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Nr. 143

Donnerstag, äen 22. Juni 1939

113. Jahrgang

Neue Erklärung Chamberlains

Zustände unverändert"

London, 21. Juni. Ministerpräsident Chamberlain gab im Un­terhaus am Mittwoch eine neneErklärungüberTient- sin ab, die deutlich die Schwierigkeiten Englands im Fernen Osten, die Schwäche der britischen Machtposition und der Londo­ner Außenpolitik offenbarte. Die Zustände in Tientsin seien un­verändert. Die Zufuhr in frischen Lebensmitteln sei nach wie vor unzureichend. Es habe verschiedene Zwischenfälle durch Ver­schärfung der Blockade gegeben. Die britische Regierung erwarte weitere Nachrichten über diese Angelegenheiten. Von dem Ba­taillon, das die britische Garnison in Nordchina ausmache, stehe mehr als die Hälfte in Tientsin. Der englische Botschafter in To­kio habe im übrigen klargemacht, daß oie britische Regierung mit der Blockade von Tientsin sich nicht einverstanden erklären" könne. Die dringliche Frage der Lebensmittelzufuhr sei immer noch ungeklärt.

Da lachen selbst die Hühner!

Großes Gelächter brach im Unterhaus auf den Banken der Opposition aus, als Unterstaatssekretär Butler am Mittwoch in Beantwortung einer Anfrage erklärte, die englische Regierung würde mit der Art und Weise zufrieden sein, in der d i e b r i t i- schen Vertreter in Moskau die Verhandlungen mit der Sowjetregierung führten (!). Als ein Redner der Op­position fragte, ob die britische Regierung nicht im Falle weiterer Verzögerungen der Moskauer Verhandlungen einen Minister mit entsprechenden Vollmachten nach Moskau schicken wollte, gab er keine Antwort.

Die Verhandlungen mit Moskau

Im Spiegel der französischen und englischen Presse

Paris, 21. Juni. Wenn man am Mittwoch in der französischen Presse verschiedentlich lesen kann, daß im Zusammenhang mit den englisch-sowjetrussischen Verhandlungen bereits die Gefahr bestehe, daß der erstrebte allgewaltige Dreierpakt letzten Endes nun ein recht harmloses Abkommen sein würde, so kommt damit die sichtliche Betretenheit ob des Standes der Verhandlungen mit Moskau zum Ausdruck. Der Londoner Korrespondent des Figaro" meint, die Gefahr eines Abbruches der Verhandlun­gen bestehe zwar nicht, aber es sei nicht ausgeschloffen, daß sie wegen der unüberwindlichen Schwierigkeiten letzten Endes nur zu einem Vertrag von sehr zweitrangiger Bedeutung führen. Der Außenpolitiker derJustice" erklärt, die Verhandlungen mit Moskau zögen sich nun schon seit Monaten in die Länge, und ich habe nicht den Eindruck, als ob die Mission Strangs von Erfolg gekröstt sein würde." Das vollkommene Stillschwei­gen der sowjetruffischen Diplomatie sei beunruhigend. Man wolle endlich wissen, was die Sowjets überhaupt wollen. Eine Agenturmeldnng «ms Moskau spricht davon, Strang habe um eine Audienz Lei Stalin gebeten, eine solche Audienz wäre nach dem Zustandekommen eines englisch-sowjetruffischen Paktesop­portuner".

London, 21. Juni. Die Londoner Presse wird am Mittwoch hinsichtlich des Ausganges der englisch-sowjetruffischen Paktver­handlungen durch einen «natürlichen Zweckoptimismus gekenn­zeichnet. Man hat den Eindruck, daß angesichts der offen zum Ausdruck kommenden Besorgnis mn den Tientsin-Konflikt aus keinen Fall auch noch Pessimismus bezüglich der Verhandlungen mit Moskau zu ertragen wäre. Die Blätter sehen daher alles durch eine rosenrote Brille an und wiederholen ihre mit der Zeit stark abgegriffenen Phrasen vonbaldigem Fortschritt", neuen Instruktionen" undBehebung sowjetrussischer Zweifel" usw.

