Donnerstag, 21. Juni 1934
108. Jahrgang
Nr. 141
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Dollfuß in Nöten
Verständigung mit Deutschland oder französische Orientierung? — Eine deutliche Warnung aus Italien — Schreckensurteile gegen Nationalsozialisten
Jas Neueste m Kürze ?
Gestern feierte die Danziger Bevölkerung I mit unbeschreiblicher Begeisterung den Jahrestag der Uebernahme der Regierungs- gcwalt durch den Nationalsozialismus.
In Berlin begann der Prozeß gegen den früheren Staatsminister Hirtsiefer wcqcv Bestechung.
Am Mittwoch früh traf das Schiff „Drott- nmg Viktoria" mit den sterblichen Ueber- resten der Frau Hermann Görings, Karin Göring, ein, um in deutscher Erde beigesetzt zu werden.
Wie verlautet, soll die Flottenkonserenz ,'m April 1935 stattfinden.
In Oesterreich wurden in der Nacht zum Mittwoch erneut schwere Anschläge aus öffentliche Anlagen ausgeübt.
Dr. Dollfuß hat in Rom anfragen lassen, ob er Mussolini in Riecione treffen könne.
««tausche» oder Zeichnen nnr noch bis Ivnnerstag!
Berlin, 20. Juni.
Jeder Besitzer von „Hilferding-Anleihe" und von „Neubesitz" mutz spätestens am Donnerstag diese Anleihe in die
4"/°ige Anleihe des Deutschen Reiches von 1934, die erste Anleihe des nationalsozialistischen Staates,
Umtauschen. Nach dem 21. Juni wird für Neubesitz kein Kurs mehr festgestellt. Wer die sicherste, von der nationalsozialistischen Regierung gewährleistete Geldanlage sucht, kann noch bis Donnerstag die 4°/»ige Anleihe des Deutschen Reiches von 1934 zum Kurs von 95 vom Hundert bar zeichnen.
Ein Zahr
aativMspztalisltschks Danzig
Festrede des Senatspräsidenten Dr. Rauschning
Danzig, 20. Juni.
Mt unbeschreiblicher Begeisterung beging die Danziger Bevölkerung am Mittwoch den Jahrestag der Uebernahme der Rcgierungs- , gewalt durch den Nationalsozialismus. Die ! alte deutsche Stadt, ihre Vororte und das ! ganze Freistaatsgebiet bilden ein einziges ! Meer von Hakenkreuzsahnen. Durch viele Straßenzüge spannen sich kilometerweit Girlanden mit Fahnen. Nachdem bereits gestern abend ein großer Kameradschastsabend das Führerkorps der Danziger NSDAP, vereinigt hatte, wurde der Tag durch eine F e st- tagung der Partei eröffnet, zu der neben der Danziger Regierung und den Führern der Partei unter anderen auch der Völkerbundskommissar Lester, der deutsche Generalkonsul von Nadowitz, der diplomatische Vertreter Polens, Minister P a p 6 e, sowie das übrige Konsularkorps erschienen waren.
Senatspräsident Dr. Rauschning hielt eine große Rede, in der er alle Fragen erörterte, die sich für den Nationalsozialismus in Danzig ergeben haben. „Auch für uns in Danzig", so sagte Dr. Rauschning unter anderem, „ist es das höchste gewesen, an unserem Teil und in den uns gewiesenen Schranken das zu gestalten, was unser Mut- ! terland zu dem neuen großen Anlauf zu seiner Geschichte befähigt. Vielleicht haben wir hier sogar eine eigene, besondere Ausgabe.
! Im Deutschen Reich ist die Volksgemeinschaft ! durch eine Reihe von Gesetzen unterbaut. So ist für die Ueberwindung bestehender stammkicher Gegensätze der Rahmen geschaffen worden.
