Seite 8 — Nr. 129
Der Gesellschafter
Donnerstag, den 7. Juni 1934.
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Sie Llmdsewmnungsmbetten an der Nordsee
Wenn man in alten Chroniken blättert, so findet man als die furchtbarsten Katastrophen der vergangenen Jahrhunderte mehrere schwere Sturmfluten verzeichnet, die einer Sintflut gleich über die ganze deutsche und holländische Nordfeeküste Hereinbrechen und das Land auf viele Hunderte von Kilometern unter sich begruben. Zehntausende von Menschen fanden damals ihren Tod. unter anderen auch die gesamte Bevölkerung der sagenhaften Stadt Rungholt. Nur einige höher gelegene Landbrocken blieben verschont, die wir heute als die vielen dem Festlande vorgelagerten Inseln, als zahllose Halligen kennen. Jahrhundertelang hat das Meer feine Beute gehütet, aber jetzt soll sie ihm wieder entrissen werden.
Wer durch die schleswig-holsteinische Marschen wandert, erkennt, daß hier eine Aufgabe gegeben ist. die sich wirklich lohnt. In ungeheurer Weite dehnt sich fruchtbarster Boden, der zum Teil noch weit in die Nordsee hinausragt. Weit verstreut liegen die stolzen Bauernhöfe, an der Westseite, der Wet-
schon bei der Insel Sylt geschehen ist. Dieser Dammbau ist der erste Schritt zur Landgewinnung. denn die Flut bringt stets fruchtbaren Schlick mit sich, der an der Küste abgelagert wird. Ohne Zutun des Menschen treibt die zurückströmende Ebbe den Schlick wieder ins Meer zurück. Um dies zu verhindern. werden senkrecht zum Strand Buhnen gebaut, die an den Halligen enden. Das einströmende Flutwasser kommt so zum Stillstand und setzt den Schlick ab. Außerdem kann nie eine Parallelströmung zur Küste entstehen, die die getane Arbeit wieder zunichte macht. Die Zwischenräume zwischen den Buhnen werden wieder in kleinere Vierecke aufgeteilt, so daß das Messer aufgestaut wird. Durch die beständige Schlickablagerung beginnt nun der Boden zu steigen, und wenn er sich nur noch wenige Zentimeter unter dem Hochwasserstand befindet, stellt sich auch schon der erste Pflanzenwuchs ein. Es ist eine kaktusähnliche Salzpflanze, der sogenannte
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l'vac künstliche Insel entsteht. Ans eine bei Ebbe anstanchcnde Sandbank werden Acste ansgebrritct, die un i: v,m Flugsand zuwchen läßt. Ans de« Sand kommt wieder eine Schicht Aeste, «nd so wird die Insel immer böber, bis zuletzt Hafer darauf gepflanzt werde« kan«.
Eine Kolonne des Arbeitsdienstes bei den Landgewinnnngsarbclten.
ierseite, durch eine dichte Baumgruppe vor Wind und Unwetter geschützt. Ihre hohen Strohdächer scheinen sich dicht an den Boden anzuschmiegen. Auf den durch Gräben abgegrenzten Weiden tummeln sich riesige Herden prächtiger bunter Rinder und wohlgenährter schwerer Pserde. Gewaltige Deiche schützen das Land vor der Ueberslutnng. und was liegt näher als der Gedanke, diese Deiche immer weiter vorzutragen, um dadurch neues fruchtbares Land zu gewinnen. Aber so einfach ist die Landgewinnung nicht. Viel Arbeit und viel Geduld gehört dazu, und die Eindeichung ist nicht der Beginn der Landgewinnung. sondern folgt stets zu allerletzt.
Und so wird seit Jahr und Tag an dieser Küste ein heldenmütiger Kampf gegen das ungebändigte Element geführt, ein Kampf, durch den ohne Kanonen, ohne Blutvergießen eine neue Provinz erobert werden soll. Am günstigsten liegen die Verhältnisse zwischen der Halbinsel Eiderstedt und der Insel Sylt, da in diesem Teil des Wattenmeeres die meisten Halligen, jene kleinen Inseln aus Marschboden. liegen. Zunächst einmal wird jetzt die Insel Nordstrand durch einen Damm mit dem Festlande verbunden, wie dies früher
Quellen, dessen Samen das Meer heranträgt und die das Menschenwerk wirksam unterstützt. Sie bricht nämlich die Gewalt des einströmenden Wassers, trägt noch mehr dazu bei, daß der Schlick zurückbehalten wird, so daß der Boden, der erst langsam anwuchs, immer schneller steigt. Wenn er etwa dreißig Zentimeter Höhe über den normalen Hochwasserstand erreicht hat, so treten die ersten Gräser auf, die für Kleinvieh eine vorzügliche Nahrung abgeben. Dann folgen Strandstern und Strandnelken, die namentlich von Schafen gern gefressen werden, wie überhaupt Viehzucht und Heugewinnung die Hauptcrwerbszweige eines solchen Neulandes sein werden. Aber auch Hafer und Weizen wird auf dem schweren Boden aufs beste gedeihen.
