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Raaolder Tagblatt »Der Gesellschafter

Donnerstag, den 22. Juni 193»

Das l-okslstÜLlc

Dis menseklieke Komöclie

Bühne und Film haben sich ln letzter Zeit gleichermaßen die Posse, das alteLokal- stück^ zurückerobert. Der große Erfolg be­weist. daß die Wahl richtig war. und ein Verlangen nach saftig-herzhaften Volks- Typen lebendig geblieben ist, die uns aus dem Alltag so vertraut find, Laß wir wohl meinen, wir ständen mit ihnen auf du und du, wenn sie uns von den Brettern oder der Leinwand herunter grüßen.

Was würde alles Anknüpfen an eine gute oder weniger gute Tradition helfen, wenn sie nicht trotz alledem etwas Neues wäre? Diese kleine, aber wichtige Weisheit haben unsere Künstler, unsere Regisseure, und sie hat auch das Publikum begriffen. Steht heute auf dem Spielplan eines Theaters oder eines Kinos einePosse" angekündigt, so wissen wir, daß uns eineUeberlieferung" erwartet, die man bildlich und inhaltlich so weit in die Gegenwart hineinstellt, daß sie frei ist von Staub und Veraltung. Was schließlich bleibt, sind die feinen Studien menschlicher Charaktere, menschlicher Irrun­gen und Wirrungen, ist die Lebensechtheil, die auf Hilfsmittel konventioneller Art ver­zichtet und bereits >m Mittelalter, in ihrer ersten Blütezeit, die leeren Stellen mit Wahrheit" überdeckte, die dem Theater bis dahin fremd gewesen war. Daß außerdem

einer Sackgasf«, in die man sich verlaufen hat.

Die Handlung borgt zwar oft bedenkenlos bei früheren Dichtern, aber wie die Autoren für ihre Helden Sympathien zu erwecken verstehen, (durch die die Welt der Bieder­männer lächerlich gemacht wird, soweit sie nur Aushängeschild ist), das ist so köstlich gemacht, daß die Wirkung zündend sein mußtel Man sagt nicht zu viel, wenn man behauptet, daß aus der Posse fast eine Cha­rakterkomödie wurde, deren ganz zart ange- zeichneter Ernst mehr bedeutete, als wenn man faustdick mit guten Lehren und Rat­schlägen aufgewartet hätte. Wer hier abge­lehnt wurde, mußte mit Hilfe der heiteren Musen selbst erkennen, daß er nicht besser war, als die Haderlumpen, die so unbe­schwert in den Tag hineinlebten, die zwar auch nichts taugten, aber die wenigstens nicht den plumpen Versuch machten, zu scheinen, was sie nicht sind.

Man stellt die aufgeblasene Falschheit des Biedermeiers der zwischenSichgehenlassen" zu Hause undstrammer Pose" im öffent- liehen Leben hin- und herschwankt, der mehr inKunstbegeisterung" macht, als er wirk­lich begeistert ist. neben den strahlenden Leicht­sinn. der sich zum herzhaft gelebten Dasein be­kennt. Leichtsinn? Ist er eine Gabe der

man die Verantwor­tung tragen, denn be­kennt man sich aus- schließlich zur Verant­wortungslosigkeit und huldigt nur dem Leichtsinn, so läßt die Schuld, der Zusam­menbruch nicht mehr wnge aus sich warten.

Die dichterischen Werte der Posse sind umstrit­ten. aber es quillt in ihr ein so herrlich-un- besiegbarer Humor, so viel Echtheit, daß sie unerschöpfliche Quali­täten birgt. InRo­bert und Bertram" nehmen wir Anteil an dem Schicksal zweier lockerer Vögel, die ein reichliches Quantum Leichtsinn mit be­kommen haben, die aber in ihrer Unver- sälschtheit, in ihrer Bekenntnisehrlichkeit an den stürmisch-brausenden Frühling erinnern, der alles wegfegt, was alt und morsch ist: auch die eigene Liederlichkeit! Denn zum

Drei von der Sonne des Glücks und des / Frohsinns überstrahlte Bilder

für dramatische Spannung in der Posse ge­sorgt werden muß. ist selbstverständlich, und daß der Spaß zu seinem Rechte kommt, steht als Forderung voran, so. es lebt etwas von der unsterblichen Ironie der größten Dichter in ihr. die damit stärker zu wirken vermögen, als mit Gesetzen und Vorschriften. So finden wir wohl die gesamten Zutaten eines Dra­mas, innig vermischt im Lokalstück, nur ist der Ausgang immer heiter, und die mehr oder weniger gewollten Spannungen und Verwicklungen lösen sich dergestalt auf, daß man erleichtert aufseufzt. wenn das Herz nicht mehr zu bangen braucht.

Dem Film blieb es Vorbehalten, die Alt- Berliner Posse, die klassische Vertreterin dieser Gattung:Robert und Bertram" wie­der lebendig zu machen. Etwas Ganzes, Rundes wird hier geschaffen aus dem gesun­den Gefühl heraus, die Welt so wiederzuge­ben, wie sie war und wie sie ewig bleiben wird: menschlich, mit allen Fehlern und Schwächen unserer Erdenkinder behaftet, aber dennoch sieghaft in ihr der Wille zum Guten! Nicht verdammen sollen wir. nicht boshaft die Zungen üben, sondern empfin­dend mitgehen, aufgehen im Leben, das sich neu und herrlich immer wieder demjenigen schenkt, der es zu packen und zu meistern versteht. Fremder Schmerz, eigener Schmerz, fremde Lust, eigene Lust und Leidenschart wollen mit natürlicher Kraft sich äußern. Das alles finden wir in der PosseRobert und Bertram", die seinerzeit bahnbrechend wirkte und Front machte gegen das aristo­kratisch-vornehme Theater, das bleichsüchtig dahinsiechte, weil ihm das Wichtigste: die Fühlung mit der Volksseele fehlte. Man muß sich zurückversetzen in die Zeit von 1820 bis 1830, um richtig verstehen zu können, wie befreiend der neue Theaterstil in einer Epoche wirken mußte, die aus Scheinheilig­keit zusammengesetzt war. Herrichte doch überall das schlimmste Nebeneinander plat­ter Bequemlichkeiten und übertriebener Feierlichkeit.

