Nagolder Tagblatt „Der Gesellschafter"
8. Seite — Nr. 2
Dienstag, de« 3. Januar 1939
Baden
Karlsruhe, 1. Jan. (Glückwünsche des Gauleiters.) Gauleiter und Reichsstatthalter Robert Wagner hat an den Führer und Reichskanzler folgendes Telegramm gerichtet: „Zur Jahreswende ist es den Nationalsozialisten und Nationalsozialistinnen in Baden ein tiefes Bedürfnis, Ihnen als dem Eimger unseres Volkes und Schöpfer des Eroßdeutschen Reiches aus übervollem Herzen Dank zu sagen. Die deutsche Westbevölkerung ist glücklich, in einem Reich zu leben, dem durch Ihre Persönlichkeit unüberwindliche Kräfte verliehen worden sind. Auch im neuen Jahr gehören Ihnen unsere Herzen und unser Leben."
Karlsruhe, 1. Jan. (In den Reichstag berufen.) Der Eaupropagandaleiter und Leiter des Reichspropagan- daamtes Baden Pg. Adolf Schmid wurde durch den Fraktionsführer, Reichsinnenminister Dr. Frick, auf ein erledigtes Mandat in den Eroßdeutschen Reichstag berufen.
Mannheim, 1. Jan. (25jähriges Dienstjubi- läum.) Direktor E. Max Hofweber, Vorstand der Heinrich Lanz AE. Mannheim, begeht am 2. Januar sein 25jähriges Dienstjubiläum.
Freiburg, 1. Jan. (Wohnungsbau der Stadt.) In einer öffentlichen Ratsherrensitzung gab die Stadtverwaltung Freiburg einen umfassenden Leistungsbericht über den Wohnungsbau in der Stadt und über die Lage des Wohnungsmarktes. Insgesamt wurden durch die Stadt 550 Bauplätze an Baugesellschaften und Private abgegeben, davon 235 durch Bestellung eines Erbbaurechtes. Die Eeiamt- fläche der seit der Machtergreifung für Zwecke des Wohnungsbaues abgegebenen stadteigenen Besitzes beträgt 660 000 Quadratmeter, die Zahl der errichteten Wohnungen 1800, zu denen noch die Wohnungen der Baugenossenschaften und die Privatbauten kommen. Die Stadt hat durch den Verzicht auf verschiedene Gebühren ein finanzielles Opfer von rund 450 000 RM. gebracht. Der Träger des städtischen Wohnungsbaues war die Städtische Siedlungsgesellschaft, die hauptsächlich Wohnungen für Minder- und Minderbemittelte baute und auch für die Unterbringung kinderreicher Familien sorgte. Die Zahl der stadteigenen Wohnungen in Freiburg beträgt heute 3326: die von rund 14 500 Köpfen — etwa einem Siebtel der Freiburger Bevölkerung — bewohnt werden.
Vom Feldberg, 1. Jan. (Lawinenstur z.) Ein schweres Unglück ereignete sich am Neujahrstag im Schwarzwaldgebiet. Am Felsenweg der Seebuck-Wächte ging in Richtung Feldsee eine große Lawine nieder, die mehrere Personen mit fortriß, wobei der bekannte badische Skiläufer L. Wagner-Freiburg getötet wurde, während eine Frau eine schwere Beinverletzung davontrng. Die übrigen Personen kamen mit dem Schrecken davon.
Ludwigshafen a. Nh.. 31. Dez. (O p f e r d e r A r b e i t.) Im Werk Oppau der IG. Farbenindustrie AG. erlitt der Arbeitskamerad Georg Sauer aus Wieblingen eine tödliche Vergiftung durch Kohlenoxydgas. Aus einer Rohrleitung im Freien trat Gas aus, das durch ein benachbartes offenes Fenster in ein Gebäude eindrang und den dort arbeitenden Sauer überraschte. Der Verunglückte steht im 43. Lebensjahr und hinterläßt Frau und zwei Kinder.
Schluchsee, 31. Dez. (Tödlich verunglückt.) Beim Holzschlitteln ist der Holzhauer Emil Günter tödlich verunglückt. Infolge Versagens der Bremsvorrichtung konnte er den Schlitten nicht mehr halten. Dem erlittenen Schädelbruch ist er kurze Zeit nach dem Unfall erlegen.
