Seite S — Nr. 109
Der Gesellschafter
Montag, den 1t. Mai 1831 .
Großes SWsuWN aus -er Weser
8 Totem gekentertem Schleppdampfer
Bremerhaven, 13. Mai.
Am Samstag nachmittag geriet auf der Weser der Schleppdampfer „Merkur" beim Abschleppen des Dampfers „Albert Ballin" (Hapag) vor den Bug des Schiffes, nachdem er bereits die Leinen losgeworfen und zum Abfetzen de? Lotsen längsseits gehen wollte. Infolge der Kollision kenterte der Schlepper und sank sofort. Fünf Mann der Besatzung, darunter der Kapitän, konnten gerettet werden. Weitere sieben Mann der Besatzung und dieFraudes Kochs, die sich zufällig an Bord des Schisses befand, sind in dem gesunkenen Schiff ringeschlossen.
Die Arbeiten zur Hebung des gesunkenen Seeschleppers wurden auch während des ganzen Sonntag mit allen erdenklichen Mitteln und unter größten Anstrengungen fortgesetzt. Die Bergungen waren bis zum Nachmittag erfolglos, obwohl die Bergungsleichter „Wille" und „Kraft" eingesetzt wurden. Das gesunkene Schiff liegt kieloben mitten in der Fahrrinne. Bei auflaufendem Strom ist es völlig unter Wasser, während bei Ebbe nur der Steven und ein Teil des Kiels aus dem Wasser herausragen.
DieNamenderimSchiffsrumPs ei n g e s ch lo s s e n e n und ums Leben gekommenen Perso nen sind folgende:
Erster Maschinist Otto Kauth aus Wesermünde-Lehe, verheiratet.
Zweiter Maschinist Alfred Heeren aus Bremerhaven, verheiratet.
Heizer Johann Meyer aus Bremerhaven, verheiratet und Vater von einem Kind.
Koch Walter Henke, Bremerhaven.
Die Ehefrau Henk es, die sich zufällig mit an Bord befand.
Matrose Eßmann aus Oberhammelwarden (Oldenburg), unverheiratet.
Matrose Richard Krickhahn aus Bremerhaven, unverheiratet, und
Heizer Heinrich Seedorf aus Wesermünde. verheiratet und Vater von zwei noch nicht schulpflichtigen Kindern.
Drei Stunden nach dem Unglück ertönten plötzlich die zunächst sehr deutlichen und daun immer schwächer werdenden Klopfzeichen der Eingeschlossenen. Schlepper „Merkur" ist mit 394 Bruttoregistertonnen einer der größten Leichtschlepper.
Gerettet werden konnten der aus Bremerhaven stammende Kapitän HeinriH Ernst, der Steuermann Mackens, gleichfalls aus Bremerhaven, der Leichtmatrose Rüge aus Rönnebeck bei Blumenthal, eiri nicht zur Besatzung gehörender Hand- lungsgehilfe aus Bremerhaven, der Proviant an Bord gebracht hatte, sowie eir> Heizer, dem es im letzten Augenblick gelang, aus dem Heizraum an Deck zu kommen und ins Wasser zu springen.
Ter gesunkene Schlepper assistierte dem aus der Nordschleuse fahrenden Dampfer „Albert Ballin", der von Neuyork kam. ir Bremerhaven Station machte und nach Hamburg weiterfahren wollte. „Albert Ballin" hatte auch schon die Leinen des Schleppers „Merkur" losgeworfen, während sich „Merkur" längseits legen wollte, um den Lotsen
— Bergungsarbeiten bis jetzt erfolglos
; zu «vernehmen. Dabei geriet „Merkur" vor ! den Bug des ausfahrenden „Albert Ballin", wurde gerammt und sank innerhalb weniger Minuten. „Albert Ballin" kehrte sofort nach dem Unglück an die Colombus-Kaje zurück. Er erlitt am Bug einen Plattenschaden, wodurch der vordere Laderaum bis zum ll-Deck voll Wasier lieh
„Malygln" gestrandet
Moskau, 12. Mai.
Bei Archangelsk ist der Eisbrecher Maly- gin, der seinerzeit an der Rettungsaktion des Luftschiffes Jtalia (Nobile) teilgenommen hat, gestrandet. Vier Dampfer versuchten ihn flott zu machen. Bis jetzt find alle Versuche ergebnislos geblieben.
