s. Seite - Nr. S6
Raaolder Taqblatt .Der Gesellschafter"
Dienstag, den SS. April igzg
Ei« Brief aus dem Arbeitsdienst
Die ersten Eindrücke zu Papier gebracht
NSK. Ruprecht war von unserem Kreise der jüngste, und wenn auch nicht der lustigste, so doch immer ein guter Kerl. Nur dag er nicht immer alles mitmachte, was wir als Schüler und später in der Lehrzeit ausheckten. Er hatte oft ein kritisches Wort zur Hand, wo wir anderen unbekümmert drauflosgingen. So kam es, daß er, als der Eigenbrötler, der er immer ein wenig geblieben war, vor dem „rauhen Gemeinschaftsleben" sich öfter als nötig in seine eigene Erlebniswelt zurückzog. Er patzte, von dieser kleinen Schwäche abgesehen, durchaus in die heutige Zeit. Nun bekam ich seinen ersten Brief aus dem Lager. Er wurde vor wenigen Wochen zum Reichsarbeitsdienst einberufen.
Es ist anders, schreibt er nun, als ich gedacht und auch, als du erzählt hast. Heute hat es zu Mittag Linsen mit Wurst gegeben. Sie haben mir zum erstenmal in meinem Leben himmlisch geschmeckt. Aber man ist auch rechtschaffen müde nach diesem ersten Arbeitstag auf der Baustelle. Am Nachmittag habe ich während der Ruhezeit wie tot geschlafen — auf dem Sportplatz im Gras auf einer Decke, weil die Sonne so schön schien und wir das in der Stadt nie hatten. Es war nicht einmal kühl. Und jetzt sitze ich noch vor Zapfenstreich und schreibe.
Du erinnerst Dich, wir haben vorher oft über die Dienstzeit gesprochen. Ich habe es nachher gar nicht mehr hören wollen, wenn Du von Spatengriffen und Lorenkameradschaft und Frühstücksstullen unter blauem Himmel erzählt hast. Eure Schlagworte! habe ich gedacht. Ich mag Schlagworte auch jetzt nicht, aber vielleicht hast Du doch in manchem nicht so unrecht. Wir sind allerdings erst kurze zwei Wochen hier, aber soviel läßt sich doch schon feststellen.
Als wir bei der Ankunft auf die Stuben eingeteilt wurden, ließ unser Truppführer, dem wir nun unterstanden, die Namen aufschreiben, machte dann einen Schrank auf und zeigte uns, wie ein Spind aussehen soll und wie das Bett gebaut wird. „Wenn ihr euch danach richtet und euch zusammennehmt, können wir gute Freunde werden. Der Trupp 4 war immer der beste in der Abteilung. Und wenn ihr sonst was nicht nutzt oder jemand braucht, könnt ihr immer zu mir kommen." — Die Freiwilligen vom Winterhalbjahr, die länger dienen, erzählen, sein früherer Trupp sei für ihn durchs Feuer gegangen. Sie sind jedenfalls aber immer mit ihrem Truppführer alle zusammen ausgegangen. Die andern meinen, wir sollten das auch tun. Wir werden ja sehen, wenn es den ersten Urlaub gibt. Bisher hält man uns allerdings noch für zu „dumm", als daß wir allein aus dem Lagertor dürften.
Ich hätte übrigens nie gedacht, datz ein erwachsener Mensch wirklich noch so unbeholfen sein könnte, aber ich habe tatsächlich in diesen ersten Tagen manches nicht gekonnt und gewußt, und der Karl Strössel hat mir die ersten Male beim Vettenbau geholfen. Den Strössel kennst Du natürlich nicht. Er ist Maschinenschlosser und hat dem Truppfllhrer das alte Fahrrad, das verwahrlost im Schuppen stand, als er es beim Revierreinigsn fand, nachher in der Freistunde in Ordnung gebracht — damit er ein bitzchen in Uebung bleibt, wo doch sein Vater eine kleine Fahrradwerkstatt hat. Der Truppführer hat nichts davon gewußt. — Wir haben auch einen Förster im Trupp, d. h. er lernt es noch, zwei sind Kaufmann, einer backt sonst zu Hause bei seinem Vater Brot und Sech- § serschnecken und einer ist gerade von der Schule herunter und will nach seiner Dienstzeit auf die Hochschule. Der hat übrigens einen Rundfunkempfänger mitgebracht. Am letzten Samstag haben wir bis zum Locken Radio gehört, datz der Truppführer uns in die Betten jagen mutzte.
