Nr. 159
Donnerstag, II.IuU 1935
199. Jahrgang
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Die Aufhebung der sogenannten Aus» § nahmsgesetze gegen die Habsburger, d. h. die > Rückgabe des 1918 vom Staat in Besitz ge- ! nommenen Habsburger Vermögens und das Ende der Landesverweisung hat berechtigtes Aufsehen erregt, nicht nur in Oesterreich selbst, wo man darüber allerdings nur flüstern darf, sondern in ganz Europa. Sie mag j für manchen überraschend gekommen sein: s aber nur der genaue Beobachter der Politi- i scheu Vorgänge >m österreichischen Regie- ! rungslager ist imstande, auch die innerpolitischen Ursachen dieses Gesetzes zu erkennen und dadurch zu den richtigen außenpolitischen Rückschlüssen zu kommen. !
Die Machtbereiche der durchaus nicht gleichgerichteten Bestandteile der österreichischen Regierung harten sich in den letzten Monaten wesentlich zugunsten StarhembergH verschoben. der mit seinen Heimwehren fast eine Alleinherrschaft ausübt. Er hat es — um seiner Heimwehrsöldlinge willen — verstanden, die fast schon perfekte Einführung der allgemeinen Wehrpflicht zu Hintertreiben, die klerikalen Wehrverbände ganz unter sein Kommando zu bekommen und den entscheidenden Einfluß in der Regierung auszuüben, der soweit geht, daß sogar Regierungsmitglieder Redeverbot erhielten. Die Christlichsozialen — die nebenbei bemerkt, auch in zwei deutlich zu unterscheidende Gruppen gespalten sind, die Anhänger Schuschniggs und die Bauernfront Reithers. mit der auch die Arbeiter Kunschaks spmpathisieren — standen vor der Gefahr, gänzlich ausgeschaltet zu werden. Die Aushebung der Habsburgergesetze war nun der L-chlag, den sie gegen Starhemberg, der mit seinen Neichsverweseraspirationen wenig Interesse an den Habsburgern hat. geführt haben. Wenn Otto von Habs bürg zu seinen väterlichen Besitztümern wieder kommt, dankt er dies in erster Linie diesem inneren Gegensatz im österreichischen Machthaberverein.
In den breiten Masten des Volkes hat man für das Milliardengeschenk an dis Dynastie — von der man sich sagt, daß ihre Vertreibung die einzige wirkliche Errungenschaft der Novemberrevolution in Deutschösterreich gewesen ist — kein Verständnis. Die Not ist zu groß, die Arbeitslosigkeit steigt zu sehr — viel mehr, als die amtlichen oster- reichlichen Statistiken zugeben — als daß man sich für solche Geschenke an den jungen Otto erwärmen könnte, der vor kurzem die Doktorwürde an der Universität in Löwen erworben hat. die bekanntlich von jedem ihrer Hörer die Anerkennung der Kriegsschuldlüge fordert. Aber man registriert mit feinem Instinkt die Verlegenheit der Regie- renden, die diesen Schritt veranlaßt hat ...
Daß die neuen Habsburgergesetze den ersten Schritt des Versuches darstellen, die Dyna- stie wieder ins Land zu holen. — bei den - Christlichsozialen hegt man die Hoffnung, daß der Träger der Krone nach dem Grund- satz seiner Ahnen „Teile und herrsch ei" regieren, unt> damit den Ehristlichsozralen ihr altes Gewicht zurückgeben werde — dar- über besteht kein Zweifel. Man geht sogar noch weiter und träumt für den „jungen kaiserlichen Herrn* bereits den Traum der alten Donaumonarchie wieder. Anders kann die jüngste Erklärung der Vaterländischen Front — die sich bei dieser Gelegenheit allerdings auch mit der überschäumenden Begeisterung der legitimistischen Vereine und Verglichen auseinandersetzen muß — nicht verstanden werden. Es heißt in dieser Stellungnahme. die allen Unterstellen der Vaterländischen Front als Richtlinie zugegangen ist:
„Die Vaterländische Front fordert Respekt vor der österreichischen Tradition, daher auch Respekt vor der Dynastie Habsburg, deren Bedeutung auch vom gesamtdeutschen (nanu!) und vom europäischen Standpunkt aus zu beurteilen ist. Die Vaterländische Front fördert alle Bestrebungen, die geeignet sind, dieses Verständnis ru versteifen und verbietet in ihren
wirbt skr Habsburg
Reihen alle Aeußerungen, die darauf berechnet sind, die Dynastie herabzusetzen oder zu der- unglimpfen. Es ist denkbar und wünschenswert, daß die Völker im Donauraum Lei voller Wahrung ihrer staatlichen Unabhängigkeit und nationalen Freiheit wieder einmal jenen unabänderlichen wirtschaftlichen Gesetzen folgen werden, die zu einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit drängen. Im Zuge einer solchen Entwicklung kann der Habsburgischen Krone neuerdings europäische Bedeutungzukommen.
