Der GefeLschaft«
Montag, den 24. September IWk
Ich bitte «m Auskunft....
Briefkasten des «Gesellschafters*
Unter Steter Rubrik veröffentltSen wir Sie auS unserem Leserkreis an die Redaktion gerichteten Anträgen. Den Fragen ist jeweils die lebte Abonnementsauittung beizulegen, serner Rückoorto. falls briefliche Auskunft gewünscht wird. Die Beantwortung der Anfragen erfolgt jeweils Samstags. Für die erteilten Auskünfte übernimmt die Redaktion nur die vretzgesebliche Berantwortung.
H. R. T. Wir können Ihnen nicht ohne weiteres den Lohntarif der Gipser Mitteilen, Sie haben vergessen anzugeben, ob Sie Geselle. Lehrling oder Meister sind, serner müssen wir zur Beantwortung Ihr Alter und den Ort Ihrer Tätigkeit wissen. Wir raten Ihnen, sich an die Verbandbezirksleitung des Baugewerbes. Stuttgart. Eß- linger Straße 19, zu wenden, dort erhalten Sie erschöpfende Auskunft.
Religionssache. In einer gemischten Ehe, in der die Frau katholisch ist. muß diese an Kirchensteuer für das Jahr 1934 die Hälfte von 11 Prozent der Lohnsteuer ihres Mannes im Jahre 1933 bezahlen.
H. D. Vrk. Wir raten Ihnen, sich wegen des Verkaufes von Altbesitzanleihen an den Leiter der Effektenabteilung der Städt. Spar- und Girokaffe, Stuttgart, Königstraße, zu wenden.
Eichelnsammler. Die Eicheln werden hauptsächlich den Schweinen gefüttert. Sie können sie aber auch Ihren Hasen und Ziegen füttern. Allerdings nicht als Hauptfutter, sondern nur als Neben- sutter. Da die Gerbsäure, die die Eicheln enthalten, Verstopfung herbeiführen, dürfen Sie den Hasen täglich nur 50—80 Gramm und den Ziegen 250 Gramm füttern und auch hier sollten Sie als Laxiermittel Rübenblätter und anderes Grünzeug zur Gegenwirkung dazugeben. Die Eicheln müssen zum Trocknen gut ausgebreitet werden, damit sie nicht schimmeln. Am besten rösten Sie sie im Backofen. Absatzquellen find Schweinemästereien (Preßmar, Giengen-Fils) und Tiergärten (Doggenburg Stuttgart, Dischingen, Riedlingen, Ravensburg, Wolsegg). Grundsätzliches zu dieser Frage finden Sie im landwirtschaftlichen Wochenblatt 1931, Nr. 45.
W. Sch. Wir sind der Ansicht, daß eS Sache des Hauseigentümers ist, die Haustürklingel reparieren zu lassen und daß Sie Reparaturen nur innerhalb Ihrer Wohnung selbst aussühren und bis zu einer gewissen Höhe (die aber in Ihrem Mietvertrag auch nicht angegeben ist) bezahlen müssen. Auch hat der Hauseigentümer für die Möglichkeit zu sorgen, daß Sie, nachdem er die Haustüre abschließt, doch erreicht werden können. Setzen Sie dem Hauseigentümer eine Frist, innerhalb derer Sie um Behebung des Mißstandes ersuchen, widrigenfalls Sie die Reparatur auf feine Kosten aussühren lassen würden.
K. W. Die Sparkasse kann auf der Bezahlung von den 300 Mark bestehen bleiben, nachdem Sie offenbar mit dem Acker die Hypothek übernommen haben. Es besteht für Sie lediglich die Möglichkeit, die 300 Mark von Ihrem Bruder wieder zurückzufordern. Grunderwerbssteuer muß lediglich von der Summe des Kaufpreises, den Sie bezahlt haben, entrichtet werden.
