Leite 8
Nr. A8
Sk«*ld«, r»,Vl«tt »De, «esellschester»
Donnerstag, den 23. Dezember 1 S 37
Weihnachten in weihen Bergen
küns ^Vint6r8porlA68Ükickts von Oorkart OrüninZer
Noch einmal, ehe Heinz sich ganz der Freude über die nun beginnenden Ferientage hingab, sah er durch das Wagenfenster auf die im rüßi» gen Dunst liegende Stadt zurück. Dann machte der Schienenstrang eine Biegung, niedere, kahle Vorderge schoben sich wie Kulissen ins Blickfeld; die Stadt versank.
Heinz lehnte sich in den Sitz zurück. Ueber ihm im Gepäcknetz lag der vollbepackte Rucksack und die Schier. Liebevoll, wie altvertrauten Freunden, blinzelte er ihnen zu; nun würden >ie seinen Tag regieren und nicht die Bürouhr.
Um ihn im Abteil sang eine Gruppe Wintersportler Schilieder zum Klang einer Mundharmonika, während draußen an den Fenstern Telegraphenstangen und Häuserfronten in der hereinbrechenden Dämmerung vorbeihuschten.
Für Sekunden sah Heinz in einem Fenster einen brennenden Weihnachtsbaum. Heute war ja Heiliger Abend! Nun werden sie Wohl überall in den Dörfern und Städten die Kerzen anstecken, dachte Heinz.
Als der Zug die letzten Steigungen genommen hatte und mit gellendem Pfiff in der Bergstation anhielt, war die Nacht bereits hereingebrochen. Mit dem Strom der Wintersportler verließ Heinz die Station. Herrgott, hatte es da einen Schnee! Im Schein der Straßenlampen sah Heinz große Schneehaufen sich türmen, auf den niederen Giebeln der Häuser lagen dicke Schneepolsier. In fahlem Weiß ragten die Berge in den sternklaren Nachthimmel.
Heinz schritt durch die ihm wohlbekannten Dorfstraßen, um einen Gasthof aufzusuchen.
Morgen früh, wenn die ersten Strahlen der Sonne über den Gipfeln spielten, wollte er zur Hütte aufsteigen, in der seine Freunde ihn erwarteten. Ob sie wohl alle gekommen waren? Sein Studienfreund Peter, der so gutmütig aussah und doch ein so sakrischer Abfahrtsläufer war, das junge Ehepaar Bernek, das er auf einer Reise kennen gelernt hatte und — Karin? Ja. die zierliche Karin! Heinz' Herz machte ganz komische Sprünge. Er fluchte und stieß die Schistiesel in den Schnee. als trüge er die Schuld daran.
In plötzlichem Entschluß ging er eilends durch das Torf. An den letzten Häusern zog er die Felle auf die Schier und schnallte an.
Mit ausgreifenden Schritten stieg er über freie Hänge, die silbern im Mondlicht leuchteten. gegen den Hochwald bergan, der sich dunkel an der Bergflanke hinaufzog.
Es war gemütlich in der niederen Stube der Schihütte. Im Ofen knatterten die Fich- . tenscheite. auf dem grobgezimmerten Tisch in der Wandnische brannte ein kleiner Weihnachtsbaum. Im flackernden Schein der Kerzen saßen vier junge Menschen um den Tisch und lauschten aus das stöhnen des Windes, der in kurzen Stößen von der Bergseite gegen die Hütte ansprang. Die junge Frau Bernek hatte den Kopf an die Schulter ihres Mannes gelegt und träumte. Peter schien beim Anblick dieses stillen Glücks unablässig an seiner Pfeife ziehen zu müssen. Karin: hatte den Kopf erhoben, als horche sie angestrengt Nach draußen auf das Gehen des Windes.
