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Nr. 172

Mittwoch, äen 26. Juli 1939

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113. Jahrgang

Wären wir Chamberlain gefolgt...!"

Sensationeller Eindruck der englischen Schlappe in Fernost

Reuyork, 25. Juli. Die Neuyorker Zeitungen bringen die An­erkennung der Sonderstellung Japans in China durch Groß­britannien jetzt in ganz großer Aufmachung. Mehrspaltige Schlagzeilen wieEngland gibt Japan in China nach" beweisen den sensationellen Eindruck, den die Entwicklung der Tokioter Besprechungen in den Vereinigten Staaten gemacht hat.

In einem Interview machte sich der republikanische Senator Johnson zum Sprecher der unvoreingenommen denkenden USA.-Bürger. Er erinnerte an die zahlreichen Versuche Eng­lands, die Vereinigten Staaten als Verbündete im Fernen Osten zu gewinnen. Früher seien solche Bemühungen des öfteren ge­lungen mit dem Erfolg, daß John Bull sich im brenzlichen Augen­blickdistanzierte" und die Pankees die Kastanien aus dem Feuer holen ließt Diesmal seien die Engländer abgeblitzt.Das USA.- Volk", so betonte Johnson deshalb,kann Gott danken, daß es einen Kongreß besitzt, der nicht den Fehler beging, in die augen­blickliche Lage einzugreifen oder sich mit irgend jemand zu ver­bünden. Wären wir Chamberlain gefolgt, befänden wir uns jetzt in dem Dilemma, als die dummen Dritten dazustehen!"

Unbehagen in Neuyork Aber die britische Kapitulation

Reuyork, 25. Juli. Die britische Anerkennung der japanischen Sonderinteressen in China wird von der Presse mit dem größten Unbehagen als schlecht verhüllte Kapitulation vor Japan aus­genommen.Herald Tribüne" undNeuyork Times" geben ihrer Ueberzeugung dahin Ausdruck, Laß England praktisch Japan die Kriegführenden-Rechte zugestanden habe.Herald Tuibune", die stets eine aktivere Politik der Vereinigten Staaten gegen Ja­pan forderte, schiebt die Schuld auf Washington, das England im unklaren darüber gelassen habe, ob es auf die Hilfe Amerikas rechnen könnte, falls es gezwungen wäre, seine Flotte in Europa zu konzentrieren (!). Das Blatt hält das Abkommen für einen schweren Prestigeverlust Englands und sagt ein heftiges Murren in den Vereinigten Staaten über britischenVerrat" an der weißen Rasse voraus, vomVerrat an China" gar nicht zu reden. Der Publizist Krock schreibt in derNeuyork Times", die Ereignisse in London und in Tokio hätten die Isolationisten sehr gestärkt. Man höre bereits den Ruf:Wir haben es immer ge­sagt." Nach Ansicht der Gegner der Außenpolitik Roosevelts recht- fertige das Abkommen das Mißtrauen gegen England und Frankreich.

Peinliche Fragen irn Unterhaus

Die chinesische Währung

London, 25. Juli. Der Labour-Abgeordnete Vellenger stellte an den Schatzkanzler im Unterhaus eine recht peinliche Frage. !Er fragte Sir John Simon, ob diesem der weitere Kurssturz 'des chinesischen Dollars bekannt sei und ob die Mittel bes Stabilisierungsfonds für die chinesische Währung jetzt er­schöpft seien. Sir John Simon erwiderte, daß die chinesische Wäh­rungslage und ebenso der Stand des Währungsstabilisierungs- ssonds geheim gehalten werden müßten. Vellenger wies darauf hin, es sei kein Geheimnis, daß der chinesische Dollar in letzter Zeit um50Prozentgesunken sei. Auf weitere Zwischen­fragen der Opposition, ob England nicht seine alte Politik hin­sichtlich der chinesischen Währung aufrechterhalten wolle, gab Si­mon keine Antwort, vielmehr wich er jeder Frage aus.

