Nr. 175
Dienstag, 30. Juli 1935
109. Jahrgang
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Sowjetunion - Grundlage der Weltrevolutim
Offenherzigkeit auf dem Kominternkongreß — Kommunistische Drohungen gegen^Frankreich
Moskau, 29. Juli.
Mit besonderer Zweckbestimmung veröffentlich! die wwjetrussische Telegrapheuagentur am Sonntag den eigentlichen Bericht des „deutschen" Kommnnistenführers Pieck über die Tätigkeit des kommunistischen Vollzugsausschusses aus dem Kvminlernkongreß am Frei- tag. Die Veröffentlichung stellt eine erweiterte Auflage der ersten, nur im Rahmen des allgemeinen Sitzungsberichtes gebrachten .Riede dar; ihr Zweck gehl aus dem Inhalt zur Genüge hervor. Sie ist durch das offenherzige Eingehen aus die weltrevolutionäre Tätigkeit der Komintern und durch das Herausstellen der Ziele für die nächste Zukunft für den inneren kommunistischen Gebrauch bestimmt. Beschränkte sich die sowjetamtliche Agentur in dem ursprünglichen Bericht mehr auf die referierende Wiedergabe der sechsstündigen Rede, so werden jetzt ganze Absätze wörtlich gemacht und einige Teile unter augenfälliger Unterstreichung ihrer Bestimmung als Gebrauchsanweisung besonders scharf heraus- qearbeitei. Nach einem Hinweis darauf, das; ^>as Verhalten der „Brüder in Marx", der Sozialdemokraten, an den Mißerfolgen der Streik- und Aufstandsversuche in Amerika, England, Holland, Südamerika und anderen Ländern schuld fei, stellte Pieck mit Bedauern fest, bei allen diesen Bewegungen sei es leider noch nicht gelungen, organisatorisch die ganzen Massen zu erfassen und die Einheitsfront aller Werktätigen unter kommunistischer Führung herzustellen. In vielen Ländern mache sich auch die „Z u r ü ck g e b l i e b e n h e i t" d e r k o m- munistischen Führer hemmend bemerkbar in anderen herrsche ein ständiges Kommen und Gehen in den Parteikreisen. Schließlich ließen sich die verschiedenen Richtungen in den zahlreichen kommunistischen Parteien des Auslandes nicht leicht unter einen Hut brin- aen. Pieck ging dann auf
die Niederlage
des deutschen Kommunismus'
ein. Hier Mach er in eigener Sache. Wie er die Angelegenheit behandelte, ist bezeichnend für diese „Führer", die von der sicheren Moskauer Perspektive aus die irregeleiteten und verführten deutschen Arbeiter jetzt auch noch rüffeln, weil sie sich haben „von dem Nationalsozialismus übertölpeln lassen". Und heute gibt Pieck auch das Rezept, wie die — nach leinen eigenen Worten — eingetrctene Vernichtung der deutschen Kommunisten hätte verhindert werden können: Rot Front hätte sich mit dem Reichsbanner vereinigen sollen. Denn „die Kommunisten allein sind leider zu schwach gewesen, um die Katastrophe zu verhindern" Trotz dieser Schwäche der Kommunisten in Deutschland gmubt aber Pieck, seinem Herrn und Meister Stalin versichern zu können, daß auch in Deutschland der Wille zur Welt- revolution lebe (!'?).
Mit den gleichen Wehklagen teilte Pieck mit. daß auch zum Beispiel in der Tschecho- klowakei den Kommunisten bitteres Leid zu- gesügl werde. Die tschechische Usurpatie habe die „faschistische" Partei Konrad Hänleins großgezüchtet und stecke die Kommunisten ms Gefängnis — anstatt es umgekehrt zu machen. Bon 67 kommunistischen Parteien in der Welt seien heute nur 22 legal oder halblegal — während man in den anderen Ländern also die staatszerstörende Tätigkeit der Kommunisten rechtzeitig erkannt hat. Je* doch — und hier kommt in dem Rechenschaftsbericht Piecks die ..gröbliche- Note, die der Leitstern seiner ganzen Rede ist — „die Sowjetunion, wo inzwischen die Erfüllung des Füns-Jahresplanes fortschreitet, Grund- tage und das Bollwerk der Weltrevolution. Sie stärkt die Proletarier in der ganzen Welt in ihrem Kampf für die Bildung von Räteregierungen", so daß Pieck überall die „Tendenz des schnellen Heranreifens der revolutionären Krise" feststellen zu können glaubt.