„Ob Heinz heute wohl noch kommt?' Sie sagte es mehr zu sich selbst, als zu den andern. Peter schüttelte den Kopf. ..Ausgeschlossen! Ist nicht ganz ungefährlich, bei Nacht allein hier 'rauf zu kriechen!"
Durch die wieder eingetretene Stille hörte man hölzernes Klappern, wie wenn Schier aufeinandergeschlagen werden, um den Schnee abzustäuben.
Peter sprang auf — da trat auch schon Heinz mit lachendem Gesicht in die Stube.
»
Heinz war am andern Morgen der erste, der sich von seiner Schlafstelle erhob. Als er die Läden der Hütte aufstieß, mußte er die Augen schließen vor dem blendenden Sonnenlicht, das über den Bergen und Hängen flutete. Mit einem Jauchzer knallte er einen Schistiefel gegen die Tür der Schlafkammer und rannte ins Freie: hinter ihm drein fluchte Peters gemütlicher Baß.
Die Morgenwäsche erledigte Heinz im Schnee. Nachdem er noch Feuer angemacht und Kaffee aufgestellt hatte, ging er auf den Hang hinter der Hütte. „Pulverschnee, wie ein Gedicht". stellte er fest. Er nahm eine Handvoll in den Mund. In Slalombögen fegte er dann ein paarmal über den Steilhang, bis Karin ihn zum Frühstück rief. Frisch wie der Morgen selbst sah sie in ihren hellgrauen Schihosen und dem gelben Pullover aus!
Ein Viertelstunde später hatten alle fünf schon einige Wannen auf dem Hang angelegt. Heinz gab Unterricht, doch das Ehepaar bewarf sich immer mit Schnee und paßte nicht auf und Peter übte verbissen Umsprang nach links. Nur Karin war eine eifrige Schülerin. So ging das eine Weile; die Sonne schien, der Schnee glitzertö und funkelte, Peter übte immer noch Umsprung, das Ehepaar saß im Schnee und in Heinz regte sich unbändige Lebenslust.
Er stieg den Hang hinauf, wo er eine mehrere Meter hohe Schneewächte gesehen hatte. Ein damischer Wächtensvruna war jetzt das einzig richtige! Als er oben über der Mächte stand, kam ihm der Sprung doch etwas- gewagt vor. Peter rief von unten herauf, ob ^ er sich mit Gewalt die Knochen brechen wolle i
Kari» sah wie ei» gelber Klecks im Schnee aus.
Heinz stieß sich ab, ging tief in die Hocke, kam in voller Fahrt zur Mächte herab. In der Sekunde des Absprunges warf er den Körper nach vorn, zog die Beine leicht an und ruderte mit beiden Armen durch die Luft. Weit unten am Hang setzte er federnd auf. In einer Wolke stäubenden Schnees verschwand er.
Als Heinz wieder bei den anderen angelangt war, stand ein schlankes Mädchen im grünen Polohemd und einem grün- seidenen Tuch um die blonden Haare neben Peter.
„Sie laufen fabelhaft Schi!" empfing sie Heinz. „Würden Sie mir etwas Unterricht erteilen?" Ihre Augen lachten. Oh. ja. sehr gerne würde er das tun.
Es wurde aber nicht viel aus dem Unter- richt; das Mädchen Plauderte drauf los und immer wieder sah es Heinz an. daß es ihm ganz warm wurde. Sie war hübsch, verdammt hübsch sogar! Daß sie ihm Augen machte, schmeichelte ihm.
„Kommen Sie heute abend nicht ins Dorf herab? Dort ist Tanz und ich tanze furchtbar gern."
Ja. Heinz würde kommen. „Also bis auf heute abend!" rief sie noch und fauste talwärts.
Heinz verfolgte sie eine Zeitlang mit den Augen, wie sie in eleganten Bögen hinabglitt. Als er Karin unter der Schneewächte stehen sah, lief er hinüber.
„Fahren wir heute abend ins Dorf ab?" fragte Karin. Ihre Stimme klang ganz klein.
