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Nr. 104

Freitag, <len 5. Mai 1939

113. Jahrgang

Das englische Wehrgesetz^rvird abgeändert

London, 4. Mai. Die englische Regierung hat sich ent­schlossen. angesichts der ungeheuren Erbitterung in Irland in­folge des neuen Wehrgesetzes auf die Anwendung dieses Gesetzes in Nordirland zu verzichte«. Sie will daher das Gesetz ab­ändern. so daß ganz Irland einschließlich der nordirischeu Graf­schaften davon ausgenommen ist und das Gesetz «ur aus Eng­land. Schottland und Wales bestehe« bleibt. Premierminister Lhamberlain teilte diesen Beschluß am Donnerstag unter dem Beifall der Opposition i« Unterhaus mit. wobei er in seiner Begründung ausdrücklich darauf hinwies, daß das Gesetz in sei­ner ursprünglichen Form di« Schlagkraft des Landes beein­trächtigt hätte.

2m einzelnen erklärte Thamberlain, daß die Frage, ob Nord­irland auch unter das Gesetz fallen solle oder nicht, augenblick­lich die aktuellste Frage Englands sei. Die Regierung habe be­schlossen, das Gesetz nicht auf Nordirland auszudehnen und schlage deshalb vor, den entsprechenden Artikel des Gesetzes abzuändern. Nordirland, so erklärte Lhamberlain, sei zwar ein Teil des englischen Königreiches und es wäre deshalbganz natürlich" daß es denselben Gesetzen unterworfen sei wie auch England, Schottland und Wales. Die Regierung aber wolle dennoch alles vermeiden, was dieSchlagkraft des Landes" beeinträchtigen könne. Lhamberlain wandte sich nun der Opposition zu und erklärte, das Gesetz sei im Grundsatz bereits angenommen. Es handle sich nur noch um eine Reihe von Rechtsfragen, die er­

ledigt werden müßten. 2e schneller das Gesetz durchgebracht werde, um so schneller werde die Sicherheit des Landes gewähr­leistet und um so größer werde die Wirkung auf die ver­schiedenen Länder Europas sei» (?) Er hoffe daher, daß die Mitglieder des Hauses in Zukunft dafür sorgen würde». Laß alleunnötigen Diskussionen" in Zusammenhang mit diese« Gesetz vermieden würden.

Angesichts der unnachgiebigen Haltung der Opposition ging der Premierminister in seinen weiteren Ausführungen besonders auf die Einwände der Opposition gegen das Gesetz ein und er­klärte, es ergebe sich bei sorgfältigem Studium, daß die von der Regierung gemachten Vorschlägeweitgehende Sicherheiten und Einschränkungen" enthielten, die de« Einwänden der Opposition entgegenkämen. Er glaube, daß die Befürchtungen der Oppo­sition sich mehr auf die Durchführungsmethodeu als auf das Prinzip selbst bezögen.

Bei dem Versuch, die Opposition davon zu überzeugen, daß sich die Regierung mit dem Wehrgesetz auf einem richtigen Wege befinde, unterstrich Lhamberlain neuerdings, daß es der eng­lischen Regierung bei ihren Maßnahmen sehr stark auf die Wir­kung im Auslande ankäme, die das englische Werben um be­stimmte Freundschaften unterstützen solle. Ueber die technischen Auswirkungen des Gesetzes erklärte der Premierminster, daß nach seinen Schätzungen in diesem Jahre 200 080 Mann vom Gesetz ersaßt würden. 2n den drei Jahren des vorgesehenen Bestandes des Wehrgesetzes kämen insgesamt 888 000 Mann i« Betracht.

seine Söhne wieder aufs Schlachtfeld zu senden. Amerikas Mür­ber aber wollten nicht nochmals ihre Söhne für fremde Inter- ekle« omern.

