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-tagolder Tagblatt .Der Srielllchaster'

Mittwoch, den 22. Dezember 1897

Der Sturm aus Lüttich im August 1914

Wie General Ludendorfk die Festung eroberte Lr erhielt dafür den .pour !e merite*

Wir entnehmen dir nachfolgende Schilde» ruug dem Buch von General Ludendorfs Meine Kriegsermnerungen', daS im Verlage von L. S. Mittler Sohn. Berlin, erschienen ist.

Der Sturm auf die Festung ist mir die liebste Erinnerung meines Soldatenlebens. Er war eine frische Tat. bei der ich kämpfen konnte wie der Soldat in Reih und Glied, der im Kamps seinen Mann stellt.

Ich fuhr am 2. August früh nach Aachen, wo ich abends eintraf. Meine Mobilma­chungsbestimmung ließ mich Oberquartier­meister bei der 2. Armee werden, deren Oberbefehlshaber General v. Bülow war.

Ich trat zunächst zum General v. Emmich. der die Aufgabe hatte, mit einigen schnell mobilgemachten, gemischten Infanterie-Bri­gaden die Festung Lüttich durch Ueber- raschung zu nehmen. Dem Heere sollte hier­durch der Weg nach Belgien hinein frei- gemacht werden.

Am 4. August früh erfolgte der Bormarsch über die belgische Grenze, während in Ber­lin sich der Reichstag mit einer vaterländi­schen Kundgebung hinter die Regierun stellte und me anwesenden Parteiführer ncr Verlesung der Thronrede dem Kaiser feier lich durch Handschlag das Gelöbnis unbe> dingter Treue in Hellen und dunklen Tagen ablegten. Am gleichen Tage machte ich bet Cisö. hart an der holländischen Grenze, mein erstes Gefecht mit. Es war ganz klar, daß Belgien auf unfern Einmarsch seit lan­gem vorbereitet war. Die Straßen waren io planmäßig zerstört und gesperrt, wie eS nur bei anhaltender Arbeit möglich war. An der belgischen Südwestgrenze haben wir nichts von ähnlichen Sperren entdecken kön­nen. Warum hat Belgien gegen Frankreich nicht die gleichen Maßnahmen ergriffen?

Am Abend war ich in Hervs, meinem ersten Quartier auf feindlichem Boden. Wir übernachteten in einem Gasthof gegenüber dem Bahnhof. Alles war unversehrt. Wir legten uns ruhig schlafen. In der Nacht er­wachte ich durch ein lebhaftes Geschieße, auch gegen unser Haus. Der Franktireurkrieg in Belgien begann. Er lebte am nächsten Tage allerorts auf und hat so ausschlaggebend zu der Erbitterung beigetragen, die diesen Krieg im Westen, im Gegensah zu der Stimmung im Osten, in den ersten Jahren kennzeichnen sollte. Die belgische Regierung hat eine schwere Verantwortung auf sich geladen. Sie hat den Volkskrieg planmäßig organisiert. Solche Art von Krieg entsprach nicht den kriegerischen Gebräuchen. Es ist unserer Truppe nicht zu verdenken, wenn sie mit größter Schärfe dagegen einschritt.

Die Aufgabe, die die vorausbeförderten Brigaden vor Lüttich zu lösen hatten, war schwer. Es war auch eine unerhört kühne Tat. durch die Fortlinie einer neuzeitlichen Festung in ihr Inneres einzudringen. Die Truppen fühlten sich beklommen. Aus Ge­sprächen mit Offizieren entnahm ich. daß die Zuversicht auf Gelingen des Unternehmens nur gering war.

In der Nacht vom 5. zum 6. August be­gann der Vormarsch durch die Werke von Lüttich hinein. Gegen Mitternacht verließ General v. Emmich Hervö. Wir ritten zur Versammlung der 14. Jnf.-Brig.. General­major v. Wusfow, nach Micheroux. etwa 2 bis. 3 Kilometer von St. FlSron entfernt. Auf der Straße, die von dem Fort aus un- mittelbar bestrichen werden konnte, sammel­ten sich in tief dunkler Nacht die Truppen mit den ihnen noch recht ungewohnten, aber io überaus segensreichen Feldküchen in einer wenig kriegsmäßigen Weise. In diese Der- sammlung hinein fielen einige Schüsse aus einem Hause südlich der Straße. Es entstan­den Kämpfe. Das Fort aber schwieg: es war ein Gotteswunder. Etwa gegen 1 Uhr begann der Vormarsch. Er führte uns nördlich von St. Flsron vorbei über Retinne hinter die Fortlinie und dann aus die am Rande der Stadt gelegenen Höhen der Chartreuse. Dort tollten wir am frühen Vormittag sein.

