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Ragolder Tagblatt .Der «Sesellschafter-
Dienstag, den 24. Dezember 1S48
Zwei Alle feiern Weihnachten
Von Walter Perstch
i Früher war der alte Häbrecke Kutscher gewesen. Dann hatte er seinen Führerschein „gemacht" und war Taxifahrer geworden. !And nun stand er wieder mit seiner alten Pferdedroschke am jBahnhof, denn der Krieg verlangt ja von jedem das Umlernen.
Am Weihnachtsabend erwischt Häbrecke hier und da eine Fuhre. sNun aber scheint endgültig Schluß zu sein. Häbrecke will zur inneren Stadt abbiegen. Er muh eine Kirche umkreisen — dort steht wie verloren ein Mann, groß, gebeugt und sehr alt. Er winkt dem Kutscher und nennt eine entfernte Villenstraße als Ziel.
„Hüh!" sagt Häbrecke, läßt die Zügel freundlich ermunternd auf Lottes Decke fallen, und wieder bewegt sich die Droschke, tteber- rest einer verwehenden und vergehenden Zeit.
Häbrecke deucht es, als trabe Lotte im Schnee behutsamer — und dann hält er mit einem Ruck. Umständlich klettert er vom Bock, will gerade auf eines der verzierten Gitter zugehen, als der Herr den Schlag aufreißt.
„Warum halten Sie hier, Häbrecke?"
„Entschuldigung, Herr — ich kann die Nummern nicht erkennen — ich seh, 's ist noch ein bißchen weiter. Ich fahre schon, aber — der Herr kennt mich?"
„Ja, Häbrecke. Bin doch wohl hundertmal mit Ihnen gefahren. Nicht nur das — der Junge, der Oskar, als der groß war und wir unseren Wagen noch nicht hatten, hat er sich immer von Ihnen fahren lasten. Jeden Tag, Häbrecke. Bis zum Feldzug — bei Lodz liegt er nun für immer, Häbrecke."
„Das war Ihrer?" sagt der Kutscher. „Also wissen Sie, Herr, wenn ich mich an einen erinnere, den muh ich im Kopf haben! War immer kreuzlustig, der junge Herr, und kreuzbrav glaub ich auch —"
„Na, das nicht gerade", lacht es im Halbdunkel, „aber ich konnte dem Bengel nicht döse sein, Häbrecke —"
Die beiden Männer stehen so da. Lotte fröstelt ein bißchen. Häbrecke merkt, daß der Hut des Herrn schon einen runden weißen Rand von Schnee trägt, als wollte sein Besitzer zur Maskerade fahren.
„Kenn ich, Herr. Ich hatte ja vier Mädels, aber auch einen Jungen. Meiner heißt Hermann. Ein breiter Bursche, der zwei Zentner mit einer Hand balancierte. Er lebt drüben in Brasilien, will aber gern zurück, und das ist ja jetzt nicht so einfach. Hier ist sein Bild, Herr, und das da, das Kleine, das ist ein Junge — Er hat drüben ein braves Hamburger Mädel zur Frau bekommen —"
„Ja", erklärt der Herr, „hier stehen wir im Schnee, Häbrecke! Wollen Sie nicht den Abend zu mir kommen? Es ist alles so Ise? da. Die Haushälterin und das Mädchen feiern irgendwo in der Stadt. Nur ich bin allein. And Sie wohl auch — Sie mästen doch nicht gerade heute fahren?"
Sie gehen nebeneinander her, zwei einsame Väter am Weihnachtsabend, und neben ihnen durch den Schnee stapft Lotte mir dumpfen Hufen die paar Häuserlängen weiter bis zum Hause des Fremden. Die Remise bietet warme Unterkunft für das Tier. Die Droschke kann im Garten stehen. Licht blitzt auf in warmen, weiten und geputzten Räumen, aber Stille liegt darin. Nur das Feuer in den Kaminen ist Leben. Im Arbeitszimmer des Herrn wartet ein gedeckter Tisch, und hinter ihm reckt sich eine Tanne.
