Seit. S - Nr. 111
Der Gesellschafter
Mittwoch, den 18. Mai 1881
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DaS Seidenbandabzeichen für „Mutter und Kind" als Wirtschaftsfaktor
^Mutter und Kind" sind die Grundlagen für Deutschlands Zukunft, und ihnen zu Ehren haben die bergsichen Heimweber ein Abzeichen aus Seide gewoben, welche' an einem Metallrahmen befestigt ist, und in Goldmalerei die Wiedergabe des Gemäldes „Mutterglück" von Zumbusch zeigt.
Das Abzeiche r wird am 16. und 17. Mai getragen, und wird von den Seidenbandwebern gearbeitet, welche früher viele tausend Meter schönster Haarschleifen herstellten und nun seit dem Zeitalter des Bubikopfes fast nichts mehr zu tun hatten.
Die Seide ist ein deutsches Erzeugnis, und wird im Rheinland hergestellt. Für jedes Seidenbandabzeichen muß ein Faden von 53,8 Meter Länge gesponnen werden. Die gesamte Fadenlänge des Auftrages beträgt mehr als 800 MillionenMeter. Das bedeutet, daß die Entfernung Berlin — Neuyorl mehr als 210mal überbrückt werden könnte, daß der Umfang der Erde 20mal umkreist werden müßte und 'aß die Fadenlänge ausreichen würde, um eine Verbindung der Erde mit dem Mond zweimal herzustellen.
Die Metallrahmen 'es Abzeichens bestehen aus vermessingtem Eisenblech und werden in Westfalen hergestellt. Ihr Gesamtgewicht beträgt 14 000 Kilogramm, während die gesamte Länge der Rahmen 540 000 Meter übersteigt.
Das Gewicht für die Anstecknadeln beträgt allein mehr als 2000 Kilogramm, während 1500 Kilogramm Farbe und Chemikalien erforderlich sind, um der Rohseide das einheitliche, glänzende Aussehen zu geben. 500 Kiloramm Goldbronze werden benötigt, um as Gemälde „Mutterglück" aufzutragen. Mehr als 3700 Stunden Tischlerarbeit waren erforderlich, um die toten Webstühl« wieder der Arbeit zuzuführen, und über 8506 Arbeitsstunden wurden geschaffen für Rietmacher, Schlosser, Stellmacher usw., um alles wieder in Gang zu setzen.
600 Mädchen und Frauen wurden neu eingestellt, um das Band auf Längen zu schneiden und in den Blechköpfen zu befestigen, während über 2700 gelernte und ungelernte Arbeiter und Arbeiterinnen für Seiden-, Blech-, Nadel-, Färben-, Druck- ui.d Zaponier-Arbeiten wiederum über 230 000 Stunden weitere Arbeitsmöglichkeiten durch diesen Auftrag fanden.
Für den Versand der Seidenbänder mußten 1200 Holzkisten und mehr als ^ Mil- lionKartons angefertigt werden, und das Gesamtgewicht, welches die Reichsbahn zu bewältigen hatte, betrug 30 000 Kilogramm. Insgesamt wurden durch d-eses Seidenbandabzeichen für 4100 Volksgenossen 323 200 Arbeitsstunden geschaffen und den notleidenden Heimwebern ein Teil ihrer Webstühle wieder arbeits- fähig gemacht. Arbeitsmöglichkeiten über .Ar
beitsmöglichkeiten taten sich auf. und ob man die Lebensmittel-, die Bekleidungsgeschäfte oder die Gaststätten betrachtet, alle sind wieder froh, zufrieden und dankbar.^
Volksgenosse, denke an die notleidenden Haarschleifenweber, denke an deine Zukunft, denke an die deutsche Mutter nd ihr Kind und trage, wenn dir am 16. und 17. Mai ehrenamtliche Helfer das seidene Sammelband für das Hilfswerk „Mutter und Kind" anbieten, deinen Teil bei für das große Hisiswerk.
15 000 erholungsbedürftige, erb- esunde deutsge Mütter werden urch den Erlös dieses seidenen Sammelabzeichens von der NS.-Volkswohlfahrt verschickt werden. Neue Zuversicht, neue Hoffnungen werden geschaffen und du selbst hast hierbei mitgeholfen.
lieber 65 000 Mütter und über 500 006 Kinder sollen in diesem Jahre verschickt werden und ebensoviele werden es sein, die der örtlichen Betreuung unterliegen.
