Nr. 256
Monrag, 2. November 1936
110. Jahrgang
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Postschließfach Nr. 55
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ZisMieitnil- der Wilsm-Awlißieii
Die große Rede Mussolinis auf dem Mailänder Domplatz
Mailand, l. November.
Den Höhepunkt des Besuches Mussolinis in Mailand, der Geburtsstadt des Faschismus, bildete der Sonntag mit dem großen Aufmarsch auf dem Domplatz. Schon in den frühesten Morgenstunden nahm Mussolini seine Besichtigungsfahrten auf. Wo er sich zeigte, jubelten ihm die Menfchemnassen zu. Der Bormittag galt der Besichtigung der Mailänder Militärakademie. Weiter ging es zum Palazzo San Sepolero. der Gründungsstätte der faschistischen Bewegung, wo die Partei ihre ersten Versammlungen abhiert. Tann erschien er auf dem Balkon des daneben liegenden alten Hauses und tat mit der Spitzhacke die ersten Schläge zur Nieder-» legung des Gebäudes, das einein neuev Parteihaus weichen muß.
Lei der Massenkundgebung auf dem Tomplatz in Mailand hielt IN u ! ivl i n i vor einer Diertelmillion Menschen seine angekündigte Rede über die Stellung Italiens und seine Beziehungen zu den einzelnen europäischen Ländern.
Er bewnke einleitend, daß er über Probleme sprechen werde, die in anderen Ländern in den sogenannten Parlamenten oder am Ende der sogenannten demokratischen Bankette erörtert würden. Bei dein hohen Srand der politischen Erziehung des italieni- 'chen Volkes könnten diese Probleme aber von ihm an dieser Stelle in spnihetischer Kürze Umrissen werden, wobei allerdings jedes Wort wohl überlegt sei.
Wenn man zu einer Klärung der europäischen Atmosphäre gelangen will, so muß man zu allererst mit den Gemeinplätze», mit allen konventionellen Lügen aufrünmen, die ans dem
großen Schiffbruch der Ideologien Wilsons
noch als Trümmer übrig geblieben sind.
Eine dieser Illusionen, d i e A b r ü st u n g, ist bereits gefallen. Niemand will als erster abrüsten und die gleichzeitige Abrüstung aller ist unmöglich und ein Widersinn. Als die Abrüstungskonferenz in Gens zusammentrat, war die Regie in voller Tätigkeit, eine Regie, die darin besteht, ein unscheinbares Nichts zu einem Berg aufzu blasen, auf den für einige Tage die Scheinwerfer der Weltöffentlichkeit gerichtet sind, bis dann dieser Berg eine Maus gebiert, die in den Jrrgängen einer beispiellos erfinderischen Prozedur verschwindet.
Eine zweite Illusion ist die sogenannte internationale kollektive Sicherheit, die es niemals gegeben hat und niemals geben wird. Ein männlich starkes Volk verwirklicht seine Kvl- lektivsicherheit innerhalb seiner eigenen Grenzen und lehnt es ab, sein Schicksal den unsicheren Händen Dritter anzuvertranen.
Ein dritter Gemeinplatz, mit dem aufgeräumt werden muß, ist der unteilbare Frieden. Ein solcher Frieden wäre gleichbedeutend mit dem unteilbaren Krieg. Aber die Völker lehnen es — und zwar mit Recht — ab, sich für Interessen zu schlagen, die sie nicht betreffen. Auch der Völkerbundsrat ist auf einem Widersinn, nämlich auf dem Kriterium der absoluten Gleichberechtigung aller Staaten ausgebaut, während sich in Wirklichkeit die Staaten — zum mindesten vom Standpunkt ihrer Verantwortung vor der Geschichte — unterscheiden.
Friedenspolitik ohne Völkerbund
Für den Völkerbund stellt sich ganz klar das Dilemma: Entweder Erneuerung oder Untergang. (Zurufe: Untergang.) Da seine Erneuerung schwierig ist, kann er, was Italien anlangt, ruhig verschwinden. Auf jeden Fall haben wir es nicht vergessen und werden es auch nie vergessen, daß der Völkerbund mit geradezu teuflischen Methoden die ungerechte Belagerung des italienischen Volkes organisiert hat, daß er
! versucht hat, dieses Volk in feiner konkreten.