F. K. Auch die zweite Frau erhält, sofern sie die Voraussetzungen erfüllt, das Witwengeld der Invalidenversicherung. Die Voraussetzungen find, daß sie entweder Invalide ist oder über 65 Jahre
alt. Sie erhält an Witwengeld von den Steigerungsbeträgen die Hälfte sowie den ganzen Grund- betrag. Bei der Militärrente erhält die Witwe, auch wenn es sich um die zweite Frau handelt, die vorgeschriebenen Sätze. Diese sind, wenn der Mann ein ungelernter Arbeiter war, rund 33 Mark. Bei gelernten Arbeitern, Handwerkern usw. 45 Mark. Gehörte der verstorbene Mann einer höheren Berufsgruppe an, so beträgt das Witwengeld 56.90 Mark.
K. Sch. Sie haben wohl, wenn Sie von Kapi- talsteuer sprechen, die Vermögenssteuer im Auge. Sie wird bei unbeschränkt Steuerpflichtigen dann nicht erhoben, wenn das abgerundene Vermögen 20 000 Reichsmark nicht übersteigt. Wir raten Ihnen, für alle Fälle einmal beim Finanzamt vorzusprechen und sich über Ihre Steuerpflicht zu erkundigen.
Ob. Sch. Durch das Gesetz „lieber einige Maß- nahmen auf dem Gebiete des Kapitalverkehrs' wurde die gesetzliche Stundung der hypothekarisch gesicherten Forderung, die bereits durch die Not- Verordnung vom 11. November 1933 bis 1. April 1934 versügt wurde, um ein weiteres Jahr verlängert, so daß der Gläubiger die Rückzahlung der Forderung nicht vor dem 1. April 1935 ver- langen kann. Demnach hat also Ihr Schuldner recht.
A. B. Ihr Nachbar ist nicht berechtigt, sein Abwasser auf Ihr Grundstück zu leiten. Er hat solche Vorkehrungen zu treffen, daß diese Zuleitung unterbleibt.
G. St. Es bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig, als sich einmal bei der Polizei zu erkundigen, ob gegen den Motorradfahrer ein Strafverfahren eingeleitet worden ist. Ist dies der Fall, dann wird der Strafprozeß ohne Ihr weiteres Zutun durchgeführt. Wir raten Ihnen dann, den AuSgang des Strafprozesses abzuwarten und erst dann Schadenersatzklage beim Amtsgericht zu erheben. Wird kein Strafprozeß geführt, so können Sie diesen Schadenersatzprozeß direkt be- ginnen. Wenn natürlich der Motorradfahrer überhaupt keine Schuld an dem Unfall hat, dann wird es fraglich sein, ob Sie diesen Zivilprozeh gewinnen. Auf Grund Ihrer Angaben können wir dies natürlich nicht ohne weiteres entscheiden.
I. Schm. Falls die Hecke innerhalb Etters ist. beträgt der gesetzliche Abstand 50 Zentimeter. Bei diesem Abstand darf die Hecke nicht höher als 1,50 Meter hoch sein. Ist der Abstand größer, so darf die Hecke um das Maß höher sein, als der Abstand über den gesetzlichen Abstand hinaus größer ist. In Ihrem Fall darf also die Hecke 1,60 Meter hoch sein.
F. R. Es bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig, als die Gemeinde zu ersuchen, den Mieter irgend- wie unterzubringen, sei es nun im Armenhaus oder sonstwo. Es kann Ihnen auf die Dauer nicht zugemutet werden, den Mann länger umsonst zu behalten. Hier hat die .Gemeinde die Pflicht, einzuspringen.
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Vor 5« Jahre (1884)
Nachdem die alte Friedhofkapelle einer gründlichen Erneuerung unterzogen wurde, dient sie bei Leichenbegängnissen als Versammlungsort und zur Abhaltung von Gottesdiensten.
Die erledigte Stadtpflegerstelle in Nagold wurde Gemeinderat L. Kapp übertragen.