Heute ist es dann zur Baustelle hinausgegangen, nachdem wir schon mal „Schippübungen" gemacht hatten, weil sogar s das gelernt sein will. Es ging ja man anfangs ein bißchen ^ schwer, und Blasen an den Händen sind bestimmt kein Ge- ^ nutz, aber es wird wohl auch noch anders. Die Freiwilligen ! vom Winter haben richtige harte Hände, denen kein Schip- s penstiel mehr was anhaben kann. Wir Neuen haben heute > erst mal Schienen verlegt, zwei Mann tragen einen Schie- ! nenstotz. Beide müssen richtig dabei Zusammenarbeiten, bei- ; nahe so Hand in Hand, sonst ist das höllisch schwer und un- ! bequem, wenn man nicht im Gleichschritt geht. Nach der > Frühstückspause bin ich an der Lore eingeteilt worden. Weißt Du, Deine Loblieder auf die Lore mag ich ja nun nicht teilen, ich habe einen richtigen Muskelkater vom Bücken und Auswerfen, aber was Du Lorenkameradschaft
Roman von Klara Laidhausen.
ArheberrechtSschutz durch Verlagsanstalt Manz, Regensburg. 29. Fortsetzung. Nachdruck verboten.
Heute schritt sie nach zwölf langen Jahren nun wirklich durch sein Haus — und so vieles, was sie sah, schien sie an jenen seligen Abend zu mahnen. „Als ich dieses Haus einrichtete, da hoffte ich noch, Ditha gewinnen zu können," hatte Franz zu Ilse gesagt — und so war es auch. Dieses Haus, das für Franz und seine Mutter viel zu groß, für ihre bescheidene Art zu leben, viel zu kostbar war, dieses Haus, um das ihre Lieblingsblumen rankten, es war für sie geschaffen worden, für sie bestimmt gewesen, als geliebte Herrin darin einzuziehen.
Ein trockenes Schluchzen satz Ditha in der Kehle, ein heißer Sehnsuchtsschrei: „Oh Franz, Franz, warum hast Du mich nicht gerufen!"
Es kostete sie ungeheuere Anstrengung, weiterhin unbefangen und heiter plaudernd neben Franz' Mutter herzugehen und sie atmete auf, als diese nun endlich die letzte Türe vor ihr öffnete.
Mit einem entzückten Ausruf blieb sie auf der Schwelle stehen und ließ ihre Augen durch das reizende Gemach schweifen, das zu ihrem eigenen Gebrauch bestimmt war. Ilse hatte ihr bereits erzählt, datz Franz die Einrichtung dafür eigens in München besorgt hatte, weil ihm die Eichenmöbel des früheren Fremdenzimmers zu schwer für ein junges Mädchen erschienen waren. Nun waren da weiße Schleiflackmöbel in ganz modernen Linien, die sich schmeichelnd an das weiche Lavendelblau der Wandbespannung schmiegten. Hauchzarte blaue Seidenvorhänge fielen über duftigen weißen Mull und hüllten den ganzen Raum in ein weiches, leise verschwimmendes Licht. Während die eine Hälfte des geräumigen Zimmers als Schlasraum eingerichtet und durch
nennst, damit hast Du recht, und ich bin froh, -atz die andern, die mit dabei sind, alle in Ordnung find und ihr Teil ohne Murren schippen. Der Joggl, er stammt aus Süddeutschland, schippt sogar wie für zwei, dafür ist er auch Bauernsohn und sonst den ganzen Tag an der Arbeit — der Arbeitsdienst sei für ihn direkt eine Erholung, meint er. Die beiden „Schreiber" schaffen übrigens nicht so viel. Einer von ihnen — wir haben unsere beiden Kaufleute so getauft — hat neulich ein Paket von zu Hause bekommen. Das hat er natürlich teilen müssen, wenn er auch erst nicht gleich heran wollte. Aber der Karl Strössel hat sein erstes Paket doch auch gleich verteilt, und der hat doch wirklich nicht mehr zu Hause. Ja, so geht das bei uns im Trupp.
Du wunderst Dich, datz ich so viel schreibe. Aber Du verstehst mich sicher. Du hast möglicherweise zu schön von Deiner Arbeitsdienstzeit erzählt, weil die Erinnerung immer schöner macht; aber soviel habe ich jetzt schon weg: es ist gut, datz alle hierher kommen und die Schippe in die Faust nehmen und Loren schieben und ihre Bude selber fegen! Man sieht doch, was man alles kann, und datz schließlich keiner zu etwas zu gut oder zu schlecht ist, und das macht mächtig stolz. Und weil wir das hier sind, auf die ganze Stube zusammen zunächst und dann auf den Zug, auf die Abteilung und so weiter, deshalb schreibe ich Dir das. Und damit ihr wißt, wie wir hier denken.
