! Nr. 88
Dienstag. 17. April 1934
108. Jahrgang
er Gelellsclinkter
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JaS Neueste tu Klirre
Im österreichischen Regierungslager sind neue Konflikte ausgebrochen. Die Christlich- Sozialen werfen Dollfuß vor, daß er den Heimwehren zu viel Einfluß zugestanden habe.
Laut Ausweis des Internationalen Arbeitsamtes steht Deutschland in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit weitaus an der Spitze,
Die Einberufung des württ. Landeskirchen- tagcs ist bis auf 11. Juni 1934 verschoben Worden.
Ministerpräsident Mergenthaler und Innenminister Dr. Schmid wurden zu Ehren- siihrern der SA. ernannt.
Oberst Karl von Oertzen, der Leiter oer Nachrichtenstelle des Reichswehrministeriums ist gestorben.
Womit« lilis Reise«
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Barthous Besuch in Warschau und Prag — Titulescu in Paris — Muscha- nosf in London
kk. Berlin, 16. April.
Der Frühlingswandertrieb scheint auch die Diplomaten erfaßt zu haben. Gegenwärtig sind zahlreiche führende Staatsmänner unterwegs oder vor Antritt einer Politischen Auslandsreise.
Mit besonderer Spannung sieht man der Reise des französischen Außenministers B a r- thvu nach Warschau und Prag ent- gegen. Am Sonntag wird Barthou in Warschau eintrefsen, wo er in seinen Unterredungen mit den Polnischen Staatslenkern nicht nur versuchen wird, auf die polnische Außenpolitik Einfluß zu nehmen, die seit dem Abschluß des Vertrages mit dem Deutschen gleiche in Paris mit großem Mißtrauen beobachtet wird, sondern auch die Beilegung des Polnisch-tschechischen Konfliktes, der eine schwere Erschütterung auch der französischen Ostpolitik bedeutet, anstreben will. Nach einem kurzen Aufenthalt in Krakau trifft Barthou dann am 25. ds. Ms. in Prag ein, wo außer den polnisch-tschechischen Streitfragen auch die Abrüstungspolitik und der Donauraum einen breiten Raum der dreitägigen Besprechungen einnehmen wird.
Vor der Abreise Barthous trifft noch der rumänische Außenminister Titulescu in Paris ein. Tie französische Presse bemüht sich wieder mit großem Aufwand „eine Bedrohung Osteuropas durch Hitlerdeutschland" festzustellen, in der Hoffnung, dadurch eine den französischen Ostplänen gefügige Stimmung hervorzurufen.
Nicht weniger Bedeutung kommt den Reisen zweier Balkanstaatsmänner, des bulgarischen Ministerpräsidenten M uschanofs nach London und Berlin und des südslawischen Außenministers Ieftitsch nach Sofia und Ankara .zu. Während Muschanoff in London vor allem über Schuldenregelung verhandelte, werden in Berlin eine Reihe von politischen und wirtschaftlichen Fragen behandelt werden. Es ist in diesem Zusammenhang bedeutungsvoll, daß der südslawische Außenminister Jeftitsch während seines Aufenthaltes in Sofia auf der Durchreise nach Ankara ganz besonders die guten deutsch-südslawischen Beziehungen erwähnte, deren Vertiefung durch das neue Wirtschaftsabkommen gefördert werde.
, Die Ergebnisse dieser Diplomaten-Früh- Wrsreisen werden sich vielleicht schon in Kürze in ihrer Auswirkung auf die gesamteuropäische Politik feststellen lassen.
rrotzki abgmisl
Paris, 16. April.
Der ehemalige russische Volkskommissar Trotzki, dessHn Aufenthalt in einer Villa m der Nähe von Paris am Sonntag bekannt wurde und in der Presse Veranlassung gab. Ergisch gegen die Erteilung der Aufent- Haltsbewilligung zu Protestieren, hat am Montagvormittag in Begleitung seiner Frau Barbizon Paris verlassen. Trotzki ist im st*?llwWen mit unbekanntem Ziel weitergereist.
