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Nr. 165

vienslag, äen 18. Juli 1939

113. Jahrgang

Chamberlains gewundene Erklärung

über die Verhandlungen in Tokio

London, 17. Juli. Auf verschiedene Anfragen gab Cham- berlain am Montag im Parlament eine außerordentlich ge­wundene Erklärung zu den englisch-javanischen Ver­handlungen ab. Er sagte u. a., daß der britische Botschafter in Tokio am 15. Juli einefreundschaftliche Aussprache" mit dem japanischen Außenminister über die allgemeinen Fragen gehabt habe, die den Hintergrund zu der Lage in Tientsin bildete. Man habe den Gedankenaustausch unterbrochen, um Zeit für die Erwägung der aufgeworfenen Fragen" zu gewin­nen. Das Datum für den offiziellen Beginn der Verhandlungen in Tokio über die Fragen, die sich aus der Lage in Tientsin er­gäben, sei noch nicht festgelegt. Sowohl in der japanischen wie in der englischen Presse seien Meldungen aufgetaucht, das; Ja­pan als Voraussetzung für die Eröffnung der Verhandlungen einen grundsätzlichen Wechsel der fernöstlichen Politik Englands fordere. Chamberlain meint dazu, die britische Regierung habe keine derartigen Forderungen erhalten. Nach Ansicht des briti­schen Botschafters in Tokio könne man die offizielle Haltung Japansrichtiger dahin umschreiben", Japan wünsche, das; Großbritannien sich bemühe, den chinesisch-japanischen Feind­seligkeiten zu begegnen und größeres Verstehen für den japa­nischen Standpunkt zeige. Zur Lage in Tientsin meinte Cham­berlain, daß sie sichim ganzen gebessert" habe. Hingegen sei es in verschiedenen Städten Nordchinas zu antienglischen Demonstrationen gekommen. Auch sei englisches Gut in Schansi beschädigt worden. Chamberlain teilte darauf mit, daß man mit der japanischen Regierung wegen des Anausverbotes für englische Schiffe nach Swatau verhandele. Aus Fudschau seien britische Staatsangehörige ausgewiesen worden. Nach Mitteilungen der japanischen Regierung sei gegen den briti­schen Militärattache Oberst Spears ein Verfahren eröffnet wor­den. Der britische Botschafter habe in Formschärfster Vorstel­lung" von der japanischen Regierung gefordert, die Erlaubnis zur Entsendung eines japanisch sprechenden englischen Offiziers nach Kalgan zu geben.

An dem lebhaften Frage- und Antwortspiel beteiligte sich auch Eden, der fragte, ob die Erklärung Chamberlains so zu ver­stehen sei, daß die Japaner nicht darum ersucht hätten, die Ver­handlungen über den Rahmen der lokalen Fragen von Tientsin hinaus auszudehnen. Chamberlain erwiderte,daß er das nicht so gesagt habe". Die Unterredung zwischen dem britischen Bot­schafter und dem japanischen Außenminister habe sich um den allgemeinen Hintergrund" gedreht, auf dem die japanische Re­gierung den Zwischenfall von Tientsin behandelt zu wissen wün­sche.

Verhandlungen in Tokio verschoben

Craigie noch ohne neue Instruktionen

Tokio, 17. Juli. Die für Montag angesagte Unterredung zwi­lchen Außenminister Arita und dem britischen Botschafter

Craigie wurde nach einer Mitteilung des japanischen Augen- amtes auf Mittwoch verschoben, da Craigie bisher keine neuen Instruktionen von London erhalten habe und infolgedessen zu Sem von Arita am Samstag vorgeschlagenen Verhandlungs­programm noch nicht Stellung nehmen könne.

London, 17. Juli. Der Bericht des britischen Botschafters in Tokio über seine Samstag-Unterredung mit dem japanischen Außenminister Arita ist in London eingetroffen und wird augen­blicklich geprüft. Allzu optimistisch scheint die Unterredung in London nicht beurteilt zu werden. Die Londoner Presse bemüht sich hervorzuheben, daß es sich lediglich um einevorbereitende Konferenz" gehandelt habe. Die Blätter bestätigen außerdem die japanischen Meldungen, daß bisher noch keine Einigung er­zielt worden sei, worüber überhaupt verhandelt werden soll, näm­lich über den Tientsin-Fall oder ganz allgemein Englands Hal­tung im Fernen Osten. Selbstverständlich sei die britische Re­gierung bereit, so schreibt der diplomatische Korrespondent der Times", den Tientsin-Fall zu diskutieren. Sie könne aberauf keinen Fall" bezüglich der Rechte in China einen Vorgang schaf­fen, denn sie müsse auch Rücksicht nehmen auf die Rechte der an­deren Unter.wickmermächte des Neunmächt.'-Nbkommcns.

