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113. Jahrgang

sfr. 2 Dienstag, äen 3. Januar 1939

Daladiers Demonstrationsfahrt nach Tunis

Frankreich hat ernste Besorgnisse um sein afrikanisches Kolonialreich ins neue Jahr hiniibergeschleppt. Nicht um­sonst steht die erste Woche des neuen Jahres im Zeichen der Reise, die der französische Ministerpräsident Daladier über Korsika nach Tunis und Algier unternimmt. Der Wandel der außenpolitischen Blickrichtung, der in Pa­ris seit den Münchener Tagen vorausgesagt wurde, ist voll­ständig. In der französischen Hauptstadt blickt man seit Wo­chen mehr über das Mittelmeer nach Afrika als über den § Rhein nach Berlin. Und wenn nicht alles trügt, wird das ! Jahr 1939 Nord- und Ostasrika kritische Tage und viel- j leicht umwälzende Neuerungen bescheren. In den Kombine- i tionen über die Gestalt eines möglichen italienisch-sranzösi- j schen Ausgleiches, dem, trotz gegenteiliger Behauptungen aus Paris, eine englische Vermittlung während der kom- ! inenden Chamberlain-Reise nach Nom gute Dienste leisten dürfte, spielen das französische Protektorat über Tunis und das Protektorat Frankreichs über die Somali k ü st c mit dem Hafen Dschibuti die Hauptrollen.

Während für Tunis ungehemmte italienische Einwande­rung und eine gerechte Statuierung der Rechte der tunesi­schen Italiener vorausgesagt wird, nehmen die gleichen Kreise für Dschibuti eine noch radikalere Lösung in Aus- ! sicht. Sie glauben an eine Abtretung von Französisch-So- maliland und einen Verkauf der französischen Eisenbahn s DschibutiAddis Abeba an Italien. Zwar scheint die Ent- s scndung französischer Kriegsschiffe und Abteilungen sranzö- s sischer Senegalschützen nach Ostasrika gerade das Gegenteil s einer Nachgiebigkeit Frankreichs in der Dschibuti-Politik I anzukündigen. Immerhin beruhen die Vermutungen über s radikale Veränderungen an der ostafrikanischen Somaliküste ! auf dem Unterschiede an strategischem Wert und praktischer Bedeutung, den etwa Korsika oder Tunis im Vergleich zu dem winzigen Protektorat bei Dschibuti für Frankreich be­sitzen.

Was bindet heute Frankreich an das Protektorat über.die So m a l i k ü st e? Weder strategische noch wirtschaftliche : Interessen stehen für die französische Politik in Dschibuti auf dem Spiele, deren Verteidigung eine fortwährende Spannung mit dem römischen Imperium aufwöge. Im Ge­genteil, eine Aufteilung der italienischen und französischen Einflußsphären in Afrika, die über kurz oder lang die be­ste Voraussetzung für die überall als notwendig erachtete Entspannung zwischen Rom und Paris abgäbe, würde fran- zösischerseits nicht teuer mit einem Verzicht auf hinfällig gewordene Rechte und Werte an der Somaliküste erkauft.

Gewiß standen für Frankreich in früheren Zeiten mir Dschibuti und der Somaliküste wesentliche Interessen aus dem Spiele. Allein sie sind seit eigentlich vierzig Jahren historisch und bedeutungslos. Sie erinnern die Gegenwart an die Zeiten des Faschoda-Konfliktes zwischen England und : Frankreich. Sie beschwören das Zeitalter der kolonialen j Aufteilung der noch von europäischem Einfluß freien Land- ! schäften Afrikas zwischen England, Frankreich, Deutschland s und Italien am Ende des vorigen Jahrhunderts herauf. Damals plante Frankreich die Festigung seines nordafrika­nischen Kolonialbesitzes durch eine Querverbindung zwischen j dem Atlantischen Ozean, zwischen dem Senegal im Westen i und der Somaliküste im Osten. Der französische Major Mar- chand rückte vom Kongo her zum Nil im Sudan vor und > hißte 1898 bei Faschoda die Trikolore. Wenige Jahre vorher ! erst hatten sich Frankreich und England über die Erenzzie ! yung zwischen Britisch- und Französisch-Somaliland geei­nigt, hatten der Schweizer Ingenieur Jlg und der französi­sche Ingenieur Chefneux vom abessinischen Kaiser Menelil die Genehmigung zum Bau einer Eisenbahn zwischen Dschi­buti und Addis Abeba erhalten und die Verwirklichung des kühnen Projektes gestartet.

