Der Grlrkschastkr
Seit. S - «r. 84
Donnerstag, den 12. April 1S84.
damals tm Schweinfurter Krankenhaus von den Kriminalbeamten verhört worden sei, so gequält worden, daß sie schließlich selbst irre »«worden sei und angegeben habe, Liebig rönne es nicht gewesen sein. Der Vorsitzende fragt erneut, ob es Liebig war. worauf die Zeugin erwiderte: „Liebig war es. Er hat auf mich geschossen," Vorsitzender: „Woran erkannten Sie ihn?" Zeugin: „An seinem Haar; es war ganz hell." Vorsitzender: „Wie haben Sie sich benommen?" Die Zeugin er- klärt darauf, sie sei nicht ruhig liegen ge- blieben, sondern sie sei sofort aus dem Bett gesprungen.
Liebig sei schon im Zimmer gewesen und sie sei etwas ans ihn zugegangen. Sie habe gerufen: „Um Gottes willen, Karl, hör auf mit dem Schießen!" Er habe geantwortei: „Nun erst recht, gnädige Frau!" Wieviel Schüsse Liebig abgegeben habe, könne sie nicht sagen, sie sei von den Kugeln getroffen worden. Nachdem sie rückwärts auf ihr Bett gefallen sei, habe sie automatisch die Bettdecke über sich gezogen. Liebig sei nochmals näher herangekommen, habe die Bettdecke aufgehoben und unter die Decke auf sie geschossen. Das sei der letzte Schuß gewesen. Diese furchtbare Szene vom letzten Schuß komme jede Nacht wieder vor ihre Augen. Wie Lie- big sich aus dem Zimmer entfernt habe, könne sie nicht angeben. Sie habe einen Knall gehört, als ob eine Tür zugeworfen würde. Hinausgehen hätte sie ihn nicht gesehen. Frau Weither fügt noch hinzu, daß Liebig sie bei der Abgabe der Schüsse höh- nifch angesehen habe.
Weiter machte Frau Werther Angaben über ihr Verhalten, ohne dabei Neues zu bekunden. Ausfallend ist, daß sie behauptet, ihr Mann hätte noch zweimal das Bett vor- lassen. Dem widerspricht aber das Fehlen der Blutspuren. Dies erklärt sie jedoch damit, daß ihr Mann zuerst wenig geblutet habe. Einen Selbstmord ihres Mannes stellt sie in Abrede. Auch di« Frage, ob es ein Verwandter gewesen sein könnte, verneinte sie; die weitere Frage, ob es vielleicht ihr Sohn war, beantwortete sie damit, das sei dir größte Lüge, die es gebe. Auf weitere Fragen erklärte Frau Werther, das Schloß sei verkauft, die Mobilien seien hinausgegeben und sie selbst habe nur eine Witwenpension von 110 RM-; sie sei ohne Obdach und aui die Mildtätigkeit ihrer Verwandten angewiesen. Von deni zweiten Einbruch im Oktober habe sie nur gehört, weil sie damals in Haft gewesen sei. Entgegen den bisherigen Feststellungen, daß nichts gestohlen sei, erklärte Frau Werther. es fehle „eine Menge", u. a. sei ihr das Silber vom Toilettentisch gestohlen. Befragt, ob vielleicht politische Gründe den Einbruch veranlaßt hätten, gab sie zur Antwort, daß man bei ihr vielleicht parteipolitische Dokumente oder sonst etwas vermutet habe.
Sie NlUbmtttligsverhlMMng
In der Nachmittagssitznng begann der Vorsitzende die Zeugin Werther auf verschiedene Widersprüche in ihren Aussagen hinzuweisen. So machte er ihr zum Vorwurf, daß sie verschiedenen Parteimitgliedern der NSDAP, gegenüber behauptet habe, der Mord an ihrem Mann sei kommunistische Tat, wobei sie Liebig der Tat bezichtigt habe. Da deswegen vom Verteidiger Liebigs eine Strafanzeige wegen Verleumdung gegen Frau Werther eingereicht worden ist, machte der Vorsitzende Frau Werther auf das Recht der Zeugnis- verweigernng aufmerksam. Frau Werther machte von diesem Recht Gebrauch. Weiter machte der Verteidiger die Zeugin Werther daraus aufmerksam, es hätten 5 Zeugen b ei Ha u p t m a u n W e rthe r eine
Pistole gesehen, die einer Mehrladepistol« geglichen habe. Die Zeugin erklärte dazu, ihr Mann habe keinen weiteren Revolver gehabt. Weiterhin wurde die Aussage einer Zeugin Margarete Schuster zitiert, der gegenüber Frau Weither einmal geäußert haben soll, sie sei mit dem Revolver in der Hand durch das ganze Schloß gegangen. Die Zeugin Werther bestritt, diese Aeußerung gemacht zu haben. Es wurden dann verschiedene Briese des Sohnes und der Schwiegertochter der Zeugin an diese verlesen.