Tokio, 17. Juli. Der sowjetrussische Luftangriff auf den Eisen­bahnknotenpunkt Fulargi hat in Tokio stärkste Beachtung ge­sunden. Fulargi (auch Angengki genannt) liegt rund 300 Kilo­meter nordwestlich von Charbin und bildet den Schnittpunkt der Eisenbahnlinie CharbinHailarMandschuli und Mukden TaunanTsitfikarHeiho (Vlagowjeschtschensk). Der Angriff sowjetmongolische Flugzeuge auf die CharbinMandschuli- Strecke der Sibirischen Bahn, etwa 800 Kilometer von der außen- mongolischen Grenze entfernt, bedeute eine Verlegung der Grenzkämpse nach dem Landesinnern und den Versuch, die für die Zufuhren nach Nordwestmandschukuo wichtigsten Bahnstrecken zu zerstören. Ein sofortiger ernster Protest in Moskau uich llrga warnen entschieden vor weiteren Uebergriffen und kündigen an­dernfalls stärkste Gegenmaßnahmen an.

Hsinking, 17. Juli. Das Ziel des sowjetrussischen Bomben­angriffs auf Fulargi var die Zerstörung der Eisenbahnbrücke über den Nonnifluß, um die Eisenbahnverbindung zwischen Char­bin und dem Kampfgebiet an der außenmongolisch-sowjetrusstsch- mandschurischen Ecke zu unterbinden. Die abgeworfenen Bomben verfehlten jedoch die Brücke und richteten verhältnismäßig nur geringen Schaden an. Dieser Zwischenfall wird viel ernster be­urteilt als alle früheren sowjetrussischen Hebelgriffe, da er sich so viele hundert Kilometer im Innern Mandschuküos abspielte.

Rener sowjetrnssischer Luftangriff

Hsinking, 17. Juli. Sowjetrussischc Bomber führten am Sonn­tag nachmittag einen Angriff auf Khalon Arschan, dem Endpunkt »er Solun-Eisenbahn, durch, die von Hsinking in nordwestlicher Richtung dis nahe an die Grenze heranführt. Die Flugzeuge warfen eine große Anzahl von Bomben ab, durch die vier Last­wagen zerstört und das Postam beschädigt wurde.

Mililärbesprechungen in Warschau

So arbeiten die Heuchler an ihrerFriedensfront"

London, 17. Juli. Sir Edmund Jronstde, der Generalinspckeur der britischen lleberseestreitkräfte, flog am Montag früh von London nach Warschau ab, wo er militärische Beratun­gen mit dem polnischen Eeneralstab führen wird. Die Reise dient, wie verlautet, dem Ausbau der militärichen Fühlung­nahme zwischen beiden Ländern.

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Warschau meldet Gamelius Besuch

Paris erklärt:Zumindest verfrüht"

Paris, 17. Juli. DemParis Midi" wird aus Warschau ge­meldet: Man erwarte in der polnischen Hauptstadt demnächst den französischen Generalissimus Gamelin, der eine Besichtigung der polnischen Westbefestigungen vorzunchmen beabsichtige und Be­sprechungen mit militärischen Fachleuten und polnischen In­dustriellen führen werde. Im Hinblick auf das Eintreffen Game­lins würden in Warschau bereits Berichte über die gegenwärtige Rüstungsproduktion der polnischen Industrie und deren mögliche Steigerung in Kriegszeiten ausgearbeitet. DerParis Midi" gibt diese Nachricht von einer Reise Gamelins nach Warschau mit Vorbehalten wieder und erklärt, in französischen Kreisen habe man für einen solchen Besuch keinerlei Bestätigung erlangen können. Kreise des Quai d'Orsay bezeichnen diese Nachricht a l s zumindest verfrüht. Auf unterrichteter Seite hält man eine derartige Reise des französischen Generalissimus zwar für möglich, jedoch wahrscheinlich nicht zu einem so nahegelegenen Zeitpunkt.