Dschibuti und sein Hinterland bildeten im Zuge der geplanten Ost-West-Achse Frankreichs in Nordafrika ein wesentliches Glied. Die Erwerbung des kleinen Eebietsstrei- fens an der Tadschurabai 1855, der später als Französisch- Somaliland auf den Landkarten verzeichnet wurde, erschien zum ersten und einzigen Mal als weit vorausschanender politischer Schachzug von Paris. Als dann aber der eng­lische General Kitchener nach dem Siege über die Mahdi- sten ebenfalls in Faschoda einriickte, wich Frankreich vor der englischen Macht zurück, verzichtete auf Faschoda und den ganzen Nordafrikaplan und kehrte zur Revanchepolitik zu­rück, die über die englisch-französische Entente von 1604 in den Weltkrieg von 1914 mündete. Dschibuti aber und das Französische Somaliland tauchten in das Dunkel der Bedeu­tungslosigkeit unter und blieben ein verschlafener Knsten- streifen, bis das faschistische Italien sich sein ostafrikanisches Imperium zu schaffen trachtete. Noch 1926 wohnten in der heute umstrittenen Kolonie nur 85 000 Einwohner, darun­ter 540 Europäer. Die Herrschaft des französischen Gouver­neurs garantierten in jenem Jahre 56 französische Polizi­sten.

Nichts konnte die Wertlosigkeit Dschibutis und seiner Um­gebung für das französische Kolonialreich besser bestätigen als diese unbedeutenden Verhältnisse und die geringe Aus­nutzung der umstrittenen Dschibuti-Bahn durch Frankreich vor der italienischen Eroberung Abessiniens. Der Negus ex­portierte 1933 sage und schreibe 13 600 Tonnen Kaffee, 7900 Tonnen Häute und Felle und etwas Bienenwachs, Butter, '

Lisenoern uno Straußenfedern. Einmal in der Woche ging in Addis Abeba ein Eüterzug ab. Heute wird täglich ein Zug mit 300 Tonnen Ladung abgefertigt. Statt 60 Tonnen werden gegenwärtig bis zu 1000 Tonnen im Hafen von Dschibuti umgeladen. Alkein nicht als Frucht französischer, ausschließlich als Ergebnis italienischer Anstrengungen. Mißstände, unzureichende technische Voraussetzungen, Des­organisation und Schikanen behindern die italienische Er- Wießung des abessinischen Kolonialreiches über die einzige Eisenbahnlinie in Dschibuti. Dazu bereichert sich die fran- Msche Wirtschaft durch eine Vielzahl von Zöllen, Tarifen »nd Gebühren an der italienischen Aufbauarbeit, an der es s bisher keinerlei Anteil genommen hat. Kein Wunder daß s Italien verlangt, Reformen, in die Frankreich ohne Schwie- i rigkeiten und große Verluste einwilligeu kann. !

Daladier auf Korsika j

Paris, 2. Jan. Ministerpräsident Daladier traf am Montag ! früh an Bord des KreuzersFach" in Ajaccio ein und ging an l Land, wo er von den Svikeii der Vebörden emvianaen wurde.

Fach" war begleitet von dem KreuzerColbert", drei weiteren 8000 Tonnen-Kreuzern und drei Torpedobootszerstörern. Dala­dier und seine Begleitung begaben sich sofort zur Präfektur, wo der offizielle Empfang stattfand. Der stellvertretende Bürger­meister der Stadt hieß den Ministerpräsidenten herzlich will­kommen. Er erinnerte an die Vergangenheit Korsikas, an Na­poleon, der von hier aus seinen Siegeszug durch Europa ange­treten habe, und wies darauf hin, daß der Ministerpräsident mit dem Kreuzer reise, der den NamenFoch" trage.

Der Ministerpräsident hat sich nur wenige Stunden in Ajac­cio aufgehalten und ist nachmittags inBastia eingetrofsen.

