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Der «ie!eIN>vaftr»
Montag, den 24. Dezember 1934
Die -cireL -voM
Paul Berglar - S chroer
Sie sind auf dem Heimweg gewesen, die Hrei: der Caspar, der Melchior und der Bal- sthasar; auf dem Heimweg zu ihren weitab unterm Gaisack liegenden Hausungen. Denn im Jllertal. wo sie einen Unterstand hatten, ist's mit der Holzerarbeit zu End gegangen. Nun ist die Abkehr der drei, als sie ihr bissel Geld zählen, nicht grad lustig: wenn sie mit Dem Autobus auch nur die Fahrt bis Hinterstein machen, kostet's schon über eine Mark, und da sie erst bei Dunkel ankommen und mächtigen müssen, kostet's wieder eine Mark. Zwar ist der Caspar etwas obenhin, wenn -er sagt, man solle das Geld dranwenden; aber der ernstere Melcher meint, so leicht -gebe man das Sauerverdiente nicht aus: und der Aelteste, der Balthasar, zieht daraus den Schluß: „Also gehngma, sparen a Gold, und warm machet's aa!"
Da er als Aeltester den Ausschlag gibt, so tippeln die drei los. der Balthasar vorneweg, der Caspar etwas verärgert als letzter. Cr nennt die anderen Knauser. Aber er findet dann im Nachdenken doch, daß diese Knauserei eigentlich nur darauf abzielt, Denen daheim eine größere Christfreude machen zu können, und das söhnt ihn mit Dieser langweiligen Tippelei aus, so daß er sogar seine Maultrommel nimmt und zu dudeln ansüngt. Aber dann sinkt das Wohlgemute der drei erheblich, als ein böses Wetter aufsteht- der Schnee fegt ihnen ins Gesicht. Augbrauen und Schnüuzbärt knistern eisverklcbt. bitterer Wind schneidet ihnen durch die ärmlichen Sachen, daß die drei wirklich nicht mehr so nobel ausschaun, wie die drei heiligen Könige, deren Namep sie tragen! Das findet auch der Gendarm, der ihre Papiere mustert und sie mißtrauisch wei. verziehen läßt in dies schieche Wetter, das immer schlimmer wird, so daß die drei heilfroh sind, endlich gegen Dunkel ein Stadel z» finden, wo sic die todmüden Leiber und die wunden Füß ein bissel eindecken können! lind da liegen sie also nun ...
WaS dann geschieht, wird man wohl ein Wcihnachtswunder nennen müssen: Denn als sic io daliegen, huschelt und krappelt etwas Pebigwarmes um sie her. und den Dreien kommts iehr sonderbar vor, als eine Tierschnauze sie busselt. Obzwar das kitzelt, daß der Caspar am liebsten kichern möchte, so halten sie doch ganz stand, denn alle denken das eine, daß das Haserl einen guten Braten geben könnt! Für sie selber, besser noch für die daheim! Und das Tier kuschelt sich wunderweis grad so dem Balthasar in die Schul- lerhöhle, daß der nur blitzschnell den Arm andrückt. Und da Menschen in der Not kein Gebot kennen, so hängt in der nächsten Frühe der Hase wohlverwahrt im Felleisen des Ael- testcn! Aber es hat mit Schneien nimmer aufhören wollen: Himmel, Erde, Berg und Tal sind zur undurchdringlichen weißen Wüste geworden! Sturm. Schnee. Nebel haben gewütet, daß die drei weglos werden und allmählich um ihre Rettung zu bangen beginnen, je mehr sie merken, daß sie immer im Kreise laufen! Stunde um Stunde, Daß sie matt werden zum Umfallen! Bis dann endlich der Caspar einen Freudenschrei tut: Denn auf einmal ist da ein Licht! Erst wagen sie gar nicht daran zu glauben! Und doch ist's ein Licht! Und es sickert ihnen fahlgelb aus kleinen Fenstern einer armen Keusch- Hershütte entgegen! Darauf stapfen sie los, *froh ihrer Rettung und doch voll Zweifel, ob die Leute ihnen einen Unterstand geben werden? — Uebrigens muß das Häusel sehr arm sein, denn nur wenig Holz sitzt unter der Traufen! Da schauen sie vorsichtig erst -einmal durchs Fenster, wer denn da herinnen sitzt: schaun und treten scheu zurück: In
ver Tiuoe nzu aus einem VreNMz eine Mutter, die hat ihr Jackerl und 's Mieder ausgetan. und drunter sieht man eine blanke Brust, daran die Frau selig und notvoll ein Bübel hält, das greiflustig die winzigen Finger ins warme Fleisch legt. Neben ihr sitzt der Mann; wird halt schwere Sorgen haben, er sieht grämlich genug drein.