Chamberlain bestreitet Einkreisungspolitik

London, 4. Mai. Premierminister Chamberlain erklärte am Mittwoch auf Anfrage im Unterhaus,daß keinerlei Begrün­dungen irgend welcher Art für den Vorwurf vorlägen, daß die britische Regierung zu einer Politik der Einkreisung Deutschlands übergegangen sei" (?). Unter dem Beifall des Hauses erklärte der Premierminister, daß die britische Regierung bereit sein werde, Vorschläge für einen Austausch gegenseitiger Zusicherungen mit der deutschen Regierung zu erwägen. Weiter sagte Chamberlain, daß das, was Präsident Roosevelt vorgeschlagen und der Führer angeboten habe, mehr der Aus­tausch von Zusicherungen des Nichtangriffs sei als eine Garantie auf gegenseitiger Grundlage, die erst kürzlich von der britischen Regierung Polen gegenüber abgegeben worden sei.

Der diplomatische Korrespondent derTimes" behauptet, die britischenGarantien" hätten mit Einkreisung nichts zu tun. Das gleiche wiederholtTimes" im Leitartikel, wobei sie zum Ausdruck bringt, daß die britische Regierung einen Austausch! von Zusicherungen begrüßen würde. Das Blatt kommt dann auf die Danzig-Frage zurück. Beck werde am Freitag, wie verlautet,' zumindest eine mit Deutschland gleiche Stellung für Polen in Danzig verlangen, und es sei anzunehmen, daß er bestimmte Vor­schläge machen werde. Die liberaleNews Chronicle" zeigt sich ebenfalls sehr besorgt, daß das deutsche Volk gegebenenfalls sich der Einkreisung bewußt werden könnte. Das Blatt glaubt noch immer darauf Hinweisen zu müssen, daß alle britischen Garantien" und die übergroße diplomatische Geschäftigkeit der letzten Wochen lediglichdefensive Maßnahmen" seien, die Deutschland keineswegs beunruhigen dürften, wobei es allerdings vergißt, daß hier Tatsache« leeren Worten gegenüberstehen und Deutschland aus der Vergangenheit gelernt hat, allen theoreti­schen Zusicherungen Englands mit einiger Skepsis zu begegnen.

VchL Bombenanschläge in England

Neue irische Demonstrationen gegen London

London, 4. Mai. In zwei Lichtspieltheatern von Liverpool wurden von irischen Nationalisten am Mittwoch abend während der Vorstellung Tränengasbombe« geworfen. 15 Personen muß­ten in Krankenhäusern behandelt werden. Selbstverständlich mußten beide Theater, die mit mehr als 3000 Zuschauern besetzt waren, geräumt werden. In London wurde in der Nacht auf Donnerstag von bisher unbekannten Tätern eine Bombe vor ein Geschäftshaus geworfen. Durch die Explosion wurde das .Gebäude stark beschädigt. Spät in der Nacht explodierten in 'Coventry insgesamt vier Bomben, durch die ein beträchtlicher .Sachschaden angsrichtet wurde. Auch hier wurde niemand ver­hetzt. Gegen 5 Uhr morgens wurden die Schauräume eines ^Kraftwagengeschäfts in London durch eine Bombe völlig zerstört, so daß sich im Verlauf der Nacht in England insgesamt acht Anschläge ereignet haben, die man durchweg auf eine neue aktive Widerstandsbewegung der irischen Nationalisten nach der Ver­kündung der Wehrpflicht zurückführt.

Waffengeschäst der Kriegshetzer blüht

Wieder eine französische Militärmission in USA. Washington, 4. Mai. In Washington ist eine neue amtliche französische Mikitärmission eingetroffen. Die Mitglieder dieser Mission, an der Spitze der Feldzeugmeister der französischen Ar­mee, Eavard, statteten dem stellv. Kriegsminister Johnson ihren Antrittsbesuch ab. Die Franzosen halten sich in den Vereinigten Staaten auf, um dort Rohstoffvorräte sowie Kriegsmaterial,

darunter, wie aus militärischen Kreisen verlautet, auch Flug- motore, zu kaufen.

