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«ovo Hektar dem Meer abgermgeu
Trotze Laudeskulturarbeiten a« der Westküste Schleswig- Holsteins
Non der Höhe der sich mehrere hundert Kilometer an der schleswig-holsteinischen Westküste entlangziehenden Seedeiche überblickt der Beschauer landeinwärts fruchtbares, ebenes Land, das vielfach von einem Vinendeich abgegrenzt ist. Dieses zwischen Binnen- und Seedeich gelegene Marschgebiet ist ein sogenannter Koog; ehemals war dieses Land Meeresboden, der später von Menschenhand dem Meere abgerungen wurde. Seewärts zu scheint der Blick in unendliche Weite zu gehen, höchstens im Norden des Gebietes unterbrochen von den vorgelagerten Inseln oder Halligen. Zur Ebbezeit wird der Beschauer aber vergeblich nach dem Wasser ausschauen. Es hat sich weit zurückgezogen und in 20—40 Kilometer Breite das Watt freigelegt, eine große, graubraune Fläche, aus Schlick und Sand bestehend. Hier an der Küste spielt sich seit einem Jahrtausend der Kampf ab zwischen Mensch und Meer. Zwar sind im 18. und 19. Jahrhundert durch den Gegenangriff des Menschen schöne Erfolge erzielt worden. Doch handelte es sich fast immer um Einzelmaßnahmen, die nach örtlichen Bedürfnissen ausgerichtet waren. So sind Rückschläge nicht ausgeblieben. Konnte auf der einen Seite Neuland gewonnen werden, so sind auf der anderen Seite die Angriffe des Meeres oft um so stärker geworden, oder der Abfluß des Wassers vom Festland nach dem Meer wurde durch die Neulandgewinnung erschwert und dadurch der Kulturzustand des Küstenfestlandes in seinem Werte herabgesetzt.
Jede Arbeit zur Landgewinnung muß ausgehen vom Ge- danken der Einheit des Gebietes. Diese Erkenntnis und das dadurch bedingte einheitliche Vorgehen konnte praktisch aber erst verwertet werden, nachdem mit der Machtübernahme eine starke Führung alle hier erforderlichen Arbeiten in die Hand nahm. An die Stelle örtlicher Bedürfnisse trat der volkswirtschaftliche Gesichtspunkt, nicht nur Neuland zu gewinnen, sondern den alten Bestand in seiner Qualität zu erhalten und zu verbessern. So wurde bereits im Jahre 1933 ein Zehnjahresplan aufgestellt, der alle drei großen Gebiete umfaßte, nämlich Küstenschutz, Landgewinnung und Wasserwirtschaft in den Marschen. Älle hierfür erforderlichen Maßnahmen wurden im Zehnjahresplan sorgfältig aufeinander abgestimmt. Um welche Werte es hier geht, zeigt allein der finanzielle Voranschlag, der sich für die zehn Jahre auf 149 Mill. NM. beziffert, wozu noch als besonderer Teil für die Bodenverbesserung und Ertragssteigerung in den Marschen ein besonderer „Vierjahresplan der Westküste" mit einem veranschlagten Aufwand von 50 Mitl. RM. hinzukommt.
In den ersten fünf Jahren seit der Machtübernahme sind für Landgewinnungszwecke 546 Kilometer Buschlahnungen gebaut worden. Es wurden 20 600 Kilometer Erüppen mit einer Bodenförderung von 9,3 Mill. Kubikmeter ausgehoben und rund 8,4 Millionen RM. für sie aufgewendet. Rund 25 000 Hektar Watt- und Vorlandflächen wurden bearbeitet. Die gesamte, seit 1933 gewonnene Neulandfläche kann heute auf annähernd 6000 Hektar geschützt werden. Der größte, im Jahre 1935 fertiggestellte Adolf- Hitler-Koog besitzt allein eine eingedeichte Fläche von 1333 Hektar. In den 6 großen, bis 1937 fertiggestellten Kögen wurde für 149 Bauern und 83 Arbeiter und Handwerker eine neue gute Lebensgrundlage geschaffen.