Sie stehen da und zweifeln, ob sie dies Menschenheilige stören dürfen! Aber der Balthasar Pocht doch einmal leise, worauf die Frau schnell ein Fürtüchel vorlegt. Den Mann, der langsam zur Tür kommt, fragt er, ob er für sie drei gegen ein Geld und Vcrgeltsgott einen Unterstand hat? Der Arme mustert die drei, dann tut er die Tür weit auf und sagt nur: „Kommets eini!" und er sagt weiter, daß sie im Heu nachten können. Sonst ist ja nicht viel da und er zeigt mit leeren Händen die ganze Not im Häusel, die keine Worte braucht! Aber sie ist immer noch tausendmal besser, als draußen der Schnee und das Eis! Und wenn sie in der Stube grad auch nicht sehr warm sitzen, so haben sie doch nun ein Dach über dem'Kopf! Dessen sind sie froh, und während die Frau in einen Schattenwinkel geht, um das Büberl weiter zu stillen, reden die Männer leise übers Woher und Wohin, und denken dabei auf die heutige Christnacht! „Jafreili, Christnacht". seufzt der Keuschler und es ist mehr Hoffnungslosigkeit darin als in vielen Worten! Da sehen sich die drei an: dem Melchior fällt ein, daß er da Heraußen eine kleine Tann hat stehen sehen, die er holen kann; und dem Caspar, daß er im Fellsack noch wollene Stauchen hat. die zur Not fürs Kindel eine Kopfmütze oder so abgeben können; und dem Balthasar, daß sie ja da noch den schönen Hafen haben! Und allen dreien, daß sie einen Tabak hergeb.n können! Und das alles packen sie also nun auf den kleinen Tisch unters Bäumel und sie legen jeder eine blanke Silbermark dazu, sodaß es nun mit einem Male über ihnen allen weihnachtet! Die Frau weint und lacht: „Sein halt die drei König kimma!" „Das grad nit", lachen die drei: „Aber das C -b M B tät schon stimmen", worauf der Caspar auf seiner Maultrommel zu summen beginnt: „Es ist ein Ros' entsprungen, aus einer Wurzel zart!" . . .
Sie sitzen alle und lauschen, und die Pfeifen qualmen, während draußen der eiskalte Winterwind tobt und seine Flocken ohne Unterlaß vor die Scheiben der armen Keusch- lerhütte wirft . . .
Das HesLkeaA
Wegen seiner etwas bauchigen Behäbigkeit mußte er den Spitznamen „Wams" tragen, unser Stenographielehrer in der vierten Klasse des Gymnasiums.
Er war aber, trotz des Bauches, ein ewig hüstelnder, schwachstimmiger, sehr nervöser und (da er einen Freigegenstand lehrte) ein völlig hilfloser Mann. In seinen Stunden ging es immer scheußlich zu. Ich tat mich dabei besonders hervor und erfreute mich eines unleugbaren Einflusses auf meine Mitschüler.
Von unseren Foltermethoden zu erzählen, wäre uninteressant; sie dürften >a mehr oder weniger variiert, international sein.
Eines Tages, knapp vor Weihnachten, verbreitete sich das Gerücht, wir sollten einen „Neuen" bekommen; Wams würde noch bis Semesterschluß bei uns bleiben, dann müßte er für länger in eine Lungenheilanstalt.
An einem der folgenden Nachmittage, am 22. oder 23. Dezember, war Stenographie angesetzt.
Auf dem Wege zur Schule hatt.e ich Plötzlich eine Eingebung; ich wurde ordentlich aufgeregt, voll strömender Begeisterung, begann zu laufen; ein seltsames Gefühl von etwas Großem, Verborgenem leuchtete in mir auf und beschwingte mich. (Wenn auch nicht ohne stolze Eitelkeit.)
Noch ganz außer Atem hielt ich knapp vor Beginn der Stunde hastig und stotternd eine Ansprache an die Klasse. Man hörte mir anfänglich staunend und ziemlich gleichgültig zu und schmunzelte. Aber dann horchten einige auf; das Interesse stieg. Schließlich hatte sich der Entschluß der ganzen Klasse bemächtigt, hatte sie überzeugt. Wir wollen von diesem Tage an Wams nicht mehr ärgern.
