8. Seite — Nr. 133
Raaolder Tagblatt »Der Gesellschafter'
Samstag, den 1V. Zuni 183S
der „Stadt". Man sehnt sich fort. Und man ist glücklich, wenn man wenigstens für ein paar Stunden in der Woche „Ferien" machen kann.
Neben dem Potsdamer Platz präsentiert sich fetzt besonders der alte Molkenmarkt zwischen Oberspree. Rathaus und Alexanderplatz in einem geradezu erstaunlich neuen Gewände. Nachdem die alten Bauten an der Mühlendammschleuse abgerissen wurde und die Neubauten der Reichs- Münze und großer Verwaltungsgebäude bis zum Dachstuhl fertig stehen, steht man erst, wie großartig diese Umgestaltung ausgefallen ist. Dieser Teil Berlins mit seinem bepflanzten Rolandsufer wird bald einer der schönsten Teile der Innenstadt sein. Man wird vom Dom bis hierher lustwandeln. Dionysos.
Seefliegerhorst Alarm!
Don Dr. Martin Nikli, Ufakulturabteilung.
Zwischen Blau und Rot ist Kriegszustand. Hoch über See und Wolken singen die Motoren eines Fernaufklärers von Blau ihr ehernes Lied. Eben hat der Beobachter dem Funker zur Uebermittlung an den Seefliegerhorst Falkenau die Meldung übergeben: Vom Feind nichts zu sehen. Mein Standort ist Quadrat 1645, Fernaufklärer Taktischer Nummer 1. Schon hält der Beobachter auf der vorderen Kanzel wieder Ausschau. Hier und da ist die Wolkendecke aufgerissen, 2006 Meter lieser liegt die weite See. Ein feindlicher roter Kreuzer wird in diesen Gewässern vermutet. Der Beobachter hat heute für die Naturschönheit keinen Blick übrig, weder für die prachtvollen, großartigen, bizarren Wolkentürme und Wolkentäler, noch für das reizvolle Spiel von Licht und Schatten auf der leicht gekräuselten Wasseroberfläche. — Unentwegt sucht er den Feind.
Da, wieder ist die Wolkendecke aufgerissen und dort ist der feindliche Kreuzer. Sofort wird radio-telephonisch die Meldung an den eigenen Fliegerhorst weiter gegeben: „Alarm- Alarm .. . Sehe im Quadrat 1652 feindlichen Kreuzer, Kurs 180 Grad... Hohe Fahrt... Halte weiter Fühlung!" Jetzt alarmiert der Kommandant den Horst über Mikrophon und Lautsprecheranlage. Nur wenige Minuten und schon sind die fliegenden Besatzungen der schweren Bomben- und Torpedoflugzeuge angetreten. *
So erleben wir mit allen Einzelheiten in dem neuen Ufa-Kulturfilm: „FliegerzurSee"den aufregenden Alarm auf einem Eeefliegerhorst. Aufregend für den Beschauer, für die Besatzung ist alles selbstverständlich, immer wieder eingeübt worden. Schon starten die Torpedo- Maschinen. Ausgerüstet mit Kompaß, Abtrifftmesser und Funkpeiler fliegen sie das gemeldete Quadrat nach der Seekarte an. Ständig stehen ste im Radio-Sprachverkehr mit dem Fernaufklärer von Blau, der jede Kursänderung des roten Kreuzers weitergibt. Ein rotes U-Boot wird durch Bombenabwurf unschädlich gemacht. Schon kommt der Kreuzer in Sicht. Fliegeralarm auf dem Kreuzer. Ein Bordflugzeug wird katapultiert und legt Nebelwände. Trotzdem gelingt es dem Kreuzer nicht, sich der Sicht des Feindes zu entziehen, die Torpedoflieger drücken ihre Maschinen dicht über die Wasseroberfläche und werfen ihre Verderben bringenden Torpedos ab.
Auf dem Rückflug werden die Torpedo-Maschinen von Blau durch rote Jagdflieger gestellt. Hoch über Wasser und Wolken entwickelt sich ein harter, spannender und gigantischer Luftkampf. Die Motoren heulen auf, und der Fahrtwind pfeift in den Verspannungsdrähten.