Gegen RoosevelLs KriegspolML

Washington, 4. Mai. In Hansa-Tity tagt zur Zeit die Eens- ralkonferenz der drei amerikanischen Methodistenkirchen, die rund 20 Millionen Anhänger haben. 900 Delegierte aus aller Welt find zu dieser Tagung der größten protestantischen Kirche Amerikas erschienen. Auf der Konferenz hielt der frühere Präsi­dentschaftskandidat der Republikaner, London, eine über ganz USA. verbreitete Rede, in der er auch zu außenpolitischen Fra­gen Stellung nahm. Er forderte darin für die amerikanische Regierung strikte Neutralität. Besonders bei der Versorgung europäischer Staaten mit Rohstoffen und Kriegsmaterial müsse jede einseitige Bevorzugung des einen oder anderen Staates aufhören. In einem etwa ausbrechenden Kriege würde sonst Amerika unabänderlich genötigt werden, auf dieser Seite auch

Begegnung -er Außenminister am Eomer-See

Berteidigungsmaßnahmeu gegenüber den Ein- kreisnngsplänen

Rom, 4. Mai. Die bevorstehenden Besprechungen der Außen­minister von Deutschland und Italien stehen auch im Mittelpunkt der römischen Abendprefse, die die Bedeutung dieser Begegnung im derzeitigen Augenblick unterstreicht.

Der Direktor desGiornale d'Italia" betont, daß die Zu­sammenarbeit zwischen Liano und Ribbentrop kein außer­gewöhnlicher Vorgang sei, obwohl ihr angesichts der vielen offe­nen Fragen und verschiedenen Strömungen in Europa eine be­sondere Bedeutung zukomme. Die Begegnung habe einen doppel­ten Zweck: Einmal die in Rom, Venedig und Berlin gesam­melten Eindrücke, die Mussolini und Liano sowie Hitler und Ribbentrop b»i ihren jüngste» Besprechung« mit zahlreiche» Vertretern europäischer Regierunge« erhielten, zu Lemerre»; und zum anderen die Position der Achsenmächte gegenüber der Eiukreisungspolitik, die die großen europäischen Demokratien mit persönlicher Unterstützung Roosevelts organisierten, genauer sestzulegeu. Die internationalen Begegnungen von Rom, Ve­nedig und Berlin hätte» z» einer nützlichen Klärung der Posi­tionen und Absichten vieler Staaten geführt. Wenn auch der Einkreisungspla« nunmehr weder auf den Beitritt aller, ja «och nicht einmal der Mehrheit der europäischen Staaten rechne» könne, so verlange er deshalb nicht weniger die Wachsamkeit sowie Gegenmaßnahme« Italiens und Deutschlands. Zwar be­haupte man i» Paris und vor allem in London, daß dieser Plan keinem offensive» Zweck diene, aber sowohl seine Ziele wie seine Verfechter bewiesen das Gegenteil. Ohne sich irgend­wie aufzuregen, mußten Italien und Deutschland gegen diese» hinterlistige« Angriffsplan ihre Verteidigung orga­nisieren, die nicht nur militärischen, sonder« auch wirtschaft­lichen und politischen Charakter habe und sich nicht auf Europa beschränke, sondern auf die ganze Welt ausdehne.Die Begeg» «ung am Eomer-See ist", wie das halbamtliche Blatt abschlie­ßend betont,ein neuer Beweis für die aktive Soli­darität der beiden Achsenmächte; sie wird ihren ver­antwortungsbewußten Willen zur Wachsamkett und Abwehr be- kräftigen."

Göttng in Italien

Berlin, 4. Mai. Geueralfeldmarschall Eöring hat Mitt­wochnachmittag im Soader,«g Berlin verlasse» und traf Dou- «rstagabend zu eiuem kurzen Aufeuthalt i» Sa« Reu» ei«.

Zu Litwinow-Finkelsteins Rücktritt

Die plötzliche Beseitigung Litwinow-Finkelsteins, der seit 1930 als Nachfolger Tschitscherins an der Spitze des Volkskommissa­riats für auswärtige Angelegenheiten der Sowjetunion stand, wird von Seiten sowjetamtlicher Stellen mit keinem Wort ei­nes Kommentars begleitet. Der Rücktritt des nunmehr 63jähri- gen Außenkommissars überrascht in Moskauer ausländischen Kreisen im gegenwärtigen Zeitpunkt ganz besonders. Litwinow- Finkelstein trat im Jahre 1898 der damaligen Russischen Sozial­demokratischen Partei bei. Er betätigte sich als Revolutionär illegal in Rußland, als politischer Emigrant im Ausland. Be­reits im Jahre 1918 nach der bolschewistischen Revolution über­nahm Litwinow-Finkelstein außenpolitische Posten, zuerst im Jahre 1918 als Vertreter der Räte-Republik in London, dar­auf im Moskauer Außenkommissariat als Stellvertreter des da­maligen Außenkommissars Tschitscherin. Seit dem Jahre 1930 steht Litwinow-Finkelstein an der Spitze der sowjetrussischen Au­ßenpolitik, die er in all ihren entscheidenden Aktionen der letz­ten Jahre Eintritt der Sowjetunion in die Genfer Liga, Bei­standspakte mit Frankreich, der Tschecho-Siowakei usw. ent­scheidend beeinflußt hat.

