Mittwoch, 13. Juni 1934

108. Jahrgang

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W neue belgische Kabinett gebildet

Brüssel, 12. Juni.

Heute vormittag sind die Verhandlungen über die Neubildung der Regierung end­gültig abgeschlossen worden. Die neue Re­gierung wird von dem bisherigen Minister­präsidenten Graf de Broqüeville ge­führt. Stellvertretender Ministerpräsident ist der Landesverteidigungsminister D e- veze, Aiißenminister Ja spar. Finanz- minister S a p, Wirtschaftsministcr van bu u wela e r t; weiter noch folgende Mit­glieder: Justizminister Bolesse (liberal). Innenminister Pierlot (katholisch), Kolo- innlmiiiister T schaffen: (katholisch), Ar- beitZminister von Jsacker (katholisch), vandelsminister Fo r t h o m m e (liberal). Kultusminister M a i st r i a u (liberal), Ver- kehrSniinister Dirckx (liberal), Minister ohne Portefeuille In g e n b l e e k (liberal), und van Zeekland (katholisch). Zahlenmä­ßig und koalitionsmäßig hat sich in dem neuen Kabinett nichts verändert. Es umfaßt 12 Ministerien, von denen wiederum die katholische Rechtspartei und die liberale Partei 5 Portefeuille« erhalten haben.

Die Wallonen haben gegenüber dem vo­rigen Kabinett insofern eine stärkere Vertre­tung erhalten, als einer der sogenannten Mprozentigen Wallonen, der liberale Ab­geordnete Bovesse aus Namur, als Ju- ilizininister dem Kabinett angehört. Auch in -er Berufung des Oberbürgermeisters von Mons. M a i st r i a u. ist eine Stärkung des wallonischen Elements zu erblicken, zumal her seitherige Kultusminister, der flämische Liberale L i P p e n s, ausgeschieden und durch keinen neuen flämischen Minister re­icht worden ist. 5 ausgesprochen walloni­schen Ministern stehen nur drei flämische gegenüber, ein Verhältnis, das sich für die Flamen dadurch noch ungünstiger stellt, daß sich unter den übrigen Ministern der Groß- brüsseler Richtung der Außenminister Jas- Par ans dem Wahlkreis Lüttich befindet. Jedenfalls ist das wallonische Element in dieser Regierung stärker als früher vertre­ten. Indessen liegen zwei der wichtigsten Minister dieses Kabinetts, das sich in erster Anie wirtschaftlich-finanziellen Aufgaben widmen will, in den Händen von Flamen. Va n C a u v e l a e r t übernimmt neben dem Wirtschaftsministerium auch das Landwirt- fchaftSministeriiim. Tiefe gegen den schärf­sten Widerstand der Landwirtschaft vorge- niommene Neuordnung entspricht offenbar ier Absicht des Ministerpräsidenten, eine ein­heitliche. auf den Ausgleich der industriellen und wirtschaftlichen Interessen abgestellte Politik auf diese Weise durchführen zu können.

Die Hauptaufgaben dieser Negierung sind zunächst wirtschaftlicher und finanzieller Natur. Zu ihrer Lösung hat Broqüeville Zwei anerkannte Fachleute als Minister ohne Geschäftsbereich hinzu gezogen. Sie bilden unter dem Vorsitz des Mmist-'rpräsiden'm zusammen mit deni Finanuninister einen be­sonderen Ausschuß, der sich in der Haupt­sache der Durchführung des Deflations-Pro­gramms widmen wird, das schon von der vorigen Negierung ausgearbeitet worden war.

Die neue Regierung wird sich am^ kvm- unnden Dienstag dem Parlament vorstellen.

Wachkampf vor -er Entscheidung

Berlin, 12. Juni.

Im Ringen um die Schachweltmeisterschaft begann am Montag in Berlin der letzte Kampf. Der Weltmeister verteidigte sich in "er 25. Partie des Wettkampfes durch die «Nnahme des Damengambits, und der deutsche Meister Bogoljubow erreichte durch vorsichtiges Spielen geringe Gegenchancen. Ahechin spielte zurückhaltend und so wurde d>e Partie ohne große Aufregungen beim ^0. Zuge nach fünfstündiger Dauer abge - "rochen. Dienstagabend 8 Uhr wird bei Zoll die 25. Partie zu Ende gespielt. Der deutsche Meister hat seinen 41. Zug nn Briefumschlag abgegeben.