Eine besondere und oft recht schwierige Arbeit erfordert der Deichbau. Für die erwähnten 6 Köge wurden Seedeiche in einer Gesamtlänge von 32,4 Kilometer gebaut. Die gesamte Seedeichlänge, die seit 1933 errichtet wurde, hat bis Ende 1937 52,5 Kilometer erreicht. Außer dem Vau neuer Seedeiche hat sich die Verstärkung der Seedeiche an verschiedenen Stellen, an denen sich Mängel ergeben haben, als notwendig erwiesen. Auch bei diesen Deichverstärkungen, die zum Teil in Arbeit, zum Teil schon beendet sind, handelt es sich um ein Millionenobjekt.
Während es sich bei den erwähnten Buschlahnungen darum handelt, im Watt kleine Felder zur Beruhigung des Masters anzulegen, werden durch große Dammbauten im
Nagolder Lagvlatt „Der Gesellschafter*
Wattenmeer ruhige Zuchten geschaffen, in denen die an der Küste entlangfließenden Eezeitenströme abgeschnitten werden. Sie kommen dadurch zur Ruhe und lagern den mitge- fllhrten Sand und Schlick ab. So wertvoll die Landgewinnungsarbeiten sind — und besonders in den ersten Jahren im Vordergrund standen, so handelt es sich bei den großen Plänen der Landeskultur, die jetzt mit allen Mitteln gefördert werden, noch um weit größere Flächen. Sie sind volkswirtschaftlich von besonders hohem Wert, da sie in kurzer Zeit schon praktisch zur Erweiterung unseres Nahrungsraumes sich auswirken. Im ganzen handelt es sich um die Verbesterung von über 100 000 Hektar Land, das bisher infolge schlechter Entwässerung keine oder nur sehr geringe Erträge brachte.
Die intensiven Erfahrungen bei den Arbeiten an der Küste haben zu wertvollen neuen Erkenntnissen geführt, die insbesondere die Landgewinnungsarbeiten zu beschleunigen geeignet sind. Wie Hans Pfeiffer in der Zeitschrift „Die Westküste" schreibt, haben Forschungsarbeiten ergeben, daß es in vielen Fällen nicht nötig sein wird, mit Neueindeichungen zu warten, bis das Vorland nach dem bisherigen Begriff deichreif geworden ist. Es hat sich gezeigt, daß eine Wattfläche, wenn sie mit der erforderlichen Schiickschicht bedeckt ist, nach der Eindeichung bei sachgemäßer Bearbeitung in wenigen Jahren einen ebenso guten Marschboden ergeben wird wie begrüntes Vorland. Durch diese Erkenntnis werden für die Bedeichungen neue weitgehende Aussichten eröffnet. So werden auf Grund dieser Ergebnisse voraussichtlich schon in den nächsten Jahren Wattflächen von zusammen 15 000 bis 20 000 Hektar mit guten Erfolgen bedeicht werden.
Mit großer Energie ist man seit 1933 an der Westküste Schleswig-Holsteins dabei, dem großen Landhunger des deutschen Volkes im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten zu begegnen. Die Maßnahmen, die auch in den kommenden Jahren fortgesetzt werden, verdienen daher nicht nur von den Küstenbewöhnern, sondern vom ganzen Volk beachtet zu werden. Sie dienen dazu, unseren Nahrungsspielraum zu erweitern und neues Land zur Seßhastmachung von Volksgenosten zu schaffen. H. I. M.
Wirtschaft
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Tie Reichsbanr w»»»te April
Der Ausweis der Reichsbank vom IS. April 1939 läßt eine im großen und ganzen wieder normale Entwicklung in der zweiten April-Woche erkennen. Die gesamte Kapitalanlage der Reichsbank hat sich in der verflossenen Bankwoche um 276 Mill. auf 8S33 Mill. RM. verringert. Die Bestände an Gold stellen sich unverändert auf 70,8 Millionen RM.. diejenigen an deckungsfähigen Devisen haben um 0,3 aus 5,9 Millionen RM. zugenommen. Der Umlauf an Reichsbanknoten hat sich um 379,4 Millionen auf 7785.8 Millionen RM., an Rentenbankscheinen mu 3 Millionen auf 376 Millionen RM. vermindert.