„Ganz ruhig sein!" hieß die Parole, das sollte unser Weihnachtsgeschenk sein.
In diesem Augenblick betritt er die Klasse, wie immer zögernd, mit verbittert-argwöh- nischer Miene, fast ängstlich, auf Schlimmes gefaßt.
Wir begeben uns schleunigst und geräuschlos auf die Plätze und warten, bis er das Zeichen zum Setzen gibt. Keine Spur von dem üblichen Tumult. Wir sind alle sehr bei der Sache und gespannt; eine Art feierlicher Verlegenheit hat uns ergriffen.
Wams-Vergißt auf das Zeichen, bleibt zwischen Tür und Katheder stehen und schaut
Lie*
in die Klasse: mißtrauisch, bestürzt, «M „strenger Miene" und trüben Augen.
Völlige Stille.
Er schüttelt (unbewußt) den Kopf, uns setzen, schreibt ins Klassenbuch, blickt mH.
Wir mucksen uns ruckst; tauschen in befangenem Ernst ermunternde Blicke.
Wams' Gesicht und Gehaben verraten die Angst vor einem noch nie dagewesenen Attentat.
Die Atmosphäre des Schulraums bekommt etwas Dramatisches.
Er zögert, steht auf. nimmt die Kreide und beginnt auf der Tafel zu schreiben.
Die Spannung legt sich etwas, wir schreiben mit.
Da stockt er Plötzlich, wendet sich halb um und sagt, noch immer Böses ahnend, mit unsicherer Stimme:
„Mir scheint-Sie sind ja-?"
Es ist mäuschenstill, so, als ob alle den Atem anhielten.
Nun wendet sich der Mann am Katheder uns ganz zu und fragt, etwas freier, aber doch noch ganz zweifelnd:
,La, was ist denn heute los mit Ihnen?"
Unsere Ergriffenheit wächst: ich spüre ein Würgen in der Kehle aufsteigen und springe halb unbewußt auf:
„Wir werden von heute an brav sein!"
Dann sitze ich wieder, mit eiskalten Händen und rotem Kopf.
Die Stille im Raum lastet jetzt.
Der Mensch vor uns läßt die Hände sinken, starrt sekundenlang in die Klasse, ver- steht nicht, kann noch immer nicht glauben.
Die Kreide entiüllt seiner Hand, er macht einen Schritt nach vorne, uns entgegen, stützt sich am Tisch (sein Gesicht ist sehr blaß geworden) und wendet sich jäh zur Tafel, wo er einige Sekunden mit gesenktem Kopf ver» harrt...
Wir rühren uns nicht, sind aufgewühlt, scheuen, einander anzusehen.
Mir ist zum Losheulen, ich muß fortwährend schlucken und Presse meine Beine krampf- Haft übereinander.
Irgendwo bricht eine Bleistiftspitze ab.
Da lacht die ganze Klasse: nicht sehr laut, aber erleichtert. Wams mit uns.
Der Druck des Erlebnisses ist gelöst.
Die Schule beginnt. Harald Spitzer.
Wer kein Kinderfreund ist oder sich nicht mehr an seine eigenen Kintertage erinnern will — der lese diese Zeilen nicht, er wird sie nicht verstehen. Wer aber als Kind in den Vorweihnachtstagen durch Schlüssellöcher und Spalten gelunzt, bei jedem Klingelzeichen an der Vorsaal- tür von einem Bein auf das andere gesprungen und vor Neugier fast zersprungen ist, der wird viel- . leicht ein biß- /. chen lachen kön- a neu, wenn er sieht, daß die inder von heute genau so sind. Ja. sie sind vielleicht noch neugieriger. noch aufgeregter. Denn die Zeit vor zwanzig Jahren war auch in dieser Beziehung geruhsamer als die heutige, die Kinder beschäftigten sich noch nicht mit Politik, Technik und Verkehr — aber heute?
Ich habe einen Einblick gewonnen in die Fülle und Verschiedenartigkeit der Kinderwünsche. Wenn man. wie ich. einige Tage als Aushilfsausträger einer Spielwarenhandlung tätig war, dann erfährt man. für! was das kleine Volk Interesse hat, welche! Schliche es anwendet, das Geheimnis zu ergründen, das die Pakete umgibt, man erfährt aber auch, welche Schliche die Großen ersinnen, um die Kinder irrezusühren. Hach — ich Hütte nie geahnt, daß ein Pakethilfsweihnachtsausträger soviel Kenntnis von der Psychologie des Weihnachtskunden aufbringen muß. um halbwegs die Eignungsprobe, für diesen auserwählten Posten zu bestehen. „Dienst am Kunden" ist hier ein abgetaner Begriff, es heißt: „Seine Majestät, der Herr Kunde" und es heißt: „untertänigst zu Ihrer Verfügung für Ihre besonderen, geschätzten Wünsche". Jawohl!
