Freitag, 19. Oktober 1934
108. Jahrgang
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Des tote« KSoigs letzte Fahrt
Der feierliche Trauerzug durch Belgrad / Ein Volk trauert um seinen Einiger
Belgrad, 18. Oktober.
Tie Beisetzungsscierlichkeiten für den verstorbenen König Alexander begannen ain Tonnerstag um 8 Uhr m der Kathedrale unter dem Geläut aller Glocken und unler Lrauersalnt der Land- und Schiffsbatterienp Tic kirchliche Einsegnung vollzog der Pa- triarcli mik Hilfe der gesamten hohen Geistlichkeit der Hauptstadt. In den Straßen wartete eine gewaltige Menschenmenge. Da Zehntansende, die ans dem ganzen Lande ge- tommen waren, keine Unterkunft gefunden hatten, waren die Straßen schon die Nacht hindurch von einer gedrängten Menschenmenge gefüllt. Seit dem Morgengrauen kreisten unaufhörlich Bombengeschwader über der Stadt.
Von der Kirche aus bewegte sich der Lrauerzug um 9.30 Uhr am Alten Schloß vorbei zum Bahnhof durch ein vielgliedriges lückenloses Spalier, das auf der einen Seite von der Armee, aus der anderen Seite von der Bevölkerung gebildet wurde.
Der TrauerZug
bot ein großartiges Bild. Er wurde durch ein mächtiges Kreuz eröffnet, das von Garde- unterosfizieren getragen wurde. Dann folgte eine Abteilung Gardekavallerie in ihren blauen, rotverzierten Uniformen. Es folgten Ne Fahnen sämtlicher südslawischer Regimenter, eine Abteilung Gardeinfanterie in dunkelblauen Mänteln und schwarz-roten Feldmützen, eine französische Jnfan- terieabteilung in hellblauen Uniformen und eine Marineabordnung. Besonderes Aufsehen erregte eine englische Matrosenkompanie der Mittelmeerflotte, die mit gesenktem Gewehr im Auge schritt. R u- mänische Abteilungen folgten in blauen Blusen mit weißen Riemen und reicher Goldverschnürung. Tschechoslowakische Infanterie marschierte in steingrünen Mänteln vorbei. Die türkischen Loldaten waren von Kops bis Fuß in Grau gekleidet. Das farbenreichste Bild bot Las griechische Militär mit seinen schwarzen Opanken, weißen Trikothosen, bauschigen, faltenreichen Röcken und roten Mützen mit schwarzen Quasten. Ihnen folgten Abteilungen der südslawischen Armee in Feldunisorm.
Nach dem Vorbeimarsch der Soldaten und des Totenzeremonialmeisters mit den Rittern des Karageorge-Sterns erschien im Zuge die Geistlichkeit aller Konfessionen, unter ihnen auch der Bischof der deutsch-evangelischen Landeskirche, Dr. Popp, sowie die katholischen Erzbischöfe von Belgrad und Agram. Den Schluß bildeten die griechisch-katholischen Patriarchen und Bischöfe in goldstrotzenden Gewändern mit der Tiara.
Tiefe Bewegung ging durch das Volk, als das Lieblingspferd des Königs, geführt von Zwei Gardeoffizieren vorbeischritt. Hinter dem Pferde trugen auf violettem Sammetkissen die höchsten Würdenträger des Heeres und der Marine die Kroninsignien: die Krone, das Szepter, den Apfel, das Banner sowie Degen des Königs.
Lnnles Weinen und Wehklagen
kündigte das Herannahen der Lafette an, auf bsr der Sarg ruhte. Soweit es das Gedränge zuließ, warfen sich die Menschen auf ! dt» k„ie. Die Lafette wurde nicht von Pfer- i den, sondern von Garbesoldaten aller Truppengattungen gezogen. Der Sarg war schlicht. Die Prächtigen Kränze wurden auf 30 schwarzverhängten Lastautomobilen der Lafette vorangeführt. Die größten unter ihnen wurden von Offizieren getragen, darunter auch die beiden Kränze, die ^- nsterpräsident A.vr i n g an der Bahre niedergelegt hatte. Die Vorbeifahrt des Sarges verbreitete tiefe Ergriffenheit unter der Menge. Hinter dem ^arge schritten in tiefstem Schwarz die Mit- ^ Nieder der königlichen Familie, die Königin Maria von Südslawien, die ^»manische Königinmutter und ErinzPaulin Zivil;' der junge König Erster II. ging in Sokoluniform an der ^-ne seiner Mutter. Der königlichen »Familie
folgten die fremden Staatsoberhäupter, unter ihnen die Könige von Rumänien und Bulgarien sowie der Präsident der französischen Republik Lebrun. Dann kamen die Führer der 22 ausländischen Abordnungen, die zu den Beisetzungsseierlich- ketten entsandt worden waren.