! lebendigen Realität mit Frauen, Kindern und Greisen anszuhungern, daß er versucht hat, unsere militärischen Anstrengungen, die 8000 Kilometer entfernt vom Vaterlande im Gange waren, zu zerschlagen. Es ist ihm nicht gelungen, nicht etwa, weil er dies nicht ernsthaft gewollt hätte, sondern weil er die starke Vitalität des italienischen Volkes gegen sich hatte, das zu allen Opfern fähig ist und auch zum Kampf gegen i 52 Staaten bereit war. Im übrigen braucht man, um Friede nspoli- ^ tik zu treiben, sich nicht in den i Wandelgängen des Völkerbundes ! zu bewegen.
! Reserve gegenüber Frankreich
! Und jetzt, so fuhr Mussolini fort, will ich I das tun, was man in der Schiffahrt nennt: den Standort messen. Nach 17 Jahren der Polemik, der Reibungen, der Mißverständnisse, der aufgeschobenen und offen gebliebenen Probleme kam es im Januar 1935 zu den Vereinbarungen mit Frankreich.
! Diese Abmachungen hätten einen neuen Zeit- j abschnitt wirklich freundschaftlicher Beziehungen zwischen den beiden Völkern eröffnen können und sollen. Aber es kamen die Sanktionen, und damit fiel natürlich auf die Freundst! "er erste Rauhreif. Mau stand ja auch st. . n vor dem Winle: aber
kam der Frühling, und mit drin Frühling kamen unsere herrlichen Siege. Die Sanktionen aber wurden weiter arw ndt mi( einer geraden kleinlichen Strenge. Als Italien schon zwei Monate in Addis Abeba stand, waren die Sanktionen immer noch am Leben.
Es war einer der typischen Fälle, wo der Buchstabe den Geist tötet, wo man die starke Realität des Lebens in Formelkram ersticken soll. Noch heute deutet Frankreich mit dem Finger auf die Register in Genf und sagt: Das Kaiserreich des — schon lange Ex- — „Löwen von Juda" ist noch am Leben. Was aber sagt jenseits der Genfer Register die Wirklichkeit unseres Sieges? Das Kaiserreich des Ex-Negus ist längst tot, mausetot! Es ist sonnenklar, daß so lange die französische Regierung Italien gegenüber eine Haltung des Abwartens und der Reserve einnimmt, Italien nur die gleiche Haltung einnehmen kann.
Die Schweiz
Uebergehend zu anderen Nachbarländern Italiens erklärte Mussolini weiter: Mit der Schweiz waren unsere Beziehungen immer außerordentlich freundschaftlich und werden es immer sein. Die Schweiz ist ein kleines Land, aber von größter Bedeutung sowohl wegen seiner völkischen Zusammensetzung wie wegen seiner geographischen Lage, die es im Schnittpunkt Europas hat.
Mussolini beschäftigte sich im weiteren Verlauf seiner Rede mit den Abmachungen vom 11. Juli. Mit diesen Abmachungen habe in der modernen Geschichte Oesterreichs ein neuer Zeitabschnitt begonnen. Diese Abmachungen, so sagte der Duce, davon mögen alle voreiligen und schlecht informierten Kommentatoren Kenntnis nehmen — waren mir bekannt und hatten meine Zustimmung seit dem 5. Juni. Es ist meine Ueberzeugung, daß dieses Übereinkommen das StaatsgefügeOester- reichs gefestigt und seine Unabhängigkeit nur noch mehr garantiert hat.
Solange Ungarn nicht Gerechtigkeit widerfahren sein wird, wird es auch keine endgültige Ordnung der Interessen im Donaugebiet geben. Ungarn ist wirklich der große Kriegsverstümmelte. Vier Millionen Ungarn leben außerhalb seiner jetzigen Grenzen. Weil man den Lehren einer allzu abstrakten Gerechtigkeit folgen wollte, hat man vielleicht noch schlimmere Ungerechtigkeit begangen. Die Gefühle des italienischen Volkes gegenüber dem ungarischen Volk sind die einer aufrichtigen, übrigens auf beiden Seiten bestehenden Anerkennuna
feiner militärischen Eigenschaften, seines Mutes, seines Opfersinnes.