Die polnische Einkreisungsanleihe

Auf Anfragen im Unterhaus gab Schahkanzler Sir John Simon eine Erklärung zum Stand der Verhandlungen über die jEinkreisungsanleihe an Polen ab. Die Verhand­lungen mit der polnischen Delegation bewegen sich, so erklärte er, um zwei verschiedene Fragenkomplexe. Der erste sei der von Exportkrediten. Die britische Regierung habe hier einen Export­garantiekredit bis zur Höhe von 8 Millionen Pfund angeboten. Was eine Baranleihe an Polen anlange, so sei es der bri­tischen ebenso wie der französischen Regierung unmöglich ge­wesen, eine Einigung über die Bedingungen die­ser Anleihe so rechtzeitig zu erzielen, daß das Parlament die hierfür notwendige Gesetzgebung noch vor den Parlamentsferien beschließen könne. Der Labour-Abgeordnete Natan wollte darauf wissen, ob die britische Regierung in den Verhandlungen Schwie­rigkeiten gemacht habe, einen Teil der Anleihe in Gold oder in ausländischer Währung zu geben. Simon erwiderte, daß er keine ins einzelne gehende Darstellung der Schwierigkeiten geben wolle, die technischer Natur seien. Das liege nicht im öffentlichen Interesse. Es handle sich um heikle Fragen. Auf die Frage, ob der Schatzkanzler alle Anstrengungen machen wolle, um^ diese Verhandlungen zum Abschluß zu bringen, und ob er diese sich nicht Hinschleppen lassen wolle, gab Simon keine Antwort.

Londoner Berschleierungsversuche

Verlegene Begleitmusik zum britischen Rückzug in Fernost

London, 25. Juli. Chamberlains Unterhaus-Erklärung über die englisch-japanische Vereinbarung und den Rückzug in Ostasien wird von den Londoner Blättern pflichtschuldigst begrüßt, wenn sie auch nicht verhehlen können, daß es ihnen dabei nicht gerade wohl zumute ist. Der diplomatische Korrespondent derTimes" versucht den englischen Rückzug möglichst schmackhaft zu machen

und schreibt: Lese man den Wortlaut der Tokioter Formel zum erstenmal, dann bedauere man, daß ein Angreifer als eine kom­petente Macht in Teilen eines besetzten Landes anerkannt werde. Nach reiflichem Ueberlegen habe man aber erkannt, daß in der Forme! selbst engliichcrscitsnichts aufgegeben worden sei" (?), sondern daß man lediglich die Tatsachen anerkannt habe. Di» Formel biete,wenn man vorsichtig mit ihr umgehe, die Basis für einen Ausgleich. Aber auf keinen Fall dürfe England sich nun verpflichten, allen Forderungen der japanischen Komman­danten in China gegenüber nachzugeben.Daily Herald" schreibt jedoch, wenn die Erklärung nicht eine volle Anerkennung der japanischen Eroberung von Teilen Chinas bedeute, was bedeut» sie dann? DieNews Chronicle" erklärt, Chamberlains Er­klärung berechtige die Japaner zu der Auffassung, daß Groß­britannien die japanische These angenommen habe. England Hab« den Ncunmächte-Vertrag verletzt.Daily Expreß" schreibt, Eng­land werde jetzt Japns Stellung in China anerkennen, und das sei nichts als politisch klug. 2m Gegenteil, England sollte das schon längst getan haben, denn es würde auf diese Weise schwere Erniedrigungen vermieden haben.

Verschlagene Auslegung in Paris

Paris, 25. Juli. DerTemps" ist der Ansicht, daß die be­deutenden Zugeständnisse Englands gegenüber Japan durch die Macht der internationalen Verhältnisse diktiert worden seien. Chamberlain habe zwar kürzlich unterstrichen, daß die englische Politik durch keinen ausländischen Druck geändert werden könne. Dies schließe jedoch nicht aus, daß die englische Regierung ihre Positionen ändere, um sie den Verhältnissen und den Bedürf­nissen zur Wahrung der allgemeinen Interessen des Imperiums anzupassen. Ilm diesen Gedanken noch schmackhafter zu machen, erklärt das Blatt dann, Deutschland und Italienverlören da­durch einen ihrer besten Trümpfe". Auch dasJournal des De­bets" hält die Handlungsweise Englands bei den Verhandlungen mit Japan plötzlich für richtig. Es paffe sich den veränderten Ver­hältnissen an. Natürlich bezahlten England und Frankreich den Preis für eine zwanzigjährige Verblendung (!), aber jetzt täten sie recht daran, sich an dem allgemeinen Ringen, koste es was. es wolle, zu beteiligen. Diese Politik, die augenblicklich die Kraft Englands und Frankreichs zersplittere, wäre vollkommen unsinnig, denn in Europa müsse man das Höchstmaß an Macht bewahren, um die Aufrechterhaltung des Friedens durchzusetze» und, wenn es notwendig wäre, den Sieg davonzutragen.

