Seite 8 Nr. ISS
Nagolder Tagblatt „Der Gesellschafter
Samstag, den 11. Juli 1SSK
Lorialpofitik
f^keunäe, kabrl oicbt so, kabrl anäers!
Ihren Koffern steht maws an. woher sie kommen. Schlesische Arbeiter haben in ihren Händen einen Pappkarton, in dem sie ihre knappe Habe verstauen. Aber namentlich die aus den großen Städten marschieren gern mit einem ausgewachsenen Lederkoffer aus. der nicht eben billig war. um zu zeigen, wie weltbefahren sie sind.
Verwandte „geben Hilfsstellung"
Eine bestimmte Sorte gibt es. die belegen nur ..KdF."-Reisen. die in beste Seebäder führen, für die man infolgedessen doppelt so viel zahlen muß wie für eine „KdF."-Reise nach nicht minder herrlichen Gebieten des Reiches, die der allgemeine Fremdenverkehr nicht kennen will. Ein Arbeiter vermag sich nicht so schnell für eine solche Fahrt zu entschließen. wie jene das bare Geld aus den Tisch ihrer „KdF."-Geschüftsstelle legen. Zu dieser ihrer ..vorzüglichen Organisation" gehört nicht minder das Aufgebot eines ganzen Trosses von Begleitpersonen, die. kaum daß der ..KdF."-Zug in die Abfahrtshalle eingelaufen ist. schon dick und breit ein ganzes Abteil besetzen helfen. Drangvoll fürchterlich gefüllt ist es, sieht man da hinein. Aber wenn zum Einsteigen gerufen wird und kaum noch jemand zu erwarten ist. dann verlassen die ..Hilfstellung gebenden" Zeitgenossen das Abteil, und dre einzige Tochter, die man auf die Reise schickt, hat nun Platz, sich für die Nacht ungestört bequem lang zu legen.
„Alles beseht!"
Findet ein Urlauber den Mut, bescheiden vor der drohenden Wucht der zahlreichen Insassen eines anderen Abteils zu fragen, ob nicht doch noch ein schmales Plätzchen für ihn frei sei, dann erschallt es in lautem Chor: ..Alles besetzt!" Kommt aber der Reiseleiter herbei, der vergebens nach leeren Plätzen sucht, die noch vorhanden sein müssen, weil nie mehr Karten ausgegeben werden, als ein Zug Fahrgäste unterbringen kann, dann kommt ein wenig-trotzig verlegen und stockend die Antwort: „Dieser Platz ist noch frei und noch dieser" — aber der also eingewiesene Urlaubskamerad hat kaum eine ruhige Stunde, nicht in der finstersten Nacht, vor der durchbohrenden Schärfe der Blicke, die unentwegt auf ihm ruhen, vor dem spöttischen. eiskalten. maliziösen Lächeln, das ohne Unterlaß von Kops bis Fuß ihn überrieselt. Denn e r ist der Schuldige, natürlich, nicht die. die „gescheit und geschickt" einen breiten, freundlichen Platz sich frühzeitig eroberten.
Im Bratenrock in die Alpen
Es gibt welche, die fahren in die hochsommerliche Glut der Alpen oder der See.! Aber bevor sie sich auf die Reise machen, suchen sie die letzten mottengefüllten Kleiderschränke heim, holen den ältesten schwarzen Bratenrock, holen ihren Sonntagsanzug hervor. den sie nur an hohen Feiertagen anzulegen Pflegen, polieren ihren getreuen schwarzen steifen Hut mit allem Kenntnisreichtum erfahrener Kleiderhüter, schnallen denhöchsten Leinenkragen aus besseren Vorkriegszeiten um den dürren Hals und schreiten mit glänzenden Lackkappen in die Pracht der strahlenden Welt.