Der Film zeigt, wie Luft und Wasser die Elemente des Seefliegers sind und somit die seemännische Ausbildung besonders gepflegt wird. Weiter zeigt der Film neben der geschilderten Manöverübung, wie für die Sicherheit des Seefliegers gesorgt ist. Bei einer Notlandung auf See steht der Besatzung ein im Flugzeug mitgeführtes Gummiboot zur Verfügung. Notgelandete Flugzeuge werden durch Flugzeug-Sicherungsschiffe, die, durch Funkspruch Herbeigerusen, sofort zur Stelle sind, geborgen.
Viele Monate arbeitete der Filmtrupp der Kulturabteilung auf den verschiedenen Seefliegerhorsten zu Land, zu Wasser und in der Luft. Wieder meisterte der wagemutige Kameramann Bleeck-Wagner die Kamera. Bei schwierigsten Situationen, um interessante, neuartige Blickpunkte aus
den Film zu bannen, ließ sich der Kameramann auf den Schwimmer, ja sogar auf der oberen Tragfläche festbinden. Dem vollen Luftdruck auf der schnell fliegenden Maschine ausgesetzt, filmte er in 2000 Meter Höhe über Meer und Wolken bei 5 Grad Kälte, in stundenlangen Flügen unter anderem den Kanzelschützen im Luftkampf.
So wird der Besucher auf dem bequemen gepolsterten Stuhl des Lichtspieltheaters sitzend, die interessanten Ilebun- gen der See-Luftstreitkräfte miterleben und sich davon überzeugen, daß unsere Seeflieger das Ihre dazu beigetragen haben, um das Schwert der Gesamtluftwaffe zu schärfen zur Wahrung der Ehre und des Friedens von Eroßdeutschland!
Bor der Mahd
Sommertag auf der Wiese — Wunder der Stunde — Der „Johannis-Schnitter" naht
Manchem mag der magische März, der Künder des Kommenden, der Beleber der Starre, andern der lustige Kobold April, den meisten der Mai, der minnigliche, der liebste Monat sein, ich aber habe mein Herz dem Juni geöffnet. Um die Wende von April und Mai blühen die Bäume in verschwenderischer Pracht. Es ist, als ob Frau Holle noch einmal ein weißes Tuch über die Welt gebreitet hätte, aber diesmal ist es kein starres, kaltes Leichentuch, sondern das blühende, lebenstrotzende Zaubergewebe der Erneuerung.
Wenn die Bäume zwischen vielen toten Blüten, die nicht erwählt wurden, zum großen Fruchttragen, die ersten Kirschen und Pflaumen sichtbarlich angesetzt haben, dann besinnen sich die Kleinen auf ihre Pflicht, — auf das Glück und die Pflicht, blühen zu dürfen.
Das sind die Tage des Juni, da die Wiese ihre unendliche Pracht entfaltet, da die Palette der schöpferischen Natur ihre ganze bezaubernde Fülle und Vielfarbigkeit aufschimmern läßt. Das sind die seligen Tage der geliebten Sommerwärme, die Tage des großen Klingens und Sin- gens in allen Zweigen und zwischen allen Hälmchen. Bunt sind die Wiegen, aus denen die trillernden Lerchen steigen, die unser freudetrunkenes Auge verfolgt, bis sie sich in dem durchsonnten Aether -verfingen und unseren sehnsüchtig schweifenden Blicken entschwinden.
Wann ist »s wohl am schönsten auf der tausendfach lebendigen Wiese? Der Frühaufsteher wird für den frühen Morgen plädieren, wenn die Sonne aufgeht. Das ist die Stunde der tiefen Feierlichkeit, wenn das böse Dunkel flieht vor der Macht des alles durchhellenden Lichtes; dann — vor Tau und Tag — ist es einsam und erhaben auf der noch mit geschlossenen Kelchen dämmernden Wiese. Dann aber flammt die gewaltige Beleberin leuchtend und blitzend über die Köpfchen der erwachenden Blumengeschwister, daß man schier die Augen schließen muß vor all der großartigen Pracht. Nun wird es lebendig zu unseren Füßen, nun beginnen die Käfer zu schwirren, nun summen die daunigen Hummeln durch den Urwald der dicht sproßenden grünen Matten. Die Kelche öffnen sich voll trunkener Hingabe dem Licht. Die Morgenstunde der jungfräulichen Unberührtheit geht leise und ünmerklich in die Mittagshöhe über, in der das Hochzeitsfest der Wiese gefeiert wird.