Es „lockt" gerade. Ich mutz aufhören, weil ich noch Stubendienst habe. Grütze alle zu Hausa
Heil Hitler! Dein R.. -
Man sieht dem Brief an, datz er mit Mühe — denn wer schriebe, wenn er den Tag über schwer heranmutzte, ohne Mühe vier Seiten — hingeschrieben wurde und der Bleistift manchmal nicht recht weiter wollte. Aber er mutzte woh' geschrieben werden. Und weil er Kunde gibt von dem, wa-> jeder junge Arbeitsmann erlebt, deshalb steht er hier und deshalb sollte er von allen Freunden, Bräuten, Eltern und Bekannten unserer jungen Arbeitsmünner gelesen werden
H. I. S.
Ellernehrgeiz und Kinderbegabung
Ein Kapitel zur Erziehungslehre vonFritzHocke.
Unter der Fülle von Erziehungsfehlern, die seitens der Eltern oft aus mangelnder Einsicht, dabei aber — was nicht geleugnet werden soll — in bester Absicht begangen werden, ist im besonderen der elterliche Ehrgeiz zu nennen, der zu überspannten Forderungen an das Kind führt, denen es nicht gewachsen ist. Es erscheint einleuchtend, datz die sich naturnotwendig einstellenden Mißerfolge das kindliche Selbstvertrauen erschüttern müssen, wobei die spätere Lebenstüchtigkeit oft nicht unwesentlich herabgesetzt wird.
Manche Eltern können es nicht erwarten, ihr Kind so frühzeitig wie möglich zur Schule zu schicken, und in jenen Fällen, in denen es das sechste Jahr noch nicht erreicht hat, wird durch Eingabe der zeitigere Schulbesuch durchgesetzt. Wenn es sich nicht gerade um frühreife Kinder handelt, versagt dieser Versuch in der Regel kläglich —, das Kind kommt mit dem Lernstoff nicht nach, mutz wieder aus der Schule genommen werden oder im nächsten Jahre die Klaffe wiederholen. Es ist klar, datz hierdurch sein Mut zu sich selbst und sein Selbstvertrauen eine wesentliche Erschütterung erfahren; außerdem wird damit unwillkürlich der Boden zur Festlegung eines Minderwertigkeitsgefühles bereitet. Das Kind, das aus der Schule herausgenommen werden mutzte, um das nächste Jahr wieder neu zu beginnen, wird sich, durch den mißlungenen Versuch eingeschüchtert, unwillkürlich fürchten, wird, von Zweifeln in seine Leistungsfähigkeit bedrängt, die Schule als einen Ort des Grauens betrachten, und es wird ihm oft nur durch Nachhilfestunden über diese Schwierigkeiten hinweggeholfen werden können. Es handelt sich dabei fast immer um Kinder durchschnittlicher Intelligenz, die ohne den Schock des zu frühen Schulzwanges zweifellos den an sie gestellten Forderungen entsprochen hätten. Bleibt ein Kind aus dem eben erwähnten Grunde zurück und mutz es die Klasse wiederholen, wird gleichfalls seine Eelbstsicherheit untergraben; sehr wahrscheinlich ist es auch noch den Hänseleien feiner Mitschüler ausgefetzt, die auch nicht geeignet sind, seine seelische Entwicklung zu fördern.
Andere Eltern wieder wollen frühzeitig das kindliche Spiel einfchränken. wenn nicht überhaupt einstellen, und sie
eine Schiebetüre mit einem eigenen Bad verbunden war, war die größere übrige Hälfte um eine Stufe erhöht und mittels einer sehr schön gearbeiteten Holzbalustrade bis aus einen breiten Durchgang für sich abgeschlossen. Hier bedeckte ein schwerer, ebenfalls auf den blauen Erundton abgestimmter Teppich den ganzen Boden. In der geräumigen Ecke zwischen den beiden Fenstern stand ein bequemes Ruhebett, auf dem runden Tisch daneben eine elektrische Stehlampe mit orangefarbenem Seidenschirm. Ein kleiner Damenschreibtisch mit Bllcheraufsatz vervollständigte das Mobiliar. Der eine Flügel der großen Glastllre stand offen und gab den Blick auf die Altane frei, wo zierliche Korbmöbel mit bunten Kissen ein reizendes Plätzchen im Freien schufen.