Deutscher Volksgenos.e denke daran, daß die
Zukunft deines Volkes in den Händen Deutschlands Kinder liegt. Denke an die Zukunft deiner eigenen Kinder um Enk«' und gib deine Spende für das Hilfswerk „Mutter und Kind!"
Mer muß mithelfen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit
Keine Ueberstundenarbeit
Der Treuhänder der Arbeit für das Wirtschaftsgebiet Südwest erläßt im Einvernehmen mit dem Präsidenten des Landesarbeitsamts Südwestdeutschland und dem Bezirksleiter der deutschen Arbeitsfront, Bezirksleitung Südwest folgenden Aufruf:
Am 21. März ds. Is. hat oie neue Angriffsschlacht gegen die Arbeitslosigkeit begonnen. Die bis heute errungenen Erfolge übertresfen teilweise bei weitem die Erwartungen. Aber trotz der erfreulichen Erfolge darf die unerläßlich notwendige Unterstützung der Oeffentlichkeit nicht erlahmen; es ist vielmehr selbstverständliche Pflicht jedes
Volksgenossen, den Kampf mit allen Mitteln auch weiterhin zu unterstützen. Insbesondere ist die Unterstützung dahingehend dringend geboten, daß in den Betrieben sorgfältig die Möglichkeit von Neueinstei- lungen überprüft wird. Die Leistung von Ueberftunden, auch wenn sie tarisvertragliu, vorgesehen sind, muß zu den Ausnahmen zählen. Ueberftunden sind nur dann zu rechtfertigen, wenn sämtliche Arbeitsplätze besetzt sind. Dauernde lieber stundenlei stung ist unter allen Umständen zu vermeiden. Der Treuhänder der Arbeit wird mit den ihm zur Verfügung stehenden Machtmitteln die lieber- stundenleistung auch in solchen Betrieben unterbinden, die nur mit Familienangehörigen ohne fremde Hilfskräfte arbeiten.
Die deutsche Arbeitsfront, das Landesarbeitsam' Südwestdeutschland und der Treuhänder der Arbeit erwarten auf das Bestimmteste, daß diesen Anregungen restlos Folge geleistet wird.
Auf nach Trier und Mainz zur NDATagung
^ Alljährlich findet in Deutschland eine Tagung des VDA. statt, auf der aus allen Teilen unseres Vaterlandes vor allem die Jugend, Buben und Mädchen, Zusammenkommen, um ein Bekenntnis der treuen Verbundenheit zu den Brüdern im Ausland abzulegen. Wer einmal an solch einer wuchtigen Kundgebung teilgenommen hat, dem wird sie ein ewiges und unvergeßliches Erlebnis sein.
Tausend und aber tausend Wimpel flattern dann lm Winde, überall leuchtet das Blau der Kornblume, die Farbe des VDA. Ein prächtiger und ergreifender Anblick und ein tiefes Erlebnis. Und so ist es auch kein Wunder, wenn von Jahr zu Jahr immer mehr deutsche Jungen und Mädchen dabei sein wollen, wenn der VDA. seine Jahreskundgebung hält. Daß natürlich gerade von unserem Schwabenland immer besonders
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viel Teilnehmer zu verzeichnen sind, darf nicht wunder nehmen, ja. es ist sogar eine Selbstverständlichkeit.
Dieses Jahr nun hätte die Kundgebung in Saarbrücken stattf inden sollen, aber sie wurde von der Regierungskommission verboten. Nun wird sie in den alten ehrwürdigen Städten Trier und Mainz abgehalten werden und der alte prächtige Trierer Dom wird ein gewaltiges Gewoge froher deutscher Jugend sehen.
Die Kundgebung aber soll ihr besonderes Gepräge dadurch erhalten, daß sie zu einer Saarkundgebung wird. Denn wenn auch die Veranstaltung nicht in Saarbrücken abgehalten werden darf, dann sollen unsere Brüder an der Saar doch spüren, daß sie nicht allein sind in: Kampf um ihr Deutschtum, daß das ganze deutsche Volk und vor allem auch die ganze deutsche Jugend zu ihnen steht und ihrer ge- denkt. Drum wenn es gilt, dann auf nach Trier und Mainz!