Tiengen, 31. Dez. (TiengenwurdeStadt.) Durch Beschluß des Gauleiters und Reichsstatthalters Robert Wagner wurde der Gemeinde Tiengen am Hochrhein die Bezeichnung „Stadt" verliehen.
Freiburg, 31 Dez. (K r e i s s ch u l e.) Der Kreis Freiburg der NSDAP, wird im Laufe des Jahres 1939 in St. Peter eine kreiseigene Schule erhalten. Sie wird in dem früheren Easthof „Zum Hirschen" eingerichtet, nachdem das Anwesen durch den Freiburger Baumeister Wolf gründlich umgebaut wird.
Stockach, 31. Dez. (Lebensrettergestorben.) Im benachbarten Zoznegg starb im hohen Alter von 88 Jahren der Pfründner Otto Rieger-Verenberg. In Mainwangen geboren, rettete er im Jahre 1885 zwei Familienvätern, dem Altgemeinderechner Gabele und Zimmermeister Jsele von Mainwangen, das Leben. Beide waren bei Grabarbeiten zu einem Brunnen verschüttet worden und lagen bereits zwei Tage und zwei Nächte unter den Erdmassen. Die goldene Verdienstmedaille war der Lohn für seine aufopfernde Rettungstat.
Konstanz, 31. Dez. (Die „armen" Juden.) Die „Deutsche Vodensee-Zeitung" weiß mitzuteilen, daß im Kreis Konstanz insgesamt 168 Juden anmeldepflichtig waren, die nach Abzug der Schulden ein Varvermögen von 6,7 Millionen RM. besitzen. 15 Juden haben jeweils ein Vermögen von über 100 000 RM., 16 ein Vermögen von je über 50 000, 24 ein Vermögen von über 30 000, 15 ein Vermögen von über 20 000, 45 Juden ein Vermögen über 10 000 RM. In der Stadt Konstanz allein besitzen 47 Juden Grundstücke im Werte von 1888 000 RM. 33 Juden haben Hypotheken- und Grundschulden in Höhe von 498 000 NM. Weiterhin haben 92 Juden in Konstanz ein Vermögen an Wertpapieren und Bankforderungen in .höbe von 2 240 000 RM. ' '
Fuchswoche in der Zeit vom S. bis IS. Januar 1939
Der Landesjägermeister erläßt an die badischeil Jäger einen Aufruf, in dem es u. a. heißt:
Um der Hausgeflügelhaltung der ländlichen Bevölkerung im Rahmen der Erzeugungsschlacht eine außerordentliche Unterstützung zuteil werden zu lassen, wird die Jägerschaft Badens in einer Fuchswoche" vom 9. bis 18. Januar 1939 den Fuchs in intensivster Weise bejagen. Da im Januar die Fuchsbälge am wertvollsten sind, ist auch ihre Verwertung gewährleistet. Die Jägerschaft wird also in dieser Fuchswoche ihre äußerste Anstrengung machen, den Bestand an Füchsen fühlbar zu vermindern. Die Jagdausübungsberechtigten melden bis zum 25. Januar 1939 die Zahl der in der Zeit vom 9. bis 18. Januar 1939 erlegten Füchse an die zuständigen Kreisjägermeister.
Stuttgart, 1. Jan. (Fern der Heimat gestor- b e n.) Nach einer aus Peking eingetroffenen Nachricht ist ! dort der Pastor Jakob Ziegler, ein gebürtiger Cannstatter,
! im Alter von 62 Jahren gestorben. Seit 1908 war er als evangelischer Missionar in China tätig und hatte starken Anteil an der Gründung der evangelischen Kirchengemeinden in Tientsin und Peking. Seit 1927 lebte er in Peking im Ruhestand. Während seines Urlaubs ist er öfters in seine alte Heimat gekommen.