General Groener f

Berlin, 4. Mai. Am Donuerstag starb der früher« Reichs­wehr- und Reichsinnenminisier General Groener.

Groener wurde am 22. November 1867 in Ludwigsburg (Württemberg) als Sohn eines Militärzahlmeisters geboren und trat im Jahre 1884 als Fahnenjunker in das Heer ein. Er wurde später, nachdem er die Kriegsakademie in Berlin besucht hatte, im Jahre 1899 als Hauptmann in de» Große» Eeneralst^ib versetzt und wurde 1912 Thef der Eisenbahnabteilung. Wäh­rend des Weltkrieges war er Ehef dos Feldeisenbahnwesens. Im Juni 1915 wurde er Generalmajor und im Mai 1916 militäri­scher Vorstand des neugeschaffenen Kriegsernährnngsamtes. Nach einigen anderen Stellungen wurde er im Oktober 1918 zum -Ersten Generalquartiermeister ernannt. Nach dem Kriegs be­kleidete er mehrere Posten politischer Art. So war er Reichsver« kehrsmiuister, Reichswehrminister und Reichsmnenmmister.

Kein Wort über die Hintergründe

Moskau, 4. Mai. Die Moskauer Presse vom Donnerstag nimmt mit keinem Wort zu der sensationellen Meldung über die Ausbootung Litminows Stellung. In allen Zeitungen wird das Dekret über die Uebernahme des Außenkommissariats durch den Ministerpräsidenten Molotow auf der ersten Seite veröffentlicht, während der Sowjetleser nur durch eine ganz kleine unter Chronik" erscheinende Notiz auf der letzten Seite der Blätter davon erfuhr, daß Litwinowaus eigenen Wunsch" aus seinem Amte ausschied. Die amtlichen Sowjetstellen zeigen nach wie vor äußerste Zurückhaltung und geben zu dem Ereignis keinerlei Erläuterungen.

I« London wie eine Bombe eingeschlagen

London, 4. Mai. Der Rücktritt oder die Ausbootung Litwi- nows ist die große Sensation für die Londoner Blätter. Litwi­now wird von den Londoner Blättern als derMann der kol­lektiven Sicherheit" «ud desunteilbaren Friedens" hingesiellt, ja sogar als der Vater des Gedankens der neu geplanten Tripel- Allianz. Man befürchtet jetzt, daß der Lauf der Verhandlungen durch den Rücktritt Litwinow-Finkelsteins stark, wenn nicht ent­scheidend beeinflußt wird. Der diplomatische Korrespondent des Daily Herold" meldet, im Foreign Office habe man nicht das geringste geahnt und den ersten Nachrichten über den Rücktirtt Litwinow-Finkelsteins einfach nicht geglaubt. Der diplomatische Korrespondent derTimes" betont, wie auffallend es sei, daß der Rücktritt mitten in die Verhandlungen mit England und Frankreich Hineinplatze, beeilt sich aber zu erklären, daß man von einem Umschwung der sowjetruffischen Außenpolitik noch nicht sprechen könne.Daily Telegraph" meldet aus Paris, in amtlichen Kreisen sei man sehr besorgt, denn Litwinow-Finkel­stein sei für eine Tripel-Allianz gewesen, während Molotow ge­nau die entgegengesetzte Linie vertrete.News Chronicle" meint, man könne den Rücktritt Litwinow-Finkelsteins nur in Zusammenhang bringen mit seinem Vorschläge einer Tripel- Allianz.

Aus den Schilderungen der Presse über die Verhandlungen mit der Sowjetunion geht immer deutlicher hervor, daß man englischerseits anscheinend nicht gewillt war, auf Litwinow- Finkelsteins Pläne einzugehen. So erklärt der diplomatische