5v Gebäude
in Finnland niedergebrannt
Helsingfors, 12. Mai.
Ein gewaltiges Schadenfeuer äscherte am Freitag, begünstigt durch Trockenheit und starke Winde, in Oesterbotten fast SO Gebäude ein, unter denen sich auch das Pfarrhaus, das Stadthotel und die Schule befand.
WM schon «Mer sret
Chikago, 12. Mai.
Der Großbetrüger Jnsull wurde nach Stellung einer Bürgschaft von 200000 Dollar durch seine Versicherungsgesellschaft auf freien Fuß gesetzt und begab sich auf Anraten seines Arztes zur Erholung ins Krankenhaus. Kurz darauf wurde er unter neuer Anklage wieder verhaftet und erst nach Hinterlegung weiterer 50 000 Dollar wieder freigelassen.
AimwünsOter Gelehrter in Oesterreich
Kapriolen des Deutschenhasses im österreichischen Unterrichtsministerium
etc. Wien, 13. Mai.
Wegen seiner — deutschen — Gesinnung hat der Unterrichtsminister die Dienstenthebung des Professors für österreichische Geschichte und deutsche Wirtschaftsgeschichte an der Innsbrucker Universität Dr. Adolf Helbock, angeordnet. Die Tatsache, daß Professor Helbock einer der führenden österreichischen Gelehrten auf dem Gebiete der Volkskunde war. ist dem Unterrrchtsminister Dr. Schuschnigg, der slowenischer Abstammung ist. unwichtig.
Auch sonst tobt sich der Angstkrampf des österreichischen Systems in allerlei tollen Sprüngen aus. So straft man z. B. die Bewohner von Ebensee. die aus leicht verständlichen Gründen tür die Regierung nicht die gewünschte Begeisterung aufbringen, damit, daß man die drei größten Gasthäuser des Ortes sperrte. Auch den Turnverein des Ortes hat man anfgeldsi. weil die Jugend des Ortes die . Nim'?-.'ugigkeit" Oesterreichs anders versteht als dl. Regierung.
Mag» von Smd KrrMet
Neuyork, 12. Mai.
Ein Sandsturm, wie er seit 30 Jah- rennichtmehrzuverzeichnen war. wütet über den noroamerikanischen Staaten Minnesota und Dakota und an der Atlantikküste bis zur kanadischen Grenze. Nachdem starke Nordwestwinde den Sandboden in Minnesota und Dakota, wo eine Rekorddürre herrscht, aufgewirbelt hatten, wurden Chikago und Neuyork in ein gelbliches Halödunkel getaucht. Flugzeuge melden Sandwolken in einer Höhe von 5000 Meter. Ueber Chikago schlugen sich schätzungsweise 10 000 Tonnen Sand nieder. Die Wetterbüros sagen ein weiteres Anhalten der Dürre voraus.
Reichsbahn gibt 10 000 RM. für Vuggingen
Der Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn. Dr. Dorpmüller, hat aus Anlaß des Grubenunglücks in Buggingen dem Neichsstatthalter Robert Wagner in Karlsruhe im Namen der Deutschen Reichsbahn seine aufrichtige Teilnahme ausgesprochen und für die Hinterbliebenen der Verunglückten den Betrag von 10 000 RM. überwiesen.
Der Berliner Mörder gesteht
Die an dem Filialleiter der Firma Boenicke, Ernst Rohloffam 8. Mai in der Budapesterstraße verübte Bluttat hat nunmehr ihre vollständige Aufklärung gefunden. Der bereits am Tage der Tat festgenommene Handlungshilssarbeiter Wilhelm Full, 18 Jahre alt, hat vor der Mordkommission ein Geständnis abge- legt.
42 VVO Wale am Südpol getötet
Hiesigen Meldungen zufolge haben norwegische Walfischfänger während eines e i n- zigen Sommers im antarktischen Meer 42000 Walfische getötet. Von sachver- ständiger Seite wird erklärt, daß unter solchen Umständen die Walfische in den Südpolargewässern bald vernichtet sein werden.
Muttertag auch in Amerika
Auch in den Vereinigten Staaten von Nordamerika wurde der 13. Mai als Muttertag gefeiert. Bereits am Sonnabend wehten von allen öffentlichenGebäu- den Fahnen. Für bedürftige Müt- t e r wurden Sammlungen veranstaltet.