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Zeitroman von Helmut Messerschmidt
Urheber-Rechtsschutz für die deutsche Ausgabe, Drei Quellen-Verlag, Königsbrück (Sa.)
S. Fortsetzung.
Karl heulte noch laut. Der Mutter Kopf lag in einer mächtigen Wasserpflütze.
Die Knaben betteten den schweren KL-per mn.
Was tun?
In dem älteren stieg die Kaltblütigkeit der Verzweiflung hoch.
Er hüpfte auf Händen und Füßen zur Tür, um dem Bruder ein Beispiel zur Vorsicht zu geben. Dann sprang er auf, atmete tief und rannte zur Haustür.
Ritz sie auf.
„Hilfe! Hilfe! Hilfe! Hilfe!" Seine Schreie gellten durch die Straße.
Ein Soldat rannte herbei:
„Wo? Wo dennA'
„Hier! Hilfe!"
„Was ist?"
„Meine Mutter . .
„Wo?"
Beide rasten in die Wohnung.
Karl schrie in neuem Schreck, als die Tür aufflog und des Mannes schwere Stiefel lärmten.
Der Soldat warf einen Blick auf Mutter und Kinder, untersuchte die Frau, fand keine Blutflecke, sagte: „Wird nicht so schlimm sein. Ich hole einen Sanitäter. Tut das Wasser weg!"
Er ging wieder.
Totenstille herrschte im Zimmer, legte sich drückend auf die Herzen der beiden Kinder. Immer noch Schüsse draußen.
Nach einer Ewigkeit kam der Soldat mit einem anderen wieder, der eine Note-Kreuz« Binde trua.
Der Sanitäter hielt der Mutter ein Fläschchen unter die Nase.
Nach einiger Zeit zuckten die Augenlider.
Beide Männer hoben die Frau hoch, legten sie auf das Sofa.
Endlich schlug Frau Bredenkamp die Augen auf und seufzte.
„Na," sagte der Nanitkter, „jetzt wird's schon wieder. Das war ein bißchen Ohnmacht. Sie müssen jetzt schlafen, Frau! Wenn's brenzlich werden sollte," er sah Heinrich an, „rufst du mich. Ich bin hier nebenan in der Wirtschaft, n' Abend!"
Die Mutter zog ihre Kinder an sich und weinte haltlos in sich hinein.
Das Freikorps Döring hatte die Hundertschaften der Spartakisten vertrieben und übte nach der Gewaltherrschaft der ersten beiden Tage eine maßvolle Zucht, die von der ganzen Bevölkerung aufatmend begrüßt wurde.
Zuweilen versucht:«: die Spartakisten immer wieder, den verlorenen Boden zurückzuerobern. Man hörte von schweren Kämpfen um den Essener Wasserturm und um Nachbarstädte. Manchmal leuchtete abends am Horizont der Flammenschein brennender Gebäude.
Mitten in der Nacht hatte das Freikorps eine Hundertschaft festgestellt, die nach Essen ziehen wollte, um dorr luz.oe^ oeorüngten Kameraden beizustehen.
Erschrocken fuhren die Bürger aus dem Schlafe auf.
Durch die Straßen tobte eine furchtbare ! Schlacht.
Nervenaufpeitschendes Tack-tack-tack-tack von Maschinengewehren. Donnernde Handgranatenaufschläge. Dröhnendes, unregelmäßiges Gewehrfeuer. Schreie. Rufe. Rennen. Kommandos. Flüche.
Spritzende Einschläge an Hauswändcn. Klirrende Fensterscheiben. Stürzende Dachziegel.
Die Bredenkamp-Jungen waren zur Mutter ins Bett gekrochen. Die drei lauschten mit klopfenden Herzen, schmerzenden Augen vertrockneten Kehlen in die wilde, flam.lende, krackende Nackt.
Als der Sturm vorüber war, wagte sich Heinrich ans Fenster.