Mil BabieS auf die „KdF."-Fahrt
Ja. und es gibt Eltern, gegen deren Kinder wir nichts sagen wollen, deren Mut zum Kinde höchstens zu preisen ist. Aber seht: vier Jahre sind diese Kinder alt und noch darunter. Fährt man mit ihnen in der Straßenbahn oder auf der Eisenbahn, dann dürfen sie mitgenommen werden, ohne daß für sie schon eine Fahrkarte zu lösen wäre. Was dem Tarifreisenden recht ist, soll dem „KdF."- Fahrer billig sein, erklären sie, und neulich kamen Vater und Mutter gleich mit zwei solchen Babies und einem Kinderwagen,, breit, wie er sich für Zwillinge gehört. Kostenlos füllten sie das Abteil, in dem eigentlich jeder Platz vorher vergeben ist, und hatten zu allem Ueberfluß den Kindersegen für diese Fahrt nicht angemeldet
Was geschah nun, als für vier Menschenkinder, große und kleine, nur zwei Plätze verfügbar waren? Es erhob sich ein beachtlicher Lärm über die mangelnde Zuvorkommenheit der Reiseführer, es machte sich ein Sturm der Entrüstung auf über die „unfreundliche Behandlung" kinderreicher Familien.
Zugleich erschallten, in nächtlicher Stunde, die Stimmen der Kinder. Und nun dröhnten, zu gewichtiger Abwehr, der Baß der Urlauber und gellte der Helle Diskant der Urlauberinnen. die dieses Kinderabteil teilen sollten und keine Freude daran fanden, das Gezänk der Alten und das Geschrei der Jungen stundenlang mit anzuhören, da sie doch zu schlafen gedachten, so gut sie konnten.
Ein Wirt ist verzweifelt
Schwarze Fahrt des Mißvergnügens auf allen Seiten, fortgesetzt am Ankunftsort, wo der Wirt ein saures Gesicht zog über den uner
warteten Zuwachs der kleinen Gäste, für die besonders gesorgt und besonders gekocht sein wollte, für die kein Bett vorhanden war, da man von ihrem Dasein nichts wußte, bis sie klein und rosig in ihrem Wagen vor dem Wirt lagen, dessen Haus bis unters Dach belegt worden war. Na, und war es eine reine Freude, als am Morgen darauf das Bett betrach^t wurde, in dem man die beiden jungen Erdenbürger doch noch untergebracht hatte? Schweige des Sängers Höflichkeit, schweige . . .!
Die Erfahrung ist alles. Vor dem Kriege, als die deutsche Wirtschaft sich in normalen Verhältnissen befand, verstand es sich für den jungen Mann, der ausgelernt hatte, wenn er nur einigen Wagemut besaß, ganz von selbst, daß er für einige Jahre in die Welt hinausging, wenn möglich sogar ins Ausland. Er versuchte, möglichst recht viele Betriebe seines Berufes kennenzulernen, denn wenn er auch die elementaren Kenntnisse für seine berufliche Arbeit sich auf seiner Lehrstelle erworben hatte — in jedem Betriebe wurde doch, auf Grund besonderer Erfahrungen, manches anders gemacht.
Die Summe dieser Erfahrungen machte dann die tüchtigen deutschen Arbeiter und Kaufleute, die in der ganzen Welt gesucht waren.
Diese Art, sich in der Welt umzusehen, war im Grunde nichts anderes als eine Fortsetzung des Manderns der Gesellen von einst. Nach dem Kriege hat es damit freilich ein jähes Ende gehabt. Je schneller die Arbeitslosigkeit das Volk überfiel, um so weniger Neigung verspürte der junge Mensch, in die Welt hinauszuwandern. Man war froh, wenn man nach Beendigung der Lehrzeit nicht stempeln gehen mußte, freute sich über die bescheidenste Stellung, die sich bot, und hütete sie peinlich, sie bloß aufzugeben, um anderswo mehr Erfahrungen sammeln zu können. Der Lernbegierde waren durch die Ungunst der Verhältnisse sehr enge Grenzen gezogen. Außerdem wußte man ja gar nicht, ob man auf der Suche nach einer neuen Stellung, die neue Eindrücke vermitteln sollte, auch wirklich eine finden würde . . .
Daß nun wieder das Gesellenwandern in großem Maßstab betrieben wird, ist deshalb ein hervorragendes Merkmal für die immer weiter um sich greifende Ueberzeugung von der stetigen Stabilisierung unserer Wirtschaft. Das wirÄ nachdrücklich unterstrichen durch die Tatsache, daß die Teilnahme über Erwarten zahlreich ist. Das gilt vor allem auch für das Werk-
Schweige auch von denen, die fünfzig Pfennig je Tag für ihre beiden Kinder zuzahlen sollten und es nichi taten. Schweige von denen, die mit Stöckelschuhen Alpengipfel erklimmen wollten, weil ihnen, als sie in die Ferien fuhren, alles darauf ankam, augenfällig zu demonstrieren, daß sie etwas Besseres darstellten, als die mit denen sie zufällig zusammengewürfelt worden warm . ..