London und Moskau bestreiten, was nie behauptet wurde

London, 21. Juni. Das Außenamt erklärt entgegen den Mel­dungen der Londoner Presse, daß keine neuen Weisungen an den britischen Botschafter in Moskau, Seeds, gesandt worden seien. Ebenso sei keine Ausdehnung des geplanten Vertrages auf den Fernen Osten beschlossen. Im Gegensatz zu den schon seit langem verkündeten englischen Behauptungen, daß man sich mit Sowjetrußland grundsätzlich einig sei, daß nur die Fas­sung der Verpflichtungen noch Schwierigkeiten mache, muß jetzt Reuter zugeben, daß es auch noch grundsätzliche Schwie­rigkeiten gibt. Er meldet, man habe den Eindruck, daß bei der nächsten Unterredung zwischen Molotow und den Vertretern Frankreichs und Englands die offenstehenden Streitpunkte be­reinigt werden könnten,sei es auch nur grundsätzlich". Man müsse sich in England immernoch eine gewisse Zeit" gedulden.

Die sowjetrussische NachrichtenagenturT a ß" veröffentlicht ein Dementi der Meldung deutscher Zeitungen, daß in den Verhandlungen m4t England und Frankreich die Sowjetregie­rung auf einer sog. Garantie ihrer Fernost-Grenzen be­stehe und daß dies das gegenwärtige Hindernis des Abschlusses eines Uebereinkommens sei.

Zuerst scheribt die gesamte c "'sehr Presse auf amtliche An­regung, daß die so peinlich empfundenen Schwierigkeiten der eng­lisch-sowjetrussischen Verhandlungen auf den Fernen Osten zurück­zuführen seien und jetzt auf einmal soll alles plötzlich nicht mehr wahr sein? Daß auch das Eefälligicitsdcmenti der sowjet- russischen Tah-Agentur auf englische Einwirkung zurückzusühren ist, ist für den, der englische Dementicrungsmethodcn kennt, nicht zweifelhaft. Auch das Tag-Dement: hat es in sich. Niemand hat nämlich von einerGarantierung der sowsettu s'.shrn Fernost-

Erenze" durch England gesprochen, sondern von einer Ver- pslichtungEnglandszuaktiverenglischerHilfo im Falle eines Zwistes mit Japan. Das aber wird auch im MoskauerDementi" keineswegs bestritten.

Feste Haltung in Japan

England mutz die Verantwortung für feine EinmMung

tragen

Tokio, 21. Juni. Die am Dienstag aufgenommenen diplo­matischen Verhandlungen zwischen Japan und England in Tokio und London werden von der japa­nischen Presse und in politischen Kreisen als äußerst wichtig für die weitere Entwicklung der gesamten Lage in Fernost und für die mögliche Entspannung oder Verschärfung der Beziehungen zwischen Japan und England bezeichnet. Sowohl in London als auch in Tokio hätte England sich von neuem bemüht, eine lokale Regelung der Tientsinsrage anzuregen, und anscheinend habe der Besuch des amerikanischen Geschäftsträgers im Außenamt die gleichen Ziele verfolgt. Sowohl in London als in Tokio habe die japanische Regierung erklären lassen, daß die in Tientsin getroffenen Maßnahmen vom militärischen und politischen Standpunkt gesehen unvermeidlich gewesen seien, um der un­haltbaren Lage ein Ende zu bereiten. Diese Lage wird kurz mit Feind im Rückengebiet des japanischen Heeres" umschrieben.

England habe durch seine Unterstützung Tschiangkaischeks von Anbeginn des Konfliktes sich in die Auseinandersetzung zwischen Japan und China eingemischt und müsse nun für alle hieraus sich ergebenden Folgen die Verantwortung tragen. Die nicht mehr in Tschungking, sondern auch in den internationalen Nie­derlassungen, also im Rückengebiet eines kämpfenden Heeres fort­gesetzt geführte offene Parteinahme für Tschiangkaischek machten es, so betont man in politischen Kreisen, für die japanische Re­gierung wie auch für die militärische Führung in China unmög­lich, einer, lokalen Regel mg zuzustimmen, die nicht gleichzeitig eine vollkommene Neutralisierung der engli­schen Haltung gegenüber dem Chinakonflikt in sich schließe. Bevor also diplomatische Verhandlungen mit Erfolg ausgenom­men werden könnten, müßte sich England dazu verstehen, seine Parteinahme für Tschiangkaischek einzustellen und statt dessen die für neutrale Staaten selbstverständliche Berücksichtigung der neuen Lage in China gegenüber den Vertretern der neuen Regie­rungen und den militärischen japanischen Behörden zum Aus­druck bringen.