Beendet ist der Kampf um die Schach- Weltmeisterschaft, wenn der Weltmeister Dr. Mechin 15V- Punkte erreicht hat. Der gegenwärtige Stand ist 14:10.

Sühne für Horst Weffel

Neuer Prozeß gegen drei Heiser Ali Köhlers

kk. Berlin, 12. Juni.

Dienstag wurde vor dem Berliner Schwur­gericht der Mord an Horst Wessel noch einmal aufgerollt. Die Anklage richtet sich gegen den 31jährigen Peter Stoll, der wegen eines Sittlichkeitsverbrechens einmal vorbestraft ist, gegen den 27jährigen Sally EPstein und den 32jährigen, 13mal wegen Betrugs und Diebstahls vorbestraften Hans Ziegler. Alle drei waren an der Er­mordung Horst Wessels unmittelbar beteiligt.

Me es zur Aufdeckung kam

Eines Tages stand Stoll betrunken vor einem Lokal und stritt mit feiner Frau. Die Auseinandersetzung wurde immer lebhafter und heftiger, bis Stolls Frau in höchster Wut ihrem Manne zurief:Du willst es m it mir wohl auch so machen, wie Du es mit Horst Wessel gemacht h a st!"

Stoll wurde daraufhin verhaftet. Sein Verhör führte auf die Spur der andern zwei Angeklagten, die alle mit dem Mord­trupp Ali Hülsters zur Ermordung des SN.- Sturmführers ausgezogen waren.

Diesmal lautet die Anklage auf gemein­schaftlichen Mord, während gegen Ali Höhler und Genossen die Anklage nur auf gemeinschaftlichen Totschlag gelautet hatte.

Stoll nennt den Mord eine lumpige Sache"

Stoll sucht seine Beteiligung an dem Mord natürlich möglichst harmlos hinzu­stellen. Er hatte der Sturmabteilung Mitte, einer getarnten Gliederung des verbotenen Roten Frontkämpferbundes, angehört. Am Tage der Tat, dem 14. Januar 1930, fand in der Dragonerstraße bei Baer eine kom­munistische Versammlung statt. Aus Neu­gierde sei Stoll dem Kommunisten Junek nachgegangen, der den Kommunisten Iam­bro wski aus dem Saal gerufen hatte, weil eine Frau ihn sprechen wollte und da­bei habe er gehört, wie die Frau es war die Wirtin Wessels, Salm von Jam- browski verlangte, er solle einenNachzieh­mann" aus ihrer Wohnung befördern. Als dann Jnnek in einem andern Lokal mit Ali Höhler verhandelte, habe er sich abseits gestellt. Aus Neugierde und Dummheit sei er dann mit den andern losgezogen, bis ihm Jambrowski sagte, daß er an einer Ecke sieben zu bleiben und zu pfeifen habe, wenn Polizei erscheine. Als Stoll beteuerte, von dem Mordvlan keine Ahnung gehabt zu haben, wird er vom Vorsitzenden zurecht- aewiesen, sich nicht so dumm zu verstellen. Auf den Vorhalt, warum er im letzten August einen Selbstmordversuch begangen bal»'. antwortete Stoll:

Es tut mir leid, daß ich in eine solche Sache aus Dummheit hiueiugekommen bin. Sch habe mich geschämt wegen einer so lumvigen Sacke!"

Vorsitzender-Das nennen Sie eine lum­pige Sache? Sie sind hier als Mörder an- geklagt!"

Sally Epstein

war auch in der Sturmabteilung Mitte. Im übrigen lügt er mit der ganzen Zungen­fertigkeit seiner Rasse. Er erzählt, daß er Vinter den andern nur zufällig uachqeaanaen sei, weil er einen Freund besuchen wollte der aber, wie ihm der Vorsitzende vorhält, an diesem Tage in der Strafanstalt Tegel saß.

Der dritte Angeklagte, Ziegler, war im Lokal von Baer. Am 14. Januar fei Frau Salm, die Wirtin Horst Wessels, ins Lokal gekommen und habe einen Führer der Sturmabteilung" sprechen wollen. Ziegler will kein Interesse an der Angelegenheit, die er angeblich als eine Mietsstreitigkeit ansah, gehabt haben. Trotz dieser Interesselosigkeit auf der einen Seite ist er jedoch von Neu­gierde geplagt worden, als mehrere Kom­munisten, darunter der Mörder Ali Höhler, das Lokal verließ. Er sei hinter ihnen her- gelaufen, um zu erfahren, was vor sich gehen sollte. Vor dem Hause Horst Wessels seien schon mehrere Kommunisten versammelt ae-

wesen. Ziegler selbst will es mit der Angst zu tun bekommen haben, als er merkte, daß eine große Sachesteigen" sollte.

