Leite 4 - Nr. 299

Der Resellichafter

Morrtag, den 24. Dezember 1931

Wir wollen sie nicht vergessen!

Einmal las ich von dem Weihnachten der -Znspätgekommenen", von den Menschen, die stets die Letzten sind, die als Letzte in dem großen Zuge gehen, der um die Weih­nachtszeit einhandelt und heimträgt, um den anderen eine Freude zu machen am Weihnachtsabend. Und heute, wo alles eilt und hastet, den sichtbaren Ausdruck von Freude im Antlitz, der fast wie eine geheim­nisvolle Schönheit darüber liegt und es ver­klärt, heute denke ich an jene Menschen, die nicht darunter sind. An die anderen muß ich denken, an die Abwesenden, die Ausgeschlos­senen. Von all der reinen, uneigennützigen Freude ausgeschlossen, die Herz und Seele zur Weihnachtszeit verklärt. Sie gehen mit traurigem Ausdruck in den Zügen, beinahe anteillos durch die Menge es scheint, als ob sie all den Glanz um sie her nicht sehen wollten, als ob er keinen Widerschein weckte als ob ihr Herz leer blieb von der geheimnisvollen Freude um sie her. An diese stillen, traurigen, anteillosen Gesichter denke ich. wenn ich heute von dem Weihnachten der Einsamen reden will.

Tenn denen, welche mit den traurigen, teilnahmslosen Gesichtern unter der Menge gehen, ist das Weihnachten, das Freudenfest aller Menschen, ein trauriger Tag, der trau­rigste von allen im Jahre. Das Fest der Kinder und der Glücklichen ist nicht angetan, die Einsamen froh zu machen.

Aber das Leben, das dunkle, grausame Leben, das so wenig gibt und so viel nimmt, manchem Menschen nur etwas, manchem aber alles, dieses grausame Leben kommt und macht dem Einsamen mit allen jenen tausend Lichtern nur die Erinnerung hell und mit ihr die Vergangenheit. Do un­aussprechlich einsam ist's um ihn her mit feuchten, sehnsüchtigen Augen späht er durch die Fenster nach den fremden Häusern, wo er hinter den Gardinen Lichter funkeln sieht an geschmückten Tannenbäumen, und bunte Geschenke darunter liegen. All die anderen dort gehören heute sich selbst, den Ihren, dem Glück, das Leben und die graue Trostlosigkeit liegt fern von ihnen, nur für den Einsamen "bleibt sie wach und wehe. Das Buch, dem er heute abend Interesse abge­winnen will, bleibt kalt und tot, er schaut nach der Uhr, ob die Qual der Stunden noch immer nicht vorbei, daß er hingehen kann und schlafen und vergessen das alte Lied, das ihm an der Seele frißt, daß alle Wunden, die das unbarmherzige Leben schlug, aufs neue zu bluten ansangen, daß alle Einsamkeit um ihn her aufs neue quä-, lend wird. Keines Menschen Lächeln in die- i ser Stunde sehen und den Widerschein warm im Herzen fühlen, für keinen eine Freude bereit halten dürfen, keiner Hand liebewarmen Dankesdruck zu spüren alles Liebe. Süße, Verlorene mit den Gedanken in der Ferne, in der Vergangenheit suchen

Durch Vc.ch! und Schure kling! leise die alte, fromme Weise vom Gott, der uns geboren ward. Du, an die Welt verloren, verschließe nicht die Ohren, dem Liede wunderlich und zar!.

Nicht nur auf deiner Lippe, im Herzen krag die Krippe und diele sie dem Kindlein dar. Dann wird schon hier, auf Erden, dir jener Friede werden, der deine tiefste Sehnsucht war.

FF

mugen...

Und von flüsternden Geisterstimmen tönt schmerzlich auf ihre bangen Fragen die un­erbittliche. unversöhnliche Antwort:Dort, wo du nicht bist dort ist das Glück!"

Das Lst Liie NacHt"

Von Siegfried Bergengruen

Das ist die Nacht, in der wir Heimweh haben nach Tagen einer längst versunknen Zeit, nach Menschen, die uns Schönes gaben, nach Stätten, die unendlich weit.

Das ist die Nacht, in der wir Rückschau halten und unsren Weg betrachten wie ein Bild, und stumm die Hände über Gräbern falten von Freunden, die den Laus erfüllt.

Das ist die Nacht der großen Einsamkeiten, da jeder still wird unter seinem Leid, und nur die Kinder ihren Jubel breiten auf unsre Wunden wie ein goldnes Kleid

Luek ist eio LiocI Aetxrrv»

Johannes Falk, der weimarische Legations­rat, dachte sinnend über sein Leben nach. Keiner konnte es bequem nennen.