Wenn man so mit Spielsachen unterwegs ist, wird man selbst zum Kinde wieder. Man sieht sich so ein fellbezogenes Schaukeloferd an und denkt an das. auf dem man als Junge tollkühne Ritte unternahm, bis Schokolade, Oelsardinen. Lebkuchen und Bis- marckherige, die man mutig durcheinandergegessen ^atte. dem Schaukelpferdekopf als Futter Vorlagen: Ja. das waren herrliche Zeilen! Unsere Eltern hatten nicht die Sorgen. wie wir-heute, daß die Geschenke auch den Herren Kindern gefallen werden. Wir kriegten eine Burg, ein paar Kanonen, eine
Dampfmaschine, einen Pferdestall und waren glücklich. Heute sieht die Jugend nach, ob die Spielsachen auch keine technischen Mängel aufweisen, ob die Konstruktionen richtig sind, und richtet an ihre Eltern fachmännische Fragen, die diese in größte.Verlegenheit bringen.
„Warten Sie einen Augenblick", sagte eine
Dame zu mir, als ich einen Metallbaukasten an der Wohnungstür ablieferte, ich muß erst Nachsehen, ob nicht ein Teil fehlt, sonst wird das Mädel wütend, daß es den ganzen Kasten in die Ecke wirft."
„-Mädel . . .? Metallbaukasten?"
„Ja. freilich, das Ding will doch durchaus Pilotin werden!"
Puppen — ja doch, Puppen werden auch noch für Mädchen gekauft, aber selten. Aus den Puppenstuben von früher find mehrstöckige Puppenhäuser geworden, aus den kleinen Kaufmannsläden große Verkaufsstände, in denen die Kinder sitzen können. So ändern sich die Zeiten.
„Seien Sie ja recht vorsichtig, wenn Sie die Pakete bringen", hatte mir eine andere Kundin auf- getragen. „Sie geben sie nebenan ab, ich hole sie mir von dort." Wie gewünscht, so getan — aber bevor die Nachbarin öffnet, stehen die drei Rangen der besorgten Kundin aus der Nebentür vor mir und sagen: „Geben Sie die Sachen nur gleich bei uns ab. wir kennen den faulen Zauber von Muttr schon — die Pakete sind ja doch für uns bestimmt."
Ja, man macht leider nicht selten die Erfahrung, daß mancheKinder schlauer als ihre Eltern sind, und viele Mütter durch ihre Ungeschicklichkeit die Kinder erst aufmerksam machen, daß der Gehilfe des Weihnachtsmannes vor der Türe steht. Ist es nicht so, Frau K. in der Kronprinzstraße? Hätte Ihre Ruth etwas gemerkt, wenn Sie nicht so getan hätten, als sei ich der Kohlenmann. der Briketts brächte? Solche Ausreden erdenkt man auch nicht, wenn das Kind weiß, daß Sie bis nächsten Sommer genug Kohlen im Keller liegen haben.
Da war schon jene Frau schlauer, die von mir den gekauften Puppenwagen in der Handgepäck-Aufbewahrungsstelle im Hauptbahnhof abgeben ließ und ihn abends nach Hause holte, als ihr Töchtercheik schlief. ..Anders weiß ich mir nicht zu helfen," sagte sie. „mein Kind ist die Neugierde selber."
Wie solche neugierige Sprößlinge hinters- Licht geführt werden müssen, zeigte eine Mutti zur Heiterkeit aller übrigen Hausbewohner. Während ihre Kinder sich Vor der Tür und im Treppenhause drängten, um zu sehen, wo die schönen Sachen hinkämen, die vorm Hause abgeladen wurden, stand sie auf dem Küchenbalkon und zog eigenhändig das für Herbert bestimmte Schaukelpferd empor, dem ich im Hofe die Schlinge um den Hals legte ... Es erreichte glücklich seinen Stall und für die geopferten Schweißtropfen wird die gute Mutti durch strahlende Kinderaugen zur Bescherung reichlich entschädig worden sein.