Die Vaterländische Front hat nichts dagegen einzuwenden, wenn ihre Mitglieder derartige Ideen vertreten. Eine Propaganda aber, die im gegenwärtigen Stadium der inneren Entwicklung Oesterreichs und bei den gegebenen internationalen Spannungen auf eine unmittelbare Restauration abzielt, widerspricht den Interessen des Vaterlandes und ebenso den Interessen der Dynastie. Der Bundespräsideni mißbilligt alle Maßnahmen, die geeignet sind,
die große Habsburgische Idee in die Sphäre unbegrenzter patriotischer Vereinstätigkeit zu ziehen."
Viel deutlicher kann man nicht mehr werden, wenn man die alten Machtansprüche der Habsburger schriftlich niederlegen will. Aber gerade diese Stellungnahme der Vaterländischen Front ist geeignet, der ganzen Frage eine neue Wendung zu geben. Bisher hat man österreichischerseits immer behauptet, es handle sich um eine rein innerösterreichische Angelegenheit. In dem Augenblick aber, in demHabsburgsKronedenWunsch nach Ueberdachung aller 11 Nati- onen der alten Monarchie ausdrückt, wird das Interesse der Kleinen Entente wesentlich reger werden. Die nächste Tagung der Kleinen Entente wird jedenfalls reichen Verhandlungsstoff haben — und ob der Versuch, eine Verlobung Ottos mit einer italienischen Prinzessin zustandezubringen, nicht auch an diesen Wünschen des Hauses Habsburg gescheitert ist, braucht durchaus nicht ganz in Frage gestellt zu werden.
Was Größenwahnsinn von Machthabern, die vor nichts mehr Angst als vor dem eigenen Volke haben, unter Geschichtemachen verstehen, — am Ballhausplatz zu Wien kann man es erfahren. . .
Aufgeschobener Angriff?
409 000 Mann für Abessinien nötig
London. 10. Juli.
Der diplomatische Korrespondent des «Daily Telegraph" glaubt zu wissen, daß die italienischen Befehlshaber in Afrika Mussolini mitgcteilt hätten, sie könnten einen erfolgreichen Angriff nicht mit weniger als 400 Vü» Mann durchführen. Mussolini habe dieser Schätzung zugcstimmt. Die gegenwärtige Stärke der Streitkräste in Eritrea und Italienisch - Somaiiland betrage sicher nicht mehr als die Hälfte dieser Zahl. Daher könnten Meldungen von einer baldigen italienischen Offensive als unbegründet bezeichnet werden.
Ferner behauptet der diplomatische Korrespondent, Mussolini wolle eine militärische Oberherrschaft in Abessinien nach dem Vorbild der französischen in Marokko errichten. Frankreich sei wahrscheinlich besorgter als Großbritannien wegen der Folgen dieses Planes,
Der Generalsekretär d-es Völkerbundes. Avenol. habe den.Wunsch geäußert, daß die Großmächte alles tun sollten, um ein Einvernehmen zu erzielen, bevor die Frage vor den Völkerbund komme. Er sei sich der Gefahr einer Zerstörung des ganzen Völkerbundssystems durch eine unbesonnene oder übereilte Handlung durchaus bewußt. In London werde erklärt, auf den Zusammenbruch der Schlichtungsverhandlungen in Scheveningen sollte nicht zu viel Gewicht gelegt werden. Zunächst sei beabsichtigt gewesen, den Völkerbund für den 27. Juli einzuberufen, um ein Schiedsgericht zu ernennen. Die ursprünglichen Zwischenfälle hätten aber viel von ihrer Wichtigkeit verloren, denn die jetzige Streitfrage reiche viel weiter. Spätster^ würde der Völkerbundsrat allerdings am 25. August zusammenzutreten haben, falls keine Vereinbarung erreicht sei.
