Preise sagen allen fröhlichen Menschen zu!" (Was wir gern glauben wollen, denn dem englischen Arbeiter, der diese Preise nicht bezahlen kann, ist schon längst jede Fröhlichkeit vergangen.)

Das Selsdon Parkhotel preist sich alseinzigartiger Aufenthalt in Kriegszeiten" an und empfiehlt: Kostenfreie Golfspielgelegenheit, Billard, Tennis, Tan, elektrischer Turn­raum, Sonnenbad, luxuriöser unterirdischer, durch vier Eisen­betondecken gesicherter Luftschutzraum.

Der Gipfel aller dieser Inserate ist aber eine immer wiederkehrende Anzeige:Bei uns finden Sie ganz private, mit allen Wünschen einer diskreten Bequemlichkeit ein­gerichtete Luftschutzkabinen."

Angesichts solcher öffentlich in der englischen Presse angekün­digten Schamlosigkeit erübrigt sich jeder Kommentar. ' ^

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(65 Fortsetzung.)

Werner hat sich aufs Trittbrett des langsam ankahrenden Zuges geichwungen und umschlingt und küßt die Geliebte.

Leb' wohl. Maya! Wenn Klaus tre> ist-!"

Sie hört und sieht nichts Sie 'püri nur seinen Kuß und fühlt in ihm. daß die alte Liebe in Werner noch wach ist Die Gewißheit macht sie io hilflos, daß sie nicht 'vrechen kann.

In seliger Verwirrtheit empfängt sie nur Werners Kuß.

Und dann ist sie allein.

Weit weit entkernt sieht sie einen Punkt.

Werner winkt der Geliebten

Frau Maya läßt sich aut die Polster nieder Ihre Züge tragen eine to tiefe Beseeltheit, künden ein G unfaßbares Glück, daß Ottenlee erschüttert die Hand seines Kindes saht und sie streichelt

Vater," lagt sie glücklich.

Da fühlt der Alte, daß die Jahre in der Südsee doch ver­loren waren.

18

Als Klaus Michael ins Sinsheimer Zuchthaus eingelieiert wurde, ließ ihn der Direktor zu sich in sein Dienstzimmer treten und betrachtete ihn lange.

Klaus hielt den ernsten, forschenden Blick aus. leine strenge Miene und die Sicherheit seines Wesens veränderten sich nicht

Ich habe Ihren Prozeß mit dem größten Intereste ver­folgt und nehme Anteil an Ihrem unglücklichen Geschick Sie werden nicht von allen für schuldig gehalten "

Die unheimliche Ruhe des zum Tod Verurteilten, der aus verschiedenen Gründen nach dem Sinsheimer Zuchthaus überführt worden war. bedrückte den alten Beamten.

Glauben Sie mir. unler Beruf ist hark und 'chwer Wenn im letzten Jahrzehnt die Humanität auch mancherle- Härten im Gefängniswelen beiieite drängte. 'o ist doch keiner zu beneiden den das Schickial ms Zuchthaus schickt, und das Furchtbarste ist. wenn einer un'chuldig ist."

Ich bin unichuldig. Herr Direktor," jagte Klaus ruhig und «ah ihn mit klaren Augen an

Der Direktor schüttelte den Kopf

Sollte abermals? Es wäre furchtbar. Hier" er deutete aut einen Stoß Briefealles, das sind die Bisten Ihrer Freunde. Ihnen als unschuldig Verurteilten das Los zu erleichtern "

Er schwieg sine Weile ratlos.

Was soll ich da tun?"

Ihre Pflicht."

Ich bin auch ein Mensch, Herr Michael. Wenn wir Zuchthausdirektoren auch durch unieren Berus, der uns ständig den Abschaum der Menschheit sehen läßt, eine gewisse seelische Robustheit erlangen, so sind wir doch umso empfind­licher. wenn es sich herausstellt, daß wir einen zu Unrecht hier ein halbes Leben festgehalten haben."

Ist Ihnen das passiert. Herr Direktor?"

Der Direktor nickte.