In Nagold wird das 2. Landwirtschaftliche Gaufest abgehalten.
Eine Meldung besagt, daß die Hopfenernte in Nagold am 15. 9. 1884 beendet sei. Die Dolden waren prachtvoll und von köstlichem Aroma und der Ertrag von sämtlichen Pflanzern unterschätzt.
Dr. med. M a u k, tritt die neue Distriktsarzt- stelle in Haiterbach an.
Infolge Ablebens des bisherigen Eigentümers, Buchhändler Karl Hoffmann-Stuttgart ist von dessen Erben das Bad Tein ach mit Anwesen Quellen und Inventar dem Verkauf ausgesetzt. Der jährliche Wasserversand nach Stuttgart betrug damals 200 000 Krüge und Flaschen.
In Stuttgart sind in der Rotebühlkaserne über 200 Soldaten an Typhus erkrankt.
Das Jubiläum seiner 25jährigen Wirksamkeit in der Gemeinde Zwerenberg beging Schullehrer Hahn.
Bor 25 Jahren (1809)
Regierungsrat Ritter, der nach Neckarsulm und Amtsrichter Schmid. der nach Weinsberg versetzt wurde, verabschieden sich von Nagold.
Die Geschwister Boucher gaben im Hotel „Post" eines ihrer beliebten Instrumentalkonzerte.
Im Kurhaus „Waldlust" wurden die ersten Anfänge der Kinematographie durch ein Wanderkino gezeigt.
An Stelle von Pfarrverweser Götz, kam Stadtpfarrer Haug nach Altensteig.
In Wildberg wurden der scheidende Bahnhofverwalter Schuhmacher und Schullehrer Zimmermann verabschiedet.
Das Zeppelinluftschiff 2 3 fuhr am 22. September erstmals über unsere Gegend.
Der Schwarzwaldverein feiert sein 25jähri- ges Jubiläum.
Das Anwesen des Christian Kirchherr, Sägewerk und Holzhandlung in Station Tei- nach ging um den Preis von Mk. 66 000 an den Gemeindeverb. Elektrizitätswerk Calw über.
Das Kaiserpaar ist in Stuttgart eingetroffen. auf dem Cannstatter Wasen fand unter Beteiligung des ganzen XIII. Württ. A. K. die Kaiserparade statt, der sich das Kaisermanöver anschloß.
Pünktlich bezahlen?
Pflicht- und Verantwortungsbewußtsein sind unerläßlich für alle wertvollen menschlichen Handlungen. Dieses Pflicht- und Verantwortungsbewußtsein muß deshalb als selbstverständlich auch zwischen Käufer und Verkäufer gepflegt werden. Wie der Käufer mit Recht verlangen darf, daß sein Lieferant ausreichend fachlich geschult ist. die Warenvermittlungen sauber, pünktlich und höflich durchführt und die Preisgestaltung innerhalb der gesetzlichen Grenzen vörnimmt, — so steht dem Handwerker und dem Einzelhändler ein gleiches Recht zu, von seinem Kunden eine pünktliche Bezahlung seiner Rechnungen zu erwarten.
Der „kleine Mann" fühlt viel eher die Berechtigung der pünktlichen und genauen Zahlungsforderung und verhält sich deshalb auch meist entsprechend bei jchrer Erfüllung. Er erlebt ja täglich am eigenen Leibe die Notwendigkeit pünktlicher und genauer Leistungs
zahlung. Freilich es fällt ihm oft bitter schwer, aber eben deshalb kann er auch den Handwerksmeister und Einzelhändler verstehen und wird ihnen darum auch besser gerecht. Dagegen vermögen die sogenannten „besseren" Kundenkreise die Not ihrer Lieferanten nicht immer im notwendigen Maße mitzufühlen und sind meist verwundert oder gar beleidigt, wenn sich der Handwerksmeister oder Einzelhändler wohl gar erlaubt, den Betrag für seine Leistung oder Ware höflich anzumahnen. In solchen Fällen, in denen Handwerk und Einzelhandel nicht mehr als ihre Pflicht tun. wagt man heute noch gelegentlich einfach mit Lieferantenwechsel zu drohen.