Ein amtlicher italienischer Kommentar
Zu der Unterbrechung der Beratungen des italienisch-abessinischen Schlichtungsausschusses in Scheveningen wird von der „Agenzia Stefani" am Dienstag abend folgender amtliche italienische Kommentar verbreitet:
Die Unterbrechung der Arbeiten des Ausschusses, die sich ohne weiteres aus der amtlichen Verlautbarung über seine heutige Sitzung ergibt, ist im wesentlichen durch zwei Faktoren bestimmt worden: 1. Durch den Umstand, daß die Vertreter Abessiniens im Schlichtungsausschuß die Einzelheiten des Kompromisses nicht kennen oder bebauvten. >
nicht zu kennen, das zwischen der italienischen und der abessinischen Regierung am 15. und 16. Mai d. I. zustandekam und auf Grund dessen die Ernennung der Schlichter erfolgt ist; 2. durch die Forderung der abessinischen Vertretung, vor dem Ausschuß auch die Grenzfragen behandeln zu lassen, die durch die Bestimmungen des Kompromisses ausdrücklich ausgeschlossen worden sind und die in die Zuständigkeit des Ausschusses für Grcnzfestsetzung gehören, wie er durch den italienisch-abessimschen Vertrag vom Jahre 1908 vorgesehen wurde.
Diese beiden Faktoren, so heißt es in dem amtlichen italienischen Kommentar weiter, zeigen auf abessinischer Seite den bewußten Willen, die Arbeiten des Schlichtungsausschusses zu sabotieren. Bei der jetzigen Sachlage sind tatsächlich die von der italienischen Negierung gelieferten Beweise für den abessinischen Angriff bei Valnal so erdrückend, daß die abessinische Regierung offenkundig kein Interesse daran hat, daß die Arbeiten des Ausschusses weitergehen, da sie mit aller Wahrscheinlichkeit zu der Verurteilung Abessiniens geführt hätten. Von den abessinischen Schlichtern sind nicht einmal die entgegenkommenden Vorschläge Italiens angenommen worden, die dahin gehen, entweder den strittigen Punkt zurückzustellen und die Verhandlungen zur Feststellung der Verantwortlichkeiten fortzusetzen oder aber die Arbeiten des Ausschusses 'bis zum 20. Juli zu vertagen, um so den Regierungen die Möglichreit zu geben, die Meinungsverschiedenheit zu beseitigen.
Gegenüber dieser italienischen Darstellung veröffentlicht das „Echo de Paris" eine Erklärung des Vertreters der abessinischen Re- gierung im Haag, des französischen Staatsrechtlers Jeze, in der es heißt: „Der Vertreter der abessinischen Regierung habe Mitteilung von drei gesonderten Urteilen (eines von Aldrovandi und Montagna und die anderen beiden von-de la Probe l l e und von Polter gefällt) erhalten."
Die Meinungsverschiedenheit der beiden Schiedsrichtergruppen über die Frage, ob gemäß der italienischen Forderung dem Ver- treter der abessinischen Regierung das Wort verweigert werden solle, wenn er Bemerkun- gen über die Politischen Fragen des Ortes des Angriffes — abessinischen oder italienischen — Vorbringen wolle, sei vollständig. Aldrovandi und Montagna hätten sich für die italienische Auffassung ausgesprochen.
De la Pradelle und Potter hätten daraus ekn gesondertes Urteil abgegeben und erklärt, daß, ohne ein Urteil über den Kern der Sache
Iris Neueste tu Kurze
In Litauen wurden ausländische Stutzen« ten, darunter auch deutsche, auf einem Ausflug wegen angeblicher Spionage verhaftet. Sie mußten wieder frcigelaffen werde«, wurden aber des Landes verwiesen.