WscheMWDWM
Eine Erinnerungspostkarte der NSV.
Zum Mjchlub des WuurrliiUr-werks und zum Auj takt der Werbewoche tür das Kind bai die NSB, diele Postkarte herausstebrachl. die in einer guiaelnngenen Zmanimenstelluna atle wälireiid de-5 WinierlnliswerkS berausgesedeiien Abzeichen ivicderaidt.
Was keimt die MMau und der Pferdemarkt?
Stuttgart, 10. April. Wie wir unseren Lesern bereits mitgetent haben, findet vom 10. bis 16. April im Stadt- Vieh- und Schlachthvf Stuttgart die 6. Lau des- schau für Mastvieh und Fleisch, e r z e u g u i s j e und am 1V. und >7. April auf dem Canustalter Wasen der Pserde- markt statt. Mit der erstgenannten Veranstaltung ist zugleich auch eine Ausstellung von Maschinen, Geräten und anderen Bedarfsgegenständen für die Landwirtschaft und das Metzgergewerbe verbunden. Die Eintrittskarte zu dieser Ausstellung berechtigt außerdem znm unentgeltlichen Besuch des Films „Blut und Boden". Umrahmt ist die Ausstellung, die in zahlreichen Darstellungen Aufschluß über die aktuellen Fragen des Bauerntums geben wird, von verschiedenen Ansprachen uchrender Persönlichkeiten der Wirtschaft. Unter anderem werden Staatsra! Meinberg, sowie Wirtschafts- Minister Dr. Lehnich, der die Schirmherrschaft der Ausstellung übernommen hat. und Landnsbaiiernführer Arnold sprechen.
Von der Neichsbahndirektion ist die Auflieferung und Beförderung von Pferden zum Pferdemarkt nach de» Bahnhöfen Stuttgart- Hauptbahnhvs. Stuttgart-Bad Lannstat! und Siiittgart-Biehhvi ausnahmsweise n'ir Sonn
tag, dem 15. April, zugelassen. Sonntags- rückfahrkarten nach Stuttgart-Hauptbahnhof und Stuttgart-Bad Cannstatt werden auch für Montag, dem 16.. und Dienstag, dem 17. April, je mit eintägiger Gültigkeitsdauer lvon 0 bis 24 Uhr) in allen Bahnhöfen im Umkreis von 75 Kilometern um Stuttgart- Hauptbahnhof und Bad Cannstatt aüsge» geben.
Stimmen
bet -er Nertrauensmännerwakt
Hinsichtlich der Bewertung ungültiger Stimmen bei der Abstimmung der Wahl der Vertrauensmänner sind Zweifel aufgetaucht. Um diese zu beheben wird amt - l i ch folgendes erklärt:
Nach 8 l0 der 2. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit ist zu ermitteln, welche der aus der Liste aufgestellten Personen eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhalten haben. Hierbei sind nur diejenigen Stimmen zu berücksichtigen, die der Vorschlagsliste rechtsgültig zustimmen oder die ganz oder teilweise rechtsgültig ablehnen. Ungültige Stimmen, die z. B. vorliegen, wenn ein Wahlumschlag oder Stimmzettel mit Vermerken oder Vorbehalten abgegeben worden ist oder wenn auf einem Stimmzettel der Wille des Abstimmenden nicht unzweifelhaft entnommen werden kann, sind nicht mitzurechnen. Sie können nicht anders bewertet werden, als nicht abgegebene Stimmen und müssen daher bei der Ermittlung des Abstimmungsergebnisses außer Betracht bleiben.
Diese Regelung entspricht auch dem Abstimmungsverfahren, das bei der Reichstagswahl vom 12. November 1933 nach Maßgabe der Verordnung vom 14. Oktober 193S (Reichsgesetzblatt 1, Seite 732) galt.
Ser Muttertag bleibt
In einer vom Propagandaministerium einberusenen Liste, an der die Vertreter der Ministerien des Amtes für Volkswohlfahrt und der Verbände des Reichsausschusses für Volksgesundheit, des Aufklärungsamtes für Bevölkerungspolitik und ferner die Vertreter der charitativen Verbände u. a. teilnahmen, wurde die Beibehaltung des Muttertages beschlossen.