Britische Zeitrmgslügen richtiggefteNt

London, 17. Juli. Auf Anfrage des Labour-Abgeordneten Henderson im Unterhaus mußte Unterstaatssekretär But­ler zugeben, daß die Berichte des englischen Außenamtes nicht darauf hindeuteten, daß irgendwelche deutscheTruppen in Italien oder Libyen wären. Auf eine weitere Anfrage bezüglich angeblicher deutscher Truppenbewegungen in der Slo­

wakei erklärte Butler, er habe keine weitere Erklärung abzuge­ben.

Neue Paktvorschläge in Moskau

Molotow empfing die englischen und französischen Unterhändler

Moskau, 17. Juli. Der sowjetruffische Außenkommissar Molo­tow empfing am Montag um 16 Uhr im Kreml den englischen und den französischen Botschafter sowie den britischen Unter­händler Strang. Man nimmt an, daß die Unterhändler ge­mäß den aus London und Paris erhaltenen Instruktionen neue Paktvorschläge" der Sowjetregierung unterbrei­ten werden.

Nach einer Meldung desOeuvre" scheint nun der Dauerzu­stand der Moskauer Ergebnislosigkeit den geschäftstüchtigen Türken auf die Nerven zu gehen. Das Blatt schreibt, man be­haupte in London, daß die türkische Regierung sich weigere, mit dem nach Ankara entsandten britischen General zum Abschluß des englisch-türkischen Militärabkommens in Verbindung zu treten, solange nicht England ein gleiches Abkommen mit Mos­kau habe. In gut unterrichteten Londoner und Pariser Kreisen glaube man zu wissen, daß der militärische Teil des Sowjetab­kommens noch nicht habe geregelt werden können, da die Sow­jetrussen versuchten, auf dem Gebiet der militärischen Abma­chungen das zu erreichen, was sie auf dem Gebiet der diplomati­schen Abkommen nicht erreichen könnten. Recht drastischen Aus­druck verleihtJour" der allgemeinen Mißstimmung, die sich in Paris und London jetzt gegen die Sowjets breit zu machen ver­sucht. Voller Verärgerung bezeichnet der Außenpolitiker des Blattes die Entwicklung der Moskauer Verhandlungen als.

(Fortsetzung siehe Seite 2)

Britische Mafien gegen Einkreisung!

Riesige Faschistenkundgebung als fenfationelles Londoner Ereignis

London, 17. Juli. Am Sonntag abend hielt die britische faschistische Partei, die British Union of Fascists, in London zum erstenmal seit Bestehen der Partei eine Massenversammlung ab, wie sie selbst in der Geschichte der alten englischen Parteien bei­spiellos ist. Die große, rund 30 000 Menschen fassende Aus­stellungshalle Earlts Court war fast bis auf den letzten Platz gefüllt, als die Versammlung mit dem Einmarsch der Fahnen und Standarten von Partei und Jugendbewegung ihren Auftakt nahm. Unter rasendem Beifall der Zehntausend« betrat dann Sir Oswald Mosley, der Führer der Pattei, den Saal. Der Jubel wollte und wollte nicht enden, als Mosley versuchte, seine Rede zu beginnen. Immer wieder brandeten die begeisterten Zu­rufe der Anhänger zu dem riesigen Podium empor, von dem aus mit faschistischem Gruß Mosley seine Anhänger begrüßte.

Bereits beim ersten Satz seiner Rede, daß in dieser Versamm­lung das wirkliche britische Volk zu Regierung und Parteien spreche, brandete der Beifall auf. Der Regierung rief Mosley zu:Wir kämpfen für britische Stärke und den Weltfrieden." Wenn England wirklich, so fuhr er fort, angegriffen werden sollte, dann werde das englische Volk kämpfen. Werde es aber in einen Krieg hineingezertt, dann werde mau die Regierung stürzen. Mit großer Ironie geißelte Mosley die Versuche, die faschistische Partei Englands in Öffentlichkeit und Presse tot­zuschweigen. Die Partei, die vor einigen Jahren von 32 Män­nern geschaffen worden sei, werde ihren Kampf trotz allen Wi­derstandes bis zum Siege fortsetzen.