„Ich gehe sowieso hinunter", sägte Heinz obenhin.
„So?" Und dann ganz zaghaft: „Zu dem grünen Mädchen?"
..Ja!"
Heinz sah Karin an. Sie hatte sich in den Schnee gesetzt, ihre Lippen zitterten, die Augen waren ganz dunkel geworden. Heinz wurde es eiskalt. Es würgte ihn in der Kehle. Mit zwei Griffen löste er seine Schier, dann kniete er neben ihr. Ganz fest nahm er ihr Gesicht in die Hände. Karin wollte noch etwas sagen, es hätte vielleicht „Tu Dummer" heißen können, aber sie kam nicht mehr dazu: Heinz' Lippen kamen ihr zuvor: so fuhr sie ihm eben in den Haarschopf und hielt seinen Kopf fest...
„Wenn ihr genug geküßt habt, dann gestattet. daß ich mich bemerkbar mache", fagte Plötzlich eine gemütliche Stimme. Peter stand neben ihnen und grinste übers ganze Gesicht.
, >,i.>
Hi»lkireIi>I»rk im Srlinee
„Ja. ja, da macht man tolle Wächten- sprünge und steht nicht, daß unken ein kleines Mädchen steht und vor Angst nicht sprechen kann. — Heinz, du warst ein seltener Tös- kopp.. .l"
Heinz bückte sich schnell und warf Peter eine Handvoll Schnee mitten ins Gesicht. Der machte den lachenden Mund zu und sagte
Helzkchinu von K. Frettav
seelenruhig: ..Danke, habe sowieso Durst gehabt!"
Dann warf er die Bretter herum und fuhr los.
Unter der Schneewächte wurde es wieder still...
Am Abend fuhr Heinz nicht ins Dorf — aber Peter...
Heilige Nacht am Kühe der Weiften kordillere
Feste uralter Inkakulte errvaelieri in der „dloeke buena" / Von Or. H. VL ^clo IZaellier
Es ist Heiligabend 1923, im Hochgebirgstal der nordperuanischen Anden, eine Tagereise südlich von Chavin unweit des Dorfes Llota.
Den schmalen mächtigen Dorfplatz umgeistern glimmende Feuer. Um jedes Feuer, das hier im engen, steilwandigen Tal kein Luftzug anrührt, hocken dichte Gruppen, Männer, Weiber, Kinder, in Tücher gebündelt. Nur die bronzehäutigen Gesichter tauchen in den Lichtkreis. Die schwarzen Augen lachen. Aus Töpfen in der Asche greisen sich die Hände, ins Licht vorschnellend. gewaltige
Zeichnung: Marik
li> iNeliirn l-i-uppen kocken «Mg susselienlie tiestuUe» »ni Me treuer
Stücke Fleisch. Tie Münder kauen und überstürzen sich in Witz und Geplauder. Aus Krügen strömt, abgestanden und säuerlich riechend dickes Getränk, gießt- sich in flache Kürbisfchalen. Ein Mann gehr schwankend, jäh gestikulierend, durch die Gruppen, von
Feuerplatz zu Feuerplatz, lärmt und spricht und ordnet an. Und wo er hinkommt, stürzen die Hände sich noch eifriger in ihren Topf, werden die gefüllten Kürbisschalen hurtiger leer. Plärren die Mäuler noch lauter in Spaß und Gejohl.
Aber wie komme ich in diese seltsame Szenerie? Ich sitze stolz in der Honoratiorengruppe, zu der auch jene kontrollierende und befehlende Gestalt gehört, und halte an einem Holzstäbchen gespießt ein saftiges Bratenstück, schneide mir ab, esse ganz ungeniert. Aus der Dorsgasse, die sich mir gegenüber schwarz auftut, quillt Plötzlich gellender Lärm, von Trommelwirbeln und Pfeisentrillern begleitet. Lichter tanzen, Fackeln sind es. Sie stellen sich in der Platzmitte um einen gespenstisch erhellten Kreis. Und wie ich hintrete, halten im Kreis, vom Flackerschein der Fackeln üherronnen, in starrer Haltung dreiwunderliche Geschöpfe.