Ehrfurcht m der Mutier
Reichsminister Dr. Frist im Rundfunk Berlin, 13. Mai.
Neichsminister Dr. Frick sprach zum Muttertag über alle deutschen Sender und führte unter anderem folgendes aus:
„Es ist Pflicht des Volkes, dem Begriff „Mutter" Ehrfurcht zuteil werden zu lassen. Wir haben in der Vergangenheit während der Herrschaft des früheren Systems gesehen, wie mächtige Kräfte an der Wurzel unseres Familienlebens rüttelten und viele unserer Volksgenossen für Mutter, Kind und Familienleben keinen Sinn und kein Verständnis aufbrachten. In breiten Schichten unseres Volkes ist die Freude
am Kinde, die Freude am Familien, leben erstickt. Man will so bequem wie möglich durchs Leben kommen, man will nicht heiraten oder wenn man es tut. will man die Pflichten der Kindererziehung nicht mehr auf sich nehmen. So ist leider Tat- sache, daß gerade die wohlhabenden Kreise die wenigsten Kinder haben, und kein Wunder, wenn diese Selbstsucht auf alle Schichten unseres Volkes übergreift.
Der Erfolg wird die Ueberalterung unseres Volkes sein, wenig Jugendliche, wenig Arbeitsfähige, aber viele alte Leutes die dann, oft selbst kinderlos, von den Kin-' dern anderer unterhalten werden sollen. >
Da gibt es noch einen Mißstand, der ge- rade am Muttertag gestreift werden muß, das ist der Nachteil, der aus derBerufs - tätigkeit der Frau für Familie und Volk, für Kinder und Mütter erwächst.
Im allgemeinen sind es zwei Gründe, die die Frau veranlassen, zur Erwerbsarbeit zu gehen. Auf der einen Seite ist es wohl der Drang nach Selbständig, keil oder der Wunsch nach höherem Ein- kommen, um angenehmer leben zu können. * Ungleich größer ledoch dürste die zweite Gruppe sein, die die Berufsarbeit als eine bittere wirtschaftliche Notlage aus sich nehmen muß.
Diese Berufsarbeit der verheirateten Frau und besonders der kinderreichen Mütter ist im höchsten Grade ungerecht und unsozial, weil sie die Ehe und die Familie gefährdet. Tie häusliche Wirtschaft muß dann verimMns-Mi beide Ehegatten kehren abends müde und x abgespannt heim, während die Kinder am e Lage sich selbst überlassen bleiben. Mehr , noch als der Mann leiden die Kinder § einer solchen Familie darunter, wenn die ,
Mutter zur Wartung und Erziehung fehlt. - -
Solange die deutsche Frauenwelt in so star- '
kem Maß im Erwerbsleben steht, müssen wir befürchten, daß der Familiensinn und das Familienleben immer werter zerstört i
werden. ,
Wenn wir auf der anderen Seite immer , noch erwerbslose Männer haben, so ;
wird es unsere Aufgabe sein, hier einen i ^ Austausch vorzunehmen, wie wir Natio- > , nalsozialisten es im letzten Jahr schon auf ! verschiedene Weise zu erreichen versucht haben. Dabei erinnere ich an die Ehe- , standsdarlehen und andere Maßnah- §
men. Es muß mit dem Grundsatz gebrochen ! . werden, daß jeder im Staate, z. B. auch der z s ohne eine biologische Leistung die- ! ,, selben Rechte hat wie der, der neben seiner ^ ^ beruflichen Arbeit auch eine Leistung für die . Familie, für das Volk insgesamt und für ? die Zukunft der Nation erfüllt. Wer diese biologischen Pflichten ernst nimmt, muß auch ; „ mehr Rechte in unserem Volk zu beanspruchen haben. Es ist daher auch nicht mög- ^
lich und wäre ungerecht, kinderreiche Müt- §
ter aus dem Arbeitsprozeß herauszu- )7
nehmen, bevor wir nicht das Aus- ,
kommen dieser Familien gesichert ^
haben. Die Sicherung des Nahrungsspiel- H
raums der noch wertvollen kinderreichen ^
Familien ist nicht nur eine Pflicht des ^
nationalsozialistischen Staates, sondern auch ^
ein Mittel, das ebenso geeignet ersck'"int, den Müttern und Familien zu helfen, wie t
den Arbeitsmarkt zu entlasten und "
den Bedarf des inneren Wirtschasts- ^
Marktes zu steigern. 2
«vilterriL Ata»»»»»«
Zeitroman von Helmut Messerschmidt
Urheber-Rechtsschutz für die deutsche AuSgab« Drei Quellen-Verlag, Königsbrück (Sa^
3. Fortsetzung.
Während sie atzen, überlegten die Kinder was zu tun sei.