Viel fragt Häbrecke nicht. Er nimmt sein Feuerzeug aus dem
feuchten Rock, läßt es aufschnappen und steckt eine Kerze nach der anderen an, dreht am Schalter und taucht das Zimmer in den Goldglanz des milden Lichtes, während der Herr sich zu schaffen macht, bis sie bei einem einladenden Esten mit dampfendem Punsch sitzen.
Eine Stunde oder so schweigen sie. Die Lichter find halb heruntergebrannt, da erhebt sich der Besitzer all dieser Herrlichkeiten, geht an seinen Schreibtisch und bringt ein Bild:
„Das, Häbrecke, ist der Oskar! Erkennen Sie ihn? Wir beide hätten uns nicht kenncngelernt, hätten wir uns nicht gegenseitig unter den Anzug geguckt, Häbrecke; wür er nicht gewesen. Sehen Sie sich um: was soll das alles? Was soll dies Haus? Was soll die Firma? Wenn ich von dannen gegangen bin, steht alles leer.* Häbrecke, wollen Sic bei mir bleiben? Vielleicht schreiben wir dann Ihrem Hermann, seiner Frau und seinem Kind, daß sie sich hier mal anschen, wenn sie heimkehren, und es einst aus unser beider Hände entgegennehmen, wenn wir davongehen? Sagen Sie ja, Häbrecke! Ihre Lotte soll es gut haben — denn ich bin — dann nicht mehr ohne Sinn auf der Welt."
^ Häbrecke ist an den Baum getreten, dessen erste Kerzen langsam verflackern. „Ja, Herr, aber wir wollen uns jeden Tag etwas Bewegung machen und auch der Lotte. Ich darf Sie doch aus- fabren? Sonst hat alles t-stnen richtiaen Zweck —" ' ^
Künstliche Schneeflocken
Von Dr. R. Francs.
Schritt für Schritt geht die Naturwissenschaft und in ihren Spuren die Technik den Naturgebilden nach, um nach ihren Gesetzen natürliche Organisationen, also die biotechnischen Erfindungen aufs neue zu konstruieren und für den Menschen nutzbar zu machen. Das großartigste derartige Beispiel war die Flugmaschine und der Segelflieger, die ganz nach den Vorbildern der pflanzlichen und tierischen Flugeinrichtungen geschaffen wurden. Heute gibt es bereits zahllose derartig sinngemäße Naturnachahmungen, und es ist vielleicht nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß das gesamte technische Schaffen und Forschen immer auf dem Weg der Biotechnik vor sich geht.
Dies erstreckt sich jetzt schon auf Einfälle, die einem früheren Zeitalter manchmal wahrhaft als bizarr erschienen wären. So hat sich der japanische Physiker Nakaya darum bemüht, die Ge-
, Weihnachlsglockerr 1S4V
Von JngeborgTeuffenbach
Wenn durch das feierlich erhellte Haus und durch das stille Land die Glocken schwingen» dann höre ich aus ihrem frohen Klingen einen ganz anders schweren Ton heraus.
Er ist es. der mir tief zu Herzen geht und der gemahnt, dag ich die Hände falte,
La ich mit stillen Augen Rückschau halte auf dieses Jahr, das »ah der Wende steht.
In dem erklung'nen Ton liegt Kampf und Not.
Von Mut und Vorwärtsstürmen kann er künden!
Ich hör' das Schlachtenfeuer sich entzünden und seh' den Schein, der grell zum Himmel loht!
In diesem Ton liegt aber noch viel mehr.
Wer tiefer hört, mag schon in seinem Rauschen dem hohen Klang der Siegesglocken lausche», dem Jubel um das heimgekehrte Heer.
setze der Schneeflockenvildung dadurch zu erforschen, daß er einfach versuchte, die Gesetze ihrer Entstehung nachzuahmen und künstliche Schneeflocken herzustellen.