Der beste Beweis hierfür ist für Pieck Frankreich.
Die Praxis
der französischen Kommunisten
habe aller Welt gezeigt, wie der Bolschewismus kämpfen und siegen könne, und die Einheitsfront in Frankreich sei einer der größten Erfolge der weltrevolutionären Idee. Es klingi als offene Drohung an die Negierung Laval tmit der dte Sowjetunion bekanntlich einen Freundschastsvertrag abgeschlossen hat), wenn Pieck sagt: „Die Lage in Frankreich hat sich so zu gespitzt. daß von der weiteren Ak- tivität der Massen jetzt das Schicksal der dritten Republik a b h ä n g t."
Im letzten Teil seiner Rede ging Pieck aui die Schlußfolgerungen ein, die sich für die Komintern ans der gegenwärtigen Weltlage ergeben. Tie größte Bedeutung habe heute eine giile und zugkräftige Propaganda der angeblichen Erfolge der Sowjetunion sowie die Propaganda eines besonders konkreten Aktionsprogramms in jedem einzelnen kapitalistischen Land. Dies müsse darauf abgestellt sein, daß die Bildung von Sowjets das einzige Heilmittel sei. Die Diktatur des Proletariats nach dem Muster der Sowjetunion müsse überall als die ideale Lösung hingestellt werden.
Bolschewismus mit katholischer Verbrämung
München, 29. Juli.
Nachdem in den letzten Wochen bereits mehrfach ganz offen Bündnisange- bote von Kommunisten an die katholischen Jugendverbände in Deutschland gerichtet worden sind und das Organ des Zentralkomitees des Internationalen Kommunistischen Jugendverbandes im Juni in einem Aussatz sich positiv mit dieser Frage beschäftigt hatte, sind nunmehr als Auswirkung dieser geheimen Weisungen in München Flugblätter gefunden worden, die so charakteristisch und bezeichnend sind, daß sie für sich selbst sprechen.
Die Flugblätter haben folgenden Text: „An die- katholische Bevölkerung Münchens.
Gegen die Vergewaltigung Ihres Glaubenr- gilt es. einen verschärften Kampi zu führen. Wir Kommunisten schlagen vor. mit den ver- schiedenen weltanschaulichen Auffassungen einen gemeinsamen Kampf für die Gewissens, freiheit zu führen. Wir schlagen euch vor in allen Betrieben, in allen Stadtteilen gemeinsam? Komitees zum Kamps für Glan- bens- und Gewissensfreiheit zu organisieren. Wir schlagen euch weiter vor. einen gemeinsamen Kamps für die Befreiung aller eingekerkerten Pfarrer und Ordensschwestern, für die Befreiung aller Anti, f a s ch i st e n zu organisieren. Schaffung von Selbstschutzsormattonen zum Schutze der antifaschistischen Bevölkerung. Die KPD."
Es wäre sehr interessant, zu erfahren was die Leitung der katholischen Jngendverbände und die Bischöfe als berufene Hüter der katholischen Religion zu diesem Bünd- ntsangebot zu sagen haben. Es ist daraus Hinzuweisen, daß bei einem Kaplan in Sach-
eLMr Zeit in größeren Mengen aus der Tschechoslowakei herübergeschmuq- geltes marxistisches Propagandamaterial gefunden wurde, und daß auch an verschiedenen anderen Stellen Deutschlands ein.- engere Verbindung zwischen Mitgliedern der katholischen Kirche und Marxisten besteht.
Ser Schlag der holländischen Katholischen mißglückt
Dr. Colijn von der Königin neuerlich mit der Regierungsbildung beauftragt
Den Haag, 29. Juli.