„Der Manöversepp" kommt. Die SA.-Gruppe Südwest hat für den Monat Januar die bekannte Münchener Wanderbühne Konrad Dreher zu einer Reihe von Vorführungen in württ. Städten verpflichtet. Seit einem halben Jahrhundert lebt die Dreher-Bühne ihrer großen Aufgabe, in der Sprache des einfachen deutschen Menschen echte und unverfälschte Volkskunst zu bieten. Für die bevorstehende Gastspielreise ist „Der Manöverfepp" auf das Programm gesetzt worden. Die Dreher-Bühne gastiert in der ersten Januarhälfte in folgenden Orten: Kirchheim, Eßlingen, Böblingen, Vaihingen a. F., Nürtingen, Schwäb. Gmünd, Aalen, Ellwangen, Schorndorf, Backnang, Fellbach j und Stuttgart-Feuerbach.
Die übertragbaren Krankheiten in Württemberg. In der Woche vom 18. bis 24. Dezember 1938 sind in Württemberg falzende Fälle von übertragbaren Krankheiten, einschließlich der erst Leim Tode bekannt gewordenen Krankheitsfälle (Todesfälle in Klammern) angezeigt worden: Diphtherie 59 (—), Scharlach 86 (—), Tuberkulose der Atmungsorgane 27 (25), Tuberkulose anderer Organe 3 (1), Genickstarre 1 (1), Kinderlähmung 18 -<Z), Paratyphus 10 (—), Kindbettfieber 3 (2), fieberhafte Fehlgeburt 1 (—).
Rundfunk
Programm de» Neich,seuder» Stuttgart
Mittwoch, 4. Januar: 6.00 Morgenlied, Zeitangabe, Wetterbericht, Wiederholung der 2. Abendnachrichten, Landwirtschaftliche Nachrichten. 6.15 Gymnastik, 6.30 Frühkonzert. Fruhnach- richten, 8.00 Wasserstandsmeldungen, Wetterbericht und Marktberichte. 8.10 Gymnastik, 8.30 Morgenmusik, 9.20 Fur Dich daheim. 10.00 Die Königin unter den Instrumenten. 11.30 Volksmusik und Bauernkalender mit Wetterbericht, 12.00 Mfttagskmr- zert, 13.00 Nachrichten des Drahtlosen Dienstes, Wetterbericht 13.15 Mittagskonzert. 14.00 Fröhliches Allerlei, 16.00 „Kaffee verkehrt aus Wien", 18.00 „Im Wein liegt Wahrheit nur allein...". 18.30 Aus Zeit und Leben, 19.00 .'Bremsklötze weg!. 20.00 Nachrichten des Drahtlosen Dienstes, 20.10 Unser Tanz- abend, 21.30 Es war einmal ein Lattenzaun, ? 2.00 Nachrichten des Drahtlosen Dienstes, Wetter- und Sportbericht, 22.30 Unter Haltung und Tanz, 24.00 Nachtkonzert.
. Donnerstag. 5. Januar: 6.00 Morgenlied. Zeitangabe, We4 terbericht, Wiederholung der 2. Abendnachrichten, Landwirt . schaftliche Nachrichten, 6.15 Gymnastik, 6.30 FruhkonzertzFruh Nachrichten, 8.00 Wasserstandsmeldungen, Wetterbericht unk Marktberichte. 8.10 Gymnastik. 8-8» Ohne Sorgen ftder Morgen". 9.20 Für Dich daheim, 10.00 Volksliedstngen. 11.30 Volksmusik und Bauernkalender mit Wetterbericht. 12.00 Mittagskonzert. 13.00 Nachrichten des Drahtlosen Dlenstes. Wetterbericht 13.15 Mittagskonzert, 14.00 „Zur Unterhaltung -16.00 Kurzweil am Nachmittag. 17.00 Melodienreigen. 18.00 Aus Zeft um Leben. 19.00 „Es schienen so golden die Sterne... 20.00 Nachrichten des Drahtlosen Dienstes. 2045 „Unser singendes klingendes Frankfurt", 22.00 Nachrichten des Drahtlosen Dienstes. Wetter- und Sportbericht, 22.30 Volks- und Unterhaltungsmusik. 24.00 Nachtkonzert. <
Freitag, 8. Januar: 6.00 Morgenlied, Zeitangabe, Wetter^- richt, Wiederholung der 2. Abendnachrichten, Landwirtschaftliche Nachrichten. 6.15 Gymnastik. 6.30 Frühkonzert. Fruhnachrichten. 8.00 Wasserstandsmeldungen, Wetterbericht und Marktberichte 8.10 Gymnastik. 8.30 Morgenmusik. 9.20 Für Dich daheim. rO.OV Die deutsche Nordpolarexpedition 1938 mit Dr. Ernst Herrmann. 10.30 Kniffe für die Bretter! 11.30 Volksmusik und Bauernkalender mit Wetterbericht. 12.00 Mittagskonzert. 13M Nachrichten des Drahtlosen Dienstes. Wetterbericht, 1345 Mittagskonzert. 14.00 „Ost und West - Süd und Nord". 16ck0 „Und nun klingt Danzig auf". 17.00 „Zum 5-Uhr-Tee", 18 00 Aus Zert und Leben, 19.00 „Lustige Liadla. Gschichtla ond Stückln" 20 00 Nachrichten des Drahtlosen Dienstes, 20.15 „Die Zauberflote . 22.30 Nachrichten des Drahtlosen Dienstes. Wetter- und Sporberlcht und wllrttembergische und badische Sportvorschau, 24.00 Nachtkonzert.
