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Der Gesellschafter
Donnerstag. Sen 8. November izzz
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Am 7. November sind zwei Jahrzehnte verflossen. seitdem in Tfingtau nach tapferer deutscher Gegenwehr von den übermächtigen Gegnern die japanische Flagge gehißt wurde. Der Berfaffer des Folgenden war als Werkstudent in Ostafien und besuchte dort auch unser« deutsche Kolonie Tsingtau. Die Schilderung wird das Interesse unserer Leser finden.
Nur noch fahl leuchtet droben am Himmel jdas Wunder tropischer Nächte: das Kreuz des t Südens, denn ganz vorne am Horizont spin- !ueu die ersten Morgenschleier erwachende sLichter um den neuen Tag. In der Morgendämmerung liegen wir in der Bucht von Kiantschou. Unweit ankern zwei große »japanische Kreuzer und ein englisches Linienschiff. In stolzem Selbstbewußtsein ziehen sie eben unter den Klängen ihrer Nationalhymne die Flaggen hoch! Welchem Deutschen blutet bei diesem Anblick nicht das Herz! Hier hatte einstens auch Deutschlands Flagge etwas zu sagen. In diesen Gewässern hißte die tapfere Besatzung einer „Iltis" mit einem Hoch aufs Vaterland zum letztenmal das schwarz- - weiß-rote Banner, und dieses Wasser ist das stille Grab geworden für manchen tapferen deutschen Kolonisten.
An einem grünen Gestade schimmern weißgctünchte Villen mit roten Schindeldächern.
Es ist ein Städtchen im deutschen Stil, es sind behagliche, einstöckige Wohn- und Geschäftshäuser. Da lugt die .Turmspitze der Christuskirche zwischen Akazienbäumen hervor. Dort flattert eine weiße Flagge mit zwei roten Streifen — das ist Flvssels Seepavillon. Bald wandere ich durch die Straßen Tsingtaus und staune. was hier deutsche Energie und deutscher Unternehmungsgeist aus einem armen, chinesischen Fischerdörschen geschaffen hat. Wo dürftige, mit Stroh bedeckte Lehmhütten am Fuße kahler Berge standen, da erheben sich heute sonnige, wohnliche Häuser und Villen, und von dem eigens ins Leben gerufenen Forstamt in Tsingtau wurden diese kahlen Berge ausgeforstet und mit frischem Grün überzogen.
Aber wo sind denn unsere Landsleute hier? In den Loggien der stolzen Villen sitzen reiche Chinesen, in den großzügigen Parkanlagen Promenieren Damen mit feschem Herrenschnitt, in europäischer Kleidung, aber — mit chinesischem Gesicht.
Äieses iMiesiscke
diese „Riviera of the Far East" bietet seinen Kurgästen orientalische Sonne, und dieses feudale, aus der Vorkriegszeit stammende Hotel dort drüben wird von einem holländischen Manager mit japanischem Gelde für chinesische Kurgäste mit Hamburger Holstenbier versorgt. Ja, hier in Tsingtau bildet West und Ost einen Knäuel. Aber wo bis 1914 fleißige, deutsche und chine- ^ fische Hände gemeinsam und für einander, arbeiteten, dort mißtrauen sich heute Arme i und Reiche gleichen Volkes; wo einstens! deutscher Kolonialgeist fordernd und nutz-! bringend aus alle Schichten eiuwirkte, läßt! heute ein klaffen- und rassenseindlichcs. chinesisch-japanisches, asiatisch-europäisches Tohuwabohu jede Blüte und Weiterentwicklung erstarren. Zu oft haben die Flaggen aus dem deutschen Gouverneurhause gewechselt. Die Folge ist ein unvermitteltes Nebeneinander tiefster Gegensätze. 1914 stieg der rote Sonnenball — Japans Banner — am Rahen hoch. Tie Rechnung nir diesen ersten Flaggenwechsel bezahlten deutsche Kolonisten mit 200 Toten und vielen hundert Verwundeten, eroberungssüchtige Japaner mit der zehnfachen Zahl an Verlusten. Das Reich Nip- . von versuchte in den 8 Jahren seiner Regierung mit allen Mitteln festen Fuß zu fassen. Tausende von Japanern haben sich angesiedelt und haben zunächst die durch die Belagerung hervorgeruscnen Schäden wieder ausgebessert. Neidlos müssen wir anerkennen. daß auch diese Epoche manch Gutes geschaffen hat. Industrielle Anlagen, Oel- pressen, Baumwollspinnereien, Knochenmühlen. Zündholzfabriken, wurden errichtet. Dieses Tor, von besten Querbalken Strohzöpse und weiße Papierzettel, die Sinnbilder des Shintoismus, herabhängen, lädt zum Besuche eines in japanischem Stil, in pomphaft großzügiger Aufmachung errichteten Tempels ein. Dieses Heiligtum dient offensichtlich mehr Propagandazwecken als einer Stätte innerer Erbauung und Andacht. Allerlei Butten und allegorische Gestalten prangen un Tempelhos. Jedes Shintoheiligtum birgt
Reliquien aus eurer national«» Großtat Japans.