Der Schlag, den die Römisch-Katholische Partei Hollands gegen die Regierung Coli j n zu führen beabsichtigte, indem sie ihr Plötzlich die Gefolgschaft verweigerte — dieser Schritt hat in weiten Kreisen der Niederlande zu einem schweren Ansehensverlust der Römisch-Katholischen Partei geführt —, ist mißglückt. Nachdem der Führer der Römisch- Katholischen den Auftrag, eine Negierung auf breitester Basis zu bilde«, zurückgegeben hat, betraute die Königin Montag morgen auf Anraten des früheren Ministerpräsidenten Dr. de Geer abermals Tr. Colisn mit der Kabinettsbildung. Man rechnet damit, daß Dr. Colisn sein bisheriges Kabinett, das ja auch schon keine parlamentarische Negierung mehr darstellte, einfach beibehalten und höchstens in einzelnen Ministerien Umbesetzungen vornehmen wird.
Abessinien lehnt ab!
Der Negus gegen „Ziviiisierung" durch Bomben
Genf, 28. Juli.
Beim Generalsekretär des Völkerbundes ist folgendes Telegramm des abessinischen Außenministers eingegangen: „In Beantwortung Ihres Telegrammes vom 27. Juli bestätigt die kaiserlich abessinische Regierung den Antrag ihrer Vertreter aus Auslegung des Schlichtungs- und Schiedsgerichtsauftrags. Die abessinische Regierung bestreitet, jemals einer Beschränkung der Zuständigkeit der Schiedsrichter zugestimmt zu haben. In der abessinischen Note vom 17. Juli, die aus die italienische Note vom 14. Juli antwortet, ist bereits erklärt worden, daß es Sache des Völkerbundsrates ist, über die einander gegenüberstehenden Auffassungen der beiden Schiedsrichtergruppen zu befinden. In Erwiderung aus die italienische Note vom 23. Juli, worin Beschränkungen des Auftrages der Schiedsrichter verlangt werden, hält die kaiserlich-abessinische Regierung vollinhaltlich die Beweisführung ihres Vertreters ausrecht, die durch die beiden Entscheidungen der von ihr in der Kommission bezeichnten neutralen Rechtssachverständigen übernommen worden ist."
Dieses Telegramm ist vom Generalsekre- tär des Völkerbundes sofort den Ratsmit- gliedern telegraphisch übermittelt worden.
Der Kaiser von Abessinien hat der Presse eine Erklärung abgegeben, in der im Hinblick auf die bevorstehende Tagung des Völkerbundsrates betont wird, daß Abessinien eine friedliche, unparte i- liche und vollständige Lösung
des Streitfalles wünsche. Die Grundlage dieses Streites sei in der verschiedenen Auslegung des italiemsch-abessinischen Vertrages vom 16. Mai über die Festlegung der Grenze zwischen Abessinien und Jtalienisch- Somaliland zu suchen. Italien habe dem Grundsatz einer Regelung etwaiger Streitfragen durch ein Schiedsgericht zugestimmt, mache aber in zweifacher Hinsicht seine Durchführung unmöglich, indem eS den Schiedsrichtern das Recht abspreche, die Verträge auszuleben und ferner, indem es die Ernennung emes obersten Schiedsrichters ablehnte. Nachdem Italien die Möglichkeit einer vollständigen Lösung zunichte gemacht habe, bekunde es amtlich seinen Willen zur Eroberung abessinischen Gebietes und bereite sich auf einen Krieg vor. eine friedliche Lösung ganz offen ausschaltend. Der Völkerbundsrat müsse über die Achtung und Einhaltung des Vertrages und die Aufrechterhaltung des Friedens in Abessinien wachen, dessen Gebiet von italienischen Truppen verletzt worden und das noch von italienischen Truppen besetzt sei. Abessinien habe alles für die rechtliche und friedliche Lösung des Streitfalles getan. Der Völkerbundsrat müsse sich darüber aussprechen, ob ein Mitglieds- staat des Völkerbundes das Recht habe, offen die gebietsmäßige Unantastbarkeit eines anderen Staates zu mißachten seine Souveränität und Unabhängigkeit zu bedrohen und auf die Waffengewalt als Mittel der Expansion und Eroberung zurückzugreisen. Abessinien erwartet vertrauensvoll die Ent-
Das Neueste in Kürze
In Holland mußte ei« Massenaufgebot der Polizei gegen kommunistische Banden vor- ! gehen, die auf die Teilnehmer der Landestagung holländischer Nationalsozialisten einen ^ Uebersall verübt hatten.