Der Maurer Andreas Hildenhaus hat sechzehn Jahre hier unschuldig gesessen Als wir ihn voriges Jahr entließen, war er fast vollständig verblödet. Zehn Jahre hatte er seine Unschuld beteuert, bis er dann still geworden war Ein halbes Jahr nach seiner Entlassung stellte sich seine Unschuld heraus, der Massenmörder in Zischwitz war gefaßt worden und' für den laß Hildenhaus sechzehn Jahre Verstehen Sie. daß ich das nicht noch einmal erleben kann?"

Schwermütig klangen die Worte des Beamten.

Ich werde nur zwei Monate Ihr Gast 'ein "

Der Direktor schrak bei diesen Worten zusammen.

Ihre Worte haben mir wohlgetan. Herr Direktor Haben Sie Dank dafür Mein Fall liegt hoffnungslos. Der tückische Zufall hak mich in lein Netz verstrickt und nur der Zufall wird es lösen können Aber eins kann ich Ihnen lagen Beim Andenken an meine tote Mutter, ich bin frei von jeder Schuld "

Damit endete die denkwürdige Unterredung.

Klaus erhielt 'eine Zelle angewiesen Zuchthauskleidung mußte er tragen aber vom Scheren blieb er verschont

Ich handle gegen meine Dienstvorschriften." <agte der Direktor zum Oberauf'eher'Aber das werde ich verant­worten können Behandeln Sie mir Nr. 61 gut. Marx Denken Sie an Hildenhaus, es ist bestimmt derselbe Fall noch schlimmer Den Michael erwartet in zwe> Monaten der Tod. Ich bewundere nur die Gefaßtheit des Verurteilten."

Der Oberaufleher nickte nachdenklich. Er widmete sich der Nr 61 ganz besonders

Das Verhalten 'eines Chefs billigte er anfangs nicht Aber nach einigen Wachen teilte er denen Ansicht völlig So genoß Klaus alle möglichen Vorteile, und doch bemerkte der Direktor, der sich oft stundenlang mit >hm unterhielt, wie er im We'en mit ledem Tag härter und verschlossener wurde

Er sprach mit ihm darüber. Klaus stand nur zögernd Rede.

Sie wissen. Herr Direktor, daß ich ein guter Läufer bin Tag für Tag habe ich trainiert, und nun muß ich das Laufen schon lange missen. Das fehlt mir 'ehr "

Der Direktor 'ann. wie er 'hm Helsen könnte Zu einem ordnungsgemäßen Training konnte er ihm inchi c «helfen, aber er richtete es ein. daß Klans von funi bis iechs Uhc früh ein leichtes Lauslraining durchführen konnte.

Klaus atmete froher. Der Glanz seiner Augen wurde wieder stärker

Vier Wochen nach der Einlieferung kam plötzlich eine Inspektion nach dem Sinsheimer Zuchthaus. Es gab eine erregte Auseinandersetzung der Kommission mit dem Direk­tor. die damit endigte, daß der Direktor erklärte, daß er es iatt habe, sich von jedem grünen Jungen in leinen Amts- befugnisjen herumschnüsseln zu lasten, er tue leine Menschen­pflicht. und daß er um seine Pensionierung einkommen werde.

An die Auseinandersetzung schloß sich eine Vernehmung Klaus' an.

Ich habe festgestellt, daß Herr Direktor Holtamer seine Amtsbefugnisse weit überschritten hat, indem er Ihnen Ver­günstigungen verschaffte, die eurem wegen Mordes verr «eil­ten Zuchthäusler nicht zukommen."

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Er wollte weitersprcchen, aber die sprühenden Augen des Gefangenen ließen ihn zummmenfahren.

Mein Herr." 'agte Klaus mit bebender Stimme,ich bin noch nicht lange an diesem freudlosen Ort. An meinen Händen klebt kein Blut. In Herrn Direktor Holtamer habe ich einen Menschen gefunden, der das himmelschreiende Un­recht. das mir zugefügt wu'.dr ni äderte. Wenn Sie auch nur einen Monat unschuldig im Zuchthaus 'äßen. Sie wurden vielleicht wahnsmn.g." (Fortsetzung folgt.)