„Sie sind hier völlig ungestört," erläuterte Frau Hor- mann, als sie mit Ditha hinaustrat. „Die Altane stößt mit der einen Seite an den Erker, die andere hat mein Sohn mit dieser dichten Efeuwand abschlietzen lassen, damit unsere Gäste das angenehme Gefühl hätten, ganz für sich zu sein. — Und nun will ich Sie ein wenig allein lassen. Franz wird sich sehr freuen zu hören, datz Ihnen das Zimmerchen Freude macht. — Wenn Ihr Gepäck kommt, werde ich es Ihnen sofort schicken."
Sie war von Ditha geleitet wieder in den Schlafraum hinuntergestiegen und öffnete nun zwei der bespannten Wandflächen. „Hier sind Schränke, wo Sie Ihre Sachen wohl unterbringen werden. Um Uhr essen wir — ganz zwanglos, ohne besondere Toilette."
Sie reichte Ditha die Hand und wieder zog diese, ehe die alte Dame es hindern konnte, die welken Finger an den Mund. „Ich möchte Ihnen danken für alles, was Sie mir hier bieten, Frau Hormann. Was für unendlich gütige Menschen sind Sie beide, datz Sie einer völlig Fremden so ent- gegenkommen!"
Mit warmem Druck hielt Frau Hormann Dithas Hand umschlossen. „Ilses Freundin ist uns keine Fremde, liebes Kind! Und Sie haben in Ihrer Jugend schon so viel Schweres ^ durchmachen müssen, datz wir Sie das gern ein wenig ver- j
verlangen von dem Kind, besonders wenn es zur Schule geht, datz es sich vor allem mit seinen Büchern beschäftigen soll. Gewiß, Lesen ist eine an sich sehr nützliche Angelegenheit, aber, es darf nicht übersehen werden, auch eine einseitige! Auch das Schulkind bleibt immer noch ein Kind, und wenn es nicht „verspielt" ist, sollte man ihm stets seine freie Zeit zu Spielen nach seinem eigenen Gutdünken lassen. Es ist auch keineswegs günstig, wenn Eltern und Erwachsene ihm ihre eigenen Einfälle und Ideen aufzwingen wollen, statt es frei gewähren zu lassen; denn das Kind greift aus einem feinen Instinkt heraus selbst nur zu solchen Spielen, die es zu seiner Entwicklung benötigt. Außerdem entspringen sie einem Tätigkeitsdrang, der nicht gehemmt, sondern nur, selbstverständlich unter Beobachtung bestimmter Grenzen, gefördert werden sollte. Man weift mit Recht darauf hin, datz nicht jene Kinder in späteren Jahren am meisten leisten, die am frühesten zu ernster Arbeit herangezogen wurden, sondern im Gegenteil solche, die am längsten und ausgiebigsten spielen durften. Aber die Eltern wollten unbedingt ein „gescheites" Kind, und so hat es schon in sehr jungen Jahren außer den Schulstunden noch Privatunterricht über sich ergehen zu lassen, mutz Klavier üben oder das Eeigenspiel erlernen, Sprachstunden nehmen —, Dinge, die es in der überwiegenden Zahl der Fälle noch gar nicht interessieren und von seinen kindlichen Spielen abhalten. Unter diesen Umständen erscheint es nicht verwunderlich, wenn sich das Kind instinktiv gegen diese Mehrbelastung auflehnt, sich entweder in die „Nervosität" flüchtet, d. h. Beschwerden nervöser Natur entwickelt, die ihm ein Ausweichen vor den überspannten Forderungen gestatten oder aber, datz es — in den günstigeren Fällen — versucht, seine Persönlichkeit nicht knicken zu lassen, sich doch auf seine Weise austobt, wenn auch für gewöhnlich am Unrechten Ort und unter Vernachlässigung seiner Pflichten.
Wieder in anderen Fällen haben die Eltern den Ehrgeiz, ihr Kind zu einem „Musterkind" zu erziehen —, als Krone der Erziehungskunst erscheint ihnen das „artige Kind", das im Grunde zu einem willenlosen Werkzeug elterlichen Erziehungswillens herabgedrückt worden ist. Ständige Zurufe wie: „Steh' doch gerade!", „Wie sitzt du denn wieder?" und andere mehr sind nur dazu angetan, dem Kinde den letzten Rest von Selbständigkeit zu nehmen —, das Ziel wird erreicht: „Ein artiges Kind!" werden alle sagen, doch der tiefer Beobachtende wird hinzufügen: „aber lebensuntüchtig!"