Die Zahl der beschäftigten Männer hat sich in Deutschland von Ende März 1938 bis Ende März 1939 um 4,9 v. H. vermehrt, die Zahl der beschäftigten Frauen dagegen um 8,6.
Spareinlagensteigerung im März. Die deutschen Sparkasten, Eirokassen und Kommunalbanken können nach dem Ergebnis der Monatsausweise für den Monat März wieder auf eine erfreuliche Zunahme der Spareinlagen Hinweisen. Einschließlich der Zinsgutschriften und sonstigen Veränderungen haben sich die Spareinlagen um 136,7 Millionen RM. erhöht. Das Sparergebnis liegt zwar aus jahreszeitlichen Gründen unter dem Ergebnis des Monats Februar, der Einzahlungsüberschuß in Höhe von 104,2 Millionen RM. lag aber um 16,5 Millionen RM. über dem des März 1938 (Zahlen gelten für das Altreich). Auch die Rückzahlungen sind gestiegen, aber nicht in dem Ausmaße wie die Einzahlungen. Die Spareinlagen allein betragen damit nunmehr innerhalb des Altreiches 18,57 Milliarden RM. Unter Einschluß der sonstigen Gläubiger ergibt sich ein Gesamtbestand in Einlagen in Höhe von 21,7 Milliarden NM., der damit um mehr als 2,4 Milliarden RM. über dem Stand Ende März 1938 liegt.
Nach der Vrandschadenstatistik der privaten Feuerversicherungsunternehmungen Eroßdeutschlands sind im Februar d. I. 24 981 Brandfälle mit einem Wertverlust von 7,28 Millionen RM. gemeldet worden. Auffallend ist die hohe Anzahl der Großschäden. Es sind allein 3,35 Millionen RM. durch 31 Großschäden verlorengegangen. Gegenüber dem Vorjahre ist die Schadensumme innerhalb des Altreiches um 26 v. H. gestiegen. Von den 7,28 Millionen RM. Eesamtschäden entfallen allein 4,31 Millionen RM. auf die industrielle Versicherung.
Donnerstag, den 20. Avril 193 9
Daimler-Benz AE., Stuttgart. Die Daimler-Benz AE hat auch die Ergebnisse des Geschäftsjahres 1939 in erster Linie zur weiteren Erhöhung ihrer Leistungsfähigkeiten angewandt stu Investitionen wurden 29,4 (24,9) 'Mill. RM. aus'gegeben. Die Anlageabschreibungen betrugen 25,2 (25,6) Mill. RM. Daneben konnte auch die innere Stärkung fortgesetzt und außerdem dem llnterstützuswsfonds für die Gefolgschaft wieder ein Betrag von 2 Mill. RM. zugeführt werden. Aus dem mit 2,5 Mill. RM. (wie i. V.) ausgewiesenen Reingewinn soll der am 16. Mai in Stuttgart-Untertürkheim stattfindenden HV. die Verteilung einer Dividende von wieder 7,5 Prozent vorgeschlagen werden, die einen Betrag von 1,95 Mill. RM. erfordert und in voller Höhe bar zur Ausschüttung gelangt. Der Umsatz stieg von 367 Mill RM. im Jahre 1937 auf 396 Mill. RM.' in 1938, woran das Auslandsgeschäft wieder einen namhaften Anteil hatte. Die Summe der Löhne und Gehälter betrug 103 (93) Mill. RM., für gesetzliche soziale Leistungen wurden 7,5 (6.8) Mill. RM. für freiwillige Leistungen 4,6 (2,8) Mill. RM. ausgegeben, Steuern erforderten 22,7 (20,6 Mill. RM. Zur Verstärkung der eigenen i Kapitalbasis soll, nachdem die behördliche Genehmigung erteilt ist. nunmehr die von der vorjährigen HV. beschlossene Kapitalerhöhung um rund 13 Mill. RM. durchgeführt werden. Die neuen Aktien sollen mit Eewinnberechtigung ab 1. Januar 1939 ausge- j stattet und den bisherigen Stamm-Aktionären im Verhältnis von 2:1 zu einem noch festzusetzenden Kurse zum Bezüge angebo- ! ten werden.