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Zurückhaltende VeurteUung in Tokio

Tokio, 25. Juki. Der Eindruck der Erklärung des japanische« Außenamtes über das Abkommen zwischen Außenminister Arita und Botschafter Craigie in der Presse und in den politischen Kreisen läßt erkennen, daß mit geringen Ausnahmen die Auf­nahme bemerkenswert zurückhaltend ist. Das Urteil lautet etwa dahingehend, daß die praktische Auswirkung der eng­lischen Zugeständnisse, die nicht einmal weitgehend genug bezeich­net werden, abgewartet werden müsse. Dem Ausgang der Tientsin-Besprechungen komme daher eine um so größere Be­deutung zu, als England dabei seine Aufrichtigkeit zeigen müsse. Spätere Fragen, die bei der nunmehr nötigen Abgrenzung der Rechte neutraler Staaten gegenüber dem kriegführenden Japan

auftauchen müßten, würden zeigen, daß die eigentlichen Schwie» rigkeiten noch bevorständen. Bezeichnend für die kluge Zurück­haltung der japanischen Wehrmacht, so meinen die politische«! Kreise in Tokio, sei die Erklärung der Nordchina-Armee, di» Blockade bis zum Enderfolg durchzuführen. Der britische Bot­schafter Craigie erklärte vor der japanischen Presse ausdrücklich,- daß das Abkommen nicht etwa auf Tientsin oder Rordchina be-- schränkt, sondern auch ganz China, soweit es von japanische« Truppen besetzt fei, ausgedehnt werde, insbesondere auch aufs Schanghai und Kulangsu.

Wachsende antibritische Bewegung

i« ganz Rordchina

Pekiiy, 25. Juli. Die bisherigen Ergebnisse der englisch-WK- nischen Besprechungen werden von der breiten Oefsentlichkeit Mit kühler Zurückhaltung ausgenommen und trotz der englischen Zu­geständnisse nimmt die wntibritische Bewegung in ganz Nord», chinr täglich zu. Die einflußreiche Organisation Hsinminhui hat! an ihre örtlichen Büros in allen Provinzen Nordchinas A«w«-s sungen ergehen lassen, wirksamere Maßnahmen für den antibrM- schen Aufklärungsfeldzug zu tröffen. In Tangku, dem Seehafen Tientsins, kam es am Sonntag zu heftigen Zusammenstößen.- lieber das englische Verhalten empörte Menschenmengen ver-> suchten, in die Gebäude der englischen Schiffahrtsgesellschaft J<M dine Matheson and Company, ferner der Butterfield Swire m Co., der Asiatin Petroleumcompany und der Kailan Mining Ad­ministration einzudringen, wobei beträchtlicher Schaden angerich» tet wurde.

- Die Prooinzhauptstadt von Schantung, Tsinanf«, fordert die Aussiedlung britischer Stadtbewohner innerhalb 14 Tagen, lleberall ist die gleiche Gesinnung zu beobachten. Chinesische An­gestellte und Dienstboten laufen ihren englischen Arbeitgebern in Scharen davon. Die Lage wird sehr unbehaglich, nicht nur für die britischen Firmen, sondern auch sür die einzelnen Briten,

Tschiangkaischek kämpft weiter

Tschunking, 25. Juli. Tschiangkaischek hielt Lei dem wöchent» liken Eedenkappell der Kuomintang am Montag eine Rede, die' die Aufastung bestätigt, daß China trotz des Fortfall» ausläudör scheu Beistandes de« Krieg fortsetze« wird. Lr erklärte, daß China rechtzeitig genügende Reserven an Kriegsmaterial an­gelegt habe, so daß er der veränderten Lage gewachsen sei. Er 'wolle noch nicht glaube«, daß die «freundschaftlichen Nationen" China verlassen würden. Andererseits erklärte er, daß jeder Ge« sänke an einfernöstliches München" ausgeschlossen sei, denn China sei keineTschechoslowakei", die ihre Existenz nur dem Krieg und den Nachkriegsverträgen zu verdanken gehabt habe. Oie Entfernung Wangtschingweis und einiger andere Politiker verstärke nur die Regierung in Tschunking und die Solida ritä t des chinesischen Volkes.

Der chinesische Botschafter bet Halifax

London, 25. Juli. Der chinesische Botschafter in London suchte am Dienstag vormittag Außenminister Lord Halifax auf, um von ihm Einzelheiten über das englisch-japanische Abkommen zu hören. Wie in gut unterrichteten Kreisen ver­lautet, soll Lord Halifax bekräftigt haben, daß das Abkommen mit Tokio weder eine Aenderung der britischen China-Politik bedeute, noch eine Weigerung, China Hilfe zu geben, soweit dies möglich sei.