Es ist leicht begreiflich, datz ein Kind durch derartige ständige Ermahnungen ganz allmählich zu einer automatischen Selbstkontrolle erzogen wird, datz es auch im späteren Leben nie frei und selbstsicher eine Entscheidung treffen, sondern diese stets von einer Anzahl langwieriger Bedenken und Erwägungen abhängig machen wird. — Aehnliche Fälle ergeben sich auch später oft, wenn das Kind durchaus eine höhere Schule besuchen sott, für die es nicht das Interesse, nicht die geistigen Vorbedingungen mitbringt oder aber, wenn es nach langwieriger Erkrankung gezwungen wird, einen Unterrichtsstoff in kürzester Zeit nachzuholen.
Vielfach ist das „einzige Kind" der Spielball ehrgeiziger Wünsche seiner Eltern, die beim Aufscheinen selbst des unbedeutendsten Talentes gleich Großartiges erwarten, sei es im Zeichnen, in Musik, Gesang oder Verseschmieden —, gleich wird, wenn möglich ein Professor bemüht, der das „Talent" des Kindes zur Genialität ausbilden soll. In den meisten Fällen scheitert der Versuch jedoch kläglich —, das Kind, das für den Eenialitätsfimmel nicht viel übrig hat, sucht sich dann häufig durch Ausreden zu retten. Die Eltern, die ihr Kind zuerst überschätzt haben, sind nun enttäuscht und bringen im allgemeinen nicht soviel Einsicht auf, um ihre Eitelkeit zu unterdrücken, strafen das Kind plötzlich und unverdientermatzen mit Mißachtung..., kein Wunder, wenn sich alle diese Momente ungünstig auf die kindliche Perfönlichkeitsentfaltung auswirken.
Es ist eine bezeichnende Tatsache, datz Eltern vielfach nur von „unserem Kinde" sprechen und damit einen ausschließlichen Besitz ausdrücken wollen, was aber keineswegs zutreffend ist. Das Kind gehört im Grunde genommen der Gemeinschaft, welche die Eltern gleichsam zur Vormundschaft eingesetzt hat. Sie tragen darum auch ihr. sowie dem Kinde gegenüber die Verantwortung, es für das Leben derart vorzubereiten, datz es später auf sich selbst gestellt sein kann. Es hat keinen Zweck und führt nur zu schwerwiegenden Charakterfehlern, das Kind aus unangebrachtem Ehrgeiz heraus in seinen natürlichen Lebensbedürfnissen zu hemmen und es dadurch zu Unselbständigkeit und Lebensuntüchtigkeit zu erziehen.
gessen machen möchten. Wenn man noch so jung ist, ist es schwer, so ganz allein in der Welt zu stehen. — Aber nun sind Sie ja in der Nähe Ihrer lieben Freundin und . . ."
„Bei Ihnen!" ergänzte Ditha innig. „Nein, nun bin ich nicht mehr allein!"
Nun bin ich nicht mehr allein! Das Wort klang in Ditha nach, als sich die Türe hinter der alten Dame geschlossen hatte. Mit tiefem Aufatmen trat' sie in das Zimmer zurück und ließ sich auf dem Ruhesofa nieder. Auf dem polierten Tischchen neben ihr stand eine flache Kristallfchale voll Klematisblüten. Die lieben Hände, die ihr diesen Blumengruß hierhergestellt hatten, hatten die blauen Blüten wohl nur gewählt, weil sie so wundervoll mit der Tönung der Wandbespannung und dem zarten Blau der Gardinen harmonierten. — Ein Zufall, datz es gerade ihre Lieblingsblumen waren? — Nein, Ditha mochte nicht daran glauben! Ihre ganze Seele neigte — obwohl sie sonst nicht im mindesten von mystischen Anwandlungen heimgesucht war — in diesem Augenblick dazu, diese Blumen als glückverheißendes Omen zu deuten.
Sie senkte das heiße Gesicht auf die Schale und ihr Mund ruhte einen Augenblick zärtlich kosend auf den blauen Sternen, die vielleicht Franz' Hände für sie gepflückt hatten.
„Nein, nun bin ich nicht mehr allein!" Wie ein Rausch von Glück strömte die Bedeutung dieses Wortes erneut über sie hin. „Ich bin bei Dir, Franz, bei Dir!" —
Was für ein rätselhaftes Ding ist doch das Frauenherz! — Da satz sie nun die reiche, vielbeneidete Edith Günther, und alles, was die letzten Jahre ihr in selten gütiger Eebe- laune in den Schoß geworfen hatten, war zu einem armseligen Schemen verblaßt gegenüber dem allmächtigen Glücksgefühl, das sie jetzt durchströmte. Sie war auf der Sonnenhöhe des Lebens gestanden — nun erschien es ihr, als habe sie immer im Schatten gelebt.
(Fortsetzung folgt.)