ÜLt Hott
auf dem lehmigen Hügel, wo das Heidekraut blüht, steht das Denkmal für die Tausende von Helden im großen Nationalkrieg gegen Rußland — hier in den Jltisbergen mit dem Blick aus die ewigen Wasser des Stillen Ozeans erinnert ein Mausoleum an die Toten, die um Tfingtau starben. Und zu beiden Orten wallfahren die Söhne des Reiches Nippon in glühender Vaterlandsliebe, denn an beiden Stätten war der Orient Sieger — der Okzident Besiegter. Die Bebauungspläne dieser Vororte waren allerdings von der deutschen Regierung im Entwurf fertiggestellt worden. Viel Geld hat Japan in Tsingtau investiert — allein für eine Mittelschule wurden 600 000 Mark verausgabt. Der architektonische Ausbau dieser Erweiterungen und Neusiedlungen trägt allerdings zur Verschönerung der Stadt nicht vorteilhaft bei, da alle diese Bauten jede
l»ie IN i kktrake in Hingtsu
eigene Schöpfungskraft vermissen lassen und nur abgeschautes, kopiertes Westöstliches in stillosem Durcheinander darstellen. Die schlimmste Importe aus Japan ist die Dirnenwirtschaft, die heute in Tsingtau herrscht.
Sicherlich aber wäre Tsingtau unter japanischer Oberhoheit nicht so verarmt wie jetzt unter chinesischer. Japan hat aus einem russischen, verwahrlosten Hafen mit leeren Piers ein japanisches Dairen, einen Welthandelsplatz geschaffen mit einem stetig wachsenden Umsatz — die schärfste Konkurrenz Schanghais. Japan hätte es auch hier in Tsingtau geschasst. China hat nicht einmal für die dringend nötigsten Hafeninstandhaltungen, geschweige denn für die ebenfalls erforderlichen Erweiterungen die nötigen Mittel und wird sie auch in der nächsten Zeit nicht beischaffen können; das Reich Nippon aber hat in Korea wie in Formosa, im Mutterland wie in der Südsee seine Schaffensfreude bewiesen und sich eine immer mehr aufstrebende Weltgeltung zu verschaffen verstanden. Japaner und Chinesen sind Brüder gleicher Rasse; es sind
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Dieser Erbhaß der Himmelssöhne gegen das chinalüsterne Japan, dazu das Mißtrauen des Dankees auf seinen Rivalen im Stillen Ozean, vielleicht auch Englands asiatische Angstpsychose hat 1922 bei der Washingtoner Konferenz Tsingtau dem Chinesischen Reiche wiedergegeben. Seither fegte mancher politische Orkan durch die Straßen der Stadt. Zu Generäle erhobene Näuberhauptleute kamen mit ihren Banden vom Süden und von der Mongolei her bis zur Küste des Gelben Meeres — sie verschwanden wieder. Es kamen Generäle, es kamen Briganten, es kamen Soldaten. Groß ist in China der Unterschied zwischen Soldaten und Räubern ja nicht. Mit der Regierung ändert sieg aber auch das Zahlungs