Ein anderer kann sich nichts Schöneres denken und wünschen, als in der seligen, alle Fasern durchsättigenden Wärme der Sonnenhöhe auf einem Hügel in der Wiese zu liegen, das nach Blumenduft riechende, beglückte Erdreich um sich, und darüber den Himmel, der so unwahrscheinlich blau uns vorkommt nach den winterlich kargen Tönen, die uns mit ihrem Grau in Grau nur allzulange frösteln ließen. Um diese Mittagsstunde ist das Leben auf der Wiese' am lebendigsten: Stunde um Stunde kann man das emsige und doch so fröhlich anmutende Fleißigsein von Bienen und Käfern bewundern. Aber mit einem mal jagt ein Schatten über die Sonne, -ein Erschauern geht durch Mensch und Wiese. Unheil kündigt sich an, Mensch wie Kreatur halten unwillkürlich den Atem an.
Da rasen auch schon die ersten Gewitterböen über das erschrockene Erdreich. Was eben noch still und stolz aufrecht ragte, das wird im Nu zur Oberfläche herabgebogen. Ein Stöhnen durchrast den benachbarten Wald, die Gräser unserer Wiese ducken sich noch scheuer, schon peitscht sie der Sturm, daß sie klagend rascheln, dann bricht der dunklen
! Wolken erdnahes Gebälk, und aus den Schleusen des fin- s steren Himmels stürzen erdrückende Fluten. Der Donner kracht, alle Kreatur duckt sich in Qualen, strichweise fegt, alles niederlegend, die Vernichtungswelle durch die eben noch so friedlich-stolze Wiese. Der böse Bilwis. der gefürchtete „Johannis-Schnitter", geht um, dieser mit Wichelfüßen erbarmungslos daherstreichende Dämon, der auch in das Korn die niederwuchtenden Steige schneidet. Er ist der Vorläufer des mähenden Menschen, für den die Wiese blüht, um duftendes Winterheu zu werden. Mahnmal der Vergänglich- ^ keit, wie Zeichen des Wertschaffens. Kreislauf des Lebens, i der uns zur Andacht zwingt. E. v. L.
Struwwelpeters Vater
Zum 130. Eeb .rtstag Heinrich Hoffmanns am 13. Juni
An den weiland Frankfurter Irrenarzt Dr. Heinrich Hoffmann. dessen Geburtstag sich am 13. Juni zum 130. Mal jährr, würde heute wohl kein Mensch mehr denken, wenn dieser hervorragende Seelenkenner nicht eine solch ungezogene (geistige) Kinderschar in die Welt gesetzt hätte, von denen jedes ein abschreckendes Beispiel ist.
Das entzückende Kinderbuch, das wir alle in unserer Jugendzeit nicht nur einmal, sondern in vielen Exemplaren 2 --rfchlis>en haben und an das wir selbst im Alter noch mit einem zufriedenen Schmunzeln denken, ist das Familienal- bum dieser Rasselbande.
Vorneweg der Titelheld Struwwelpeter.
Ihm gebührt der Ehrenplatz, weil er der „artigste" ist.
! Seine Untaten sind gewissermaßen nur negativ. Er läßt sich j nur die Haare nicht kämmen und die Nägel nicht schneiden, s Sein geistiger Bruder, der „böse Friederich" ist schon ein j tolleres Rauhbein. Er schlägt, was ihm vor die Peitsche ! kommt — bis ihn die gerechte Strafe ereilt.
! Paulinchen spielt mit drei Streichhölzern und findet ei- ! nen so grauenhaften Tod, daß die Tränen von Minz und ! Maunz fließen, „wie's Bächlein auf der Wiesen". Suppen- ! kaspar verhungert lieber, als daß er seinen Teller auslöf- i felt. Konrad, dem Daumenlutscher, schneidet der Schneider ! beide Daumen mit der Schere ab, den ungehorsamen Robert . trägt ein grausiger Sturmwind in ebenso grausige Weiten, und Zappelphilipp, Hanns Euck-in-die-Luft und die drei : schwarzen Buben Kaspar, Ludwig und Wilhelm werden auch s erst durch Schaden klug, vernünftig und für die gute Erzie- j hung gerettet.
j Es sind schon wirklich trotz aller Tragik lustige Geschich- ; ten und drollige Bilder, die in diesem wundervollen Buch > gesammelt sind!
Alle diese kleinen Schauerballaden, selbst die mit tragischem Ausgang, werden von dem guten Onkel Doktor Hoffmann den Kleinen mit einem so spitzbübischen Augenzwinkern erzählt, daß dis Kleinen, die es angeht, schon merken: na, ganz so schlimm ist es in Wirklichkeit ja denn doch nicht immer. Das sind Märchen! Aber es ist wahrhaftig nicht schön, wenn man sich nicht kämmen und die Nägel schneiden ? läßt! Und der Friederich hat seine Strafe für Tierquälerei ! tatsächlich verdient! Mit Zündhölzern soll man nicht spie- s len; Hanns-guck-in-die-Luft sein, kann zu bösen Folgen flih-
- ren, usw.