Eine Eesamtlösung der englisch-japanischen Frage im Fernen Osten mit Bezug auf den China-Konflikt und den sich entwickeln­den Aufbau einer neuen Ordnung sei aber um so notwendiger, als gerade jetzt Japan im Begriff sei, durch weitere militärische Operationen die letzten Verbindungen Tschiangkaischeks zu den noch bestehenden Zufahrtsstraßen abzuschneiden und im besetzten China die Einrichtung einer neuen Zentralregierung zu unter­stützen.

Japaner in SkSKisV gelandet

Verschärfung der Blockade an der südchiuefischen Küste

Schanghai, 21. Juni. (Ostasiendienst des DNB.) Das japa­nische Hauptquartier gibt bekannt, daß japanische Truppen unter dem Schutz von Kriegsschiffen am Mittwoch morgen in der Nähe von Swatow in der südchinesischen Provinz Kwangtung gelandet Md. Dre Japaner stießen auf keinen nennenswerten Widerstand und rückten schnell in Richtung. Swatow vor.

Die Hafenstadt Swatow, über die noch Anfang dieses Jahres ern bedeutender Export nach Hongkong ging, war infolge zahl- reicher Luftbombardements seit Anfang Mai ein toter Platz. Dre Landung der Japaner bezweckt eine weitere Verschärfung o»r Blockade an der südchinesischen Küste. Das Autzenamt ver- oßeutlicht eine Erklärung, nach der die Landung nur militä- rgchen Charakter trage und die Rechte und Interessen dritter Staaten unberührt blieben. Das Hauptquartier meldet ferner, daß jetzt die Blockade der Küste Siidchinas durchgeführt werden konnte, nachdem neben der Sperrung von Kanton, Ämov, die wichtigsten Versorgungshäfen für Tschiangkaischek, sowie der Ver­kehr auf dem Jangtse stillgelegt worden sind.

Türkische Truppen zum Schutze des Suez-Kanals

Verhandlungen des ägyptische« Außenministers in Ankara

Istanbul, 21. Juni. Die Verhandlungen mit dem ägyptischen Außenminister in Ankara drehen sich, wie man erfährt, ». a. um die Teilnahme der Türkei an der Sicherung des Suez-Kanals. Aegypten ist, dem englischen Wunsche entsprechend, damit einver­standen, daß im Kriegsfälle türkische Truppen zum Schutze des Kanals eingesetzt werden. Hierüber sollen im Einvernehmeu mit England genaue Vereinbarungen herbeigeführt werden. Es wurde, ebenfalls auf englisches Betreiben, auch die Frage des Beitritts Aegyptens zum Pakt von Saadadad angeschnitten. Das Einverständnis der Türkei liegt bereits vor. Es geht also nun noch um die Zustimmung Irans und Afghani­stans. Beide Staaten haben jedoch Bedenken, daß der Pakt dann

Rudel England eine« Ansnreg?

Seit Tagen sperrt nun schon ein japanischer Kordon die britische Niederlassung von Tientsin von der Außenwelt ab. Sogar elektrisch geladener Stracheldraht umgürtet die eng­lische Konzession in den Nachtstunden und verkündet auch sinnbildlich, wie scharf die Briten in Tientsin von der Au­ßenwelt isoliert werden. Seit Tagen weilt auch der englische Unterhändler Mr. Strang in Moskau, ohne vom Fleck zu kommen und mit den Kommissaren des Moskauer Kremls die Umrisse für den geplanten Bündnispakt endgültig ab­zustecken. Die Ungeduld in der britischen und darüber hin­aus demokratischen Oeffentlichkeit aber wächst mit jedem Tag, der ergebnislos verstreicht und der Einkreisungspolitik eine Blamage nach der anderen einträgt. Unter solchen Um­ständen kann es nicht verwundern, wenn England krampf­haft nach einem Ausweg sucht. Trotzdem zweifeln viele da­ran, daß überhaupt noch ein tragbarer Ausweg gesunde« werden kann. Der Weg aus dem Dilemma der britischen Po­litik zwischen den Forderungen Moskaus und den Ansprü­chen Japans ist nämlich gerade deshalb so dornig, weil dis Zeit drängt und zur sachlichen und ruhigen UeberleguuA nicht viel übrig bleibt.