mittel, denn jede neue Macht druckt Banknoten mit ihrem Hoheitszeichen, ja sogar die Münzen sind auf der einen Seite gestempelt von der letzten Regierung, und da die neuen „Herrscher" dieses Zahlungsmittel gerade anerkennen, kommt aus die andere Serie ein gewöhnlicher roter Stempelaufdruck als Zeichen, daß vorerst diese Münze in voller Währung und im Kurs bleibt. Die meisten Regenten hinterließen in Tsingtau Verbitterung, Armut, Unordnung. Was in all diesen Unruhen an Straßen und Gebäuden, an Ordnung und Sicherheit erhalten blieb, verdankt dies der soliden deutschen Qualitätsarbeit, die auch hier nicht so schnell herabgewirtschaftet werden kann. Was aber zerstört wurde, ist nicht wieder aufgebaut worden. Die Straße, auf der früher am Wochenende deutsche Kolonisten zum Laushan hinauffuhren, ist heute noch gut, aber das „Mecklenburghaus", das deutsche Sanatorium wurde zerschossen, und wer sollte es auch heute aufbauen? Wohl kaum eine andere chinesische Stadt von der Größenordnung Tsingtaus hat ein solch schönes Ge- richtsgebüude — ja es war auch einfach,
cire DetttscAe« Hatew es gebaut.
und China hat für den gleichen Be- stimmungszweck bis auf das letzte Tinten-
Jn gemächlichem Trabschritte führt mich mein Rikschagespann durch die herrliche Pazi- fic-Road, die schönste Straße Tsingtaus. Das frühere Gebäude der deutsch-asiatischen Bank hier an dieser schönen Uferstraße haben sich die Japaner als Generalkonsulat auserwählt. Mitten in den dortigen Anlagen steht der altehrwürdige chinesische Tempel — das Wahrzeichen des alten Fischerdorfes Tsing- taukou. Hier weht der Odem der tiefsinnigen Weisheit des alten Laotse. Die verschiedensten bösen und guten Geister jeder Branche und aller Elemente werden um Hilfe und Beistand gebeten. Dieser Altar ist der „Tien- chu" der Göttin der See gewidmet, dort lächelt mit wohlwollender Miene ein Götze
— es ist der Spezialist für den Reichtum. Der Gott der Barmherzigkeit mußte sich teilen — zum einen beten Soldaten, die übrigen „Barmherzigkeitssuchenden" zur andern Fratze. — Zwischen den Gabeln der Rikscha keucht mein Führer. Bei 50 Grad Celsius ist es ja begreiflich. Aber er bellt und verschafft sich Platz. — Die Küstensorts, die einst gut geschützten Festungsanlagen, die Infanterie- Werke, die Tsingtau umgürten, liegen zerstört. Der Rost frißt an den freiwillig gesprengten Kasematten und Geschützen.