- Die dem kindlichen Gemüt und Fassungsvermögen äußerst : glücklich angepaßten Bilder und Worte verfehlen ihre erzieherische Wirkung in keinem Fall. Kein Wunder, daß der
^ „Struwwelpeter" — der erst zu Weihnachten 1845 auf dem , Büchermarkt erschien, bereits 1871 die 100. Auflage erlebte! In diesem Jubiläumsjahr gab es schon eine holländische, dänische, englische, französische, italienische, spanische, portugiesische, schwedische und russische Uebersetzung!
! Das Struwwelpeterbuch, das nun bald seinen 100. Geburtstag feiern kann, ist heute noch genau so lebenskräftig wie nur je. Ein unverwüstlicher Kamerad unserer Kleinen, ein stummer und doch so beredter Hauslehrer in Hunderttausenden von Familien, und eine stille Freude für die klugen § Großen, die abends, wenn die Knider schlafen, selbst in dem ^ Buch blättern und nicht umhin können, zu gestehen: das hast i du großartig gemacht, Heinrich Hoffmann, es dürfte auf der ? qaFzen Welt kein beliebterer Onkel Doktor sein als du!
A. E.
Juni
Von H. Holfert
Die Frucht setzt an. Die Blütenblätter fallen. Die ersten Rösenknospen brechen auf.
Rot glüht der Mohn. Gewitterwolken ballen Sich grau und drohend, ferne Donner Hallen.
Es wächst das Korn — und in der Sonne Lauf
Kommt nun der Sommer über schwere Erde, Und seine Glut reift Saat aus Menschenhand. Der Landmann hofft, daß Glück die Ernte werde Und grüßt den Hirten, der mit seiner Herde Den Weg des Friedens zieht durchs grüne Land.
Richard Strauß
Zum 75. Geburtstag des Tondichters am 11. Juni Von Herbert Eigler
Es ist nur wenigen Musikern vergönnt gewesen, ein so hohes Alter zu erreichen — deutschen schon seit einem Vier- tsljahrtausend nicht mehr. Die meisten von ihnen wurden nicht einmal vierzig oder fünfzig, nur vereinzelte kamen über die sechzig, Wagner erreichte knapp das siebzigste Jahr, Bruckner das zweiundsiebzigste, Händel und Johann Strauß das vierundsiebzigste. Liszt allein und Haydn wurden älter, sunfundsiebzig und fiebenundsiebzig. Bei so vielen deutschen Musikern war das ganze Leben ein einziger atemloser Wettlauf mit dem Tode Schubert rang sich ein Werk nach dem anderen von der Seele, um mit seinem Riesenschaffen in den knappen fünfzehn Jahren des Wirkens fertig zu werden. Nicht anders ging es Mozart, dem Rastlosen, der sich kaum eine Ruhestunde gönnen durfte. Und Negers Leben war nichts anderes als ein einziger kurzer Arbeits- taumel.
Ein paar wenigen Meistern unserer Tage ist es gegönnt, mit Bedächtigkeit ihr Werk zu schaffen. Wäre ihnen so " wenig Zeit zum Schaffen geblieben wie etwa Mozart oder gar Schubert, sie hätten niemals Berühmtheit erlangt. In
Mozarts Alter war Bruckner ein kleiner Organist, Wagner ein feuerköpfiger romantischer Opernkomponist, dessen Lohengrin allerdings schon unvergänglich geblieben wäre.
Der früh erfolgreiche Richard Strauß hatte schon an- gesangen, sich einen Namen zu machen, als Wagner noch lebte und Liszt, als Brahms und Bruckner noch mitten im Schaffen standen. Welche Zeitspanne deutschen Musikschaffens hat Strauß erlebt, wie umfassend ist sein Wirkungskreis. Strauß hat um Ruhm und Erfolg wenig'zu ringen gebraucht, als fertiger Meister trat der Jüngling in die Oeffentlichkeit, als vollendeter Meister steht er heute nach bald 60 Jahren noch mitten im Musikschaffen. Neben Brahms, Liszt oder Bruckner erschienen die ersten symphonischen Dichtungen überraschend kühn. Und heute noch wirken diese Jugenowerke auf uns erstaunlich jung und modern. Kürzlich aber erst hat sich derselbe Richard Strauß mit zwei Bühnenwerken: „Friedens tag" und „Daphne" mühelos au die Spitze des gegenwärtigen Bühnenschaffens gestellt.