Ueber den Rahmen des eigentlichen Muttertages hinaus wurde vorgesehen, den Tag als Tag der Familie zu begehen und ihn durch künstlerische Veranstaltungen würdig zu gestalten. Sammlungen werden nicht st a t t s i n d e n.
So wird in diesem Jahr der 13. Mai das Gepräge erhalten, das ihm Dr. Knaur als Vorkämpfer für den Muttertag seit 1922 wünschte.
Die Federführung für die Durchführung des Muttertages wird bei der NS.-Äolks- wohlrahrt und bei dem deutschen Frauenwerk liegen.
Ein berühmter Trompeter von 187« gestorben
Vom bayrischen Allgäu, 10. April. Dieser Tage verschied der ehemalige Bürgermeister und Altveteran Joseph Erdle in Woll- metshofen. Mit ihm ist ein Mann gestorben, der in der Geschichte des Krieges von 1870/71 eine besondere Rolle gespielt hat. Er war Trompeter beim 1. bayrischen Artillerieregiment, das unter Prinz Luitpold stand. Er hatte auf irgend eine Art das
Rückzugssignal der Franzosen erfahren. Als nun der Kampf auf dem Höhepunkt stand, nahm er sein Instrument und blies das französische Signal, woraus die französischen Signalisten pflichtgetreu mitbliesen. Die-, Folge war, daß die Franzosen den Rückzug antraten und die Schlacht für die Deutschen einen siegreichen Ausgang nahm. Für seinen gelungenen Streich wurde er vor dem ganzen Heer gelobt und erhielt als Auszeichnung die Kriegsdenkmünze und das Militärver- dienstkreuz; eine ganze Reihe anderer Ehren- Zeichen schmückten seine Brust. Er hat ein Alter von fast 82 Jahren erreicht.
Aus dem Turnkreis 8 Nagold
Vorturuerftunde in Nagold und Freudenstadt Wertungsturnen im Bezirk Freudenstadt-Horb
In der Turnhalle in Freudenstadt fand am letzten Samstagabend unter Leitung von Hugo Bacher- Freudenstadt eine Vorturnerstuiidc und Turnwarteschule für die Vereine des Bezirkes Freudenstadt-Horb statt. Zur Einübung standen vor allem die Hebungen für das Kreisturnfest in Neuenbürg und das Kreisjugendtreffen in Freudenstadt.
Am Sonntagvormittag kam dann ebenfalls für den Bezirk Freudenstadt-Horb ein Wertungsturnen für sämtliche Geräteturner zur Durchführung. Wie Vezirksturnwart Hugo Bacher dabei einleitend ausführte, ist der Zweck dieses Wertungsturnen, nicht nur die schon oft in Mannschaftskämpfen erprobte Geräteturner zu prüfen, sondern auch die Anfänger und mittleren Könner mittels des Einzel- und Mann- ichaftskampfes zu guten Durchschnittskönnern heranzubilden. Dem hauptsächlich aus Turnfreunden von Freudenstadt bestehenden Kampfgerichten stellten sich die Turner aus den Vereinen Altheim, Dornstetten, Freudenstadt, Fru- tenhof, Hochdorf, Mitteltal und Pfalzqrafen- weiler. Erwartungsgemäß zeigte sowohl ein- zel- wie mannschaftsweise der Turnverein Freudenstadt die besten Leitungen, Dornstetten fehlte noch dies und jenes, bei Pfalzgrafenweiler zeigte sich nur der alte Kämpe Lam- part gut in Fahrt. Wenn die übrigen Vereine niedere Punktzahl erreichten, so soll das für sie Ansporn zu fleißigem Weiterüben sein. Ihr Beispiel der Teilnahme an den Wettkämpfen aber sei allen anderen Bezirksvereinen, die mit Abwesenheit glänzten, mahnendes Vorbild. An die Wettkämpfe anschließend fand die Vorturnerstunde noch eine kurze Fortsetzung mit Wiederholung des schon am Vorabend behandelten Stoffes.
Zu gleicher Zeit, also ebenfalls am Samstag abend und Sonntag vormittag fand auch in der Turnhalle in Nagold und zwar unter der Leitung von Kreisoberturnwart Pantle- Lalw eine Vorturnerstunde des Bezirks Nagold-Calw statt. Erfreulicherweise war hier die Beteiligung der einzelnen Vereine wesentlich besser als im Bezirk Freudenstadt-Horb. Bei der Vorturnerstunde waren außerdem zugegen der Führer des Turnkreises 8 Nagold, Dr. E i s e l e-Dornstetten, ferner die leitenden Personen des nunmehr ebenfalls zusammengeschlossenen Turn- und Sportvereins Nagold. Gg. Köbele und E, Hespeler.