„Opa kann nicht," erwog Bredenkamp, „der ist krank; Oma kann auch nicht, die hat mit dem Opa genug zu tun; du kannst auch nicht, du bist noch ein bißchen zu klein dafor, ich kann auch nicht, ich gehöre nicht auf den Hof: der Großknecht ist im Feld, dein Vater ist schwerverletzt im Krieg, Großmagd gibt's nicht — es ist nicht leicht."
Schließlich kamen sie überein, zum Nachbarn zu schicken und ihn zu bitten, auf dem Hof nach dem Rechten zu sehen. Hanna ging zur Oma hinauf und machte ihr den Vorschlag. Der war es sehr recht, daß sie sich nicht auch noch um die Wirtschaft kümmern mutzte.
Während eine Magd zum Nachbarn Wich- mann lief, machten Hanna und Heinrich einen Rundgang durch das Gut, das ihnen beiden heute gänzlich verändert vorkam. als wäre es verwaist und der Gutsbetrieb wäre ins Stocken gekommen.
Bauer Wichmann, ein knorriger alter Landwirt mit unzähligen Falten im Gesicht und rauhen, haarigen Händen, kam sofort, stieg zuerst zu den Alten hinauf und ging dann, gefolgt von den Kindern, durch die Stallungen, fragte die Mägde aus, gab Anweisun, gen, erkundigte sich nach Einzelheiten auf den Feldern, ordnete Arbeiten an, wandte sich schließlich an die Kinder:
„Hynnschen, du mots nu dat Ganze he en Ornung Hollen. Paß du Lüt en betschen op de Fenger, ek komm morgen fröh noch ens vorbie. Bruks net en de Schol to gohn. H«
bösse nödiger! Un du, Schladrich" — das war Bredenkamp — „kaß ok en betschen helpen oppassen!"
Dann stiefelte Wichmann in weit ausholenden, wiegenden Schritten wieder durch die Felder nach seinem Hof zurück.
Auch Bredenkamp wollte heim. Hanna ging ein Stück mit, sah ihm lange nach, als er sie verlassen hatte, und kam fremd und einsam in ihr Elternhaus zurück.
Bredenkamps erster Gang am nächsten Nachmittag führte zum Lyzeum, um Hannas Fernbleiben zu entschuldigen. Dann suchte er im Rathaus Willi Barnscheid auf.
Ihm war der Gedanke gekommen, daß es vuf irgendeine Art möglich sein müsse, Hannas Vater in die Heimat zu holen. Und da das zweifellos eine behördliche Angelegenheit war, mußte Barnscheid darin Bescheid wissen.
Der hatte sich zwar für gewöhnlich nicht mit solchen Sachen zu befassen, aber er sagte, er hätte auch schon einmal gehört, daß es möglich sei, Verwundete heimzuschaffen, besonders da die Westfront ja nickt sehr weit entfernt liege. Der kleine Bürolehrling setzt« sich mit aller Zähigkeit für seine Aufgabe ein und brachte es nach einigen Wochen auch fertig, daß der Landwehrmann Schulte-Dieck- hoven in dem Genesungsheim einer Krankenkasse untergebracht wurde, das unmittelbar hinter seiner Ackergrenze lag. Von da aus bedurfte die Uebersiedlung in sein Elternhaus lediglich noch der Einwilligung des Chefarztes, der sie sofort erteilte.
»
Es lag etwas in der Luft.
Heinrich Bredenkamp spürte eine seltsame Nervosität um sich. In der Eisenbahn sprachen die Leute nicht mehr vom Durchhalten, sondern zankten sich oft, führten erbitterte Reden, knurrten, ein Ende mit Schrecken sei besser als ein Schrecken ohne Ende. Ueberall in der Stadt standen Gruppen in eiferndem Wortwechsel; er hörte jetzt oft von Zusammenrottungen, von Stürmen auf Lebensmit
telgeschäften, von nächtlichen Kämpfen mit Kartoffeldieben, von Eisenbahnschiebungen, von Schmuggelaffären an der holländischen Grenze, von Hamsterfahrten, vom Schleichhandel.