Die Magie des Straußschen Erfolges beruht auf der ungewöhnlich gelassenen Klugheit des Meisters, die hohe Schicksalsgunst selbst niemals enttäuscht zu haben. Es ist so gut wie keines seiner vielen Werke mit der linken Hand gemacht. An das kleinste ist sein hohes Können gewendet. Die letzten Partituren sind so vollendet wie die ersten. Mit dem Verstand und dem Kopf eines Diplomaten der Musik ist jeder Takt geschrieben und gefeilt. Ohne Hast oder Besessenheit ist Strauß an seine Werke gegangen wie ein Mann, der weiß, daß er lange Zeit zur Ueberlegung hat. So hat er es zeitlebens verstanden, große seelische Abenteuer oder Anstrengungen von sich fernzuhalten. Hier ist er fast Goethe zu vergleichen, dem alles Verzehrende^ alles Dämonische im Grunde zuwider war.
Strauß ist der bedeutendste Musikpsychologe unserer Tage. Er hat das Riesenerbe Wagners übernommen, um dieses seine Nervensystem noch feiner zu verästeln, ohne ein Wagnerepigone zu werden wie so viele, die im Fahrwasser des großen Bayreuthers schwammen. Er sah seine Aufgabe nicht darin, das Musikdrama in die Gegenwart herüberzuführen, er erstrebte vielmehr, den Entwicklungsweg Wagners zurückzugehen und das Bühnendrama zur Oper zurückzugestalten, von der es bei Wagner ausgegangen war. Jedoch nicht zur romantischen Oper, von der Wagner aus
gegangen war, sondern zur klassischen Oper, die in Mozart ihren vollkommensten Ausdruck gefunden hatte. Von „Guntram" und „Feuersnot" führte der Weg über „Salome" und „Elektr a" zum „R osenkavalier" und zur „A r i a d n e a u f N a xo s", der echten Oper mit Arien und ausgeprägtem Rezitativ. Bei allem aber hat sich Strauß den klanglichen Ausdruck des Musikdramas und vor allem der symphonischen Dichtung von Berlioz und Liszt für seine Opernform bewahrt und damit tatsächlich die moderne Oper geschaffen, ein unvergängliches Verdienst, da die Zeit und ihre geistige, kulturelle Strömung allem eher als der Oper zugänglich schien.
In allem aber hat Strauß doch das letzte Wort behalten, was er mit der „Arabella" und den beiden oben genannten letzten Werken bewiesen hat. Er hat sein Werk für die Zeit aber nicht mit der Zeit, eher gegen die Zeit geschaffen. Von seinen ersten symphonischen Dichtungen an, vom „Macbeth", „Tod und Verklärung", „Till Eulenspiegel", „Don Juan" oder „Also sprach Zarathustra" bis zur Älpensymphonie, und auch mit den beiden persönlichen Musikdichtungen „Ein Heldenleben" und der „Domestica" hat der Meister im Kreuzfeuer der Meinungen gestanden. Die Alten wackelten mit den Köpfen, die Jugend aber ging im Sturmschritt mit ihm. Und zur Jugend steht er heute noch, der Fünfundsiebziger Richard Strauß.
Wie sein inneres Leben, so verlief auch sein äußeres Leben in ruhigen Bahnen, allmählich aber ohne Unterbrechung aufsteigend. Er ist am 11. Juni 1864 in München als Sohn des ausgezeichneten Hornisten Franz Strauß geboren, kommt früh schon unter dem Schutz Bülows nach Meiningen als Hofmusikdirektor, bald darauf nach München, Weimar und wieder München, um als Vierunddreißigjähriger als Hofkapellmeister nach Berlin zu kommen. Ende des Krieges übernahm er die Hofoper in Wien, um sich später von der Dirigententätigkeit — bis auf Gastspiele — ganz zurückzuziehen. Es wäre unvollständig, wollte man bei einer Strauß-Würdigung des unvergänglichen Liederkomponisten vergessen, dem wir mit der „Cäcilie", dem „Ständchen", dem „Traum durch die Dämmerung", „Morgen", der „Zuneigung" und vielem anderen das Schönste der Liedliteratur verdanken.