Am kommenden Sonntag, 15. April finden für das Frauenturnen ebenfalls Vorturnerstun- den statt und zwar für die Bezirke Lalw-Nagold und Freudenstadt-Horb in der Turnhalle in Dornstetten, Beginn 9 Uhr vormittags; für den Bezirk Neuenbürg in der Turnhalle in Neuenbürg. Beginn 8.30 Uhr vormittags. Zugelassen sind jeweils der Turnwart und 2 Turnerinnen. Die Lehrgänge sind Pflicht und es wird erwartet, daß sämtliche Abteilungen der Turnerinnen vertreten sind.
Humor
O weh
Und nun gib Oma noch einen Gutenachtkuß, Fritzchen — und dann geh zu Marie und laß dich waschen!"
DertlmgeIseAet'
Ein Voltsroma» ans Schwaben Von Ident v von Kraft
»»I
„Freilich! Natürlich! Gebetet Hab' ich —!" Bärbel spülte mit einem Eifer, daß das Wasser nur so herauSspritzte. „Ich Hab' halt Angst a'habt, so allein in meiner Stub', Mutter.
Es lag ein leiser Hauch von Mißtrauen in dem Kopfnicken, mit deni Frau Elsbeth diese Erklärung zur Kenntnis nahm. Im übrigen aber erschien sie ihr ansreichend. Auf jeden Fall war sie fest entschlossen, sie ihrem Manne, wenn er danach fragen sollte, unbedingt glaubwürdig zu machen. Sie schob sich, nach rückwärts gehend, langsam wieder in die Küche zurück. „Ja, Bördele: Beten ist immer eine gute Sach'! Und wenn's nit allemal hilft — schaden kann's nie!" Die Tür schloß sich hinter ihr: das Schloß schnappte ein.
Kerbel drehte den Kopf. Einen Augenblick stand sie noch abwarteud über ihrem Wasserschasf, die Finger an den Gläsern. Dann beugte sie sich weit über den Schanktisch vor, die Rechte nach David Pfeffer hinüberstreckend. Es langte trotzdem nickst ganz. Erst, als auch er mächtig über den Ttsch her- übergrifs, konnten sie sich bei den Händen fassen.
„Ich dank' dir, Dnvidle! Bist ein seiner Kerle!"
Er spürte das laue Spülwasser, das chm in den Aermel hineintröpselte, nicht; nur diese braven molligen Finger, die sich kräftig 'in die seinen schmiegten. „Ist schon recht! Ich Hab' dir's ja versprochen selbigsmal, daß ich hels' zu Hir."
Sie zeigte den gebrochenen Henkel, den sie vor der Mutter rasch beiseitegebracht hatte. Hilflos hielt sie ihn an das Glas. „Jetzet das schöne Gläsle!"
„Das hat die Katz' umg'schmissen."
„Hast du Eiufäll', Pfeffer!"
„Das bringt so das Handwerk mit sich."
„Tu hast ja gar keins!"
„No eben deswegen! Grad wer sonst nix hat, muß Einfäll' haben. Niein Vater hat als g'sagt: „Alle meine Kinder taugen was, bloß der David nit!" Und da hat er schier recht g'habt. Weißt', ich denk' halt: Für mich ist nach den ordentlichen Geschwistern, wo mir vorangegangen sind, nit viel mehr übriggeblieben."
Bärbel schüttelte den Kopf. Während sie sich die Hände an ihrer Schürze trockenrieb, sah sie ihn mit nachdenklicher Zärtlichkeit an. „Bist immer so g'wesen, David?"
„Wie, Mädle?"
„Ha iw, ich mein' — so, wie die Leut' sagen: aus der Ordnung heraus?" Sie wurde rot und eifrig. „Ich sag's nit, Pfeffer! Ich sag's ganz g'wiß nit! Aber die Leut' sind schon einmal so. Die haben ein unguis Maul."
„Ich weiß, Bärbele. Aber, guck, das ist schon in Stetten so g'wesen wie ich noch in die Schul' gegangen bin, und dann in Waiblingen, wo ich bei einem Schuster in der
Lehr' war, und dann-No ja, so ist's
ja auch geblieben bis auf den heutigen Tag: Sie haben sich die Gosch' verrissen über mich und sind doch froh g'wesen, daß ich da war. Und weißt, warum? Weil die rechten Leut' erst merken, wie honorig und ehrenhaft sie sind, wenn sie einen haben, neben den sie zum Vergleich hinstehen können."