Hier muß ganz offen erklärt werden, daß der Gedanke: „Ach. mein Lieferant wird schon mit der Bezahlung warten, bis es mir paßt, denn er hat ja Angst, daß ich künftig meine Einkäufe anderweitig tätige". — dem nationalsozialistischen Wollen entgegengesetzt ist. weil er an Schlechtigkeit grenzt und deshalb heute keinesfalls mehr geduldet werden darf.
Alken denen, welche auch heute noch immer glauben, irgend eine Kaufhandlung einseitigwillkürlich führen zu können, sei deshalb gesagt: Handwerksmeister und Einzelhändler können ihre Steuern, ihre Lieferanten, die Löhne und Gehälter für ihre Gesellen und Angestellten sowie die lebensnotwendigen Unterhaltungskosten für sich und ihre Familie nur dann pünktlich und richtig bezahlen, wenn sie auch ihre Rechnungen ebenso pünktlich und richtig von ihren Kunden bezahlt erhalten. Der Kunde soll auch bedenken: pünktliches Bezahlen schafft erst Arbeit!
Die Reichsbahn bezahlt
für besondere BerdieiW
In einer Verfügung des Generaldirektors der Deutschen Reichsbahngesellschaft wird, im Hinblick auf die außerordentliche Arbeit der Eisenbahner anläßlich der großen Veranstaltungen wie Reichsparteitag, Tannenberg, Saarkundgebung usw. ausgeführt, daß die Deutsche Reichsbahngefellschaft es nicht bei dem Ausdruck der A n e r k e n n u n g für die Gesamtleistung bewenden lafsen wolle. Es solle vielmehr den Bediensteten, die sich bei der Vorbereitung und Durchführung durch ein besonderes Maß von Arbeitsaufwand hervorgetan haben, eine e i n m a li g e Geldzuwendung gewährt werden.
ZtisaMMIllMNS
zersplitterten Grundbesitzes
Eine rationelle Bewirtschaftung der dem deutschen Volke zur Verfügung stehenden landwirtschaftlichen Grundfläche macht es zur zwingenden Notwendigkeit, der insbesondere bei uns in Württemberg so stark auf- treteuden Parzellierung des bäuerlichen Grundbesitzes Einhalt zu gebieten, bzw. eine Zusammenlegung des zersplitterten Grundbesitzes anzustreben. Zu diesem Zwecke hat der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft einen Beitragvonmehr als zwei Millionen Mark aus Haushaltsmitteln bereitgestellt, die dazu dienen sollen, die Umlegungstätigkeit auf Grund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung zu steigern.
Die Beihilfen werden der Gesamtheit der Umlegungsbeteiligten gewährt und sind ausschließlich zur Herabminderung der Kosten bestimmt, die durch die Planung, Vermessung usw. entstehen. Gerade diese Kosten sind es oft gewesen, die die Bauern seither davon abgchalten haben, die Umlegung in die Wege zu leiten. Diesem Uebelstaude wird nun durch die zur Verfügung gestellten Mittel abgeholfen.
Humor
Die Erbschaft
„Wie elegant du plötzlich aussiehst! Du hast wohl geerbt?"
„Erraten!"
„Darf ich fragen, was?"
„Diesen Anzug!"
„Also der Kammerjäger, der Ihnen die Rat- len und Mäuse vertilgen soll, wohnt in der
Lützüwslraße - - leicht zu behalten: Denken Sie nur an Lützows wilde, verwegene Jagd!"
Problem
„So ein Buch ist doch etwas besonderes", sagt Otto, „immer gibt es einem Fragen auf".
