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Nagolder Tagblatt ,Der Eesellschafter'

Dienstag. den 22. Oktober 19SL

An; den Reden spricht dar Leben

Zur Werbewoche der deutschen Traube und des Weines vom 19. bis 26. Oktober 19SS

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Von vr. Otto Kerle»,

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In der Zeit vom 19. bis 26. Oktober 1935 wird im ganzen Reichsgebiet eine Wein­werbeaktion unter dem MottoFest der deutschen Traube und des Weines" durchge- sührt. Die Durchführung einer solchen Maß­nahme hat sich deshalb als erforderlich er­wiesen. weil sich der deutsche Weingartner- stand zur Zeit in einer besonderen Bedräng­nis befindet und rasch geholfen werden muß.

Diese Notlage des deutschen Weingärtner­standes, der im Westen und Südwesten von Deutschland, an der Mosel. Saar und Ruwer, an der Ahr. im Rheintal und an der Nahe, in Mainsranken, Baden und Württemberg ins­gesamt etwa 600 000 Menschen umfaßt, ist insbesondere dadurch entstanden, daß einer­seits infolge des vor der Machtübernahme immer weiter gesunkenen Volksvermögens der Wein immer mehr zum Luxusgetränk geworden war und daß andererseits die deutsche Weinernte des Jahres 1934 den Ertragsdurchschnitt der vorhergehenden Jahre weit übertroffen hat.' So betrug der gesamte, im Deutschen Reich im Jahre 1934 erzielte Weinertrag 4 524 825 Hektoliter gegen 1 798 536 Hektoliter im Jahre 1933, 1 721 702 Hektoliter im Jahre 1932, 2 839 536 Hekto­liter im Jahre 1931 und 2 813 744 Hektoliter im Jahre 1930. Von dem Gesamtertrag des Jahres 1934 entfallen aus Bayern 1 342 656 Hektoliter gleich 29,7 v. H., auf Preußen 1 199 781 Hektoliter gleich 26,5 v. H., aus Baden 703 596 Hektoliter gleich 15,5 v. H.. auf Hessen 907 841 Hektoliter gleich 20,1 v. H-, auf Württemberg 367 169 Hektoliter gleich 8,1 v. H. und auf die anderen Länder 3782 Hektoliter gleich 0,1 v. H.

Eine einfache statistische Ueberlegung er­gibt. daß dem deutschen Weingärtnerstande schon dann geholfen wäre, wenn jeder er­wachsene deutsche Volksgenosse monatlich nur zwei Glas Wein trinken würde. Es ist des- halb auch das Ziel desFestes der deutschen Traube und des Weines", keineswegs für

vermehrten Alkoholverbrauch des einzelnen zu werben, sondern vielmehr zu erreichen, daß die Edelerzeugnisse des deutschen Wein­baus, wie Tafeltrauben, Traubensäste. Wein oder Schaumwein immer mehr Ge­meingut des ganzen deutschen Volkes wer­den.

Wo ein grüner Besen winkt

Wenn bei uns an manchem Haus Hängt e grüner Bese raus.

Weiß es auch scho groß und klein: Dort trinkt mer en guete Wein.

Und ob einer arm, ob reich.

Rennt zum Bese-Heine gleich.

Und der Fritz sei Marie stupst:

Wie wärsis. wenn mer oin lupft?

Und eh mer ^Wirtschaft sieht,

Do hört mer scho das Lied:

Wo ein grüner Besen winkt.

Laß dich ruhig nieder.

Wo man gute Tropfen trinkt.

Kommt man immer wieder.

Wo man frohe Lieder singt.

Denkt man nicht an morgen.

Wo ein grüner Besen winkt.

Kennt man keine Sorgen!

Ja, dort kennt man sie nicht, überhaupt, wenn dieRichtigen" beieinander sind und wann sind die in einer Besenwirtfchaft nicht beieinander? Der Besucher nimmt dort bei seinem Eintritt die Türklinke gleich mit einem ganz anderen Gefühl in die Hand. Er weiß, daß hier alles ungezwungener, alles einfacher und alles viel fröhlicher ge­sonnen ist, wie anderswo.