Die Gestaltung der Schneeflocken ist uns keineswegs gleichgültig, das weiß jeder Wintersportler. Bedeutsam sind Schneeuyter- schiede für die Lawinenbildung, für den winterlichen Eisenbahn- und Kraftwagenverkehr, für die Belastung der Dächer, die Straßenreinigung, die Bildung der Gletscher — mit einem Wort für vielerlei Beziehungen, an die man zunächst Lei dem leichten Wörtchen Schneeflocke gar nicht denkt.
Der japanische Forscher erzeugt wunderschöne vollkommen „naturechte" Schneeflocken mit einer merkwürdigen Apparatur. Sie besteht im wesentlichen aus einem Metallgefäß, in dem Wajser- dampf erzeugt wird. Auf ihm sitzt ein langes Zylinderrohr, in dem die heißen Dämpfe aufsteigen. Das Ganze aber ist überbaut mit einem zweiten Glaszylinder, der wieder von einer Kältemaschine bis zu zwanzig Grad unter Null gekühlt wird. Oben erfolgt dann an einer Borste, die durch ein Mikroskop beobachtet werden kann, die Flockenbildung.
Nachgeahmt ist also hier der Naturvorgang, daß vom Erdboden aufsteigende wärmere Luft mit Eiswolken zusammenstößt; dadurch wird der Schneefall ausgelöst.
Auf diese Weise aber konnte die Schneebildnng vom ersten Augenblick an beobachtet werden, und wir kennen heute alle ihre Geheimnisse.
Immer beginnt sie mit der Entstehung eines Kernes, der sehr mannigfach gestaltet sein kann. Es lasten sich da zwölf verschiedene Kernformen unterscheiden, die außerordentlich gestaltig sind. Darunter gibt es den von den Schneeflocken auch sonst bekannten sechszackigen Stern, aber auch ganz unregelmäßige Klümpchen oder gefrorene Tropfen, die sich ansetzen. Dann sind dünne sechseckige Plättchen da oder manschettenknopfförmige Gestalten: ein Säulchen mit zwei sechskantigen Platten. Eine besonders merkwürdige Kernform ist eine Säule mit sechseckigen Kristallendflächen, die eine Pyramide bilden. Ganz unerwartet sind sechseckige Scheibchen mit eingekerbten Mustern, auch zusammengesetzte Kristalle, Nadeln und prachtvoll gezackte Sterne, die in ein sechseckiges Prisma eingeschlossen sind.
An diese Sterne setzen sich nun Zweigbildungen ait, bis die bekannten herrlichen Flocken entstehen. Es hängt aber von der Temperatur des warmen und des kalten Luftstromes ab, welche Kernform entsteht. Ist es oben unter Minus 20 Grad und unten warm, kommen die komplizierten Formen zustande; ist es sehr kalt, dann entstehen die einfachsten Formen. Plötzliche Abkühlung erzeugt unregelmäßige Trümmer und Tropfen. In einer halben Stunde entstehen die einfachen Sterne und Sechseckplatten, die ganz komplizierten Säulen und Nadeln brauchen einen ganzen Tag zu ihrer Ausbildung.
Auch das weitere Wachstum hängt in allem vom Wechsel der Temperatur ab, nur besten Schnelligkeit wird von der Kerngestalt geregelt. Ist der Kern verästelt, dann wächst der Schneekristall in der Stunde sogar um 10 Millimeter, die Sechseckplättchen dage- . gen nehmen so wie die Nadeln nur um Bruchteile eines Millimeters zu.
Ganz anders ist aber die Schneewelt beschaffen, wenn in der oberen Schicht dreißig Grad Kälte herrschen und wenig Feuchtigkeit hinaufdringt. Dann entstehen rhomboedrische, sogar würfelförmige Schneekristalle. In diese merkwürdige Welt näher einzudringen ist aber noch nicht gelungen, jedenfalls schwebe» in den-höchsten Wolkenschichten wintersüber noch ganz merkwürdige Gebilde, und vielleicht ändern sich noch alle Vorstellungen vom Schnee und seiner Entstehung.