Empfang zu Ehren Daladiers in Vastia

In Bastia wurde zu Ehren des Ministerpräsidenten Daladier ein offizieller Empfang veranstaltet. Der Bürgermeister legte in seiner Begrüßungsansprache ein Bekenntnis zu Frankreich ab, mit dem sich Korsika für immer verbunden fühle. Daladier un­terstrich in seiner Antwort diese Erklärungen des Bürgermei­sters und betonte in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit der Einigkeit aller Franzosen. Der Friede nach außen habe den Frieden im Innern zur Voraussetzung und Vorbedingung. Von Korsika, so sagte er dann u. a., werde er sich nach Nordafrika begeben, und zwar zu jener Provinz, dievielleicht den höchsten Fels des französischen Imperiums" darstelle

Vertrauen für Daladier

Paris, 2. Jan. Am Neujahrsabend hat die Kammer die vierte Lesung des Haushaltsplanes, nachdem die Regierung gegen einen Antrag eines kommunistischen Abgeordneten wieder einmal hatte die Vertrauensfrage stellen müssen, die ihr 34S gegen 246 Stimmen einbrachte, verabschiedet '

Die Haushalisovrtug'He ging ,.t.siiehr zur vierten Lesung an den Senat zurück, der um 22 Uhr zusammentreten sollte. Der Senat fand sich jedoch zur vierten Lesung des Haushalts erst nach Mitternacht zusammen und nahm nach dem Bericht des Senators Abel Eardeys ohne Abänderung den von der Kammer verabschiedeten Text mit 281 gegen 16 Stimmen an Kurz vor 1 Uhr nachts konnte der stellv. Ministerpräsident Lhautemps das Schlußdskret im Senat verlesen.

Die Kammer konnte dann ebenfalls zu ihrer Schlußsitzung zusammentreten, wo Finanzminister Paul Reynaud das Schluß­dekret zur Kenntnis brachte und die zweite außerordentliche Sitzung des Parlaments des Jahres 1938 damit in der Nacht nach Neujahr ihren Abschluß fand.

*

Die Pariser Morgenpresse vom Montag, insbesondere die Blätter der Rechten, sparen nicht mit scharfen Worten an die Adressen der zweiten und dritten Internationale. So schreibt u. a. dasJournal", dieses Jahr habe in der Kammer eine regelrechte Verschwörung der Sozialdemokraten und Kommunisten gegen eine Regierung gebracht, die die Fehler ihrer Vorgänger wieder gutzumachen suche und das Land

daran hindern wolle, von Tag zu Tag tiefer in den Sumpj des Niederganges abgleiten zu lasten. Ministerpräsident Daladier habe über diese Verschwörer einen neuen Sieg davon­getragen. Fünfmal habe sich die sozialdemokratisch-kommu­nistische Demagogie beugen müssen, fünfmal habe eine massive Mebrheit den schlechten Hirten des französischen Volkes gezeigt, daß die Zeiten vorüber sind, wo sie eine Rolle spielten. Die An­griffe der zweiten und dritten Internationale seien um so ver- dammcnswerter gewesen, als sie zum Ziel hatten, die Abreise des Regierungschefs zu verzögern und auf diese Weise im Aus­land den Eindruck zu erwecken, daß das Kabinett nur kurzen Be­stand und ungenügende Autorität habe. Hier zeige sich erneut die paradoxe Haltung dieser Kreise, die auf der einen Seite das Land in eine kriegerische und abenteuerliche Außenpolitik stürzen wollten und sich gleichzeitig bemühten, das Ansehen der fran­zösischen Negierung in den Augen der anderen Nationen herab­zusetzen.

DerMatin" schreibt ebenfalls, die Zwischenfälle in der Sil­vesternacht und am 1. Januar seien das Werk der sozialdemo­kratisch-kommunistischen Minderheit, die sich geschworen habe, den Ministerpräsidenten in Erfüllung seiner nationalen Aufgaben nicht zur festgesetzten Stunde nach Korsika und Tunis abreisen zu lasten. Diese Minderheit, die sich aus Kriegshetzern zusammen­setze, die man im Falle eines Krieges nicht auf den Schlacht­feldern sehen würde, die aber im Palais Bourbon den Graben- kamps auf das genaueste zu kennen schienen, hätten einen Erfolg zu verzeichnen gehabt.