In Danzig war er geboren, sein Vater hatte als Perückenmacher stets Mühe ge­nug gehabt, die sieben Kinder satt zu kriegen. Aber es war ihm gelungen, seinen Johannes hatten die Stadtväter studieren lassen. Schließlich war er nach Weimar verschla­gen worden, wo er sich ein. ansehnliches Ver­mögen und die verständnisvolle Liebe des Herzogs erworben hatte. Aber was hieß in diesen wilden Zeiten, da Napoleons Faust bleiern aus Deutschland lag, Eigentum und Habe!

1806 nach Jena und Auerstüdt da war es am schlimmsten gewesen. Die Franzosen hiel­ten Weimar besetzt, fünf Häuser brannten, in Tiefurt wurde alles blindwütig zerschla­gen. Selbst Goethe kam nur soeben mit dem Leben davon. Und daß er es behielt, dankte er allein seiner kleinen tapferen Frau, mit der er sich dann endlich auch trauen ließ, dankbar für ihre menschliche Treue. Und ebenso hielt die edle Herzogin den Kopf hoch, und wenn das Herzogtum noch bestand, war es ihr Werk: ihrem Mut hatte sich selbst Na­poleon gebeugt, der noch kurz vorher gedroht: Ich werde Ihren Mann erledigen.

1813 war eZ beinahe noch böser geworden. Die Spanier hatten das Letzte genommen, er selbst war, ohnehin nicht sonderlich wider­standsfähig, schwer krank geworden. Da hatte er seineGesellschaft der Freunde in der ! Not" gegründet, die Kinder wurden von ihm zum Unterricht gesammelt, er lehrte sie mit Hilfe einiger geduldiger Frauen Spinnen und Packte ihr verwildertes, zuchtloses Herz m Sonntagsschule und Abendandacht, dem Manne gleich, der in der Schweiz aus glei­cher Not sein Werk an den Verlorensten ge­tan, Heinrich Pestalozzi, zu dem Preußen jetzt seine besten Männer sandte, das zerrissene unö geschundene Vaterland von innen wie­der auszubauen und mit neuem Geiste anzu- süllen.

Nun war wieder Weihnacht geworden und der Krieg seit einem Jahr beendet. Er dachte an ferne Kinder, dachte auch an die vier eige­nen. die ihm die fürchterliche Zeit genommen. Zu schenken gab es nicht viel. Strümpfe frei­lich und warme Wämser lagen bereit, und an einigen Sack Nepseln und Nüssen würde es auch nicht fehlen. Die Freunde halfen, wo sie nur konnten. Der Adel freilich schloß sich wieder ab und feierte seine Redouten und

Maskenbälle wie sonst, und auch bei Goethe hatte die alte, vornehm-gemessene Gesellig­keit von neuem begonnen. Einer freilich würde anders gedacht haben: Herder, dem er manches für seine Arbeit verdankte. Aber der war lange tot, und das Wort auf seinem Grabstein in der Stadtkirche fror kalt in diese liebelose Welt: Licht, Liebe, Leben! Mochten sie! Sie lebten in einer Welt, die sicher schön und fruchtbringend war und deni gedemütigten Vaterlands neue Ehre brachte.

Dennoch: es war -Friede! Schon vor einem Jahre waren die Verbündeten in Pa­ris eingerückt. Napoleon für immer nach St. Helena verbannt worden. Er sah ihn noch vor sich, wie er an einem schwerverhangenen Winterabend, den mächtigen Kopf tief in den grünen Pelz gedrückt, durch Weimar fuhr.

Johanne' Falk trat ans Klavier. Eine alte, holde Melodie, die man schon seit Jahren in Deutschland auf alle möglichen Texte sang, wollte ihm nicht aus dem Kopf. Sie kam aus Sizilien, und man hörte sie mit den lateini­schen Worten: O sanctissima, v Piissima, manchmal auch in den katholischen Kirchen.

Er spielte die feierlich-fröhliche Weise, leise dazu mitsummend, wie er gerne tat, wenn einmal die Ruhe ganz in sein Herz einkehrte, sind aus unbekannter Tiefe stiegen deutsche Worte auf und flochten sich in. das südliche Gerank der Noten, bis es klar vor ihm stand, das weihnachtlicheO d u s r ö h l i ch e. v du selige. gnaden bringen de Weihnachtszeit."

Nebenan lärmten die Kinder. Eines schien seine Gitarre, die fast jedes Weimarer Haus besaß, zu stimmen. Es war ein musik-freu­diges Land, das alte Thüringen. Nicht um­sonst hatten Bach und Luther und die vielen Kantoren der evangelischen Choräle hier ge­lebt. In Danzig sang man weniger.

Er trat in den Raum, das immer noch volle Braunhaar leicht zurückgestrichen. Tie Kinder standen auf.