Die Sonnenwende Preußens
Eine Porck-Erzählang von Walter Scharfer
NSK. Die Flammen tanzten im Kamin, und an den kahlen Wänden der leeren russischen Dorfgaststube huschten seltsame Schatten auf und nieder. General Porck schaute dem roten Spiel zu. Wie aus Bronze stand sein beleuchtetes Gesicht im Kranz des weißen Haares
Nun wandte er sich, und sein Adjutant reichte ihm einen Kloben Holz zu, den der General nachdenklich in der Hand wog.
„Eine Tanne, nicht wahr? Das hätte nun in fünf Tagen unser Weihnachtsbaum sein können. Was hilft's. Dieser verdammte russische Winter frißt an den Knochen. Da muß brennen, was brennen kann. Was Neues?"
Der Adjutant trat zu dem rohen kleinen Tisch, auf dem eine Kerze stand. Er durchblätterte ein paar Bogen.
„Nur Gerüchte, Vermutungen. Keine Verbindung mit der Armee, die der König von Neapel führen soll."
„Und der Marschall? Macdonald?"
„Sitzt in Mitau und rührt sich nicht "
Porck erhob sich und trat sich die Füße warm Unter den weißen Brauen war ein gefährliches Glühen. „Diese Tatenlosigkeit bringt mich um den Verstand. Alles wartet. Auch er. Unser König. Worauf? Worauf?"
Vor dem Hause klapperten Huf§. Der Adjutant trat hinaus und kehrte sogleich zurück, ein erstauntes Fragen im Gesicht.
„Unsere Vorposten bringen einen russischen Offizier. Nein, nicht gefangen. Seine Order lautet an den General Porck."
Die Tür flog, auf. Der Russe stand im Raum und schlug den Mantel auf.
„Clausewitz!" Porck starrte dem Preußen, der da im Waffenrock des russischen Offiziers vor ihm stand, ins Gesicht. Dann winkte er den Adjutanten und die Wachen hinaus. Die beiden Männer waren allein. Der General reichte dem Major beide Hände. „Clausewitz, daß wir uns so Wiedersehen! Ich, der preußische General, in den Dienst des Korsen gezwungen; Sie, der preußische Offizier, im Rock des Zaren!"
„Wir sind Preußen, Exzellenz, wo immer wir stehen! Und was wir tun, tun wir im Dienste Preußens."
„Sie vielleicht. Aber ich?"
„Auch Sie, Exzellenz. Ich vermag am russischen Hofe nur für Preußens Sache zu reden. Ihnen wird es vergönnt sein, zu handeln."
„Möchte wohl wissen, wie. Aber kommen Sie. Das Feuer langt für uns beide." Sie saßen nun am Kamin einander gegenüber. Clausewitz hob den Hellen Blick dem General entgegen.
„Ehe ich mich meines Auftrages entledige, lassen Sie mich berichten. Man wird Sie über die Ereignisse der letzten Wochen im unklaren gelassen haben. Die Große Armee — ist nicht mehr. Der Kaiser ist in Paris. Als Graf Rayneval fuhr er im Schlitten, nur vom Großstallmeister Caulaincourt begleitet, nach Frankreich. Die Armee ist in fürchterlicher Auslösung begriffen. Der König von Neapel führte sie nach Wilna. Hier, auf den Höhen von Konary, vollendete sich die Katastrophe, die ihresgleichen in der Geschichte nicht hat. Marschall Macdonald, in der Flanke von den Russen bedroht, wird — vielleicht noch in dirser Stunde — Mitau räumen und den Rückzug zum Njemen befehle«. Zunt Njemen, vielleicht über den Njemen. Es ist denkbar, daß dieser Rückzug in voller Ordnung vor sich geht; wenn der Marschall nämlich aller seiner Divisionen sicher sein kann. Wenn aber auch
nur eine sich gegen ihn stellt, so wird sein Rückzug — zur Flucht."