„Meinst wirklich, Pfeffer?" Das Mädchen mußte ziemlich angestrengt Nachdenken, bevor sie so ungefähr begriff, wie er eS meinte. Erst, als ihr Eberhard einfiel, der schmucke,
saubere Eberhard, der zu Tübingen studiert hatte und den Herrn Amtmann zum Vater besaß, kam ihr ganz heimlich ein unbewußtes Verständnis. Ihr Herz, das ständig bei seiner jungen Verliebtheit war, kehrte zu den verflossenen Stunden zurück. Und sie hatte schon der bitteren Wahrheit, die ihr kaum aufgegangen war, wieder vergessen, als sie ganz erschrocken fragte: „Ist's wahrhaftig wieder der Geist g'wesen heut nacht?"
Pfeffer saß da, die Hände vor sich aus dem Tisch, und lachte ein wenig. „Er ist grad zur rechten Zeit gekommen, mein' ich."
„Zur rechten Zeit?"
„No ja. Sonst wür' der Herr Vater gekommen und hält' ein bißle nach seinem Mädle geguckt, wo so eifrig betet . . ."
„Pfeffer — um's Himmels willen !"
„Hast ihn denn nit g'hört unter deinem Fenster?"
„Heiliger Herr Jesus!"
„Mußt dich nit verschrecken, Bärbele! Jetzt ist die Gefahr vorbei. Nur, wenn du wieder einmal betest, so mach fein kein Licht dazu! Und allemal ganz leise . . . Verstehst?"
Sie stand da, sich mit beiden Händen die glühenden Backen haltend, und starrte aus großen, fragenden Augen auf den Pfeffer, „Und der Geist — ?"
„Laß gut sein, Mädle, und frag nit zuviel! Nur, wenn du ein übriges tun willst, so flick einmal die Löcher in meinem Bettlaken! Da wenn der Herr Vater richtig durchgeguckt hätt', war' alles wieder anders gekommen."
Bärbele wußte nicht, wie ihr war. Nun erst erkannte sie die Gefahr, in der ihre junge Liebe geschwebt hatte. Ihre Dankbarkeit trieb sie zu ihrem Netter. Und die Erinnerung machte ihr das karge Glück dieses verbotenen Beisammenseins jetzt erst zu einer großen Erfüllung. „Aber Davidle!" stotterte sie. „Davidle! Wie soll ich dir nur soviel
Gilt' danken? Das zahl' ich dir all mein Lebtag nit. Wie könnt' ich da genug „Bergelt's Gott!" sagen?" Plötzlich kam ihr ein Einfall. Sie riß die Tür ans, flitzte ui die Küche. „Wart, Davidle! Ich bring' dir noch eine Supp'!"
Ueber Psefsers Gesicht ging ein ganz sonderbares Grinsen. Eine Suppe? Er nickte nach. Bring nur noch eine Supp', Mädle! Es ist ja bei mir immer nur uni eine gute Flasch' Wein, einen knusprigen Braten oder uni eine Supp' gegangen . . .
Andächtig holte er den Löffel wieder hervor, den er schon beiseitegelegt hatte, und setzte sich erwartungsvoll zurecht. Nein, gewiß — er wollte Bärbel nicht kränken. Und er dachte an das elterliche Haus in Stetten und an die erste selbsterworbene Brezel, dir er als Sechsjähriger damit verdient hatte, daß er eine Fensterscheibe auf sich nahm, die der Bäcker-Wernerle mit einem unvorsichtigen Steinwurf entzivrigeschiiüssen hatte ...
Der Schrei nach dem Pantoffel
Frau Lydia Enphrvsyne Rnoff stand neben ihrem Sohn Eberhard an dem weit aufgerissenen Fenster ihrer Wohnstube und sah "mit schief gehaltenem Kops und sichtlicher Mißoillignng zum Hanse des Nachbarn Schwenkmann hinüber, wo sich zwei Arbeiter auf deni Giebel zu schassen machten um irgend etwas auszubessern. Ein großes Schneenest, das sich dort in einer Senkung des Daches gebildet hatte, begann von der inneren Wärme auszntauen und sickerte in die dariinterliegende Kammer, wo Herr Schwenkmnnii zu schlafen Pflegte. Sollte der Schaden nicht noch größer werden, so war schleunige Abhilfe vonnöten. Darum hatte sich der Hausherr auch, trotz Kälte und Schneetreiben, den Flaschner und seinen Gehilfen verschrieben, die nun in ehrlicher Arbeit taten, was sie konnten.
Fortsetzung folgt.