23. Juli 1934.
Nr. 169
Dienstag, 24. Juli 1934
108. Jahrgang
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Sensationelle Debatte im englische« Oberhaus
Um die Verstärkung der Luftwaffen — Mitzbilligungsantrag der
Arbeiterpartei
Jas Neueste in Kürze
Der schon längst gesuchte amerikanische Bandit Dillinger wurde jetzt vor einem Kino in Chikago von der Polizei erschossen.
Im Hirtsieser-Prozetz erfolgte Freispruch der Angeklagten.
Roosevelt verkündete in einer Rede, daß auch die amerikanische Kriegsflotte ausgerüstet werde.
Im Oberhaus fand eine Debatte über die Verstärkung der englischen Luftflotte statt.
Ser Söhrer in VMlUH
Beginn der Vanreuthcr Festspiele
Bayreuth, 23. Juli.
Bayreuth ist in Feststimmung. Tie Siavt hat wieder einmal für vier Wochen ihr alltägliches Gewano abgestreifl und ist zur Großstadt geworden. Der Fremdenzustrom ist sehr groß. Das werktätige Bayreuth ist mit den festlichen Ereignissen auf dem Hügel fest verknüpft und auch daran beteiligt. Singen doch etwa 700 Bahreuther in den Chören mit. Aber auch die. die nicht unmittelbar mit den Ereignissen im Festspielhaus in Verbindung stehen, wollen dabei sein. Schon Stunden vor der Auffahrt sammeln sich wohl an die 20 000 Menschen.
Gegen 15 Uhr begann die Auffahrt, die einen Verkehr brächte, der stärker war denn je. aber das, was die Festsrimmung zur Hochstimmung machte, war die Gewißheit, daß der Führer in Bayreuth weilte. So harrten Tausende in freudiger Erwartung, bis Reichskanzler Adolf Hitler kommt. Brausens Pflanzen sich die Heilrufe fort. Als der Führer. der sich in Begleitung seines Adjutanten Brückner befindet, vor dem Hauptportal vorfährt, kennt die Begeisterung keine Grenzen mehr. Immer wieder brausten die Heil- rnse über den Platz, bis das letzte Fanfarenzeichen zum Beginn der Aufführung gegeben war. Neichspropagandaminister Dr. Goebbels und seine Gattin wurden von der Menge ebenfalls stürmisch begrüßt.
In der Pause entwickelte sich das altgewohnte Treiben vor dem Festspielhaus und dem Festspiel-Restaurant. Man hörte wohl fast alle Weltsprachen. Unter den Besuchern sah man viele bekannte Persönlichkeiten, so Prinz A u g u st Wilhelm, den Herzog von K o b u r g, Reichsbankpräsident S ch a ch t, StaatZminister und Gauleiter Schem m, zahlreiche Musiker und Wissenschaftler. Alle Besucher haben nur eine Stimme der Anerkennung. Sie sind ergriffen von dem gewaltigen Eindruck der neuen Bühnenbilder zu Parsival sowie von der glanzvollen Leistung des Orchesters unter der Leitung von Richard Strauß. Frau Winnifred Wagner muß das hohe Zeugnis ausgesprochen werden, daß sie zusammen mit ihren Mitarbeitern wieder an erster Stelle mit dem Berliner Generalintendanten Tietjen durch den „Parsival" dieser Festspielreihe vor aller Welt den Willen bekundet hat, das Bahreuther Erbe in echter und unantastbarer Form zu wahren.
Die von Prof. Dr. Alfred Roller entworfenen Bühnenbilder und Kostüme unter- § streichen das Mystische und Magische des Gralsmotivs. Unter Richard Strauß er- > klang auch diesmal wieder die Parsival- f Musik in ihrer ganzen Erhabenheit. Der > neue Bahreuther Parsival, Helge Ros- ) waengcs, besteht durch die Geschlossenheit des mimischen und darstellerischen Ausdrucks, allerdings in stimmlicher Hinsicht seine Vorbilder nicht ganz erreichend. Die Kundry gab wiederum Maria Fuchs, die, reicher geworden, ihren besten Vorgängerinnen nunmehr gleichkommt. Herbert I a n s- sen als Amfortas, Jvar Andres als Gur- nemanz, Robert Burg als Klingsor waren wertere Glanzpunkte der ausdrucksvollen, höchst befriedigenden Aufführung, die eine ganz besondere Note durch die Schönheit, Sicherheit und Klangreinheit der Chöre erhielt. Das Haus, das ausverkauft war, wie es übrigens auch die folgenden acht Festspielabende sind, nahm die Wiedergabe in ehrfurchtsvollem Schweigen ohne jede Beisalls- äußerung aus.
London, 23. Juli.