Wir in Danzig haben bis auf eine Ausnahme diese fundamentalen Gesetze zur Neuordnung der Beziehungen des Einzelnen Mm Staat und zur Gemeinschaft nicht durchführen können, da wir eine vom Völkerbundsrat verbürgte Verfassung zu halten i verpflichtet find. Aber gerade darum war es unser Stolz, daß wir dasselbe im Rahmen 'iner uns wesensfremden Politischen Verfassung durch geistige Erziehung und durch
oll. Wien, 20. Juni.
Tie Nervosität, die sich der Wiener Regierung seit der Begegnung Hitlers mit Mussolini in Venedig bemächtigt hat, ist noch immer im Zunehmen. Die Behauptung, daß das Deutsche Reich die „Unabhängigkeit" Oesterreichs bedrohe, ist in Venedig als Märchen entlarvt worden, so daß das Argument, mit dem die Regierung Dollfuß es verstanden hat, sich in den Mittelpunkt des Interesses der europäischen Mächte zu setzen, als abgetan betrachtet werden muß. Um nun irgendetwas zu tun, hat sich Dr. Dollfuß am Dienstag, wie berichtet. über eine Stunde lang mit dem aus der Durchreise nach Belgrad befindlichen französischen Außenminister Barthou unterhalten und diesen eingeladen, aus der Rückkehr vom Balkan in Wien haltzumachen. Barth ou hat aber erklärt, daß er dazu keine Zeit hätte; Dr. Dollfuß könnte ja selbst nach Paris k o m ni e n.
Daß Tr. Tollfuß das Bedürfnis hat, auch mit Mussolini zu sprechen, wird man begreiflich finden; jedenfalls hat Dr. Dollfuß bereits in Nom fragen lassen, ob er den Duce in Riccione, wo er bereits imVorjahre mit Mussolini ; u s a m m e u g e k o m m e n war, miede r b c s u ch e n k ö n n e. Entscheidungen in dieser Frage scheinen aber noch nicht gefallen zu sein.
Die österreichische Frage wird jetzt in Italien bereits mit anderen Augen angesehen; das beweist ein Aufsatz der Turiner ,.s t a m- p a", in dem es heißt, daß die Negierung Dollfuß nicht genügend an Oesterreichs zukünftiges Schicksal denke. Dieses Schicksal werde in dem Ausgang der RegierungZbestrebungen liegen, Oesterreichs Wirtschaft zu heben und gleichzeitig die Masse des Volkes mit der neuen Staatsiüce zu versöhnen, wie dieses in Italien und Deutschland geschehen sei.
O e st e r r e i cki s Wirtschaft l a s s e den großen Aufschwung vermissen, der in Italien und Deutschland eingesetzt habe und die Bevölkerung stehe nur in geringen Teilen überzeugt zum neuen K u r s.
Oesterreichs Negierung 'pieke mit Problemen. so auch mit der Restaurierung der Habsburger, und sie lehne zu stark eine Volksbewegung ab, wie die nationalsozialistische, die immer n o ch w a ch s e, statt abzuneh- m e n.
Man verkenne in Wien die st a r - ken völkischen Bindungen zwi- sehen Oesterreich und dem Deut- s ch e n Nei ch e. man lasse den Fremdenverkehr verkümmern, der zu drei Viertel aus reichsdeutschcn Quellen gespeist würde.
Die Wendung der Lage in Oesterreich könne nur die offene Aussprache und Verständi- guna mit Deutschland bringen. Die Initiative hierfür müsse jetzt von Oesterreich ausgehen.
Neue Anschläge
Wenn die Regierung durch dieses entgegenkommende Verhalten hofft, aus dem Zweifrontenkrieg herauszukommen und die Sozialdemokraten zur Einstellung ihres Sprengstoffkrieges zu veranlassen, so scheint sie da einem übertriebenen Optimismus zu huldigen. In der Nacht zum Mittwoch wurden z. B. in Vorarlberg allein lk Anschläge auf Fernsprechkabel
weltanschauliche Schulung erreichen unc lebendig erhalten haben. Unser Ziel wird es bleiben, in dem vor uns liegenden Kapitel im Nahmen einer Verfassung, die noch heute allen Parteien Freiheit läßt, das zu erreichen, was Deutschland in der Novemberwahl so überwältigend bewiesen hat: Vorbehaltlose Einheit eines Volkes in Not. hier eines Volkssplitters auf besonders gefährdetem Posten.