Pfttchljahr für die ganze weibliche Jugend

300090 Mädchen in Land- und Hauswirtschaft vor dem Berufseinsatz

Berlin, 2. Jan Der Präsident der Reichsanstalt für Arbeits» ! eermikrlung und Arbeitslosenversicherung, Dr. Syrup, hat auf § Lrund der Anordnung zur Durchführung des Vierjahresplanes ! über den verstärkten Einsatz von weiblichen Arbeitskräften in der , Land- und Hauswirtschaft eine am 1. Januar 1839 in Kraft tre­tende Anordnung erlassen, die das Pflichtjahr nunmehr generell für alle weiblichen Arbeitskräfte einführt. Bisher bestand eine Teilregelung dahin, daß nur die Anwärter einiger bestimmter Kerufskategorien vor der Arbeitsaufnahme in d-esen Berufen .ms Pflichrjahr abgeleistet haben mußten. Die neue Anordnung ichrcibt vor, daß allgemein ledige weibliche Arbeitskräfte unter 25 Jahren, die bis zum 1. März 1838 noch nicht als Arbeiterin­nen oder Angestellte beschäftigt waren, von private« und öffent­lichen Betrieben und Verwaltungen als Arbeiterinnen oder An­gestellte nur eingestellt werden können, wenn sie mindestens ei« Jahr lang mit Zustimmung des Arbeitsamtes in der Land- oder Hauswirtschaft tätig waren und dies vom Arbeitsamt im Ar­beitsbuch förmlich bescheinigt ist. Zuständig ist das Arbeitsamt, in dessen Bezirk die land- oder hauswirtschastliche Tätigkeit aus­geübt wird. Bei Abschluß eines Lehrvertrages kann das Pflichtjahr auch unmittelbar nach der Lehrzeit abgeleistet wer­den. Der Arbeitsdienst, der Landdienst, die Landhilfe, die länd­liche Hausarbeitslehre, .das hauswirtschaftliche Jahr sowie die Teilnahme an einem vom Arbeitsamt durchgeführten oder ge­förderten land- oder hausmirtschaftlichen Lehrgang werden auf das Pflichtjahr angerechnet. Auch eine nicht mehr arbeitsbuch­pflichtige Tätigkeit im Elternhaus oder bei Verwandten wird ungerechnet, wenn es sich um Familien mit vier oder mehr Kin­dern unter 14 Jahren handelt. Dem Pflichtjahr steht gleich eine zweijährige geordnete Tätigkeit im Gesundheitsdienst als Hilfs­kraft zur Unterstützung der Schwestern und in der Wohlfahrts­pflege zur Unterstützung der Volkspflegerinnen und der Kinder­gärtnerinnen. In besonders gelagerten Fällen kann das Arbeits­amt Ausnahmen zulasten. Das Arbeitsamt muß dies im Ar­beitsbuch förmlich bescheinigen. Für eine Tätigkeit in der Land- und Hauswirtschaft, die vor dem 1. Januar 1939 ausgenommen

wurde, gilt die erforderliche Zustimmung des Arbeitsmntes für den Arbeitsplatz im Pflichtjahr als erteilt.

Härteausgleich für die zurückliegende Zeit

Die generelle Einführung des Pflichtjahres für weibliche Ar­beitskräfte erfolgt an sich rückwirkend ab 1. März 1938. Dieser Termin mußte aus technischen Gründen gewählt werden, weil damals die Teillösung in Kraft trat und ein einheitlicher Zeitpunkt notwendig schien. Das wird aber grundsätzlich nicht bedeuten, daß diejenigen ledigen weiblichen Arbeitskräfte, die zwischen dem 1. März und dem 31. Dezember 1938 bereits in Berufe eingetreten sind, für die das Pflichtjahr noch nicht galt, es nunmehr nachleisten müßten. Ein besonderer Durchführungs­erlaß wird vielmehr einen entsprechenden Härteausgleich brin­gen. Bisher galt das Pflichtjahr für die Arbeiterinnen der Tex­tilindustrie und des Bekleidungsgewerbes sowie für die weib­lichen Angestellten der kaufmännischen und der Vllroberufe. Wichtig und neu gegenüber der Teillösung ist die Bestimmung, daß zwar der Arbeitsplatz für das Pflichtjahr selbst gesucht wer­den kann, jedoch der zustimmenden Anerkennung des Ar­beitsamtes bedarf. Hierdurch soll eine Scheinarbeit ver­mieden und dem Erfordernis des Arbeitseinsatzes genügt wer­den. Schätzungsweise werden ab 1. Januar 1939 300 000 bi» "00 000 weibliche Arbeitskräfte vom Pflichtjahr alljährlich er­saßt werden.

Förderung des Kleinwohnungsbattes

Reichsbürgschaften um 2VÜ Millionen RM. erhöht

Berlin, 2. Jan. Als wirksames und unentbehrliches Mittel zur Beschaffung der zweiten Hypotheken für den Wohnungsbau haben sich die Reichsbürgschaften erwiesen. Nach dem Stand vom Ende November 1938 sind bisher durch die Wirtschaftsausschüsse Reichsbürgschaften in Höhe von rund 694 Millionen RM. be­willigt worden. Das bedeutet die Förderung des Baues von