In diese stagnierenden Gewässer der Philistrosität hinein geboren, wirkt die Posse zvie ein frischer Wind, wie eine Rettung aus

Liebe, Sang und schäumender Trunk

Links: Carla Rust, Heinz Schorlemmer Rechts: Carla Rust

Götter, die zuweilen Mitleid mit uns ver­krampften Erdenkindern haben? Nicht immer ist er nur Leichtfertigkeit, viel häufiger müs­sen wir ihn werten als fröhlichen Schwung, als Triebrad des Willens, als Freiheit, die durch bewußtes Abschütteln von Lasten er­langt wird, die so oft unfruchtbar herumge- jchleppt werden.

Eins braucht der Mensch, er will sich im Leichtsinn entspannen, er will an die Heiter­keit, die Fröhlichkeit des Erdenweges glauben dürfen, er will nicht in Schwermut ersticken! In dieser Erkenntnis ruht der unverwüstliche Erfolg der Posse: ihre Problemlosigkeit, ihre geträumte Freiheit, die zu spotten vermag und doch im Hintergrund das Wissen hat: Leichtsinn ist herrlich, aber außerdem muß

zum Schluß des Geschehens, das weitgespannt ist und von der Stadt aufs Land führt, vom Gefängnis ins Wirtshaus, von dort auf die noble Gesellschaft eines Geldprotzen, werden aus dielen Galgenvö­geln noch zwei präch­tige Bur­schen, die den Leicht­sinn nicht mehr zum Smn ihres Daseins, sondern zu seiner Krö­nung ma­chen. So­gar als So­zialisten ent-

Schlai, Nathan, ichlas!

Robert und Bertram (Rudi Goddc» und Kurt Seifert) plündern den Bankier Jpelmeyer (Herbert Hübner) aus

puppen sich die zwei Helden eines Tages: sie versuchen einen Mann unschädlich zu machen, der durch sein Geld das Mädel des anderen erobern möchte, und dessen Vater die Kneipe verpfänden lassen will, wenn es nicht gefügig ist. Zu guterletzt kommt die Rettung durch Robert und Bertram, die den ganzen schänd­lichen Plan und seinen Zusammenhang mit dem Berliner Wucherjuden aufdecken.

Auch die Randfiguren dieser Posse find klar und interessierend gezeichnet: io der junge verträumte Bräutigam, der sich nicht getraut, seinem Mädel seine Liebe zu ge­stehen, dem erst auf dem Kasernenhof die Hemmungen weggeschliffen werden. Die Sol­datenzeit macht einen gescheiten, tüchtigen Mann aus ihm, der mit seiner Auserwähl­ten glücklich werden darf. Der verschwende­rische Bankier Mischer Rasse wird mit allen 'einen lächerlichen und abscheulichen Charak­ter-Eigenschaften verhöhnt das Fest in ieinem prunkvollen Schloß, in dem es von Unkultur nur so strotzt, birgt Köstlichkeiten überlegenen Humors auf Seiten unserer beiden Tischler-Brüder, und es malt gleich­zeitig das Zeit- und Sittengemälde: aus welche Art der Ost-Galizier schon damals ver­suchte, in Berlin Heimatrechte zu gewinnen und durch Geld uns Spendabilität die Ge­müter zu verwirren iuchte. Doch er hatte die Rechnung ohne seinen Gastgeber gemacht, der ihm scharf aus die Finger iah und an Deut­lichkeiten nichts zu wünschen übrig ließ.

In der Wirtsstube wieder klingen Töne auf. so poetisch-idyllisch, so voller Gemüt, daß man sofort in ihren Bann gezogen wird und die lebendige Volksdichtung in ihrer ganzen Ursprünglichkeit genießt.

Ueberall ist die bunte Fülle der Wirklich­keit eingefangen: nicht das Leben als Feind, sondern das Leben als Freund gesehen, das immer bereit ist, mit vollen Händen zu schenken.

Wie hat Paul Gerber einmal jo schön ge­

Bild oben

Selbst aus dem härtesten Lager kann man von Idealen träumen.

(Fritz Kampers u. Rudi Kodden)

Bild links:

Mit Humor hinein in die Zelle der Beschaulichkeit

sagt:Gib acht auf die Gasse!" undSieh nach den Sternen!"Erfülle dich mit Liebe zu den Kleinen, die still und demütig ihren Kreis ausfüllen aus der entlegenen Pfarre, im Polizeihaus, im Armenhaus: sieh nach den SternenI"

Robert und Bertram haben diese Eigen­schaft mit bekommen:sie geben acht aus die Gasse" undsie schauen doch allweil nach den Sternen, weil dort die Schönheit ist und das wahre Leben, ohne die diese Erde so kalt und nüchtern bliebe. llris.

Fotos (6): Tobis-Filmkunst M. (Sämtlich aus der Hans H. Zerlett-Produktioir der TobisRobert und Bertram").