Hat nun der Boden die genügende Höhe über dem Meeresspiegel erreicht, so kann zur Eindeichung des neuerrungenen Gebietes geschritten werden. Sie ist eigentlich der kostspieligste Teil des ganzen Arbeitsprozesses. Zunächst einmal muß man sich entscheiden, ob ein sogenannter Sommerdeich, der im Winter bei großen Fluten übcrspült wird.
oder ein Winterdeich, der auch im Winter das Neuland vor Ueberschwemmungen schützt, angelegt werden soll. Die Frage hängt vor allem von finanziellen Erwägungen ab, und , ihre Lösung entscheidet sich nach der Größe des neugewonnenen Landes. Wenn man bedenkt, daß früher jeder Karren Erde mit der Hand herbeigeschafft werden mußte und ein Deich für jeden Längenmeter 130 Kubikmeter Erde erfordert, so erhält man erst einen Begriff davon, was ein Deichbau bedeutet. Heute hat man freilich die Technik mit all ihren Errungenschaften auch dem Deichbau zunutze gemacht. Ans einem ganzen Schienennetz werden in Loren die riesigen Erdmengen. die Bagger abgegraben haben, herangeschafft. Aber trotzdem ist die Schwierigkeit eines solchen Unternehmens nicht viel geringer geworden. Denn die zur Verfügung stehende kurze Sommerzeit ist bald verstrichen. und wenn der Winter mit seinen verheerenden Sturmfluten einfetzt, soll der Deich aufgerichtet sein.
Tie Insel Nordstrand war bisher durch einen 2.8 Kilometer langen Fußdamm mit dem Festlande verbunden, der jedoch nicht die erforderliche Höhe hatte und von
Moor fertiggestellt und nach der Hallig Helmsand ein Damm von 4 Kilometer Länge in Angriff genommen worden. Geplant ist ferner ein Damm nach Föhr, und von Föhr nach Amrun neben vielen anderen. Jeder dieser Dämme schafft stromsreie Buchten und damit neues deutsches Land. So wird von der dänischen Grenze bis herunter zur Elbmündung ein heroischer Kamps geführt. Seit 1900 sind auf diese Weise an der schleswig-holsteinischen Küste etwa 4000 Hektar Neuland entstanden. Aber diese Zahl verschwindet gegenüber dem. was sich die nationalsozalistische Regierung zum Ziel gesetzt hat. Im Jahre 1932 wurden für Laud- gewinnnngsarbeiten 180 000 Mark bewilligt. Ein lächerlich geringer Betrag, wenn man bedenkt, daß damit kaum das Bestehende erhalten werden kann. Im Jahre 1933 sind dagegen 1 Million Mark zur Verfügung gestellt worden. Hunderte von Arbeitern und Arbeitsdienstwilligen haben 84 Kilometer Lahnungen aus Reisern und Holzpfählen gebaut. es wurden Entwässerungsgräben gezogen von 2V- Millionen Meter Länge und IV- Millionen Kubikmeter Erdreich bewegt. An Material wurden 700 Woggon Busch
ü :n Damm wird vom Festland ins Meer binarrsgcb ant. Kauze Ziiae von Lore« Waffen das Erdreich heran. Im Hintergrund des B ildcs die Insel Nordstrand.
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Das neue Land wird dnrch etnpflanze« von Aeste« gefestigt.
der Flut immer wieder überspült wurde. Die Folge davon war. daß keine Anlandung von Schlick erfolgen konnte. Es wird nun ein Tamm gebaut, der sich 5,3 Meter über den normalen Hochwasserstand erheben und so jeder Sturmflut trotzen wird. Wie wichtig ein solcher Damm für die Anlandung von Schlick ist, zeigt der Hindenburgdamm zwischen der Insel Sylt und dem Festlande. Das Vorhandensein dieses Dammes hat bereits die Anlandung von 2V- Millionen Kubikmeter Nährboden zur Folge gehabt, und so wird auch der Nvrdstranddamm in kürzester Zeit einen Koog, das ist eine neugewonnene Fläche, entstehen lassen, die nördlich von ihm 650 Hektar und südlich 1800 Hektar groß ist. Auf ihr werden dann über hundert Bauernhöfe einen Platz finden können. Es wird ein Boden sein, dessen Ergiebigkeit jahrelang vorhält, ohne das kaum eine Düngung notwendig wäre.
Eine große Anzahl weiterer Dammbauten ist bereits durchgesührt worden bzw. wird noch geplant. So ist im vorigen Jahre ein Damm nach der Hallig Nordstrandisch
werk. 400 000 Pfähle und 15 Waggon Draht verbraucht. Die größte Arbeitsleistung aber wird an der Westküste die Eindeichung des Adolf-Hitler-Koogs sein, die im Juni 1933 begonnen wurde. Hier wurden 12 000 Hektar Land dem Meere entrissen. 500 Mann waren den ganzen Winter hindurch beschäftigt, eine Zahl, die sich fetzt im Sommer auf ein Mehrfaches erhöht.
Die Arbeiten sind jedoch nicht auf die Gewinnung von Neuland beschränkt. Unablässig weht der Westwind, der herbe Hauch des nahen Atlantik, fortwährend nagt das Meer mit der ständigen Wiederkehr seiner Gezeiten an den schützenden Deichen, und so wird auch der Erhaltung des Bestehenden mehr Sorgfalt gewidmet als bisher. Manche Deiche sind 400 und noch mehr Jahre alt. Sie sollen jetzt erneuert werden. Von diesem gesicherten alten Lande aus soll sich dann Deich auf Deich gegen das Meer vorschieben, und bald werden die ersten Halligen vom stetig wachsenden Lande erreicht und dem Festlande wieder einverleibt sein, zu dem sie vor Jahr- Hunderten gehörten.