Der Preußische Ministerpräsident Hermann Göring schritt in der ersten Reihe der Abordnungen. Alle Blicke richteten sich auf ihn, denn er steht wie kein anderer ausländischer Vertreter im Mittelpunkt des sympathischen Interesses der südslawischen Oessentlichkeit.
Den auswärtigen Abordnungen folgten die Mitglieder der Negierung, die ehemaligen Ministerpräsidenten, unter denen der Slowene Dr. Koroschetz aufsiel, die Mitglieder des Senats und der Skupschtina und die unabsehbare Reihe der Vertretungen aller großen Organisationen und Vereine im Staat. Auch eine Zigeunerkapelle schritt im Zuge mit und spielte Trauerweisen.
Der Vorbeimarsch des Zuges währte bis zu dem Augenblick, als die Lafette mit den sterblichen Üeberresten des Königs in Sicht kam, fast eine Stunde. Der Zug bewegte sich langsam zum Bahnhof, wo die Lafette vor dem Eingangstor hielt. Dort defilierten zum letzten Male die Generale und alle am Zug beteiligten südslawischen und auswärtigen Militärabteilungen vor dem toten König. In der Bahnhofshalle wartete indessen ein Sonderzug, der den Sarg nach Topola, SO Kilometer südlich von Belgrad bringt.
Auf allen Stationen der Strecke ist die Bevölkerung versammelt, um dem König die letzte Ehre zu erweisen. Der Zug traf um 13 Uhr in Topola ein. Ministerpräsident Göring und die anderen Vertreter auswärtiger Regierungen begleiteten den König auf der letzten Fahrt. In Tovola wird der Sarg von der Bevölkerung aus dem Wagen gehoben und in die Stiftungskirche Peters I. nach Oplenatz gebracht. Die Kirche liegt auf einem Hügel und blickt weit ins Land hinaus.
Erklärung des Ministerpräsidenten Göring an die südslawische Presse
Der preußische Ministerpräsident Hermann Göring empfing am Mittwochabend in der deutschen Gesandtschaft mehrere Belgrader Pressevertreter, denen er folgende Erklärung über die im deutschen Volke herrschende Meinung über den verewigten König Alexander l. abgab:
„Der Reichskanzler und Führer des deutschen Volkes, Adolf Hitler, wurde von dem Iranischen Tode Alexander l., der Süd-
slawieu seines Königs beraubte, tief berührt. Aus Ehrfurcht und Acbtung sowie tiefem Mitgefühl für den Schmerz des südslawischen Volkes bat sieb der Führer und Neiclsskanzler entschlossen, zur Beerdigung Alexanders I. auch mich, seinen nächsten Mitarbeiter, zu entsenden. Das ganze deutsche Volk hegte große Wertschätzung und tiefe Achtung vor dem verewigten König sowohl als Staats- mann, als aucki als Soldat. der es im Kriege und im Frieden verstanden hatte, sein Lauo zu 'Zützen und zu hüten. Mt meiner Entsendung wollte Reichskanzler Hitler dokumentieren. wie sehr er in der Person Ihres großen Königs seinen früheren tapferen Gegner und späteren Freund, sowie auch den allerstärksten Garanten für den Frieden und das Gleichgewicht Europas schätzte. König Alexander I. war einer der wenigen Herrscher, die es verstanden hatten, mit einem Schlage allem Mrteihader ein Ende zu bereiten und das faule demrck''""tche System zu entfernen und mit seiner großen Autorität den Grundpfeiler für ein einiges Südslawien zu schassen. Nur ihm ist es zu verdanken, daß Südslawien ein Land des Friedens und der Ordnung wurde.