Ja, etwas Eigenartiges haben sie an sich diese Besenwirtschaften. Man sieht dort jung

Schoppengläser voll des Weines stehen aus dem Tisch. Eine schmucke Weingärtnerin, sonnengebräuut, aber einfach in der Klei­dung, wartet auf, ebenso auch die Mutter des Hauses. Am Gläserschrank und am Schanktisch steht sonst noch jemand aus der Familie oder nächster Verwandtschaft und schenkt ein oder spült die Gläser. In großen Humpen" holt der Besenwrrt oder sonst eine vertraute Person den Wein vom Keller herauf. Ist es aber gar Sommer zur Zeit der Besenwirtschaft, so wird, wenn es not tut, auch noch der Hofraum des Besitzers zur Wirtschaft gemacht. Stimmt nun einer der Gäste in ein Volkslied ein, so singt die ganze Besenwirtfchaft mit und Volkslied um Volkslied reiht sich nun an. Jetzt fahren auch Flaschen auf, die Gäste trinken ein­ander zu und immer lebhafter wird es in der Wirtschaft. Sprüche werden erzählt, Witze gemacht. Eine lustige Gesellschaft, wo man hinsieht.

Ein ganz besonderer Genuß scheint den Gästen neben einem echten, selbsterzeugten, nicht im Keller, sondern in den Rebbergen gewachsener Qualitätswein, ein Stückselbst­gebackenes" Brot und ein StückEmmen­taler" zu sein, da sie es mit besonderer Vor­liebe verzehren.

Auch die Weinernte des Jahres 1935 ver­spricht, soweit es bis jetzt beurteilt werden kann, ebenfalls überdurchschnittlich zu wer­den und trägt damit zur Steigerung der Ab­satznot bei. Ein weiterer Grund für die heu­tige besondere Bedrängnis des Weingärtner­standes ist darin zu suchen, daß die Winzer­kredite. die den Weingärtnern gewährt wor­den waren, heute zurückgezahlt werden müs­sen. Um der Weinwerbeaktion eine besondere Durchschlagskraft zu verleihen, werden die in ihrem Rahmen stattfindenden Maßnah­men nicht allein vom Reichsnährstand unter­nommen. sondern es haben sich in kamerad­schaftlicher Weise alle Dienststellen der Par­tei. des Staates, der deutschen Arbeitsfront, der NS.-GemeinschaftKraft durch Freude", der NS.-Frauenschaft, der Verkehrsverbände, der Fachschaft Gaststätten- und Beherber- gungsgewerbe, Rekofei. Edeka, GKW. und der Fachschaft der Schaufensterdekorateure zur Mitarbeit zur Verfügung gestellt. Es loll und muß erreicht werden, daß einmal die derzeitige Absatznot gemildert wird und daß außerdem der Verbrauch an deutschem Wein, sowie an Traubensäften und an deut­schen Eßtrauben eine dauernde Vergröße­rung erfährt. Daß dieses ^Ziel durchaus im Nahmen des Erreichbaren liegt, geht schon daraus hervor, daß der durchschnittliche Ver­brauch pro Kopf der Bevölkerung in Deutsch­land etwa 34 Liter Wein beträgt, wogegen sich dieselbe Zahl in Oesterreich auf 16 Liter, in der Schweiz auf 60 Liter, in Italien auf 100 Liter und in Frankreich auf 140 Liter jährlich beläuft. In Württemberg als Wein­gebiet ist der Verbrauch an Wein zweifellos etwas höher, doch auch hier liegt die Erzie­lung einer Absatzsteigerung durchaus im Rahmen des Erreichbaren.

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und alt, reich und arm untereinander­gewürfelt dasitzen, eine Volksgemeinschaft.

Einfache, aber saubere Bänke stehen an der Wand. Vor ihnen ebensolche Tische und Stühle: auch die Fenster sind mit einfachen, kurzen Vorhängen geziert.

Tischtücher gibt es keine und legt einmal die Besenwirtin auf einen Tisch ein solches auf, so fühlen sich die Gäste schon nicht ganz so wohl, denn sie wollen ungezwungen, ohne viel Umstände ihren Wein genießen.

Viertelesgläser,Abgesägte", das heißt V4 Liter Wein in Ve-Liter-Glas geleert und

>3 Photos: Motz.j

Wer die Tagesneuigkeiten erfahren will, auch der geht in die Besenwirtfchaft, dort erfährt er alles. Ist dann ein guter Wein­zahn etwas zu früh gestorben, so heißt es dort:Der hat sich den Kragen abgesoffen", wird einer aber alt, so:Den hat der Wein erhalten" und will einer überhaupt nicht sterben, so heißt es:Der hat Weinknochen. der ist nicht zum umbringen."

So bilden die Besenwirtschaften heute noch ein Stück alten Brauchtums und tragen ein Wesentliches zur wahren deutschen Volks­gemeinschaft bei.

Unlieber und Sprüche

Der Wein, der Wern ist Goldes wert.

Er lindert alle Schmerzen,

Er macht die Dummen oft gelehrt Und bessert böse Herzen.

Ich bin so schwach von Hitz und Fieber. Welch Mittel kennst du, Doktor, sprich! Trink einen Humpen Wein, mein Lieber, Und bring ein Krüglein auch für mich!"