Eisenbahnanlagen usw. verübt. Ein Anschlag aus das Postamt in Bregenz mißlang nur infolge Versagens der Zeitzündung.
Um so verheerender wirkte sich ein Spreng- stosfanschlag auf die Wohnung des Kriminalinspektors Hosner in Innsbruck aus, wo Mittwoch morgen durch einen Sprenganschlag die gesamten Einrichtungen zweier Wohnungen und alle Wohnungstüren im Stiegenhaus vom ersten bis zum dritten Stock vernichtet wurden.
Die Unabhängigkeit der Richter aufgehoben
Die Abendpresse hebt hervor, daß in dem neuen Uebergangsversassungsgesetz, das am 1. Juli in Kraft tritt, die Unabhängigkeit der Richter aufgehoben worden ist.
Es ist höchst bemerkenswert, daß somit die österreichische Regierung die richterliche Unabhängigkeit, eine der grundlegendsten Bedingungen eines jeden modernen Staates, als gegenwärtig unbequem empfindet. Es dürfte kaum eines anderen Beweises für die eigenartigen Zustände im heutigen Österreich bedürfen, als eine derartige Maßnahme, die an den Grundrechten der Rechtsprechung rüttelt.
Neuwahlen in Oesterreich?
Wie in unterrichteten Kreisen verlautet, hat der österreichische Gesandte in Rom, Dr. Rintelen, soeben der österreichischen Regierung einen eingehenden Bericht über die Zusammenkunft von Venedig übermittelt.
Ueber den Inhalt dieses Berichtes wird selbstverständlich bei den amtlichen Stellen strengstes Stillschweigen bewahrt. Jedoch verdichten sich in hiesigen internationalen Kreisen die Gerüchte, daß der Gedanke von Neuwahlen zur Feststellung der wahren Volksmeinung des österreichischen Volkes bei den Großmächten in der letzten Zeit stark an Boden gewonnen habe.
Ausklang von Beliebig
Bemerkenswerte Pressestimmen
in. Rom, 20. Juni.
Die Venediger Begegnung zwischen Hitler und Mussolini beschäftigt noch immer die Weltpresse. Am Dienstag hat Staatssekretär Suvich den französischen Botschafter Chambrun empfangen und ihn über die Venediger Besprechungen unterrichtet. Der Pariser „Matin" will dazu erfahren haben, daß Suvich mitgeteilt habe, daß von keiner Seite positive Verpflichtungen übernommen worden seien. In der Hauptsache haben sich die Besprechungen um Oesterreich, die Abrüstung und den Völkerbund gehandelt.
Französische Zeitungen berichten, daß Barthou in der zweiten Juliwoche nach Rom kommen wolle. Italienische Blätter bestätigen diese Nachricht noch nicht, so daß anzunehmen ist. daß die Absicht noch einseitig sei. „Echo de Paris" meint den deutschen Erfolg in Venedig könne man mit 80 v. H. annehme m Die Innigkeit der Beziehungen Italiens zu Deutschlands werde keine Barthou-Reise nach Rom mehr erschüttern können. Am treffendsten kennzeichnet der „Temps" das Ergebnis der Venediger Begegnung: Deutschland werde
durch den Nationalsozialismus systematisch wieder zur Weltgeltung gebracht und darin liege für Frankreich die Furcht vor einem allmählichen Versanden des Versailler Vertrags. Der einstige Verbündete Frankreichs, Italien, sei heute der Vertraute Deutschlands geworden.
in Rumänien?
io Rumänien?