Clausewitz schwieg und sah gespannt in das Gesicht, in dem es erregt und wild arbeitete. Wie Donnerschläge waren die Worte des Majors auf Porck niedergefahren. Wahrheit also war, was bisher nur als dunkle Kunde zu ihm gedrungen war. Vernichtet des Korsen gewaltige Armee. Das war der eherne Ruf des Schicksals an Preußen. Oder gar — an ihn? War das nicht der Sinn von Clausewitz' Worten gewesen?
Der Major neigte sich vor. „Exzellenz, die 20 000 Preußen, die hier oben dem Wahnwitz des Korsen gezwungen dienen mußten, können Napoleons letzte intakte Armee, die Armee Macdonalds, retten oder vernichten. Exzellenz, Preußen erwartet Ihren Befehl!"
Schweigen. Die beiden Männer fühlten jagenden Herzens die Gewalt dieser Stunde. Da sprach Clausewitz weiter. Er zwang seine Stimme zu gedämpfter Ruhe, „Der Zar sendet mich. Nehmen Sie diesen Brief. Rußland bietet in dieser Stunde die Hand zum Bündnis. Es wird die Waffen nicht aus der Hand legen, ehe nicht Preußen in den Stand des Jahres 1808 zurückversetzt ist. Nur mutz dieses Preußen jetzt handeln. — Hier ist der Brief."
Porck schwieg noch immer. Hart und kantig war sein Gesicht. Stumm nahm er den Brief, las und sah dann gesenkten Hauptes ins Feuer.
Clausewitz beobachtete den General scharf. Er kannte diesen seltsamen Mann, der vor jeder großen Entscheidung in schweigender, stürmischer, wie Unsicherheit anmutender Erregung mit sich um Klarheit rang und der dann plötzlich dieser Entscheidung mit eiskalter, stählerner Ruhr entgegentrat. Darum schwieg auch der Major. Lange. Er fühlte, was da kommen würde, kommen mußte.
Nun schaute Porck auf. Clausewitz spürte, wie das Blut ihm. heiß ins Gesicht schoß. Er sah in zwei Augen, die, blank und hart wie Stahl, durch ihn hindurchschauten und die Zukunft zu suchen schienen. Und dann sprach der General.
„Es ist Preußens Stunde. Es kann Deutschlands Stunde lein. Wird unser König das erkennen? Erkennen wollen? Aber ich begreife: er wird es — müssen! Ich begreife, man wird ihn zwingen müssen. Ich begreife: der Befehl gilt mir! Es ist viel für mich alten Soldaten. Wenn ich Preußen gehorsam sein will, muß ich dem König ungehorsam sein."
Plötzlich stand der General aufrecht. Buch Clausewitz sprang auf.
„Herr Major, ich habe meinem König zu schreiben, und ich hoffe, daß der König es sein wird, der Ihnen antwortet. Sollte er aber schweigen, — so — werde ich Ihnen Antwort geben. Statt seiner. Und wie ich muß!"
Der Blick des Majors leuchtete dem alten Recken aufglühend ins Gesicht. Dann grüßte Clausewitz voll Ehrfurcht und schritt rasch hinaus.
»
Lue Armee des Marichalls Macdonald, Herzogs von Taren: wälzte sich der ostpreußischen Grenze und dem Njemen zu. Da gewaltige Drama in den Eiswüsten Rußlands, das den weiße Tod von mehr denn 500 000 Menschen sah, riß in seinem letzte Akt auch die baltischen Divisionen in seinen Strudel. Hungern und frierend, von den nachspürenden Russen nirgends in Ruh gelassen, drängten selbst die besten Regimenter auch dieser Arme nun in zunehmender Auflösung nach Westen.