Bleicherei, Färberei und Appreturanstalt Uhingen AG. Die Bilanz verzeichnet bei einem AK. von (unv.) 0,81 Mill. RM. einen Reingewinn einschl. Vortrag von 95 390 (111597) RM., der die Verteilung einer Dividende von wieder 6 Prozent gestattet.
Spinnerei und Weberei Pfersee A.-E. Wie im Bericht über das Geschäftsjahr 1938 ausgeführt wird, konnten bei der Spinnerei und Weberei Pfersee Augsburg die Betriebe während des ganzen Jahres bei erhöhter Produktion voll beschäftigt werden.
In erheblichem Maße wurde die Verarbeitung von Zellwolle gesteigert. Die Dividende beträgt 8 Prozent. Die Spinnerei und Weberei Kempten erzielte einen Reingewinn (12 000 RM. zuzüglich Vortrag von 59100 RM.) von 71100 RM Dieser Betrag wird vorgetragen. Die Baumwollspinnerei Unterhausen A.-G^ deren AK. ebenso wie das der Spinnerei Kempten bei „Pfersee" liegt, verteilt für 1938 auf das Kapital von 1,8 Mill. RM. eine Dividende von 8 Prozent.
Buntes Allerlei
Autonummern in der Ostmark
Um Verwechslungen vorzubeugen wurden nunmehr für die Ostmark folgende Auto-Kennzeichen festgelegt: Wien W, Nieder- Lonau Nd, Oberdonau Od, Salzburg Sb, Tirol und Vorarlberg TV, Steiermark St und Kärnten Kt. Die dem Altreich angeglichenen rechteckigen Tafeln zeigen Heimatgau und Wagennummer in schwarzer Schrift auf weißem Grund. Die neuen Tafeln gelangen ab 20. d. M. zunächst bei der Neuausfertigung von Kennzeichen zur Ausgabe. Im Verlauf eines weiteren halben Jahres werden dann die bisherigen alten Kennzeichen an den übrigen Wagen gegen die neuen umzutauschen sein.
Französische Regierung unter Anklage
Die Vereinigung der Taubstumen in Frankreich hielt in diesen Tagen in Metz ihre Jahres-Hauptversammlung ab. Sie mündete in einem scharfen Protest gegen die französische Regierung aus, die in den letzten Jahren die Rechte der Taubstummen vernachlässigt und geschmälert habe. Die Delegierten forderten die Beschäftigung von Taubstummen in verschiedenen Regierungsbüros und vor allem Erleichterungen für die Schulausbildung der taubstumen Kinder. Der gegenwärtige Zustand wurde als eine Verletzung des Gesetzes von 1882 durch die Regierung gebrandmarkt. In dem fraglichen Gesetz ist sämtlichen Kindern in Frankreich eine freie Erziehung garantiert worden.
Das Gehalt des Staatspräsidenten
In Paris wird darüber diskutiert, ob das Gehalt des wiedergewählten Staatspräsidenten zu hoch oder zu niedrig sei. Es beträgt jährlich 3,6 Millionen Franken. Eine Pariser Zeitung vertritt die Meinung, daß dieses Gehalt außerordentlich gering sei, selbst wenn man die 960 Franken, die Staatspräsident Albert Lebrun jährlich von dem Miniatur-Staat Andorra erhält, noch hinzurechnet. Zur Zeit des Goldfranken erhielten Ludwig XV- und Ludwig XVI- jährlich 25 Millionen Franken. Das Einkommen Napoleons in seiner Glanzzeit erreicht« die gleiche Höhe. Ludwig XVIII. bezog jährlich sogar 38 Millionen Franken, während sich Louis-Philippe mit 19 Millione begnügte.