Der Stab des Generals v. Emmich war uemlich am Ende der Marschkolonne. Plötz­lich ein Halt Von längerer Tauer. Ich schob mich von hinten durch die Marschkolonne nach vorn hindurch. Ter Halt war ohne jeden Grund entstanden, im Gegenteil war Sie Auffassung der Lage, die ihn verursacht hatte, eine recht bedauerliche gewesen. Ich selbst war eigentlich nur Schlachtenbummler, hatte keine Befehlsgewalt und sollte nur mein später ein treffendes Armee-Oberkommando über die Vorgänge bei Lüttich unterrichten sowie die Maßnahmen des Generals v. Em- mich mit den zu erwartenden Anordnungen des Generals v. Bülow in Einklang bringen.

Der Weitermarsch fand ohne Zwischen- 'älle statt. Im Angesicht der Werke an der Nordfront Lüttichs erstiegen wir aus dem Maastal die Höhen östlich der Thartreuse. Als die Brigade dort eintraf, war es etwa 2 Uhr geworden. Die Geschütze wurden gegen die Stadt gerichtet. Ab und zu wurde ein Schuß abgegeben, teils als Signalschuß für die anderen Brigaden, teils um den Kommandanten und die Stadt willfährig zu machen. Ich ließ die Brigade rasten und verpflegte sie. so gut eS ging, durch Bei- treibungen au? den umliegenden Häusern.

Von den Höhen hatten wir einen schönen lleberblick über die Stadt zu unseren Füßen. Aus ihr heraus, auf dem jenseitigen Ufer der Maas, erhob sich die Zitadelle. Dort wurden plötzlich weiße Fahnen gesetzt. Gene- ral von Emmich wollte einen Parlamentär hinsenden. Ich schlug vor. den feindlichen zu erwarten. Der General blieb bei seinem

net. Die paar hundert Belgier ergaben sich mir auf meine Aufforderung.

Die Brigade rückte nun a« und besetzte die Zitadelle, die ich sofort zur Verteidigung einrichtete.

Meine selbstübernommene Aufgabe war damit beendet. Ich konnte General von Emmich bitten, mich nunmehr jju entlasten.

Entschluß. Hauptmann von Harbou ritt in l Ich beabsichtigte, auf dem gleichen Wege,

auf dem ich hm.

eingekommen, aus der Festung herauszufahren, um daS Armee- Oberkommando von dem Vorge­fallenen inKennt. nis zu setzen, die anderen Briga. den aufzusuchen und den Artille, cieaufmarsch ge. gendieFortsem- zuleiten. Die 34. Jnf.-Brig. war auf dem west, tichen Maasufer mit ihren An­fängen durchge- brachen, hatte aber dann den Kampf aufgege­ben. Dann kam noch die 11., spä­ter die 27. Inf.- Brigade, so daß General v. Em­mich, als ich ihn verließ, dochüber eine starkeMacht verfügte.

Mein Abschied von General v. Emmich war be­wegt. Um 7 Uhr trat ich die Fahrt nach Aachen an. Mit Hilfe ver­schiedener Fahr­gelegenheiten traf ich dort spät abends ein. Ich wurde in dem Hotel Union wie ein vom Tode Auferstandener

j in, 78. Oeburstag Mnäenbueg» vellt« l-aäeoäorü dein« 6euee»UeISou>rsvl>»U begrüßt. Hier

fand ich auch

die Stadt. Um 7 Uhr abends kam er wie­der: die weiße Flagge wäre gegen den Wil­len des Kommandanten gezeigt. Zum Ein- marsch in LüttiH war es zu spät geworden. Eine schwere Nacht stand bevor.

Unsere Lage war ungemein ernst. Von den anderen Brigaden kam keine Nachricht. Meldereiter waren nicht durchgekommen. Es wurde immer klarer, die Brigade befand sich allein im Fortgürtel, abgeschlossen von der Außenwelt. Wir mußten mit feind­lichen Gegenangriffen rechnen. Besonders unbequem waren für uns etwa tausend bel­gische Gefangene. Als erkannt wurde, daß die vor uns liegende Chartreuse, ein altes Festungswerk, unbesetzt war. sandte ich eine Kompanie mit diesen Gefangenen dorthin. Der Kompaniechef muß an meinem Ver- stände gezweifelt haben.