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in dem so mancher brave Kolonist schlummert, rankt wilder Efeu um die zerfallenden Kirch- hoskreuze und versucht die Namen unserer Landsleute an der fernen Küste des Gelben Meeres vergessen und unkenntlich zu machen. Im Laufe der Zeiten werden diese bleichen Embleme des Todes mehr und mehr verwittern, die weinenden Zypressenbäume, die im Tropenwind mit klagenden Aesten über die Gräber unserer Volksbrüder streichen, werden einmal nicht mehr sein, die Marmortafel, die den alten markanten Spartanersatz eingemeißelt trägt: Wanderer, kommst du nach Hause, so melde, daß du uns hier liegen gesehen, wie das Gesetz es befahl — sie kann verwittern, aber unauslöschlich wird dem deutschen Volke die Erinnerung bleiben an die Männer und Frauen, die in zähem Fleiße und vorbildlicher Vaterlandsliebe deutsche Kulturwerke geschaffen haben, und deren Liebe zur Heimat so groß war. daß sie ihr Leben dafür gaben. Die deutschen Straßenschilder der Stadt sind wackelig und wurmstichig geworden. Die Wegmarkierungen, die zu den nahen Bergen führten, sind von Japanern entfernt worden
— es waren nach ihrer Ansicht strategische
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faß übernommen. Das im Pavilloustst erbaute Garnisonlazarett heißt heute „Doijukai Tsingtao Hospital" und ist Eigentum einer charitativen Vereinigung in Tokio. Diele japanische Aerzte find dort beschäftigt und besonders bei Japanern erfreut sich das Haus eines guten Rufes. Aus unseren! früheren Seemannshaus, das als Erholungsheim für die Mannschaften der Garnison in Tsingtau und der deutschen Schisse bestimmt war, ist die „Japanese Hall" geworden — das Klubhaus für die japanische Gemeinde. Leben doch heute etwa 15 000 Japaner neben 60 000 Chinesen in Tsingtau, dazu 3000 Russen und — nicht einmal 200 Deutsche. Daß dieses Bevölkerungsverhältnis einmal anders war. davon zeugt jedes Haus, jeder Park, ja vielleicht jeder Alleenbaum, der dort grünt, denn Tsingtau war deutsch, war es gerne und ist seinem äußeren Wesen nach auch deutsch geblieben. Heute fahren noch die Autos rechts wie sonst nirgends in ganz Ostasien. Die kleine deutsche Gemeinde erfreut sich heute noch größter Beliebtheit, denn die Ansiedler haben einstens nicht bloß Arbeit und Wohlstand mitgebracht, sondern auch den ehrlichen Willen zur Verständigung. Und dieses Verhältnis zu den Eingeborenen hat sich bis zum heutigen Tag bewährt. Wo bleiben da die Behauptungen von der mangelnden deutschen Kolonisatiousfähigkeit? Es ist deutsche Leistung, daß dieses Kleinod fern an der Küste des Pazifischen Ozeans all diese Stürme und Wirren. Belagerungen und Handelskrisen übcrstehen konnte. Wenn nun ein äußerer und innerer Zerfall eingesetzt hat, dann sind schuld daran feindliche Kanonenkugeln, die 1914 in dieses Kulturwerk Bresche geschlagen haben.
Bezeichnungen, die gefährlich werden konnten. also mußten sie verschwinden. Aber in den Straßen, wo einst unsere stolze Kolonialtruppe mit singendem Spiel in strammem Schritte marschierte, in diesen Straßen, wo japanische Soldateska acht Jahre lang mit aufgepflanztem Bajonett Ordnung schaffen wollte, wo chinesische Räuberhauptleute mit vielen Fahnen, viel Beutegier und viel Unordnung durchzogen, in diesen gleichen Straßen schleicht heute das Gespenst des Zerfalles. — So vergeht der Ruhm der Welt. Der Segen, der einem ehrlichen Unternehmen von überirdischer Macht zuteil war. ist verwirkt. Deutscher Fleiß und deutsche Arbeitsfreude ist chinesischer Apathie, konfuzianischer Lethargie gewichen. Träge hängt vom Flaggenturm des Gouverneurhauses das chinesische Hoheitszeichen. Flauer Geschäftsgang. Fallende Konjunktur. Viele gute Ansätze, keine Möglichkeit zum Reiswerden.
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darum keine Ernte. — Tsingtau von heute. — Ist es die Rache und der Fluch der toten Helden, die Blut und Leben dort gelüsten? Ist es der Fingerzeig einer ausgleichenden Gerechtigkeit?
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Still vom Sturm der Kanonaden Ruhen aus die Kameraden,
Die Soldaten und Matrosen,
All die vielen Namenlosen In der Erde, tief im Meere:
Brüder in dem Geisterheere!
Blut verbindet uns mit allen,
Die im Schlachtfeld find gefalle»,
All den vielen Namenlosen Der Soldaten und Matrosen,
Die nun frei sind aller Schwer«
Brüder in d m Geisterheere!
Dunkel alle Toten schweigen.
Aufwärts unsre Hymnen steige«.
Den Soldaten, den Matrosen,
Den verstummten Namenlosen Glorie und letzte Ehre:
Brüder, Brüder in dem Geisterheere!
Max Barthel,