Schließlich kann England Mr. Strang aus Moskau nichNl ohne jedes greifbare Ergebnis abreisen lassen, ohne befürch­ten zu müssen, für diesen Mißerfolg von den Wortführer» der Einkreisungspolitik auf das schwerste gerüffelt zu we« den. Aber andererseits erregt sich die Oeffentlichkeit der an­gelsächsischen Welt mit jedem Tage mehr, der Engländer und Franzosen in Tientsin der keineswegs angenehme« Blockade und Durchsuchung durch die japanischen Soldate» aussetzt. Dennoch, d. h. obwohl es viertel vor Zwölf ist, sieht man gegenwärtig nicht, wie sich das englische Kabinett dem Druck dieser Schraube ohne Ende entziehen will. Auf der einen Seite verlangt Sowjetrußland die völlige Unterwer­fung Englands unter seine Forderungen. Es drängt aufs schriftlich fixierten Abschluß eines lückenlosen Militärbünd­nisses, das sowohl Moskaus westliche wie östliche Grenze« einschließt. Auch die Herren im Foreign Office wissen nur zu genau, daß die Annahme dieser Forderung gleichbedeu­tend mit einer eindeutigen Stellungnahme gegen Japan ist. Aber kann es sich die britische Politik leisten, im gegenwär­tigen Augenblick Japan so vor den Kops zu stoßen und zu verärgern, da um Tientsin und die Beziehungen zwischen Großbritannien, Japan und dem China Tschiangkaischeks so lebhaft gerungen wird?

Denn auf der anderen Seite drängen und fordern die Japaner die Anerkennung der von ihnen neu geschaffene« Ordnung in Ostafien, den Verzicht auf die Unterstützung des Warschaus Tschiangkaischek, der sich wiederum der umfang­reichen Hilfe Sowjetrußlands erfreut. Wie uugern Großbri­tannien die Dinge in Ostasien auf die Spitze treibt, zeftffi nur zu deutlich das abebbende Geschrei um die antijapanü- scheu Sanktionen. England hofft immer noch, nicht aller Brücken zu Japan abzubrechen und seine Interessen im Fer­nen Osten, so gut es nur irgend möglich ist, zu wahren. Es dürfte eigentlich nicht schwierig für die Engländer zu erra­ten sein, daß sie ihre ostafiatischen Interessen besser an der Seite Japans als an der Seite Tschiangkaischeks wahren. Weshalb aber fällt ihnen dann es so schwer, zwischen Toll» und Tschungking zu wählen? Hierauf gibt es nur eine Ant­wort: Es sind die Verhandlungen mit Sowjetrußland, die Gespräche Mr. Strangs in Moskau, die die Wahl Großbri­tanniens überschatten, trotz aller Dementis.

Die demokratische Oeffentlichkeit, sowohl in Großbritan­nien wie in Frankreich, ersetzt deshalb die vorläufig «och fehlenden konstruktiven Ziele für einen Ausweg aus der Sackgasse durch wüstes Geschrei und Geschimpfe. Nicht »ur Japan ist die Zielscheibe beleidigender Angriffe und Ver­leumdungen. Es fallen sogar recht erhebliche Seitenhiebo für die autoritären Staaten, für Deutschland und Jtalieu, ab. Sie können uns allerdings vollkommen kalt lassen, denn einen besseren Beweis für die schwierige Lage, in die sich die Einkreiser hineinmanöveriert haben, gibt es eigentlich «icht. Wer sich unwohl und genasführt fühlt, der ist wütend und schimpft, das ist eine alte ÄKchrheit. Diesen Eindruck hat man in Deutschland und Italien, wenn Franzosen urü» Engländer auf einmal diegelbe Gefahr" an die Wand ma­len und einer Solidarität der weißen Rasse das Wort reden. Wer Marokkaner gegen Deutsche am Rhein eingesetzt hat, wer die Abessinier gegen die italienischen Soldaten be­waffnete und im Interesse eines Negus gegen eine Kultur­nation wie Italien den Wirtschaftskrieg eröfsnete, der hat kein Recht, als Hüter der weißen Nasse aufzutreten. So kann man den Schreiern und Hetzern in den Demokratien nur den Rat geben, schimpft weniger und treibt dafür eine Bessere und konstruktivere Politik.

den Boden der Neutralität verlassen und zu einem Instrument Der englischen Politik werden könnte. Sie wünschen daher, daß der Pakt außerhalb der von England ausgestellten Kombinatio­nen bleibe. Die türkische Presse feiert die traditionelle Verbun­denheit der Türkei mit Aegypten und schreibt, beide Staaten hät­ten infolge ihrer geopolitischen Lage (an den Dardanellen und am Suez-Kanal) die gleiche Aufgabe und die gleiche Pjlichr in der Front des Friedens zu erfüllen.