Samstag, 7. Januar: 6.00 Morgenlied. Zeitangabe. Wetterbericht, Wiederholung der 2. Abendnachrichten, Landwirtschaftliche Nachrichten, 6.15 Gymnastik, 6.30 Frühkonzert, Frühnachrichten, 8.00 Wasserstandsmeldungen, Wetterbericht und Marktberichte. 8.10 Gymnastik, 8.30 Morgenmusik, 9.20 Für Dich daheim, 10.00 Die Schlagbäume hoch! 11.30 Volksmusik und Bauernkalender mit Wetterbericht, 12.00 Mittaqskonzert, 13.00 Nachrichten des Drahtlosen Dienstes, Wetterbericht. 13.15 Mittagskonzert. 14.00 Bunte Volksmusik. 15.00 Immer lustig und fidel. 16.00 Der frohe Samstagnachmittag, 18.00 „Tonbericht der Woche", 19.00 „1000 Takte Frohsinn und Humor". 20.00 Nackrichten des Drahtlosen
Dienstes, 20.10 „In Sachen Franz von Suppe-", 22.00
Nachrichten des Drabtlosen Dienstes. Wetter- und Sportbericht,
Unser Schicksal kann uns nie mehr trennen
Erzählung von Thor Eoote...
Wir faßen in der letzten Nacht des Jahres zusammen, und da erzählte er dies:
„Der Vorfall hat sich in der letzten Nacht des Jahres 1917 abgespielt, und deshalb will ich ihn heute berichten.
Eigentlich wäre da gar nicht viel zu sagen. Wenn zwei Millionen deutscher Soldaten vor dem Feind geblieben sind, weshalb sollte man dann viel über den Tod des Kriegsfreiwilligen Peter Andler sprechen, der in dieser letzten Nacht des Jahres 1917 im Westen fiel? Deshalb habe ich diese Geschichte so lange für mich behalten, aber ich denke, heute sollte ich sie doch erzählen.
Also zunächst einmal: Der Kriegsfreiwillige Peter Andler war nicht etwa der einzige Tote dieser Nacht, — auch nicht an dieser Stelle der Front.
Eigentlich hatte dieser letzte Abend des blutigen Jahres ganz schön begonnen. Für Peter Andler jedenfalls. Denn nach so langen Tagen hatten ihm die Essenträger einen Brief gebracht. Nur einen kleinen mit schlichten Worten. Nein, — ich will ihn hier nicht wiederholen. Liebesbriefe gehen überhaupt nur den an, an den sie selbst gerichtet sind. Es sind ja nicht eigentlich die Worte, es ist ja viel mehr... j
An diesem Abend also hatten die Essenholer die Post mil- ! gebracht. Für mich war nichts dabei, und so hatte ich Zei! genug, zu sehen, wie die anderen ihre Briefe nahmen und lasen. Andler sagte nichts, als er seinen kleinen Brief in Empfang nahm, aber ich merkte ihm doch an, daß es für ikm nicht einfach „irgend ein Brief" war. Er ging ein wenie abseits, wenn man von „abseits" überhaupt reden kann, vorn im Graben, wo einer dem anderen „auf die Flossen tritt". Und er saß dann auf einer umgestülpten Kiste im Unterstand.