Die Nervosität der Truppe steigerte stch beim Einbruch der Dunkelheit. Ich ging die Fronten ab und ermahnte die Leute zur Ruhe und festen Haltung. Das WortWir sind morgen in Lüttich" richtete sie auf.

Ich werde die Nacht vom 6./7. August nie vergessen. Gespannt lauschte ich, ob irgend- wo ein Kamps hörbar würde. Ich hoffte immer noch, daß wenigstens die eine oder andere Brigade die Fortlinie durchbrochen habe. Alles blieb still, nur alle halbe Stunde fiel ein Haubitzschuß auf die Stadt. Die > Spannung war unerträglich. Gegen 10 Uhr abends gab ich einer Jäger-Kompanie den Befehl, die Maasbrücken in Lüttich zu be­setzen, um ein? Sicherung für die Brigade weiter vorn zu haben. Der Hauptmann sah mich an und ging. Die Kompanie erreichte ohne Kampf ihr Ziel. Meldungen kamen nicht zurück.

Es wurde Morgen. Der Entschluß, ein- wrücken. stand fest. Während ich die Auf­stellung der Brigade verbesserte und ver­suchte. die Vormarschstraße der 11. Inf.- Brigade zu erreichen, erteilte mir sehr bald darauf der General von Emmich den Be­fehl zum Antreten. Während des Ein- Marsches ergaben stch viele umherstehende belgische Soldaten. Oberst von Oven sollte die Zitadelle besetzen. Meldungen veranlaß- ten ihn. dies nicht zu tun. sondern den Weg in Richtung Ft. Loncin. im Nordwesten der Stadt, einzuschlagen und sich an diesem Ausgang von Lüttich aufzustellen. In der Annahme, daß Oberst von Oven auf der Zitadelle sei. fuhr ich mit dem Brigade- Adjutanten in einem belgischen Kraftwagen dorthin voraus. Kein deutscher Soldat war dort, als ich eintraf. Tie Zitadelle war noch in feindlicher Hand. Ich schlug an das ver- schlossen? Tor. ES wurde von innen geötf.

unsere große Bagage mit meinem Bur- scheu Rudolf Peters, der mir Treue während sechs langer Jahre bewahrt hat. Ich schnell und fuhr dann in der Nacht nach vorn, um die Brigaden zu suchen. Bei­nahe 90 Stunden kam ich nicht aus den Kleidern. Ich traf zufällig mein altes Regiment, das in aller Eile auf die Bahn gesetzt war, um bei Lüttich zu helfen. Auch die OHL. in Berlin hatte über unser Schick­sal die schwersten Befürchtungen gehegt.

Die Lage unserer Truppen in der Festung war hochgespannt. Diese Spannung löste sich aber, der Feind tat nichts.

Die Festungswerke kamen nach und nach und so rechtzeitig in unsere Hand, daß der rechte Flügel des deutschen Heeres den Vor­marsch über die Maas nach Belgien hinein ungehindert ausführen konnte. Mir war ein Stein vom Herzen gefallen.

Seine Majestät verlieh mir für die Füh­rung der Brigade den Orden Pour le msrite. General von Emmich erhielt ihn selbstver­ständlich als Erster. Er war der verant­wortliche Führer.

Vas Leven des großen Soldaten

Friedrich Wilhelm Erich Ludendorff wurde am S. April 186b auf dem Gute PruSzennw (Posen) alS Sohn des Rittmeisters a. D. August Wilhelm Ludendorfs geboren.