Das vierte Nachbarland ist Jugoslawien. In der letzten Zeit hat sich die Atmosphäre zwischen den beiden Ländern stark verbessert. Vor zwei Jahren habe ich auf diesem gleichen Platz eine Anspielung auf die Möglichkeit der Herstellung von Beziehungen herzlicher Freundschaft zwischen den beiden Ländern gemacht. Ich nehme heute dieses Motiv wieder auf und erkläre, daß nunmehr die notwendigen und ausreichenden Voraussetzungen moralischer. Politischer und wirtschaftlicher Art vorhanden sind, um die Beziehungen zwischen diesen beiden Ländern auf neue Grundlagen einer ! wirklichen und konkreten Freundschaft zu ! stellen.
? Die Achse Berlin—Rom
! Außer dieser vier Nachbarländern Italiens ! gibt es ein großes Land, das in den letzten : Zeiten bei den Massen des italienischen Volkes : große Sympathien genießt. Ich spreche von i Deutschland.
^ Die Zusammenkunft von Berlin
: hat eine Verständigung zwischen den beiden ? Ländern über bestimmte Probleme ergeben, i von denen in diesen Tagen einige ganz be- ! sonders brennend sind. Aber diese Verftändi- ! gung, die in besonderen Niederschriften sest- § gelegt und in gebührender Form untcrschrie- bcn worden sind, diese Vertikale Berlin— ! Rom ist nicht eine Schnittlinie, sondern viel-
> mehr e i n e A ch s e, um die alle europäischen - Staaten, die von dem Willen der Zu- ! sammcnarbeit und des Friedens j beseelt sind, Zusammenarbeiten ! können. Deutschland, obwohl man es be- j stürmte und ihm in den Ohren lag, hat die
> Sanktionen nicht mitgemacht.
Mit dem Ueberemkommen vom 11. Juli ist ein Spannungsfaktor zwischen Berlin und Rom verschwunden und ich erinnere daran, daß auch schon vor der Berliner Zusammenkunft Deutschland bereits praktisch das Imperium von Rom anerkannt hatte.
! Bolschewismus ist staatlicher ! Ileberkapitalismus
! Wenn wir heute das antibolschewistische Banner erheben, so ist das nichts Erstaunliches. Das ist ja unsere eigene alte Fahne, unter der wir geboren sind, unter der wir gegen diesen Feind gekämpft, unter der wir ihn mit dem Opfer unseres eigenen Blutes besiegt haben, j Was man heute Bolschewismus und Kommunismus heißt, ist — hört Wohl darauf! — nichts anderes als staatlicher Ueberkapitalis- mus der schlimmsten Form, es ist also nicht eine Verneinung, sondern eine Uebersteigerung dieses Systems.
Es wäre endlich an der Zeit, Faschismus und Demokratie nicht mehr zueinander in Antithese zu stellen. Das große Italien ist heute wirklich die große Verkannte. Wenn so manche Minister, Deputierte und ähnliche Leute, die nur vom Hörensagen über Italien sprechen, sich einmal entschließen wollten, nach Italien zu reisen, so würden sie sich sofort überzeugen, daß, wenn es ein Land gibt, wo das wahre Wesen der Demokratie realisiert worden ist, dieses Land das faschistische Italien ist.
Zusammenarbeit mik England
Bis jetzt habe ich mich mit dem Kontinent befaßt. Italien ist aber eine Insel, und die Italiener müssen sich allmählich die Mentalität eines Jnselvolkes schaffen, da das der einzige Weg ist, um die Probleme der nationalen Verteidigung zur See auf den richtigen Plan zu stellen. Italien ist eine Insel, die aus den Fluten des Mittelmeeres sich erhebt. Dieses Meer ist — und hier wende ich mich auch an die Engländer, die in diesem Augenblick am Rundfunk mithören — für Großbritannien einer seiner vielen Seewege, ja, eine Abkürzung, mit der England rascher in die Grenzgebiete seines Weltreiches gelangen kann. Nebenbei sei erwähnt, daß, als der Italiener Negrelli den Bau des Suezkanals plante, er ge- ! rade vor allem in England als ein Verrückter j bezeichnet worden ist. Wenn das Mittelmeer ! für die anderen eine Verkehrsstraße ist, ' so ist es für den Italiener das Leben.
, Tausendmal habe ich es erklärt und wiederhole j es auch heute wieder, daß w i r n i ch t d i e A b- sicht haben, diese Verkehrs st raße- zubed rohen.