Die Kerze tilkerte, und er las immer noch, obwohl der Brief ja wirklich nicht lang war. Seine Augen ließen nickst die Zeilen, und über seinem Gesicht lag ein Lächeln.
Entbehrungen, Enttäuschungen und Bitternisse hatten si>! ja in unsere Gesichter eingegraben, und auch die vielen Nächte, in denen Man nach vorn marschierte oder zurückging oder hinter der Schulterwehr stand oder schanzte oder au; dem Bauche durch das Niemandsland kroch. Wir haben doch alle im Krieg mehr Nächte durchwacht als geschlafen.
Peter Andler aber saß hier und lächelte. Vielleicht war es auch gar kein Lächeln eigentlich, sondern eher der ferne Widerschein eines großen Glückes, und es war so schön, daß ich immer wieder Hinsehen mußte.
Er saß lange, ohne ein Wort zu sprechen. Dann blickte er auf und sagte zu mir hin, — aber eigentlich hatte er wohl nur zu sich selbst gesprochen: „Jetzt lohnt es sich doch, zurückzukommen!"
Ich nickte ihm zu: „Du bist jetzt ja auch dicke dran, mit ; deui Urlaub. Peter!" :
Seine Augen strahlten, — und so war es eigentlich eine schöne Nacht...
Ich mußte dann Wache schieben, und während ich, den Kragen hochgeklappt, hinter den Sandsücken von einem Fuß auf den anderen trat, denn es war reichlich kalt, mutzte ich immer wieder an Peter Andlers Glück denken.
Als ich dann abgelöst wurde, war Peter Andler nicht im Unterstand. "
„Patrouille mit Sergeant Kleeberg!" sagte Franz Hartmann, den wir den „Vater" nannten.
„So kurz vor dem Urlaub?" entfuhr es mir unwillkürlich.
Hartman nahm die Hängepfeife aus den Zähnen. „Urlaub?" fragte er. „Dann hält' ich ihn doch nicht gehen lassen sollen!" Er sah mich ratlos an. „Ich sollte nämlich 'raus, aber er ließ das nicht zu. Du hast Familie, Vatter!" sagte er. „Und da hat er ja recht: Vier Kinder Hab' ich, — und „unsereiner hat niemand nicht!" hat er doch immer gesagt. Und da bin ich halt..." Er senkte seine Augen, als träfe ihn eine Schuld. —
Es hielt uns beide nicht im Unterstand. Wir sprachen nicht von unseren Befürchtungen. Wie viele Patrouillen krochen auch jede Nacht im Niemandsland herum, ohne daß ihnen etwas geschah! Andler und Kleeberg waren wirklich nicht das erstemal draußen. Und doch! Man soll nicht abergläubisch sein, aber das mit dem Urlaub war doch merkwürdig, denn wie viele hatte es noch erwischt, als sie den Urlaubsschein schon in der Tasche hatten.
Wir standen, die Hände tief in den Manteltaschen, hinter den Sandsäcken, als hätte das einen Zweck. Die Sterne flimmerten kalt über den Schnee. Die Stacheldrähte klirrten im Wind.
Manchmal hielt ich den Atem an. Immer wieder war mir, als hörte ich Glocken von fern herllberklingen, verweht und irgendwie mit dem Hauch einer großen Sehnsucht. Und ich mußte denken, daß dies wohl schon die Glocken seien, die in der Heimat das alte Jahr in das neue hinüberläuten. Aber es war wohl immer nur der Wind im Drahtverhau. —
Dann zerriß plötzlich das Bellen von Handgranaten die Stille der Nacht, und als habe die Hölle nur auf dieses Stichwort gewartet, ging ein Geprassel von Schüßen von allen Seiten los. Maschinengewehre klapperten eilig dazwischen, und schon fraßen sich Leuchtkugeln rauschend in den nächtlichen Himmel, entfalteten ihr blendendes Licht, tropften langsam vom Wind getrieben, herab und vergingen. Es war eine tolle Silvesternacht!