Nur zum Schein"

sei er mit ins Haus gegangen. Später habe er sich gedrückt und sei ins Lokal von Baer zurückgegangen. Dort ermahnte Jambrowski die Genossen, den Mund über die Sache zu halten, einem Verräter würde es genau so gehen wie Horst Wessel. Ziegler behauptete, in diesem Aug-mblick den Namen Horst Wessel zum erstenmal gehört zu haben.

Vorsitzender: Wollen Sie uns wirklich glauben machen, daß Sie als Mitglied der kommunistischen Sturmabteilung im Januar 1930 nicht gewußt haben, wer Horst Wessel, der bekannteste Sturmführer der dortigen Gegend, war?

Der Angeklagte bleibt bei seiner plumpen Lüge und will erst am anderen Tage von dem Mord in der Zeitung gelesen haben.

Sodann wurde m die Beweisaufnahme eingetreten.

Dann wurde die Vermieterin, bei der Horst Wessel zuletzt gewohnt hat, die Witwe Eli­sabeth Salm, aus der Schutzhast vorgeführt. Sie ist im ersten Prozeß im September 1930 zu IV- Jahren Gefängnis verurteilt worden und hat ihre Strafe inzwischen verbüßt.

Witwe Salm

kocht während des Mordes Kaffee

Seit ihrer letzten Vernehmung war die Zeugin sehr vorsichtig und zurückhaltend. Sie gab erst dann der Wahrheit etwas mehr Ehre, als der Vorsitzende ihr das Urteil des ersten Prozesses vorhielt. Nach ihrer Bekun­dung ist Horst Wessel im Oktober 1929 zu ihr gezogen. Im Januar 1930 kam es zu Mietsstreitigkeiten, und sie ist dann in das Lokal von Baer gegangen, um einen Be­kannten ihres Mannes zu ihrer Unterstützung zu holen. Als sie dort von dem Streit er­zählte. sagte plötzlich Max Jambrowski: Das ist ja der langgesuchte Horst Westel!" Darauf begleiteten mehrere Kommunisten die L-alm in ihre Wohnung. Die Zeugin will aber nicht gewußt haben, was diese ihr zum Teil Unbekannten dort gewollt hätten; sie habe sich nicht besonders um sie beküm­mert. sondern Kaffee gekocht.

Vorsitzender: Eine rührende Geschichte, wie Sie uns hier erzählen. Denken Sie denn, wir glauben Ihnen, wenn Sie uns vor­machen wollen, daß Sie Kaffee kochten, während nebenan Ihr Mieter niedergeschossen wurde?

Die Zeugin will sich dann, nachdem Horst Wessel niedergefchosfen war. um ihn ge­kümmert haben, nachdem die kommunistischen Mörder eilig die Wohnung verlassen hatten. Horst Wessel verlangte nach Wasser und forderte sie auf. Polizei zu verständigen und einen Arzt zu ruteu. Außerdem bat er um seine Papiere. Wenige Minuten später, als sie gerade einen Arzt hätte rufen wollen, traten die Kameraden Horst Wessels ein.

Ladung ZWnwnns zurückgezogen

kk. Berlin, 12. Juni.

Im Prozeß gegen die Mörder der beiden Polizeioffiziere wurde am Dienstag nach der Abgabe des Sachverständigengutachtens über den Obduktionsbefund der Ermordeten von der Verteidigung der Antrag auf Ladung des frü­heren kommunistischen Parteiführers Thäl­mann zurückgezogen.

Oberst von Mdenburg - Zeuge im Gereckeprozeß

kk. Berlin, 12. Juni

Im Gerecke-Prozeß wurde Dienstag einer der Kronzeugen über den Anklagepunkt Hindenburg-Ausschuß", der Sohn des Reichs­präsidenten, Oberst von Hindenburg, vernommen. Gerecke hat nämlich jetzt Material vorgelegt, das dem Prozeß eine Wendung gibt: Schon vor dem ersten Wahlgang im Jahre 1932 soll er von interessierter Seite eine halbe Million Mark erhalten haben, um eine Hin- denburg-Zeitung zu gründen, doch habe er dieses Geld weaen der Kandidatur Düsterberas

Jas Neueste in MR

Die neue belgische Regierung ist nun ge­bildet. De Broqüeville ist wiederum Minister­präsident.