Bisher hatte er fest an die große, einheitliche, starke Widerstandsfront geglaubt, die an den Kriegsschauplätzen und in der Heimat mit derselben Opferkraft allen Unbilden trotzte. Nun aber schien es, als sei diese feste Mauer unterhöhlt. Unrecht machte sich breit. Stimmen wurden laut, die die gerechte Sache der Vaterlandsverteidigung schlecht machten, die »List streuten in kleinmütig gewordenen Herzen, und es sah so aus, als ginge eine böse, teuflische Saat auf.
Auch das Leben in der Schule änderte sich. Nur an regnerischen Tagen wurde unterrichtet. Die übrige Zeit verbrachten die Klassen im Schellenberger Walde, sammelten Berge von Laubfutter, viele Säcke Bucheckern und Hagebutten. Alles das sah sehr nach Zusammenraffung der letzten Reserven aus.
Die Stadt veranstaltete Windelwochen, in denen die letzten Lumpen zur Behebung des großstädtischen Kinderelends geholt wurden; Türklinken und andere Messingartikel mußten abgegeben werden; man sammelte Grammophonplatten, Knochen, Brennesseln und Sonnenblumenkerne. Und alle die Rufe wurden übertönt von dem gellenden Schrei nach Zeichnung der 9. Kriegsanleihe.
Zur Kartoffelernte wurden Frauen kommandiert, weil man die Schulkinder zum Sammeln von Laub und Eicheln, Pilzen und Beeren brauchte. Während der „Kartoffelferien" errichteten die Klassen in den Wäldern große Ferienlager, aus denen Tag für Tag viele beladene Fuhrwerke zu den Sammelstellen fuhren.
Bredenkamp fühlte sich eigentlich ganz wohl bei diesem Waldleben. Nur plagte ihn immer ein fatales Gefühl, für das er keine Deutung wußte. Es war, als sei Unheil im Anzuge. Es kam nämlich hinzu, daß die ganze Sammlerei plötzlich eingestellt werden mutzt« und dabei gemunkelt wurde, es habe ja doch alles keinen Zweck mehr, diese Hilfe käme
viel zu spät, es sei schon alles verloren.
Gleichzeitig trat eine neue Grippe-Epidemie auf. Von den siebzig Schülern in den Parallelklassen fehlten zeitweise über vierzig, so daß die Klassen wochenlang zusammengelegt wurden.
Endlich, im späten Herbst, erklang das Wort „Friede". Aber es wurde übertönt durch den Sturmschrei „Revolution".
Bredenkamp hatte gerade Musikunterricht bei seinem alten Rektor Kreuzenbeck, als der Schuldiener ein Extrablatt hereinbrachte.
Der Rektor setzte seine zweite Brille auf, las mit zitternden Händen die Nachricht, wurde kreidebleich, sprang auf, zerknitterte das Papier in den Fäusten, schrie in maßloser Erregung:
„Herr, verzeih mir die Sünde: DaS ist verflucht, das ist schändlich, gemein! Verflucht diese Stunde!"
Dann stellte er sich ans Fenster, sein« Schultern zuckten, auf dem Rücken preßte « die Finger, daß sie so weiß wurden wie daS Papier, das sie umklammert hielten.
Es war der einzige Fluch, den Bredenkamp von dem gütigen alte« Herr« jemals gehör! hatte.
Nachdem der Rektor sich einigermaßen beruhigt hatte, wandte er sich ins Zimmer zurück.
Bredenkamp stand auf.
Jedes Wort betonend, sprach der Greis;
„Der Krieg ist aus. Aber den Friede« werden wir beide nicht mehr erleben. Nein, wir beide nicht. Denn der Krieg ist nicht a« der Front beendet worden. Der Frontkrieg wird abgelöst durch den Bürgerkrieg. DaS bedeutet ein Jahrhundert tiefster deutscher Not. Ich bete für dich, Heinrich, daß bei« Leben erhalten bleibt. Nur das Leben, weiter wird allen Ehrlichen nichts bleiben, fürchte ich. Du hast deinen Vater gegeben. Werde wie dein Vater war, Junge, sonst ist sein Tod schließlich doch vergeblich gewesen. Jetzt mußt du mich allein lassen, ich werde sonst nicht fertig — mit mir."
(Fortsetzung folgt).