. . . Schweige — aber rufe es taut und deutlich nnd ohne die geringste Möglichkeit eines Mißverständnisses allen zu, die mü „KdF." ins Land reisen wollen: Freunde, fahrt i. i ch t s o, f a h r t a n d e r s!
stattwandern der Kraftfahrzeughandwerker und Schmiede. Aus ihren Kreisen sind derartig viele Anträge eingegangen, daß einfach nicht alle Bewerber berücksichtigt werden, konnten. Sie mußten infolgedessen auf den Beginn der nächsten Aktion vertröstet werden.
Dies kommt, daran ist kein Zweifel, wesentlich daher, daß es sich verhältnismäßig schnell herumgesprochen hat, welchen außerordentlichen Nutzen die „Werkstattwanderer" für ihre berufliche Arbeit ziehen. Ungefähr acht Wochen halten sie sich in fremden Werkstätten auf. Für diese Zeit ist ihnen ihr Unterhalt gewährleistet, und in besonderen Fällen natürlich auch darüber hinaus. In diesen acht Wochen haben die „Gastarbeiter" hinreichend Gelegenheit, sich mii denjenigen Maschinen, Fahrzeugen usw. vertraut zu machen, die in ihrem heimatlichen Betriebe nicht verwendet werden, deren Kenntnis ihnen aber nützlich sein kann. Deshalb ist u. a. auch der Grundsatz aufgestellt worden, daß die „Werkstattwanderer" nach Möglichkeit in einem Werk arbeiten sollen, dessen Erzeugnisse in ihrer Heimatwerkstatt überwiegend repariert werden müssen.
Es versteht sich, daß nicht jeder zu diesem Werkstattwandern zugelassen worden ist. Sonst wäre die Zahl der Anmeldungen noch größer geworden. Man hat nur die Auslese der Besten zugelassen. Gesellen beispielsweise, die ihre Prüfung mindestens mit „gut" bestanden haben, und durchweg Männer, die in politischer und moralischer Hinsicht hieb- und stichfest sind. Denen wird ihre Tätigkeit im Werk durch eine Bescheinigung ins Arbeitsbuch bestätigt, und eine solche Bescheinigung wird ihnen auf späterer Arbeitssuche natürlich von beträchtlichem Borten sein können. Neben dieser fachlichen Weiterbildung sorgt auch noch die zuständige Dienststelle der 'Reichsbetriebsgemeinschaft Handwerk für die weltanschauliche Fortbildung in den Abendstunden, vor allem aber auch dafür, daß die „Werkstattwanderer" die Umgebung ihrer vorübergehenden Arbeitsstätte recht gut kennenlernen.
Lideit io sedviiweloUer ltöiie
NS.-Preisc-Archiv (M.I
Vas VVerkslattnanäern ^
^ von kscbardeitern
Es braucht nicht erst betont zu werden, daß die bisherigen Erfahrungen mir dem Werkstatt» wandern sehr gut sind. Immer wieder hat sich gezeigt, wie wertvoll es ist, wenn der beruf» liche Gesichtskreis des Arbeiters sich weitet. Seine zusätzlichen Kenntnisse, die er in fremden Arbeitsstätten hinzuerworben hat, kommen natürlich in erster Linie seinem heimatlichen Betriebe zu statten, der um so lei» stungsfähiger wird, je mehr Erfahrungen seine Arbeiter haben sammeln können. Deshalb ist wohl damit zu rechnen, daß die Entwicklung des Werkstattwanderns nicht stehenbleiben, sondern immer größere Ausmage annehmen wird. Das Werkstattwandern ist nicht der letzte Beitrag der Deutschen Arbeitsfront zu den Bemühungen um die Heranbildung bester und zuverlässiger Facharbeiter auf allen Gebieten.