Im unsicheren Scheine des Morgengrauens sah er undeutlich drei gekrümmte Bündel auf der Straße liegen.
Gefallene!
Bett. Krallte die Finger in die Kissen, wühlte
Der Frost schüttelte ihn.
Tote!
Wankenden Schrittes tastete er sich in sein erschüttert den Kopf in die Federn.
Aber immer deutlicher trat das Bild von den drei Toten vor seine Augen.
In namenlosem Unglück durchjammerte er den Rest dieser Nacht.
Beim Hellen Morgenlicht sah er bebend noch einmal zum Fenster hinaus.
Die Bündel waren verschwunden.
Wo sie gelegen hatten, war Sand gestreut worden.
Wer war da gestorben?
Wer hatte da getötet?
Bredenkamp schritt durch eine fremde, schreckliche Welt, in der sein Herz fror.
Später hörte er, daß es die Spartakisten gewesen seien, die sich zusammengerottet hätten, um die Freischärler, die Ordnung im Lande schaffen wollten, zu vernichten. Sie seien mit der festen Absicht, zu zerstören, zu morden und zu brennen, in die Stadt gezogen. Und es sei ein Glück, daß das Freikorps die Hundertschaft aufgerieben habe. Sonst stände jetzt die Stadt in Flammen.
Das milderte sein Urteil, aber löschte das Entsetzen über die Vorgänge der Nacht in ihm nicht aus.
Er ging auch heute noch nicht zur Schule; er wäre ja doch nicht durchgekommen durch die zahlreichen Fronten des Kleinkriegs.
Dafür strolchte er durch die Straßen seines Stadtviertels, betrachtete mit Grauen die Spuren der Kugeln an den Mauern und die Sandflecken auf dem Pflaster.
Am Gasthaus stand ein Posten. Dessen Gesicht kam ihm bekannt vor. Der Soldat nickte ihm kameradschaftlich zu: „Na, Kleiner, was macht denn deine Mutter?"
Jetzt erinnerte sich Bredenkamp: der Soldat war an dem Tage, als das Freikorps ein
rückte, mit ihm in die Wohnung gegangen und hatte dann den Sanitäter geholt.
„Ach", gab er zurück, „es geht." Er war verlegen, weil der Soldat ihn in einer für ihn wenig vorteilhaften Verfassung gesehen hatte. Daher lenkte er rasch ab: „Was war denn die Nacht eigentlich los?"
„Das möchtest du wohl gern wissen, kleiner Naseweis, was? Wir haben ein bißchen Jagd gespielt. Sin, wohl recht laut gewesen dabei?"
Es ärgerte ihn, daß der Mann ihn „Kleiner" nannte. Darum reckte er sich ein wenig, um größer zu scheinen: „Ich Hab gehört, es wären die Spartakisten gewesen", forschte er.
Der Soldat wurde sehr ernst und nickte.
Bredenkamp fielen die drei Toten ein, die er gesehen hatte.
„Sind denn viele — erschossen worden?"
„Sieben Tote gab es heute nacht", kam die traurige Antwort, „neunzehn Verletzte — und zwei von uns haben daran glauben müssen. Vier Kameraden liegen im Krankenhaus."
Heinrich sah mit tiefem Mitleid in eine schmerzverzerrtes Gesicht.
Und stahl sich schüchtern davon.
Am Nachmittag kam er wieder.
Der Posten war inzwischen abgelöst worden.
An den Pferdeställen in der Seitengasse standen ein paar Gassenjungen. Dahin schien, derte auch Eredenkamp und sah eine Gruppe Feldgrauer, die in einem dämmerigen Stall saßen, standen, lagen und miteinander sprachen oder sich irgendwie beschäftigten.
„Da sind wir ja wieder," wurde er aus dem Halbdunkel heraus angerufen, „komm, kannst mal halten."
Sein Bekannter hatte ihn entdeckt. Zögernd trat er vor.
Der Soldat nahm gerade sein Gewehr auseinander und legte Heinrich ein paar Stahlteile in die Hand.
„Wie heißt du denn eigentlich?"
„Bredenkamp."
„Hm, Gymnasiast?" Der Mann sah nach Bredenkamps grüner Müke.
..Nein. Vrävarand."
(Fortsetzung folgt).