Aber in straffen Kolonnen marschierten die 2OY00 Preuße Porcks durch die klirrenden Wintertage. Im Abenddämmern de I3. Dezember tauchten vor den sichernden preußischen Reiter verschneite Dächer auf. Tauroagen. Der harte Schnee brach untc
den Hufen Die Reiter schwenkten zum Ort hinüber Kompagnien folgten.
Abseits vom Wege, unter dem überragenden Dach einer Scheuer, hielten ein paar einsame Reiter und sahen den heranmarschte- renden Preußen entgegen. Die schauten kaum herüber.
Einer der Reiter wandte sich um. „General Legrand?"
„Mein Marschall?" Legrand drängte sein Pferd neben das Macdonalds
„Legrand, sehen Sie, wie diese Preuße» marschieren! Sind das dieselben Bataillone, die wir vor sechs Jahren bei Jena und Auerstedt schlugen? Seit ich diese Bundesgenossen bei Vauske habe fechten sehen, meine ich. wir sollten uns hüten vor ihnen Dieser Porck ist aus anderem Holz als die Generale von 1806."
„Zuweilen denke ich wie Sie, mein Marschall. Wir haben bei Jena das alte Preußen geweckt Nun ist cs da Nun marschiert es. Wie lange mit uns?"
„Wir werden sorgen müssen, daß sie ihre Kraft nicht kennenlernen. Der Porck gefällt hiir nicht. Er hat mir nie gefalle» Er hat den Stolz, den die Herren vom Rheinbund nicht haben. Ich will beide Augen offen halten. Kommen Sie, Legrand, man muß uns hier nicht erkennen."
Die Reiter verschwanden im Dunkel hinter den Häusern.
*
Vor den Häusern aufgeschichtet lagen Stöße von Holz. Retter und Fußvolk standen im Kreis um jeden der hölzernen Hügel. Bäume hatte man an diesem Weihnachtsabend nicht schmücken können. So mochten die Feuer unterm freien Himmel um !» Heller brennen.
„Wann zünden wir an?" fragte einer.
„Die Obersten und Majore fehlen noch Der General hat sie rufen lassen. Es heißt, sie kämen gleich."
„Findet ihr nicht auch"? schnupperte ein Dritter, ein aller Graubart, „es liegt was in der Luft. Die Welschen haben's mächtig eilig, über die Grenze zu kommen. Soll mich nicht wundern, wenn sich da was zusammenbraut."
„Still, sie kommen!"
*
Porck hatte gesprochen. Vierzig Augenpaare brannten ihm entgegen. Man hörte das heiße Atmen im Raum. Nun wandte sich Porck an einen der jüngeren Offiziere, der hart vor ihm stand, jede Muskel gespannt in dem jungen, mutigen Gesicht.
„Die Order nur mündlich, Herr Rittmeister. An General Die> bitsch persönlich: General Porck sei zu Verhandlung und Abschluß bereit. Bevollmächtigte des russischen Armeesührers werden am 30. Dezember bei Einbruch der Dämmerung vor der Poscheruner Mühle bei Tauroggen erwartet. Verstanden?"
Der Rittmeister salutierte und schritt sporenklirrend hinaus.
Porck schaute um sich Letzte Entschlossenheit stand in feinem Gesicht.
„Meine Herren! Die Würfel sind gefallen. Der König schweigt. So handle ich nun, wie ich muß. Die Zeit ist reif, weh uns, wenn wir die Mahd versäumen. Mag unser Ruf nun zünden, um immer in der Heimat man ihn vernimmt. — Und nun folgen Sie mir. Ich will zu meinen Preußen und ihre Weihnachtsfeuer sehen. Die sollen heute brennen, daß sie als Feuerzeichen der Freiheit hinüberleuchten in die weiten deutschen Lande!"
Sie traten hinaus. Da klang im Dunkel eine Fanfare auf- Fackeln loderten rot in die Nacht und flogen in die Holzstöße. Gierig fraßen die Flammen.
Da brannte der Himmel über ihnen hell wie das Morgenrot...