Entsetzt starre ich in blutrote, von weißen Streifen durchzogene mumienhafte Gesichter. Die Mäuler halten die Gespenster weit aufgerissen, die Zähne fletschen sie mit hörbarem Ge- knirsch zum Publikum herüber. Aus den drei Köpfen wächst ein Buschwerk gewaltiger Federn. Die Körper sind plumpe, guanakohaarige Tierleiber. häßlich und hilflos. Da aber steigt am Kreisrand ein Trommelwirbel, eine Pfeife schrillt aus. Tie Tiere setzen sich mühsam, von ihren Guanakofellen umbaumelt und gehindert in Trott, am Kreisinnenrand entlang.
Die Trommel legt ein Tempo zu. Die trottenden Körper fallen in bärenmäßigen
Trab, und dann, wie die Trommel sich steigert, in wilden Galopp. Das vorderste Tier purzelt, kugelt sich, seine zwei Mittiere stolpern, schlagen lang hin. erheben sich, gehen sich drohend mit wilden Gebärden und Lauten zu Leib, wirbeln, sind jetzt ein Knäuel, ein drehender, rasender Punkt. — Ich habe längst mein Quartier am Dorfrand gefunden. Niemand stört mich hier. Das ganze Dorf, auch die Kinder, wenn sie der Schlaf nicht Vertrieb, füllt noch immer den Platz, stochert sich aus den Töpfen die letzten Fleischstücke, stiert zu den tanzenden Gespenstern hinüber, hat sich am Ende schon in einzelne Tanzgruppen ausgelöst. Ein junger, heißblütiger Bursche tritt schnell in den Kreis, ein Mädchen folgt zaghaft, die Pfeife setzt ein. Ta schreiten die beiden blutjungen Leutchen mit mimischem Gebärdenspiel und ganz knappen Schritten auseinander zu. weichen sich blitzartig aus. In charakteristischer Fluchtbewegung schnellt das Mädchen zurück. Ter Bursche mimt wild den Verfolger und Jäger. In gespielter Verfolgungswut über- nimmt er sich fast, läßt sich vom Pfeifengetriller, vom rhythmischen Geklatsch der Menge anhetzen, stürzt und steht auf. verliert die Spur seines Mädchens, hat sie jetz: wieder aufgespürt. Und dann endlich erjag er die Beute, greift sie. reißt sie. di? Sturz markiert, mit wildem Jagdgeschrei empor Zambacueca heißt dieser mimische Zweitanz, ich habe ihn oft schon erlebt. Was aber soll die seltsame, mit Schmaus und TrunI übersättigte Nacht auf dem Dorfplatz? Und wo soll es geschehen? Zog nicht ..La nochl buena" auf, die Heilige Nacht? Westlich von Dörfchen, dessen Gast ich heute bin, hebt fick die Weiße Kordillere. die mächtigste, eis- firnige Kette der in vier parallelen Längsrücken getürmten nordperuanischen Ander in den weihnachtlichen Himmel empor. Aerm- lichste Bauern sind die Bewohner der Lehmhütten im Torf, echte Indianer noch, ganz unverfälscht, direkte Kinder des Volkes, das einst in Chavin seinen heiligen Tempel besaß und dann vom Inka von Cuzco. Jahrhunderte vor Ankunst der spanischen Konquistadoren, nach milder Inkamethode unterworfen worden ist. Das Blut jener Vorinkaindianer kreiste in den Adern der Bauern am Osthang der Weißen Kordillere. In ihren Festräuschen und Fest- orgien werden dumpfe, bluthaste Instinkte versunkener peruanischer Inkakults lebendig.