Wir haben nicht die Absicht, sie zu unterbinden, aber wir verlangen von der Gegenseite, daß auch unsere Rechte und lebenswichtigen Jüieressen geachtet werden. Es gibt keine Alternative. Tie Tatsache ist geschaffen und iinwiderrittlich. Je früher das anerkannt wird, um so besser. Ein zweiseitiger Zusammenstoß ist nicht denkbar, noch weniger denkbar ist. daß ein zweiseitiger Zusammenstoß sofort zu einem europäischen Konflikt werden würde. Es gibt also mir eine Lösung: die klare, schnelle und vollständige Verständigung aus der Grundlage der Anerkennung der gegenseitigen Interessen. Wenn cs aber dazu nicht kommen sollte, wenn tatsächlich — was ich schon heute aus- schließe — daran gedacht werden sollte, das Leben des italienischen Volkes in diesem Meere, das das Meer Roms war, zu ersticken, io möge man wissen, daß das^ italienische Volk wie ein einziger Mann sich erheben würde, bereit zum Kamps mit einer Entschlossenheit, die in der Geschichte wenige Beispiele hätte.
; Tie Losung unseres Weges im Jahre 15 der faschistinven Zeitrechnung heißt: Friede mit allen, Friede mit den Nachbarn wie mit den anderen Völkern, bewaffneter Friede. Unser R ü st u n g s P r o gra m m. j zu Lande, zu Wasser und in der Lust wird l also regelmäßig weiter entwickelt werden. Beschleunigte Förderung aller Produktiven Energien, sowohl auf dem Gebiete der Landwirtschaft wie auf dem Gebiete b . Industrie, Ausbau des korporativen Systems im Sinne seiner endgültigen Verwirklichung. Dazu kommt aber noch eine letzte Losung, die ich gerade den Mailändern anvertraue. Diese Losung wird, dessen bin ich sicher, für euch alle im selben Augenblick, in dem ich sie ausspreche, eine gebieterische Pflicht. Ihr müßt euch an die Spitze der Vorhut derer stellen, die das Imperium in Werte um- i setzen, damit es in der kürzest möglichen Zeit ein Faktor des Wohlstandes, der Macht ! und des Ruhmes für das Vaterland werde.
h«t Mt, Cm! Pm belehrt?
Ter Besuch des rumänischen Königs Carvl in Prag, der mit dem Kronprinzen Michael und dem Außenminister A n tone s c u erschienen war, ist noch am Freitag abgeschlossen worden. In der amtlichen Mitteilung üver die Besprechungen zwischen den beiden Staaten wird die Notwendigkeit bc- ckont, in vollem Einvernehmen mit der Bei- grader Negierung die Linie der gemeinsamen Politik zu verfolgen mit dem Ziel, die Einheit der drei Staaten noch mehr zu vertiefen.
Der konkrete Inhalt der Prager Gespräche kann wohl dahingehend zusammengefaßt werden: Man ist zur Zusammenarbeit mit dem Deutschen Reich bereit, ohne daß man diesmal Bedingungen an diese Bereitwilligkeit geknüpft hat (wie seinerzeit Hodza, der erklärt hat, daß der Weg nach Berlin nur über ein organisiertes Mitteleuropa führe). Die Mahnungen zur Vorsicht, die der rumänische König und sein Außenminister hinsichtlich Sowjetrußlands ausgesprochen haben, waren so deutlich, daß man es vorzog, die Sowjetunion in der amtlichen Verlautbarung über den Königsbesuch überhaupt nicht zu erwähnen. Daß Prag sich über die tatsächliche Lage in Mitteleuropa noch nicht ganz im klaren ist, geht daraus hervor, daß Prag wohl mit dem Deutschen Reich verhandeln möchte, ohne aber das Bündnis mit Sowjetrußland aufgeben zu wollen. Sind doch sogar die tschechischen Agrarier, deren Presse in den letzten Wochen Sturm gegen den Sowjetkurs lies, im Außenausschuß des Prager Abgeordnetenhauses wieder umgefallen und haben diesen Kurs gebilligt. Man wird deshalb die Prager Anbiederungsversuche zunächst nicht allzuhoch einschätzen dürfen — wenn sie auch eine Konzession an jene Kreise bedeuten, die klarer als die leitenden Prager Staats- ! männer die Fragen erkennen, vor die heute ! ganz Europa gestellt ist.