Arbeiter Kieker
Lin Xeitbilä von fiotbsr hioscll
An seinem Arbeitsplatz stand der Arbeiter Kiefer. Schwere Steine lagen vor ihm. die er mit dem Steinklopfer zerhieb. Er sah nichts von der Natur um sich, nichts von den grünen Buche» am Weg zum Steinbruch, nichts von den ziehenden Wolken hoch oben am Himmel. Er sah nur die kantigen großen Steine, auf die die Spitze des Stein- klopsers treffen muhte. Dann spritzten die Splitter von Stein und Boden weg. und, obwohl er eine Schutzbrille aufgesetzt hatte, kniff er beim Schlagen immer die Augen zusammen. Er tat es schon ganz unbewußt, und so kam es. daß man bei ihm ein nervöses Zucken der Stirnfalten beobachten konnte, auch wenn er ausruhte.
Der Arbeiter Kiefer bekam von seinem Betriebssichrer eine Freifahrtkarte zu einer Gemeinschastsfahrt in den Bayrischen Wald, Der Betriebsführer hatte Kiefer unter vielen Kameraden herausgesucht, weil er noch nichts von der Welt gesehen hatte als die Stadt, zehn Kilometer vom Heimatdorf entfernt, weil er Sorgen um die kranke Frau und um die große Familie hatte — und weil er ein guter und zudem einsamer Mensch war. Als er sich für die acht Tage Erholungsurlaub verabschiedete, drehte er seine verschlissene Mütze in der Hand und wußte nichts zu sagen. Die Kameraden aus den anderen Betrieben. die mitfuhren, neckten ihn wegen seines ungelenken Umganges, aber er kümmerte sich nicht um sie.
Nach acht Tagen kam er zurück. Dw Kameraden sangen beim Einfahren des Zuges in den Stadtbahnhof: doch er war still. Auch auf dem Gang in das Heimatdorf war er allein. Er war der ruhigste unter den Kameraden. Er sang und jauchzte nicht. Die Fahrt und das Neue schienen für ihn ohne Wirkung geblieben zu sein. Nur. als der Betriebsführer ihm zum Willkommen die Hand reichte, drückte er sie fest und wollte etwas sagen. Doch die Worte mangelten ihm wohl, und der Betriebsführer hatte sich schon zum nächsten gewandt, mit dem er zu reden, anfing.
Am nächsten Morgen schlug Kiefer gerade- einen bröckligen Sandstein entzwei, als der Betriebsführer vorbeikam und zu ihm trat. „Na, Kiefer", meinte er. „haben Sie etwas von der Fahrt gehabt?"
Kiefer stellte den Steinhammer neben sich, nahm die Brille ab und sah den Betriebsführer an. „Das wohl schon", sagte er zögernd, so, als ob ihm die Worte schwer über die Lippen gingen, „aber Sie wertwn's nicht für viel halten."
„Sagen Sie's schon, Kiefer."
„Ja. es ist nur dies: dort drüben stehen Bäume, über mir ziehen Wolken, und um mich kreisen Vögel. Das ist es. was ich von der Fahrt gehabt habe."
Der Betriebssichrer sah ihn lange an und meinte: „Hatten Sie das so lange vergessen?"
Da nickte der Arbeiter stumm und beugte sich wieder zu seinem Werk; der andere aber ging nachdenklich von dannen.
Urlaub kür üea 8cbakkenäea
Zu einem wesentlichen Schutz der Arbeitskraft gehört die Urlaub sgewährung. Da sich die Urlaubszeit hauptsächlich aus die Monate Mai bis Oktober erstreckt, hat gerade in letzter Zeit eine verdienstvolle Tätigkeit der Treuhänder der A r beit eingesetzt, indem sie durch Richtlinien zur Gewährung angemessener Urlaubsbedingungen aufforderten oder bestrebt waren, für die Urlaubsverhältnisse durch Erlasse oder Aen- derungen von Tarifordnungen für wichtige Ausschnitte der Wirtschaft Neuregelungen zu treffen.
Bei der zeitlichen Berechnung des Urlaubs scheint es nicht angebracht, immer nur die Dauer der Betriebszugehörigkeit zugrunde zu legen, weil viele tüchtige Arbeiter aus Grund der Arbeitslosigkeit in den Systemjahren unverschuldet gezwungen waren, die Arbeitsstätte häufiger zu wechseln. Viel- mehr wird es richtiger sein, auch die Lebensjahre des einzelnen Arbeiters zu berücksichtigen. Entscheidend ist dabei, daß bereits vor Urlaubsbeginn der übliche Lohn ausqezahlt wird.