„Gewiß", stimmt Püterich zu. „Welche Frage bedrückt dich denn jetzt?"
„Ich möchte gar zu gerne wissen, wie man es macht, so ein Buch zu drucken, ohne die Blätter aufzuschneiden."
von oscirun
SopMM 1«Z dx krom»-
Ds«u wechselte sie das Thema.
„Laß uns noch ein wenig hinausfahren', sagte sie zärtlich. „Du bist scheinbar verstimmt und verärgert. Ich muß Dir noch von unserer Gesellschaft gestern erzählen.'
Stumm erhob sich Overberg und führte sie zum Wagen...
16. K a P i t e l
Der erste Tag wieder in Berlin.
Es ist Abend geworden, kalter, häßlicher Winterabend in einer Großstadt. In den Bergen liegt jetzt funkelnder Schnee, ist es ftosttlar und schön. Rauch und Dampf der Großstadt haben die Schneedecke gelöst, eine schmutzige, nasse, graue Schicht liegt auf den Bürgersteigen: es ist kalt und feucht, und die nasse Lust dringt empfindlich durch die Kleider. Fröstelnd und eilig, unfreundlich und mürrisch rennen die Menschen, die Köpfe tief in den Mantelkragen geduckt, aneinander vorbei.
Erika springt am Potsdamer Platz aus dem überfüllten Omnibus. Sie geht auf ein kleines Kaffee in der Nähe des belebten Verkehrszentrums der Großstadt zu, setzt sich an einen kleinen Tisch nieder und läßt sich einen heißen Tee bringen. Sie zittert vor Kälte und Aufregung.
Es war alles vergebens! Nach Schluß ihres Dienstes, den sie trotz des ihr bewil-
ligten Urlaubs angetreten hat, ist sie zum Sanatorium herausgefahreu. Achselzucken. Bedauern, ein paar freundliche Worte, von Robert keine Spur. Wieder in die Untergrundbahn lind zur Villa Bergmann heraus. Niemand da. Der alte Diener sieht sie mitleidig an. Nein, Herr Bergmann ist verreist. Herr Hellmanu? Nein, von dem wisse er nichts. Wieder zurück in die Stadt, zu Kriminalrat Genner. Er will die Verfolgung aufnehinen; heute natürlich, heute kann er nichts mehr tun ...
Erika schließt für einen Augenblick die Augen. Sie konzentriert sich ganz darauf, denn sie fühlt eine todmüde Schwäche in sich aufsteigen. Sie beißt die Zähne zusammen, sie ruft den Kellner und bestellt ein scharfes Getränk, das sie in hastigen Zügen austrinkt.
Als sie die Augen wieder öffnet, sieht sie einen forschenden Blick auf sich gerichtet.
Einen Augenblick muß sie sich besinnen, wo sie das scharfgeschnittene, kluge Gesicht schon gesehen hat.
Da ist auch Dr. Kernbach schon an ihren Tisch getreten.
„Fräulein Dr. Hellmann? Also, sehe ich Sie doch nochmal wieder? Ich habe mich schon erkundigt, wie es Ihnen geht, hörte aber, daß Sie verreist seien ..."
Erika Hellmann lächelt. Irgendwie tut es ihr jetzt gut, mit diesem schlichten, klugen Menschen zusammen zu sein.
Sie erzählt kurz von ihrer Reise. Unwillkürlich drängen sich ihr Worte, die sie sonst niemanden sagen würde, auf ihre Lippen. Sie spricht von ihrer Einsamkeit, ihrem Alleinsein, sie spricht wie zu einem Freund, ihre Wangen glühen wie im Fieber.
Kernbach hat nachdenklich zugehört. Er spürt, daß in diesem jungen Menschenkind irgendetwas zerbrochen ist, er läßt sie reden
und wirft nur ab und zu ein freundliches, aufmunterndes Wort dazwischen.