Unser Führer und Reichskanzler Adolf Hitler ist durchdrungen von dem Wunsche, mit Südslawien in den allerbesten Verhältnissen zu bleiben und aufrichtige Beziehungen zu unterhalten. Die Reisen von angesehenen Deutschen hatten u. a. auch den Zweck, mit Ihrem Volke und Ihrem Lande bekannt zu werden, damit mit Südslawien immer engere Beziehungen hergestellt werden können. Es ist unser aller Wunsch, daß auch nach Deutschland möglichst viele führende Persönlichkeiten kommen, damit sie hören und sehen, wie in unserem Lande Südslawien und das südslawische Volk geschätzt und geachtet werden. Das deutsche Volk empfing die Nachricht von dem Attentat mit aufrichtigem Mitgefühl und tiefer Niedergeschlagenheit Als Chef der deutschen Polizei kann ich Ihnen versichern, daß die deutschen Behörden für den Fall, daß auch nur ein Attentäter auf deutsches Gebiet fliehen sollte, alle Maßnahmen ergreifen werden, um dieses gemeine, nichtswürdige Verbrechen, welches Ihnen den König und weisen Staatsmann raubte, zu enträtseln. Außerdem seien Sie versichert, daß das heutige Deutschland in seinen Grenzen niemals eine südslawische Organisation dulden wird, die an der Zerstörung Ihres autoritativen Systems arbeitet.
Unser Führer Adolf Hitler wünscht im Interesse des europäischen Friedens ein starkes und einiges Südslawien, wie es von Ihrem verewigten König geschaffen wurde.
Nocheinmal wiederhole ich, daß der furchtbare Tod des ritterlichen Königs Alexander I. sowohl den Führer als auch das gesamte deutsche Volk tief erschüttert und aufrichtiges Mitgefühl erweckt hat."
Mi die Flottenkonserenz l«s Wasser?
Pessimistische Beurteilung der Londoner^Vorbesprechungen
llvv. Berlin, 18. Oktober.
In Berliner politischen Kreisen weist man zu der bevorstehenden Fortsetzung der Vorbesprechungen für die Flottenkonserenz 1935 darauf hin, daß allgemein ein hoher Grad von Pessimismus an den Tag gelegt wird. Besonders in der englischen Presse wird bereits erwogen, ob im kommenden Jabre überhaupt eine Flottenkonferenz einberusen werden soll. Schon jetzt scheint sich herausgestellt zu haben, daß die Gegensätze zwischen dem Standpunkt Japans, Frankreichs, Amerikas und Englands unüberbrückbar sind. Deutschland hat alle Ursache, aus dem Scheitern der Genfer Abrüstungskonferenz ferne Schlüsse zu ziehen; und das umso eher, als alle an der Flottenkonserenz beteiligten Staaten schon jetzt die größten Anstrengungen machen, die ihnen vertraglich mögliche Verstärkung ihrer Seerüstung noch mit Ablauf des Jahres 1934 bis zur Neige aus- zunützen. Es hat sogar den Anschein, als ob in gewissen Staaten sehr bemerkenswerte Pläne feste Formen angenommen hätten, die noch weit über den Rahmen des Washing
toner Abkommens hinaus zielen: Pläne, die nicht geeignet erscheinen, eine Atmosphäre der Beruhigung zu schaffen.
Es wird dabei aus die fast sensationell wirkende Veröffentlichung des „Daily Telegraph" hingewiesen, der den Nachweis zu führen versucht, Frankreich werde schon im nächsten Sommer die stärkste Seemacht im Aermelkanal sein und dadurch in den Stand gesetzt werden, im Falle eines Krieges die Verschiffung seiner afrikanischen Hilsstrup- pen über seine atlantischen Häfen zu leiten, anstatt das gefährliche Mittelmeer zu passieren.
Abschließend fei der Standpunkt des an der Konferenz unbeteiligten Deutschlands dahin umschrieben, daß der Versailler Vertrag unzweifelhaft das Versprechen der Abrüstung auch auf die hochgerüsteten Seemächte bezieht. Der Pessimismus, der sich hinsichtlich der Genfer Abrüstungskonferenz als berechtigt erwiesen hat, muß notwendigerweise auch auf das Zustandekommen und besonders auf das etwa zu erwartende Ergebnis der Flottenkonserenz angewandt werden.