Trotz Verhängung des Standrechts ist Oester­reich immer noch nicht zur Ruhe gekommen. Man hört von neuen Anschlägen.

In Braunschweig ist ein kommissarischer Kirchensührer eingesetzt worden.

im Wahlkampf zur Schwächung dieses Rechts­gegners ansgeben müssen. Diese Ausgabe sei im Einvernehmen mit Oberst von Hindenburg erfolgt.

Oberst von Hindenburg bekundet, daß das Zeitungsprojekt an Geldmangel gescheitert sei. Von einer ehrenwörtlichcn Verpflichtung Ge- reckes z<n> Stillschweigen ist ihm nichts be­kannt. Es sei aber ganz ausgeschlossen, daß man ihm gesagt hätte, es stünden 480 000 Mark für die Zeitungsqründung zur Verfügung, ebenso­wenig, daß er Gerecke zur Bekämpfung einer Gegenkandidatur diesen Betrag übergeben hätte. An viele Einzelheiten kann sich Oberst von Hindenburg nicht erinnern und Dr. Ge- rccke erklärt schließlich, daß er sich über diese Dinge überhaupt nicht äußern wird. An­schließend erklärt Oberst von Hindenburg, daß er Gerecke nicht mtraue, daß dieser sich persön­lich ans Mitteln des Zdcnburg-Wahlfonds Vorteile verschaffen wollte.

5« neue englische Ltiftgeschwader

Erhebliche Verstärkung der Lustftreitkräste Englands

London, 12. Juni.

Daily Telegraph" meldet, die Regierung werde voraussichtlich in absehbarer Zeit ein Programm für die Vergrößerung der Luft- streitmacht ankündigen, das die Bildung von nicht weniger als 50 neuen Flugzeug­geschwadern vorsehe« werde. Diese Ver­stärkung der Luftmacht würde in drei bis fünf Jahren vollzogen werden. Insgesamt würde Großbritannien dann 1490 Flug­zeuge besitzen, während die Luftstreitmacht des benachbarten Frankreich aus 1650 Flug­zeugen bestehe. In ministeriellen Kreisen herrsche allgemein die Auffassung, daß die Vertagung der Abrüstungskonferenz auf un­bestimmte Zeit keine andere Wahl lasse, als das im vorigen Monat von Baldwin ge­gebene Versprechen zu erfüllen.

.Stuttgarter rrrwrgrmve skr das Saargebtet"

Eine neue tschechische Greuelmeldung km. Prag, 12. Juni.

Das tschechisch-nationalistische Blatt Becernie Ceske Slovo" tischt in einem Ar­tikel unter der UeberschriftEntsteht ein neuer Staat in Europa? Deutsche Gewalt­tätigkeiten vor dem Plebiszit" Greuel­meldungen über angebliche Vorfälle im Saargebiet auf, die bereits von saar­ländischer amtlicher Seite richtig gestellt und widerlegt worden find. Dieses Vorgehen des Blattes ist um so bedauerlicher, als das Blatt dem tschechoslowakischen Außenministerium nahe steht.

Das Blatt behauptet, daß in Stutt­gart eine terroristische Gruppe gegründet worden sei, deren Aufgabe es sei, die Agitation für die Abstimmung im Lande zu besorgen. Ihr wichtigstes Agitations­mittel sei die Peitsche (!!!). Die Mitglie­der trügen kurze kleine Peitschen, mit denen sie die Saarbevölkerung bearbeiten. Am ver­gangenen Sonntag seien Mitglieder dieser Terroristengruppe nach Saarlouis gekom­men, wo es zu wüsten Ausschreitungen ge­kommen sei. Auf Anhänger Frankreichs seien Hetzjagden veranstaltet worden. Sie seien auf den Gasten bis aufs Blut gepeitscht und dann bewußtlos liegen gelaffen worden.

Aus dem Strauß der Lügenmeldungen des Blattes seien noch zwei besonders blut­rünstige ausgewählt, die an die übelste Greuelpropaganda über Deutschland wäh­rend des Krieges erinnern. Damit ist dem