Späte Heimkehr
Erzählung vonBernhardFaust.
' Als sie sich im Tanzsaal trafen, erkannte weder Anna den feinen Herrn wieder noch Karl das große, stämmige Mädchen. Dabei hatten sie auf einer Schulbank gesessen, freilich vor Jahren. Inzwischen hatte sich manches geändert, und erst im Gespräch stellte sich heraus, daß Karl, ein gelernter Schmied, aus demselben Dorf stammte, wo Annas Eltern aus Hofarbeit gingen.
Karl verzog spöttisch die Lippen, als er Anna davon erzählen hörte. Sie schwärmte ja, und ihn hatte alles das von daheim vertrieben: das Gut, das alle erdrückte, die kleinen Verhältnisse, der Armleutegeruch. Vom Erünfuttermähen bis abends zum Einstreuen mußte man sich schinden, daß die Zunge zum Halse heraushing und die Knie zitterten. Da war doch in der Großstadt ein anderes Leben. Man verdiente so viel in der Woche wie der Verwalter daheim im ganzen Monat, hatte pünktlich seinen Feierabend, und wenn man sich am Sonntag in die Kluft warf, gab es keinen Unterschied zwischen hoch und gering.
„Da sparst du wohl recht viel?" fragte Anna. Sie bewunderte sein flottes Aussehen, seine freie Art.
Er lachte. „Sparen, das ist nichts für unsereins! Wir Städter halten auf Umsatz, denn wenn die Woche um ist, klimpert es ja wieder in der Tasche."
Das war ihr etwas Neues. Selbst in dem Haushalt, wo sie als Zimmermädchen diente, rechnete man mit dem Pfennig, und Anna fand es in der Ordnung. Karl war also ein Mensch, der einer anderen Ansicht huldigte, und er tat es mit einer dreisten Fröhlichkeit, die sie entzückte.
Karl fühlte sich geschmeichelt; dieses schwere, blonde Ding war so der rechte Happen für ihn, und er prahlte lustig weiter. Als Autoschlosser verdiene er genug, um es mit jedem aufzunehmen, außerdem erhalte er als Tankwart — die Stelle war der Werkstatt angegliedert — reichlich Trinkgelder. Wenn sie wolle, fahre er sie mit dem neuen Wagen des Meisters einmal aus, für eine Jugendfreundin wage er alles.
„Aber du hast wohl schon einen Schatz?"
„Ach nein", sagte Anna und zupfte an ihrem Kleid.
I ,,'ica also!" lacyre er.
Sie war glücklich. Endlich hatte sie einen Menschen gefunden, mit dem sie von der Heimat erzählen konnte. Da war die Herrschaft vom Rittergut, waren Pastors und Kantors, tausendfache Erinnerungen, von denen sie ihre Seele nährte; da war die Arbeit, das Vieh, der Acker, die Wiese, wo sie als Kind gearbeitet hatte, und nichts war ihrer Freude zu klein und alltäglich. Neulich hatten ihre Eltern geschrieben, daß in diesem Jahr das Korn reichlich schütte, darum würde auch das Deputat reichlich ausfallen, und sie hatten sich daraufhin noch eine Ziege gekauft.
Karl gähnte, ihr Geplapper machte ihn verdrießlich. Erschrocken fragte sie: „Du schreibst wohl nicht an deine Leute?"
„Sollte mir einfallen!" knurrte er wütend.
Sie schwieg, von seiner groben Antwort ernüchtert. Dach alles war wieder gut, als er sie an sich zog: „Pfeif draus, Mädel!"
So war es stets, so blieb es, wenn sie das Gespräch zu einem tieferen Sinn führen wollte. Seine Oberflächlichkeit sträubte sich gegen Alltagsschwere und Sonntagsfeierlichkeit. Zuweilen zeigte er Launen, wenn Anna dann widersprach. In der letzten Zeit wurde er sogar kühler, kam selten, ließ sie warten, und manchmal lieh er sich einige Mark. Tws aber war, als sie ihn längst liebte.