König Carol kündigt Ausschaltung der Parlamentsopposition an
bs. Bukarest, 20. Juni.
Der wachsende Widerstand der Bevölkerung Rumäniens gegen den von der liberalen Regierung Tatarescus eingehaltenen französischen Kurs der rumänischen Außen- und Innenpolitik, welcher Kurs sich insbesondere in einem immer empfindlicher werdenden wirtschaftlichen Druck auswirkt, scheint nunmehr die Regierung zu weiteren Maßnahmen gegen die Opposition zu veranlassen. So legi man wenigstens die Erklärungen aus, die König Carol in einer anläßlich des bevorstehenden Besuches Bar- thous dem Sonderberichterstatter des „Petit Parisien" übergebenen Botschaft an das französische Volk festgelegt hat.
In der Unterredung mit dem französische» Journalisten dementiert König Carol die Gerüchte, daß er abzudanken beabsichtige. Die Frage, ob der König die Diktatur einzuführen beabsichtige, wurde etwas schleierhaft beantwortet. Wenngleich Rumänien den Parlamentarismus beibehalten müsse, sobestehedoch das Bedürfnis nach einer starken Regierungsgewalt; esmüßten die das Regieren erschwerenden und nichtssagenden Palaver beseitigt werden.
In Bukarester politischen Kreisen will man diese Erklärung dahingehend verstehen, daß neue Maßnahmen gegen die Opposition unmittelbar bevorstehei und die Regierung unter Beibehaltung eines Scheinparlamentarismus mit Notverordnungen herrschen will.
Planmäßige Relmerd-
Blutige Schießerei zwischen Kommunisten und Polizei in Lyon
Werfälle in EWfraakrriK
Paris, 20. Juni.
In Lyon ereigneten sich in den Abendstunden des Dienstag schwere Zusammen stütze zwischen Kommunisten und Polizei. Die Kommunisten hatten anläßlich einer Ver- sammlung der rechtsstehenden „SolidaritS francaise" eine Gegenkundgebung beschlosten, die die Polizei verhindern wollte. Zu diesem Zweck hatte man überall die Polizeistreitkräfte durch Gendarmerie zu Fuß und zu Pferde verstärkt. Die Kommunisten — etwa 2000 an der Zahl — versammelten sich gegen 20 Uhr im Zentrum der Stadt und suchten die Absperrungen zur durchbrechen. Mit Stühlen und Pflastersteinen gingen sie gegen die Polizei vor, die von dem Gewehrkolben Gebrauch machte. Um 22 Uhr hatten die Kommunisten die Oberhand. Die Polizei wurde aus zwei Ge- bäuden beschossen und mit allerlei Wurfgeschossen empfangen. Barrikaden wurden errichtet, die aber dem Ansturm der Polizeibeamten nicht standhalten konnten. Die Kommunisten hatten kleine Lastwagen bereitgestellt, auf denen sie ihre Verletzten wegbeförderten, um sie nicht der Polizei auszuliefern.
Erst in den späten Nachtstunden gelang es, die Ruhe wieder herzustellen. Nach den bisherigen Ermittlungen wurden 15 Demonstranten und drei Polizeibeamte so schwer verletzt, daß sie in ein Krankenhaus übergeführt werden mußten.
Drei Tote bei den Unruhen in Toulouse
Zu den blutigen Straßenunruhen von Toulouse wird noch bekannt, daß erst geigen 5 Uhr früh die Ruhe einigermaßen wieder hergestellt war. Um 2 Uhr nachts gelang es den Polizeistreitkräften, den St. Georges-Platz zu säubern. An einzelnen Stellen der Stadt war jedoch die Unruhe um diese Zeit noch nicht behoben und vor dem Gebäude der Zeitung „Petite Gironde" befand sich noch eine aus Stühlen errichtete Barrikade.
Polizeistreifen, durch Gendarmerie verstärkt. durchzogen bis in den frühen Morgen