I I« Eritrea mußte vom italienische« Ober- ; kommissar de Bono ein Militärsondergericht ! eingesetzt Werden, da sich der Bevölkerung eine stark italienfeindliche Stimmung bemächtigt hatte.
j In Kopenhagen demonstrierten 4V00Ü ! dänische Bauern vor dem König gegen die i Maßnahmen der Regierung. Eine Abord- : «ung, die von dem marxistischen Minister- ! Präsidenten empfangen wurde, erhielt eins ! als völlig unbefriedigend bezeichnet« Aut- > Wort.
! Aus Neuyork wird gemeldet, daß die ame- I rikanischea Kommunisten weitere Ueberfälle ^ auf deutsche Schiffe planen.
Die Beschlüsse und Aufforderungen des in ! Moskau tagenden Kominternkongresses haben ! in Amerika eine ungeheure Erregung erzeugt.
Insbesondere die maßlos steche Aufforderung ! an die amerikanischen Kommunisten, Streik- - Unruhen herbeizuführen, wurden beanstandet.
!
! scheidung des Völkerbundsrates. Wir hoffen.
! Hatz die Weisheit der Staatsmänner, die in ; Gens zusaiiimentreten werden, die Imperialisten zur Achtung der Verträge zwingen wird, damit die Unantastbarkeit unseres Gebietes und die Unabhängigkeit Abessiniens gewährleistet wird. Aber wir können bekräftigen, daß wir uns keinesfalls durch Bomben zivilisieren lassen wollen. Es trifft zu. daß wir Kriegsmaterial tu Europa gekauft haben. Aber haben wir nicht das Recht, unsere Polizei zu verstärken und aus unsere Sicher- heit achtzugeben?
Eingeborenenunruhen in Eritrea
London, 29. Juli.
„Daily Telegraph" meldet aus A S - mara in Eritrea die Einsetzung eim- Militärsondergerichtes durch den Oberkommissar General de Bono, weil unter den Ein- geborenen Unruhen ausgebr och e n sind. Die Gärung ist darauf zurückzuführen, daß die Eingeborenen glaubten, die 30 000 aus Italien herbeigeschafften Arbeiter würden ihnen ihr Land wegnehmen. Auch dieArbei- ! terabteilungen scheinen nicht ! ganzzufriedenzusein, da General de ! Bono zur Belebung der Stimmung eine Lotte- . rie eingerichtet hat.
„Times" verzeichnen die eine Woche alte ! Nachricht aus Walkait im fernen Nord- ! westen Abessiniens, wo eine italienische Streit- ! macht anf ein Gebiet vorgedrungen sein soll,
! dasderabessinischeBefehlshabei des Bezirkes für Abessinien in ! Aspruch nimmt. Die Abessinier seien da- s her nächtens zum Gegenangriff geschrit- ten und hätten bei 20 Mann Toten in den eige- nen Reihen 40 Italiener getötet, woraus die Truppe in Lastkraftwagen abbesvr- dert worden sein soll.
Vor der Genfer Ratstagung
Die italienische Abordnung für die am 31. Juli um 17 Uhr in Gens zusammcn- tretende Tagung des Völkerbundsrates hat am Montag abend Rom verlassen. Zahlreiche Sachverständige und Juristen gehören ihr an. Ihr Führer, Baron Aloisi, folgt der Abordnung am Dienstag früh. Die Haltung Italiens in Genf ist noch nicht genau fest» gelegt und wird sich dem Verlauf der Aussprache anpassen. Die abessinische Auffassung, den Ratsbeschluß vom 25. Mai neu anslegen zu können und über mehr als das Schlichtungsverfahren zu verhandeln, stoßt in Rom natürlich auf schärfste Ablehnung. H i n- gegen scheint Großbritannien unter allen Umständen auf der Behandlung des gesamten Fragenblocks bestehen und einen Mehrheitsbeschlußher b eisüh ren zu wollen, während sich Frankreich und seine Verbündeten bemühen, alles zu ver»