Me Konflikte im WM Regierungslager
Wieder ein Polizist mit einem verhafteten Nationalsozialisten geflüchtet Die Hölle „Konzentrationslager Kaisersteinbruch"
oll. Wien, 16. April.
Die Negierungspresse versucht zwar, die Eingliederung der Starhembergschen Heimwehren in die Vaterländische Front als einen großen Erfolg darzustellen, kann aber selbst zwischen den Zeilen nicht verbergen, daß damit neuer Konfliktstoff nicht nur in die hinter der Regierung stehenden Gruppen — Christlichsoziale und Heimwehren — sondern a n ch in die R egiernng selbst gelragen wurd e.
Die Christlichsozialen Wersen Dr. Doll- f n ß vor, daß er Starhemberg und der Heimwehr zu großen Einfluß auf die Regierungsgeschüfte zugestehe; andererseits betrachten zahlreiche Heimwehrunterführer die Unterstellung unter Dr. Dollfuß als einen Verzicht auf die Heimwehrziele und drohen ganz offen mit dem Austritt. In der Negierung ist Vizekanzler Feh sehr verstimmt, daß Starhemberg Vizekanzler werde, während er selbst sich mit dem Titel eines Sicherheitsministers oder „zweiten Vizekanzlers" begnügen soll. Die Christlichsozialen lehnen auch die Forderung der Heimwehr, Dr. Steidle zum Justizminister zu ernennen, ab.
Die Austragung aller dieser Gegensätze verzögert nicht nur die Inkraftsetzung der Verfassung, sondern hat auch zu einer latenten Regierungskrise geführt, deren Ausgang noch nicht abzusehen ist.
Die „Vorführung" aus dem Arrest über die Grenze
Im Gemeindearrest von Wels saß der Nationalsozialist Joses Stadlbauer, um seinen Abtransport in das Konzentrationslager Wöllersdorf abzuwarten. Samstag erschien der Gemeindepolizist Josef Larill ich lar beim Arrestkommandanten und erklärte, den Stadlbauer zwecks Vorführung mitnehmen zu müssen. Beide verschwanden spurlos und haben inzwischen die Grenze schon überschritten.
Wieder ein Eisenbahnattentat bei Marchtrenl
Fast an der gleichen Stelle, an der kürzlich der Anschlag ans den Schnellzug Wien- Pass.in verübt wurde, ist am Sonntagmittag wieder ein Schnellzug ent - glci st. Verletzt wurde niemand. Amtlich wird die Sache als gewöhnlicher Bahnfrevel darzustellen versucht, doch steht bereits fest, daß es sich auch hier um eine — vermutlich marxistische — Terroraktion handelt.
Von den Tätern beider Anschläge konnte bisher keiner festgenommen werden.
Die Hölle im Konzentrationslager Kaisersteinbruch
Während die Vertreter der ausländischen Presse am Freitag unter strengster Polizeikontrolle durch das Wöllersdorler Konzentrationslager geführt wurden, kommen jetzt besorgniserregende Nachrichten über die trostlosen Zustände iin Konzentrationslager K a i s e r - S t e i n b r u ch , das einen dopst e l t s o st a r k e n B e st a n d an ver - h a f t e t e n Nationalsozialisten ausweist und dessen Besichtigung durch die internationale Presse bisher trotz allen Ersuchens nicht gestattet worden ist.
Die Baracken von Kaiser-Steinbruch sind alte Militärbaracken, die seinerzeit von den Mannschaften nur für kurze Zeit während der Ilebungen auf dem in der Nähe befindlichen Artillerieschießplatz bezogen wurden. Die Baracken standen jahrelang leer. Sie sollen jetzt feucht und modrig und kaum geeignet sein, Menschen für längere Zeit zu beherbergen. Aus diesen Gründen wird jetzt bon der Regierung erwogen, die Häftlinge von Kaiser-Steinbruch nach Wöllersdorf zu überführen, zumal auch die Trinkwasser- Verhältnisse in Kaiser-Steinbruch äußerst schlecht sein sollen. Es gibt kein Ouellwnsser, sondern nur ans Brunnen und aus lehmigem Boden gewonnenes Grnndwasser.