Verhaftung führender küdflatvjfther Emigranten in Turin
Rom, 18. Oktober.
Wie amtlich mitgeteilt wird, sind auf Ersuchen der französischen Justizbehörde in Turin zwei Südslawen verhaftet worden und zwar der im Zusammenhang mit dem Marseiller Mordanschlag schon mehrfach genannte Eugen Kwaternik sowie ein Dr. Anton Pawelitsch. Bei dem letzteren soll es sich um den bekannten Führer der kroatischen Emigranten handeln. Die beiden Verhafteten wurden eingehend Verhört, leugneten aber jede Beteiligung an der Mar- seiller Bluttat. Sie wurden einstweilen dem Gerichtsgefängnis von Turin zugeführt.
Am die Aufklärung des Marfelller Anschlages
Wutanfall Leon Blums
Paris, 18. Oktober.
Die „Ere Nouvelle" verlangt restlose Aufklärung der Hintergründe deS Marseiller Anschlages und sieht die einzige Möglichkeit in der Anrufung des Völkerbundes. Das Blatt schreibt u. a.: Wir wollen sicherlich nicht glauben, daß gewisse ausländische Staaten bei dem Marseiller Drama mitverantwortlich sind. Damit die Weltöffentlichkeit aber aufgeklärt werden kann und um gewissen Gerüchten entgegentretea zu können, muß der Völkerbund handeln und sprechen.
Im marxistischen „Populaire" benutzt Leon Blum die Gelegenheit des Marseiller Anschlages. um ohne längere Vorrede den „internationalen Faschismus" für die Ermordung des südslawischen Königs verantwortlich zu machen. Alle Vorsichtsmaßnahmen der Regierung und die Wutausbrüche der reaktionären französischen Presse könnten es nicht verhindern, daß der italienische Faschismus und sein Führer aus frischer Tat ertappt worden seien. Der Marseiller Anschlag sei eine Angelegenheit deS internationalen Faschimus, jener heiligen faschistischen Allianz, die ihren Sitz in Rom habe.
Abwarkende Haltung m Budapest
Die erregte Stimmung der letzten Tage in der hiesigen Oessentlichkeit ist einer abwartenden Haltung gewichen. Die Blätter berichten in ruhigem zurückhaltendem Ton über die Belgrader Trauerfeierlichkeiten. Auf Anordnung des Reichsver- "wesers Horch haben sämtliche öffentlichen Gebäude Halbmast geflaggt.
Man will hier jetzt das Ergebnis der Freitag-Konferenz der Kleinen Entente und die weitere Entwicklung des internationalen Kräftespieles abwarten, wobei die Hoffnung auf einen mäßigenden Einfluß der englischen Regierung zum Ausdruck kommt. Die durch ^en Marseiller Anschlag entstandene internationale Spannung wird von der hiesigen Oessentlichkeit noch nicht als überwunden angesehen. Die Besorgnis, daß der tschechoslowakische Außenminister auch weiterhin die Demütigung und Isolierung Ungarns — Neubindungen der Kleinen Entente an Frankreich — betreibe und in der allernächsten Zeit eine Verschärfung der italie- nisch - südslawischen Beziehungen eintreten könne, kommt in der Presse wiederholt zum Ausdruck. Die Prager Regierung, besonders die Person deS Außenministers Benesch, ist dabei nach wie vor Gegenstand stärkster oft Persönlich gehaltener Angriffe.
Deutsches Turnen in Sefterretch wieder erlaubt
«k. Wien, 18. Oktober.
Nach den Ereignissen des 25. Juli wurde bekanntlich dem Deutschen Turnerbund in Oesterreich jede Betätigung verboten und ein Regierungskommissar an Stelle der bisherigen Bundesturnleitung gesetzt. Nunmehr hat der Bundeskommissar 52 Vereinen des Deutschen Turnerbundes den Turnbetrieb' wieder gestattet. Weitere Bewilligungen sollen in den nächsten Tagen folgen.