Sondergesetz gegen die

vom Unterhaus angenommen

irischen Nationalisten

London, 25. Juli. Innenminister Sir Samuel Hoare brachte im Unterhaus die zweite Lesung des sogenannten Eeletzes zur Verhütung von Gewalttätigkeiten ein, das sich bekanntlich gegen die Aktivität der irischen Nationalisten richtet. Hoare machte dabei aufsehenerregende Enthüllungen über einen Plan S, der nach den Angaben des britischen Ministers alle Einzelheiten über eine umfangreiche Sabotagekampagne gegen England ent­halten soll. Der Plan sehe verschiedene Sabotagemethoden für Flugzeugfabriken und insbesondere für öffentliche Gebäude vor. Er enthalte Anweisungen für die Zerstörung von Waffenwerken und befasse sich ferner mit dem Kanalsystem, der Feuerwehr und der Stromversorgung. Er behandle Anschläge auf Regierungs­gebäude und fordere die irischen Aktivisten auf, amtliche Brief­bogen zu entwenden. Auf eine Anfrage teilte Hoare mit, daß das Dokument zu Beginn dieses Jahres beschlagnahmt worden sei. Seit Januar seien insgesamt nicht weniger als 127 Anschläge verübt worden, und zwar 57 in London und 70 in der Provinz. Dabei seien eine Person getötet und 55 mehr oder weniger schwer verletzt worden. 06 Personen seien terroristi­scher Betätigung überführt worden. Insgesamt habe die Polizei 55 Packungen Sprengstoffe, 1090 Zünder, zwei Tonnen Pottasche- Lhlorat und Eisenoxyd, sieben Gallonen Schwefelsäure und 400 Zentner Aluminiumpulver beschlagnahmt. Bisher hätten sich die Aktivisten offenbar auf die Beschädigung von Eigentum be­schränkt. In den letzten Wochen seien der Regierung jedoch ver­schiedentlich Drohungen zur Kenntnis gekommen, daß die Kam­pagne in Zukunft rücksichtsloser durchgeführt und daß auf Men­schenleben keine Rücksicht mehr genommen werde. Die irischen Aktivisten hätten um Haaresbreite die Themsebrücke in Ham- merswith, die Kraftwerke in Southwark und eine Wasserleitung im Norden Londons in die Luft gesprengt. Sie hätten sorgfältige

Erkundigungen über wichtige Brucken, Eisenbahnlinien, Muni­tionsdepots, Rüstungsfabriken, Flugplätze usw. eingezogen und sich sogar mit einem Plan, das Parlamentsgebäude in die Lust zu sprengen, befaßt. Hoare wies auf den Ernst der Lage hin, in die das Land geraten würde, wenn solche Ausschreitungen in kritischen Tagen stattfinden und die Regierung ohne Verteidi­gungsmittel sein würde, weil sie nicht die notwendigen Vorsichts­maßnahmen getroffen hätte. Es sei daher sicher, daß das Land drastische Maßnahmen nicht nur gutheiße, sondern geradezu for­dern werde. Das Gesetz sehe die Anwendung der gesetzlichen Voll­machten zur Verhinderung der Zuwanderung von Fremden, zur Deportierung von Fremden und der Bestimmungen über die Meldepflicht von Fremden auf die irischen Aktivisten vor. Die Regierung hoffe, daß es sich um eine vorübergehende Maßnahme handelt, weshalb der Gesetzesvorschlag auf zwei Jahre begrenzt worden sei. Hinsichtlich der Bestimmungen, daß das Gesetz auf alle in den letzten 20 Jahren Zugewanderte Anwendung findet, wolle man von Fall zu Fall verfahren. Hoare begründete ab­schließend noch die in dem Gesetz vorgesehenen Bestimmungen über die Ausdehnung der Untersuchungsvollmachten und die Ver» Haftungsmöglichkeiten ohne Haftbefehl.

Der Abgeordnete Ereenwood gab sodann die Erklärung ab, daß die Labour-Opposition anerkenne, daß unter den gegenwär­tigen Umständen größere Vollmachten notwendig seien und sie daher keine Opposition gegen das Gesetz treiben wolle, obschon er es bedauere, daß die Exekutive so große Vollmachten erhalte, daß sie Personen, gegen die keine bestimmte Anklage erhoben wird, auf gewisse Zeit einsperren könnte. Für die liberale Opposition erklärte sich der Abgeordnete Dingle Foot ebenfalls mit dem Gesetz einverstanden. Man müsse jedoch jedem Angeklagten die Möglichkeit geben, sich zu verteidigen. Solange das nicht der Fall