Prügelei unter den Marxisten
bk. Saarbrücken, 16. April.
Die Ncgierungskommission läßt keinen Tag vergehen, an dem sie nicht irgend etwas zur Schikanierung der deutschen Saarbevölkerung unternimmt. So hat das Mitglied der Saarregiernng für innere Angelegenheiten, der französische Jude Heinsheimer, die Aufführung der Festspiele „Das deutsche Herz an der Saa r" von Hans Maria Lux und „Deutsches Hoffen" von Prof. Dr. B u r g h a r d t untersagt-
Unter den marxistischen Brüdern ist es am Sonntag zu einer liebevollen Prügelei gekommen. Die sozialdemokratischen Gewerkschaften hatten eine Versammlung der streikenden Pflichtarbeiter einberusen, die gleich nach der Eröffnung von einer starken Gruppe von Kommunisten gesprengt wurde. Mit Tischbeinen usw. wurde die „Solidarität der Arbeiterklasse" eindrucksvoll dargctan.
Sberst Karl von Ssrtzen gestorben
Berlin, 16. April.
Der frühere Leiter der „Nachrichtenstelle des Reichswehrministeriums", Oberst a. D. Karl von Oertzen, ist im Alter von 58 Jahren nach kurzer Krankheit gestorben.
4Wlmges Nienstjubiläum -es Admirals Nr. h. r. Räder
Berlin, 16. April.
Anläßlich der Feier des 40jährigen Dienst, jubiläums des Chefs der Marineleitung, Admiral Dr. h. c. Räder, am Montag er- schien als erster Reichskanzler Adolf Hit
ler. um Admiral Näder unter Ueber- reichung seines Bildes die herzlichsten Glück- -wünsche auszusprechen. Im Laufe des Vormittags überbrachten der Reichswehrminister sowie zahlreiche Vertreter der Reichs- und Staatsbehörden Admiral Räder ihre Glückwünsche. Hieran schloß sich die große Zahl der Vertreter der Wehrmacht und der Beamtenschaft. Mittags überreichte der Oberbürgermeister von Kiel dem Chef der Marineleitung den Ehrenbürger- briesderStadtKiel und übermittelte gleichzeitig die Glückwünsche der Stadt, die sich mit Admiral Räder aus der Zeit, in der er als Chef der Marinestation der Ostsee ein enges Band zwischen der Marine und der Stadt Kiel knüpfte, besonders verbunden fühlt.
Guter Erfolg des Volkstages der Murren Mifston
Berlin, 16. April.
Der Volkstag der Inneren Mission, der am Sonntag im ganzen Reich veranstaltet wurde, hat in allen Bevölkerungskreisen eine freundliche Aufnahme gefunden. Tausende von Jugendlichen beteiligten sich an der Sammlung. In dem großen Heer der Sammler sah man auch zahlreiche Pfarrer, die überall ausgezeichnete Sammelergebnisse erzielten. Besonderen Erfolg erzielten die Diakonissen, die, soweit sie nicht durch Krankendienst verhindert waren, sich geschlossen an der Sammlung beteiligten und überall besonders willige Geber fanden. Der vorhandene Bestand an Plaketten reichte nicht aus, so daß Blumen als Abzeichen für die Spender gegeben werden mußten. In Berlin sah man die leitenden Persönlichkeiten der Inneren Mission mit ihren Sammelbüchsen an den verkehrsreichsten Stellen der Stadt.
Wie bei anderen Sammlungen, so haben sich auch diesmal die Gemeinden des Berliner Nordens und Ostens besonders opferwillig gezeigt. Ein Gesamtergebnis der Straßensammlung liegt noch nicht vor. jedoch lassen die Teilergebnisse erkennen, daß der Volkstag über Erwarten gut eingeschlagen hat. Die Straßensammlungcn werden in dieser Woche durch Haus- sammlungen fortgesetzt.