Am IS. April I88S trat «r al» Leutnant in di« Armee ein. und zwar in daS J-R. S7 in Wesel. Er kam dann in die MilitSrturnanstalt und wurde 188S mit Vorpalentrerung in die Marineinfan- terie versetzt. Unter Beförderung zum Premier- leutnant trat er drei Jahr« später in die Armee zurück und kam zum Leibgrenadirrregiment Nr. 8 zu Frankfurt a. d O. Bald darauf ries ihn dir Kriegsakademie. Das Urteil bei der Abschlußprü. fung über ihn lautete:Ein klarer Kopf, der mit gutem Wissen und gutem Können gute For­men verbindet." Nach einer Studienreise nach Rußland wurde er 18SS im Alter von dreißig Jahren als Hauptmann in den Großen Ge­ne rat stab berufen, wo der geniale General­stabschef Gras von Schliesfen auf den befähigten Offizier aufmerksam wurde. Kurze Frontkom- mandoS und eine Tätigkeit als Lehrer für Tak­tik und Kriegsgeschichte an der Kriegsakademie unterbrachen sein Wirken im Großen Generat­stab, bis er 1908. mannigfaltig vorbereitet und bewährt, als Oberstleutnant Eh es der wichtig- sten Abteilung, der Aufmarsch-Abteilung des G r o- ßen Generalstabes wurde. In einer gan­zen Reihe von Denkschriften, die seinen über­ragenden Weitblick erkennen lassen, kämpfte er mit unbeirrbarer Zähigkeit um die Verstärkung der Wehrkräfte. Ein Jahr vor dem Kriege wurde er Kommandeur des Füsilier-Regiments Nr. 39 in Düsseldorf (hier erlebte er den Triumph, daß seine Heeresvorlage 1913 zur Annahme kam) und ein Jahr später als Generalmajor Brigadekvm- mairdeur der 85. Jnfanteriebrigad« in Straßburg

Beim Ausbruch des Weltkrieges wurde er Oberquartiermeister der II. Armee. Am Ende der ersten Mobilmachungswoche 1914 heißt es u> einer amtlichen Meldung, daßbisher an den Generalstab keine Rückfragen gekommen seien', d. h., daß sich der gewaltige Aufmarsch an zwei Fronten, eine einmalige Leistung in der Kriegs­geschichte, mit der Präzision eines Uhrwerkes vollzogen hat. Der geniale Organisator bewährte sich bald darauf auch als hervorragender Feld­herr, als er in den ersten Kriegslagen wenige Stunden vor dem Fall von Lüttich das Kommando der 14. Jnfanteriebrigade übernahm, deren bisheriger Kommandeur. General von Wujjow, gefallen war. Sein Feuergeist riß die Truppen vorwärts, und als im Schlachtgetüm- mel der Angriff zu stocken drohte, rief er den Soldaten zu:Kerls, wollt ihr hier einen Ge­neral allein gegen den Feind gehen lassen?" Als erster kam er, nur begleitet von feinem Adjutan­ten, zur Zitadelle und fand dort einige hundert Belgier, die stch auf ferne geistesgegenwärtige Aus. sorderung ergaben. Damit fielen Zitadelle und Stadt Lüttich in unsere Hand. Für dieses Bra­vourstück wurde Ludendorfs der Pour l« märite verliehen.

Wenige Tage später, am 22. August 1914, rief ihn ern Telegramm des Generalstaoschefs:Viel­leicht retten Sie im Osten die Lage" an die Seite Hindenburgs. Damit fanden sich dir beiden Männer zusammen, die länger als zwei Jahr«, vom 29. August 1918 an. als Oberste Heeresleitung" die ganze Schwere der Verantwortung auf ihre Schultern nahmen. Das erste Ergebnis der Zusammenarbeit dieser beiden überragenden Persönlichkeiten war die Befreiung Ostpreußens. Und die­ser glorreichen Waffentat folgten Schlag auj Schlag neue Siege auf allen Kriegsschauplätzen und neue Waffenleistungen, wie sie während des ganzen Krieges in keinem anderen Heerlager er­reicht wurden. Als Mitträger großer Entschei- düngen wußte Ludendorfs der Truppe daS Ge- fühl der Zuversicht zu geben, als genialer Orga­nisator im Hi ndenburg-Programm die letzten Energien zu mobilisieren. Strategischer Gipfelpunkt dieses idealen Feldherrnpaares war die große Osfenfivfchlacht des Jah­res 19 18. wo es nach dreieinhalbjährigem Ringen gegen zwanzigfache Uebermacht den deul scheu Armeen gelang, tief ins feindliche Hinter­land vorzustoßen. Es kann den Ruhm der Füh­rer des deutschen Heeres nicht schmälern, wenn Ver Endsieg nicht erreicht wurde. Den genialen Feldherren fehlte die Ergänzung durch den ge­nialen Staatsmann, der wie diese die deutschen Armeen auch die deutsche Heimat zu einheitlichem Willenseinsatz geführt hätte. Dem großen Heer- sichrer Ludendorfs schlugen engstirnige Pseudo­staatsmänner die Waffen aus der Hand. Der Haß beschränkter und landesverräterischer Parteipoli­tiker erzwang am 24. Oktober 1918 die Abdan - kung des Mannes, dessen geschichtliches Ver­dienst es ist, daß trotz ungeheurer Uebermachl kein feindlicher Soldat deutschen Boden betrat'

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