Sanskrit-Kodex

Trinkend sang Amakreon.

Trinkend sang Horaz,

Darum trink, o Musensohn.

Denn die Vorwelt tasts!

Die Weise guter Zecher ist Zu früh und später Stunde.

Daß alter Wein im Becher ist Und neuer Witz im Munde.

Mirza Schafft,

Frühmorgens tut ein Gläschen gut. Desgleichen zu Mittage.

Am Nachmittag nichts schaden lut.

Bringt abends keine Plage.

Dagegen soll ein Gläschen Wein Um Mitternacht nicht schädlich sein.

Trink nicht in Hast, als sebs ein Spiel! Der Weise schießt nicht übers Ziel,

Er trinkt bedächtig aber viel!

Das ganze Jahr hindurch soll Wein Mein Leibtrunk sein.

Im Frühling trink ich ihn. der Lust Der holden Jahreszeit zu mehren.

Zur Kühlung trink ich im August.

Im Herbst dem Gott des Weins zu Ehren, Im Winter wärmt sein Feuer meine Brust Dann trink ich ihn, dem Frost zu wehren.

I. W. Ramler.

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MW

KM'

Von Diplomlandwirt H. K e m P t e r, Stuttgart

Aus Feuer ist der Geist geschaffen, Drum schenkt mir edles Feuer ein!

Die Lust der Lieder und der Waisen,

Die Lust der Liebe schenkt mir ein.

Der Trauben süßes Sonnenblut,

Das Wunder glaubt und Wunder tut!

Fürwahr, es muß etwas dran sein am deutschen Wein, wenn ihn ein Ernst Moritz Arndt so begeistert besingen kann! Und wenn wir die Jahrgänge 1934 und 1935 einer ge­naueren.- nicht nur theoretischen Betrachtung unterziehen, können wir feststellen, daß der Tropfen, den Frau Sonne Heuerflüssig' destilliert" hat. es wirklich verdient, gelobt und getrunken zu werden.

Wer sich einmal der vergnüglichen Mühe unterzogen hat. unsere württembergischen Weine mit Auge. Nase und Mund und was sehr wichtig ist, mit dem Magen, einer Probe zu unterziehen, wird die erfreuliche Feststel­lung machen, daß in den rund 38 000 großen und kleinen Weinbaubetrieben Württem­bergs. in denen über 100 000 Volksgenossen Arbeit und Brot finden. Vorbildliches ge­leistet wird.

Schon allein an diesen beiden Zahlen kann man die volkswirtschaftliche Bedeutung un­seres Weinbaues ermessen. Wenn wir weiter bedenken, daß mit dem Weinbau unmittel­bar oder mittelbar Industrie und Handwerk. Handel und Gewerbe in starkem Maße ver­bunden sind, so erkennen wir. welche Menge von Arbeit aller Art in denVierteln" steckt, das wir uns gelegentlich zu Gemüte führen und wie wichtig es ist. daß diesesViertele" auch getrunken wird!

Aber nicht nur wirtschaftliche Werte sind in einen: guten Glas Wein verborgen. Ist es dir. lieber Volksgenosse, nicht schon aufge­fallen, daß die Menschen der Weingegenden viel fröhlicher das Leben sehen, als dort.^wn man den Wein zu wenig kennt? Frohsinn und Freude vermittelt der Wein, wenn er echt ist. Geist und Körper regt er an. wenn er so genossen wird, wie man eine edle Gottesgabe genießen soll: Nie zu viel und nie zu wenig! Frohsinn und Freude brauchen wir aber, wenn wir im Alltag unseren Mann stellen sollen.

Drum wollen wir mit Matthias Claudius sprechen und darnach tun:

Sv trinkt ihn denn und, laßt uns allewege.. Uns freun und fröhlich sein!

Und wissen wir. wo jemand traurig läge. Wir geben ihm den Wein!"

Freuen und Fröhlichsein, das sollen auch unsere Weingärtner, die wieder ein Jahr schwerer Arbeit hinter sich haben und deren Kinder auf das tägliche Broi warten, das ihnen der Ertrag des Herbstes geben soll. Wer weiß, wenn wieder ein gutes Weiujabr kommt? Darum sollen und müssen wir un­seren schwer ringenden Volksgenossen vom Weingärtnerstande jetzt den Lohn für ihre Mühe geben und unseren Erntedank dadurch abstatten, daß wir uns zur Pflicht machen, mehr von dem edelsten Gewächs, das unsere heimatliche Scholle bringt, zu trinken.

Zur Freude am Genuß gesellt sich damit das Bewußtsein einer erfüllten sozialen Tal und macht sich damit doppelt wertvoll!