Große Beamtenkundgebungeu
Gegen die Sparmaßnahmen der französischen Regierung
Paris, 16. April.
Am Sonntag fanden in etwa 100 Provinzstädten Kundgebungen der Beamten und staatlichen Angestellten gegen die Sparerlasse der Regierung statt. Ueberall versammelten sich die Beamtenvereinigungen, um in Umzügen und Reden die Sparmaßnahmen abzulehnen. Die linksradikalen Verbände beteiligten sich besonders stark an diesen Kundgebungen und durchzogen die Straßen unter dem Gesang der Internationale. Die Polizei brauchte nur vereinzelt einzugreifen, um die Demonstranten zu zerstreuen. Zu Zwischenfällen ist es nirgends gekommen.
In Paris sind für Montag Protestkundgebungen der Postbeamten und anderer staatlichen Angestellten angesagt. Die Kundgebungen sollen in einem einstündigen Streik an der Arbeitsstelle bestehen. Die Gewerkschaften haben ihre Mitglieder aufgefordert, Zwischenfälle zu vermeiden. Alle diese Kundgebungen haben den Postminister nicht daran gehindert, gegen die Rädelsführer der Protestbewegung energisch durchzugreifen. Nachdem er am Freitag gegen 28 Postbeamte vorläufige Dienstenthebung angeordnet hatte, hat er jetzt in einer amtlichen Verlautbarung 22 dieser Dienstenthebungen für endgültig erklärt und gegen eine Reihe anderer Beamten Strafversetzungen an- geordnet. Der Postminister macht darauf aufmerksam, daß er auch in Zukunft gegen die Unruhestifter mit aller Energie Vorgehen werde.
Reue Verhaftung im Mvrdtall Prime
Paris, 16. April.
Die Polizei hat in der Mordangelegenheil Prince eine neue Verhaftung vorgenonimen. Der in Versailles wohnende Amerikaner W a t s o n, der einen Flügel seiner Villa an die Geliebte eines angeblichen Pariser Industriellen vermietet hat, hat erklärt, daß dieser Industrielle ihm im Anschluß an ein Essen, nach dem er stark getrunken hatte, gestanden habe, er habe den Mörder des Gerichtsrates Prince. einen gewissen Fo u r- nier, unweit der italienischen Grenze erschossen. Er habe diese Tat auf Aufforderung des P o l i z e i ko m m i s s a r s Bonny durchgeführt, der augenblicklich die Leitung bei den Nachforschungen nach dem Mörder Princes in Händen hat.
So wenig glaubhaft diese Erklärungen auch erscheinen, so mißt man ihnen in den Kreisen der Polizei doch einige Bedeutung bei. Am Sonntag nachmittag hat sich der Versailler Untersuchungsrichter in Begleitung eines ganzen Stabes von Polizeikommissaren in die Villa des Amerikaners begeben und ihn und seine Frau vernommen. Nach der Vernehmung Watsons wurde der von ihm benannte angebliche Industrielle Bruneau verhaftet. Bruneau gab zu, in Südfrankreich einen gewissen Fournier erschossen zu haben, erklärte aber, daß dieser nichts mit der Angelegenheit Prince zu tun gehabt habe. Der ebenfalls verhaftete „Baron" Lufsatz, Fournier und eine Reihe anderer Gangster hätten vielmehr die Absicht gehabt, Watson rn einen Hinterhalt zu locken und zu entführen, um ihn dann gegen ein Lösegeld von einer halben Million Franken wieder sreizulassen. Er habe diesen Plan durchkreuzt und Fournier sei wütend auf ihn gewesen. Gelegentlich eines Besuches in Südfrankreich habe Fournier einen Streit mit ihm vom Zaune gebrochen und er, Bruneau, habe., um sich zu verteidigen, von seinem Revolver Gebrauch gemacht und Fournier erschossen.