In diesem Zusammenhang bezeichnete Mosley das, was man in England als Pressefreiheit bezeichne, als eine Zen­sur des Geldes, die er dem volkspolitischen Einfluß, den in autoritären Staaten die vom Vertrauen des Volkes getragenen Regierungen ausübten, gegenüberstellte. Als politisches Ziel der britschen Faschisten proklamierte Mosley anstelle einer von klei­nen Cliquen beherrschten Regierung Schaffung einer Re­gierung des Volkes für das Volk und durch das Volk. Was man in England Demokratie nenne, das sei eine Demokratie, in der das Geld herrsche. Die faschistische Bewegung, die revolutionär und kompromißlos sei, werde ihren Weg zur Beseitigung dieses Systems und zur Einigung des bri­tischen Volkes bis zum Siege fortsetzen. Das britische Partei­wesen mit.seinem Scheinkampf arbeite im Dienste der inter­nationalen Finanz und dieser werde das britische Volk geopfert.

In seiner groß angelegten Rede behandelte Mosley die innen- und außenpolitischen Ziele seiner Bewegung. Großbritannien müsse sich auf sich selbst verlassen und seine gesamten Kräfte dem Ausbau des Empire in jeder Beziehung zuwenden und der eng­lischen Wirtschaft im Empire neue Märkte erschließen.

Außenpolitisch geißelte Sir Mosley mit unübertrefflichen Wor­ten die britische Einkreisungspolitik, die er hundertprozentig ab­lehnte. Mosley vertrat den Standpunkt, daß Osteuropa England nichts angehe.Das schert uns nicht, was in Osteuropa oorgeht", so rief er unter dem tosenden Beifall der Zehntausende in den Saal. Er sehe keinen Grund dafür, warum man Deutschland nicht ebenso wie Amerika eine Monroe-Doktrin im Osten Eu­ropas zugestehen sollte, die dann auch dort Ordnung schaffen würde. Wenn diese Einkreisungspolitik gegenüber Deutschland abgestellt sei, dann müsse man alle Staaten zu einer Frie­denskonferenz an einen Tisch bitten.Läßt man uns im Empire und Westeuropa zufrieden, und wir lassen Deutschland in Osteuropa in Ruhe, dann ist der Frieden gesichert", war einer der markanten Sätze, mit denen Mosley unter tosendem Beifall seine Außenpolitik umriß. Weiter forderte Mosley eine Rück­gabe der Mandatsgebiete an Deutschland.Gebt Deutschland die Mandatsgebiete zurück, die wir nicht brauchen» weil wir schon ein Viertel der Erde besitzen", so verlangte er unter dem tausend­stimmigen Beifall der Versammlung. Der Labour-Partei schrieb er ins Stammbuch, daß 8e die Kolonialfrage nur erfunden habe, um einen Kriegsgrund nur ^ zu yaben. Ebenso leyntc

Mosley die lächerlichen Einwände ab, daß Deutschland die Ko­lonien zu militärischen Zwecken mißbrauchen könnte. Frieden mit Dcutchland und allen großen Nationen und eine Beschränkung der britischen Interessen auf das eigene Empire forderte Mosley in diesem Zusammenhang nochmals mit allem Nachdruck.

Lachend lehnte der britische Faschistenführer die Propa­gandalüge ab. daß Deutschland einen Krieg gegen England plane und ihm das Ziel der Welthegemonie vorschwebe. Hierzu bemerkte er unter schallendem Gelächter der Zuhörer, das; kein Geringerer als Winston Churchill nach der Septemberkrise im Parlament erklärt habe, daß England im September praktisch wehrlos gewesen sei. Warum also habe Hitler England damals nicht angegriffen, wenn es sein Ziel sei, das britische Empire zu zerschlagen? Mosley fügte hinzu, daß man von Hitler nicht sagen könne, daß er günstige Chancen verpaßt hätte. Es werde auch behauptet, Hitler wolle die ganze Welt, und er sei größen­wahnsinnig geworden. Er. Mosley, sei anderer Ansicht. Höchstens wolle er zugeben, daß jeder Demokrat mit solcher Macht in seinen Händen, wie Hitler sie habe, verrückt werden müßte. Unter all­seitiger Zustimmung stellte Mosley hier fest, daß, vorausgesetzt, daß England sich auf Osteuropa zurückziehe und von Deutschland trotzdem angegriffen würde, England dann selbstverständlich kämpfen würde. Jedoch lehnte der Redner eine solche Absicht Deutschlands ab.

Sehr aggressiv rechnete Mosley auch mit der Labour- und der konservativen Partei ab. Bittere Worte fand Mosley für eine englische Politik, die das Prestige des Empire derart er­schüttere, wie es sich heut« zeige. Seit dem Tage, an dem die