Sie vertraute ihm völlig. War Karl nicht aus ihrer Heimat? Daß er nicht kam, konnte seine Gründe haben, und Anna war zu stolz, um sich ihm auszudrängen. Aber dann sah sie sich doch gezwungen, auch auf diesen Stolz zu verzichten. Eines Abends suchte sie ihr Handtäschchen hervor und machte sich auf den Weg zu ihm. Vor Tränen, vor Schmerz, vor Bestürzung wußte sie kaum, wohin sie ging.
Karl war sprachlos, als sie ihm alles gestand. Er zieh sie der Lüge. Dann schluchzte er und bat, sie möge ihn nicht unglücklich machen. Aber Anna blieb fest, und fest hielt sie ihn, bis sie ein Paar wurden.
Dann kam das Kind, ein schwaches, hilfloses kleines Wesen, das alle Aufmerksamkeit forderte. Karl gewann seine v^lorene Freiheit wieder und holte erstaunlich schnell nach, ^vas er anscheinend verpaßt hatte. Ahnungslos ließ ihn Anna gewähren, weil er gutmütig die Einschränkungen auf > sich nahm, die das Kleine verursachte. Erst als er einige- j mal betrunken nach Hause kam, wurde sie unruhig und wachsam, und dann erfuhr sie alles....
I Karl hatte, um sich ein leichtes Dasein zu gönnen, hier und da eine Arbeit mit seines Meisters Material auf eigene Rechnung übernommen, auch Einnahmen falsch verbucht — kurzum, der Meister drohte mit der Anzeige.
Anna ging den Weg des Leides, den sie schon einmal gegangen war, zum zweitenmal. Sie bat den Meister um Aufschub, ja, sie entschuldigte ihren Mann und log, er habe das Geld für sein Kind verwendet. Der Meister hatte ein verständiges Herz. Ihr zuliebe wolle er von dem Schlimmsten absehen, zur Bedingung aber mache er, daß die Summe ersetzt werde.
Es waren einige hundert Mark. Anna geizte mit jedem Pfennig, bis die Schuld beglichen war. Es war ein Freudentag, als sie sich von dieser Sorge befreit fühlte, und nun schien das Leben wieder begehrenswert.
Dann schrieb sie nach Hause, und nicht lange ließ die Antwort auf sich warten; sie gewährte mehr, als Anna erwartet hatte.
Karl heulte vor Wut, als ihm Anna sagte, wozu sie sich entschlossen hatte. Sie erwiderte ruhig, er könne wählen: entweder sie oder die Stadt. Aber war er der Stadt gewachsen? Widerstand er ihren Versuchungen? Wie sie ihm, hatte er dem Schein vertraut. Beide hatten auf diesem fremden Boden keine Wurzel gefaßt. Sie konnten nur daheim gedeihen. Darum habe sie nach H--"'-» „nd mit die
sem Bncr nach rückwärts vermeine sie das Glück schon zu halten: daheim suche man einen Motorpflüger. Geboten werde der höchste Lohn im Dorf, freie Wohnung in der Siedlung und natürlich das Deputat.
Vis zuletzt sträubte er sich. Aber Anna beharrte unweigerlich auf ihrem Willen. Ihm zum Trotz werde sie selbst auf Hofarbeit gehen, erklärte sie, auch wenn er sich ihrer als Tagelöhnersfrau schäme. Endlich fügte sich Karl, wenn auch wie ein Verurteilter.
In der Folge war dann alles leichter, als er befürchtet hatte.
Der Facharbeiter, der etwas von den Maschinen verstand, war hochwillkommen und genoß bald Ansehen. Heimlich lächelte Anna darüber, aber sie hütete sich, ihn zu stören. Er faßte ja Wurzeln, und zuweilen, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, berührte sie voll Andacht die Schollen» die der Pflug ihres Mannes umgsackert hatte.
Das war ihr Dank, und Anna wußte, warum er das Glü<k bedeutete.