Aus London verlautet, daß der italienische Befehlshaber in Afrika Mussolini mitgeteilt habe, daß zu einem erfolgreichen Angriff aus Abessinien mindestens 400 000 Mann nötig seien.
Der Mißtrauensantrag der Arbeiterpartei gegen die Regierung wurde im englische« Unterhaus mit erdrückender Mehrheit abgelehnt.
zu fällen, es darauf ankomme, daß die Auseinandersetzung für beide Teile gleich sein müsse. Nach Feststellung der Meinungsverschiedenheit habe man gemäß der Völkerbundsratsentschließung vom 25. Mai 1935 beschlossen, die Benennung eines fünften Schiedsrichters für angezeigt zu bezeichnen. Der Vertreter der abessinischen Regierung habe wegen der Sprechverwsigerung sofort Einspruch erhoben und dem Sekretär des Völkerbundes die drei erwähnten Urteile übermittelt.
Italienischer Appell an das englische Volk
Im Hinblick auf den bevorstehenden englischen Ministerrat und die weiteren Unterhausdebatten unterbreitet das „Giornale d'Jtalia" dem englischen Volk vier Punkte zum Nachdenken, die wesentlich für den Stand der Dinge zwischen England, Italien und Abessinien seien. Das Blatt stellt als ersten Punkt fest, daß sich die Angelegenheit des bedrohten Ansehens des Völkerbundes und der Notwendigkeit seines Eingreifens glücklich in Liquidation befinde. Keine europäische Regierung könne ernstlich anerkennen, daß im Interesse eines Abessiniens, das die politischen und moralischen Grundsätze des Paktes verletze und Sklaverei treibe, die Interessen und das Leben des Völkerbundes aufs Spiel gesetzt werden dürften. Alle hätten dies begriffen, daß der Völkerbund in gar keinem direkten Zusammenhang mit dem Streitfall stehe, sondern nur die Verteidigung und Entwicklung ausschließlich englischer Interessen maskieren soll.
Als zweiten Punkt führt der Artikel aus, daß Italien in der abessinischen Frage nicht Völkerbundsgrundsätzen, sondern einem heftigen Ausbruch des englischen Imperialismus gegenüberstehe. Es wird daran erinnert, daß England bereits die halbe Welt besitze. Es müsse jetzt endlich anerkennen, daß auch Italien mit seiner arbeitsamen und zivilisierten Bevölkerung einen Platz an der Sonne brauche.
Als dritten Punkt kommt eS dem Blatt darauf an, nachzuweisen, wie wichtig und notwendig gute englisch - italienische Be- Ziehungen im afrikanischen Raum seien. Es wird besonders hervorgehoben, daß die Frage des Tsanasees keinen Zankapfel zwischen England und Italien zu bilden brauche, da Italien gar keinen Anspruch auf diese Gewässer erhebe und auch nicht im geringsten an ihre Ausnützung für Eritrea denke. In Afrika müsse die Zusammenarbeit der Großmächte gesucht und verwirklicht werden. Wenn in Europa eine Einheitsfront gesucht werde, so müsse sie auch für Afrika gebildet werden.
Als letzten Punkt bringt das Blatt einen Hinweis auf die europäischen Folgen, die durch eine englische Hartnäckigkeit in der abessinischen Frage entstehen könnten. England dürfe nicht die in Stresa erreichte Einmütigkeit zerstören und den Zusammenbruch der europäischen Solidarität herbeiführen. „Giornale d'Jtalia" sucht sogar die Erinnerung an die Kriegsgememschaft zwischen Italien und England wachzurufen und warnt die Engländer vor der Möglichkeit, sich durch die Verletzung der Lebensrechte anderer Völ- Ler Freundschaften zu verscherzen. Die Probleme Englands seien so groß, daß es zu ihrer Lösung die freundschaftliche Neutrali- -rät oder die Unterstützung anderer Länder stets notwendig haben könnte.
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