Wenige Augenblicke später aber sang sein Lied in die schneedichten Gassen von Weimar, lief von Herd zu Herd, von Stube zu Stube und übertvute sogar die dramatisch-panto­mimischen Scharaden, über denen sich die Hofgesellschaft in diesem Winter des Heils spät rokokotändelnd den Kopf zerbrach, die Zeit vergessend, die mit ehernem Schritt her- auslam und nicht vor Palasttüren anhielt um ein Volk zu retten, das nicht umsonst durch die Feuer von Leipzig und Waterloo gegangen war.

De* Axi E AleO-racHr

Der 24. Dez. 1914 an der italienischen Front

Hoch oben in Schnee und Eis, abgeschlossen von der Menschheit, lag ein Bataillon des österreichischen Schützen-Regimentes Nr. 2 und hielt treue Wacht gegen die Italiener. Im wil­desten, zerklüftetsten Karst, im Kiru-Gebiet, war es ...

Heiligabend 1915 stand vor der Tür. Liebesgaben waren von kühnen Bergsteigern in die Stellung gebracht worden. Und so kam das Christkind auch zu uns hinauf in Schnee und Eis.

Meine Gruppe lag eingekeilt zwischen der sog. Teufelskote und dem Zuckerhut ähnlichen Lipnik. In einem ziemlich primitiven Unter­stände, der ganz an die Felswand gepreßt lag, ruhten sich 70 Schutzen des Bataillons aus. Waren aber sprungbereit für den immer wie- derkehrenden Alarm.

Christfest . . . Friede den Menschen auf Er­den!

Die Italiener hatten gegen 5 Uhr nachmit­tags mit schwerer Artillerie unsere Stellung zu beschießen begonnen. Sechs Mann der Alarm­bereitschaft waren etwa 50 Meter über dem Unterstand in der Felsenstellnng am Maschi­nengewehr und starrten unentwegt in das Schneetreiben, das plötzlich eingesetzt hatte.

Das Schneetreiben steigerte sich zum Sturm. Ein Wintergewitter setzte ein: Blitze zuckten fahl-gelb und bläulich. Donner krachten, der Schall kam aus den Felsenlöchern und Schluch­ten nicht mehr heraus . . .

Um 10 Uhr in der Weihnachtsnacht Ivar die Stellung derart eingeschneit, daß ich zehn Schützen ausschaufeln lassen mußte. Zehn Meter hoch lag der Schnee auf dem Dach des Unterstandes. Mit Lebensgefahr kro­chen wir hinauf und warfen den Schnee her­ab verfolgt hon den Geschossen der italieni­schen Scharfschützen. ,

Die Telephonverbindung mit den sechs Leu-^ ten ans dem Alarmposten war längst abgerissen., Um 11 Uhr nachts von irgendwoher aus- dem Tale klangen Glocken hatten Schneesturm und Gewitter ihren Höhepunkt erreicht. Das Artilleriefeuer war znm Orkan angewachsen. Die Leute im Unterstand lauschten angestrengt, hielten die Gewehre umklammert. Da .. . da . . . auf ein­mal ein gellendes Pfeifen ... ein unheimliches Sausen . . . alles begann sich zu drehen . . . wieder ein grauenhaftes Pfeifen und Sausen- und dann dann kam der wirbelnde zermal­mende weißeTod...

Ich weiß nicht, wie lange ich durch die Luft, geschleudert wurde, ich weiß auch nicht, wie! das aller, gekommen war... ich weiß nur, daß i ich plötzlich wieder Lust spürte und atmen ^ konnte. Und als ich mich aus dem Weißen Grab 'herausgearbeitet hatte, sah ich nur eine endlose Weiße Fläche . . . nichts sonst. Ja aber dann hörte ich dumpf röcheln . . . überall um miH herum. Dann kam einer, dann ein anderer zum Vorschein. Und nach und nach waren drei um mich versammelt. Ohne Waffen, ohne Werkzeug wühlten wir im Schnee, wühlten und wühlten. Legten Gesichter bloß, schon erstarrt, stießen auf Verletzte, denen wir Luft verschaff­ten .. .

Am Morgen, der klar und hell war, kamen die sechs aus der Alarmstellung zu uns . . . weiß wie der Schnee waren ihre Gesichter, mit großen entsetzten Augen starrten sie auf das unendlich weiße Grab.

So wurden wir zehn gerettet! Zwei Tage und zwei Nächte saßen wir da oben in einer Schneehöhle und erwarteten unser Schicksal. Endlich . . endlich kam Vom Tale herauf eine Schlange gekrochen: Rettungsmannschaften! Von den Verletzten lebten noch 22. Alle anderen hatte der Weiße Tod bezwungen . . .

Das Christkind war nur mit uns zehn in die­ser Weihnachtsnacht gnädig gewesen. Als Ehristgeschenk ...tmsLeben! Und ich feierte, soga- gerade in dieser bedeutsamen Weihnachts­nacht 1915 meinen 18. G e b n r ' s t a g!

Oer ökkentlicjie Isictitersteu«