Jetzt ist Erika fertig. Auf einmal wird sie rot. Es kommt ihr zum Bewußtsein, daß sie, die Zurückhaltende und Verschlossene, zu einem Fremden über sich gesprochen hat. Eine peinliche Verwirrung umfängt sie. Kernbach merkt es rmd legt beruhigend seine harte, magere Gelehrtenhand auf Erika Hellmanns zuckende Rechte.
„Ruhig", sagt er leise. „Sie haben viel Schweres durchgemacht, das spüre ich. Kommen Sie mit, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Gehen Sie mit mir heute abend in ein Kabarett. Zerstreuen Sie sich etwas, lassen Sie andere Eindrücke auf sich wirken, das braucht man ab und zu..."
Erika hat die schmalen Brauen abwehrend zusammengezogen. In ein lautes, lärmendes Lokal? Ihr ist nicht danach zu Mute. Dann denkt sie an die kleine, verlassene Wohnung, an die trüben Gedanken, die sie da umgeben ...
Sie sieht das ernste, kluge, mitfühlende Gesicht des Menschen vor sich. Einen Augenblick tauchen Rudolf Overbergs Züge vor ihren Augen auf, sie sieht, wie er sich überfeine schöne Braut beugt und ihr aus einem kostbaren Pelz hilft... Sie schließt die Augen, öffnet sie wieder. Kernbach schaut sie bestürzt an. Da lächelt sie.
„Ich komme gern mit", sagte sie entschlossen. „Aber ich kann nicht mehr nach Hause, dann würde es wohl zu spät werden ... Genügt dieses sehr einfache Kleid ...?"
Kernbach lächelt. „Das ist doch so gleichgültig", sagt er herzlich.
„Für eine Frau nicht", ineint Erika mit leiser, unbewußter Koketterie. Sie entschuldigt sich für einen kurzen Augenblick und geht in den Waschraum. Hier ordnet sie das üppig unter dem kleinen, schwarzen Filzhul
hervorquellende Haar etwas kleidsamer, streicht das schlichte, schwarze Seidenkleid, das sie noch von der Reise aus trägt, glatt, wäscht und pudert sich ein wenig und wirst einen kritischen Blick in den Spiegel.
Nein, sie ist keine elegante, blendende Erscheinung, wie Evelyn Ostin. Aber das schlichte, schwarze Kleid steht gut zu dem blassen, wm mattes Perlmutt schimmernden Ton der Haut, zu den blaßroten Lippen, dem natürlich gelockten, braungoldnen Haar. Sie fühlt das und wird zuversichtlicher. Ach, warum nicht einmal alles vergessen, einen Abend lang! Morgen nimmt Genner die Verfolgung auf, sie wird ihm Helsen, sie werden Robert suchen. Ihr Beruf fordert alle Kraft... warum heute nicht einmal alles vergessen? Kernbach steht ihr entgegen, als sie zurückkommt. Trotz ihrer Schlichtheit wenden sich viele Blicke ihr zu. wie sie mit leichten, sicheren Schritten durch den Raum kommt.
Kernbach sieht sie an, wie sie vor ihm sitzt, und ernst, sanft und tapfer, Frau und Kamerad. Er schweigt einen Augenblick lang und sucht nach einem Wort. Erika hilft ihm.
„Sollen wir jetzt schon gehen?"
Er sieht nach der Uhr. „Ja wirklich, es wird Zeit..."
„Und was schlagen Sie vor?"
Kernbach überlegt nicht lange. „Den Wintergarten", meint er.
Erika nickt zustimmend. Dann fügt sie sehr leise hinzu: „Haben Sie anch wirklich an diesem Abend nichts Besseres vor?"
Kernbach schüttelt den Kopf.
„Ich freue mich sehr, wenn Sie mit mir gehen", meint er einfach. „Genügt das?"
Er sieht Erika nachdenklich an. Sie ist langsam rot geworden.
Fortsetzung folgt.