Nein, man konnte natürlich nicht aus dem Graben heraus. Das wäre geradezu Selbstmord gewesen. Erst als das Feuer abgeflaut war und gegen Morgen auch noch der dicke Winternebel alles einhüllte, gingen wir sie holen. Hartmann kam mit. Er ließ sich das nicht ausreden. Wir fanden die beiden Vermißten vor dem französischen Verhau. Vielleicht war einer von ihnen am Draht hängen geblieben, unt der hatte geklirrt, vielleicht hatte sie auch ein feindliche: Posten entdeckt. Jedenfalls lagen sie beide leblos. Wir hielten uns nicht lange auf. sondern schleppten sie zurück. Da«
> war eure bittere Arbeit, denn wir mußten leise sein. Unk ich werde zeitlebens an diese erste Nacht des Jahres 1918
. denken. Der Schweiß rann, trotz der Winterkälte. Aber wir ! schafften es.
Als wir sie dann im Graben hatten, sahen wir, daß die ! beiden von Handgranatenfplittern übel zugerichtet waren. ! Trotz allem stand in Peter Andlers Gesicht immer noch j dieses Lächeln oder dieser ferne Glanz einer großen Erfül- ! lung. Mir schien, daß er deutlicher geworden sei — und auch
> die Kameraden sahen ihn immer wieder an.
? Dem Sergeanten — 14 war er aktiv mit dem Regiment ausaerückt — lee' '" mir aleich die Zeltplane über Körper und Gesicht, wie wir Las immer machten, mit einem, der alles Überstunden hatte. Aber Peter Andler ließen wir unbedeckt.
Wir begruben sie dann hinter der Stellung, da, wo der Weg früher durch die Mulde gelaufen sein mochte, links vom Bahndamm.
Vorher aber nahm ich aus Peter Andlers Tasche den kleinen Brief. Blut war Uber ihn geflossen. Ein Zettel steckte dabei, der Andlers Schrift trug. Es war ein angefangener Brief. Da, wo die Unterschrift hätte stehen sollen, hatte ein Splitter das Papier durchschlagen.
Nicht viel stand da geschrieben, nur von den Sternen dieser letzten Nacht, und daß er jetzt so glücklich wäre, so tief glücklich, daß nie mehr etwas ankönne, gegen dieses Glück. „Ich will es immer neu erkämpfen..."
Da hörte der Brief auf. Hartmann war dann wohl gekommen und hatte sich den Stahlhelm vom Nagel gelangt, und Peter Andler war für ihn gegangen. —
Den Brief aus Deutschland legte ich Peter Andler wieder auf die Brust. Dann häuften wir die Erde über beide Kameraden. Die Schollen klangen hart. —
Und dann schrieb ich meinen Brief. Es war mein erster im neuen Jahr. Ich sagte ja schon, wie das mit solchen Briefen war. Man meinte, immer langsam schreiben zu müssen, weil man glaubte, selbst Teil des Schicksals zu sein, das...
In diesem Falle war es anders. Diesmal brauchte ich ja keine Worte mühsam zu suchen, die Qual und die Schmerzen zu umschreiben, die doch so oft im Sterben unserer Kameraden waren. Ich brauchte nur zu schreiben, wie es wirklich gewesen...
Später kamen wir in die Champagne, dann in den Priesterwald, und schließlich nach Flandern hinauf. Und da erhielt ich eines Tages Antwort auf meinen Brief.
Die Schrift war zittrig. Eine alte Frau schrieb. Mein Brief habe ihre Tochter nicht mehr erreicht. Sie sei gleich nach Weihnachten an Grippe erkrankt und in der letzten Nacht des alten Jahres gestorben.
Die Grippe schlich ja damals von Haus zu Haus und nahm manchen mit, dessen Körper durch langen Hunger geschwächt war. Achthunderttausend Menschen starben in Deutschland während des Krieges an Unterernährung.
„Und unser Schicksal kann uns nie mehr trennen.,.", hatte in dem letzten Brief gestanden, den Peter Andler bekommen hatte, ehe er kiel."