Im Oberhaus begann am Montagnachmittag die Aussprache über die geplante Aufrüstung der Luftflotte. Die Arbeiterpartei halte einen Mißbilligungsantrag gestellt, der von Lord Ponsonby begründet wurde. Der Redner wandte sich eingangs gegen jegliche weitere Rüstungen und warf der Regierung vor, daß sie, sowie die übrigen in Frage kommenden Nationen, sich niemals ernstlich um die Beschränkung der Rüstungen auf den Stand Deutschlands bemüht hätten. Es herrsche jetzt wieder ein Wettrüsten, das an das Jahr 1914 erinnere. Es mangele an einer kühnen Führung, die die richtige Richtung einzuschlagen wisse. Eine akute Gefahr sei jedoch nirgend zu erkennen. In diesem Zusammenhang kam der Redner auch auf den Londoner Besuch Barthous zu sprechen.
Dabei warnte er die Negierung, indem er darauf hinwies, daß es auch Verpflichtungen gebe, die sich nicht nur auf das geschriebene Wort stützen würden, sondern vielmehr auf die Ehre. Auf diese Weise könne es Vorkommen, daß England durch das neue Paktsystem doch einmal zum Eingreifen gezwungen werde.
Weiter fuhr der Redner fort:
Wenn die britische Regierung aus heiterem Himmel plötzlich erkläre, sie müsse die Luftwaffe um 75 von Hundert verstärken, so sei das Oberhaus berechtigt, sich zu fragen, ob es nicht irgendwelche v e r st e ck t e n Verpflichtungen gebe, von denen das Land nichts wisse.
Enormes Aussehen erregten die Ausführungen eines zweiten Redners der oppositionellen Arbeiterpartei, des Lord Arnold. Er sagte u. a., die Negierung habe zwar den Kelloggpakt unterzeichnet. Das hindere sie jetzt nicht, wieder aufrüsten zu wollen. Der Locarnovertrag sei inaIlse tot. Er habe gar keine Gültigkeit mehr, denn Frankreich habe seit der Unterzeichnung des Locarnovertrags so schnell wie seine Finanzen es gestatteten, fortlaufend wieder ausgerüstet. Unter diesen Umständen habe man kein Recht zu erklären, daß die Söhne Englands wegen des Locarnopaktes in den Krieg ziehen und ihn mit ihrem Blut besiegeln müßten. Keine britische Regierung werde sich imstande fühlen, ein Heer auf die Beine zu stellen, wenn es gelte, wegen des Locarnover- trages in den Krieg zu ziehen.
Moskau, 23. Juli.
Kricgskommissar Woroschilow stattet am Freitag in Begleitung hoher Offiziere de> Roten Generalstabes mehreren Jndustriewer ken in Moskau einen Besuch ab. Er hielt dabe an die Arbeiter eine Ansprache, in der er er klärte, daß die Kriegsgefahr seh' nahe sei. Die ernste politische Lage verlang! von Regierung und Partei den weiteren Aus bau der sowjetrussischen Wehrmacht. Die Re gierung wolle alle Maßnahmen treffen, un jeden kriegerischen Streit vermeiden und sick den wirtschaftlichen Aufgaben des Landes wid men zu können.
Pariser Aufregung um eine nicht gehaltene Rede
ZI. Paris, 23. Juli.
Die Pariser Sonntagsblätter beschäftigen sick eingehend mit einer Rede, die der Reichsaußenminister — weder gehalten, noch überhaupi beabsichtigt hat. Wenn Freiherr v. Neurath den Pariser Zeitungen den Gefallen erwiesen hätte, das zu sagen, wogegen die Blätter schon im voraus mit ganzen Bergen von Gegenargumenten ausgerückt sind, dann hätte er einen Kollektivpakt ablehnen und ein zweisei
tiges deutsch-französisches Abkommen, ähnlich dem deutsch-polnischen anbieten müssen.
In Paris hat man der der begreiflichen Aufregung, die darüber herrscht, daß eine Reihe von Staaten, auch Finnland, nicht in den sauren Apfel des Ostlocarno beißen wollen, ganz vergessen, daß Pariser Herzenswünsche für die Außenpolitik des Reiches nicht mehr maßgebend sind. Im übrigen wird auch für die Pariser Presse das geltend bleiben müssen, was bisher anders gar nicht denkbar war: daß man eine Rede erst dann kommentiert, wenn sie gehalten worden ist.
Erklärung AgwsetruMM zum Sstvakt
Berlin, 23. Juli.
Ter bisherige Botschafter der U. d. S. S. R-, Chintschuk, hat vor seiner Abreise am Samstag im Auswärtigen Amt die Erklärung abgegeben, daß die Regierung der U. d. S. S. N. mit der Ausdehnung der Locarno-Garantie der Sowjetunion auj Deutschland und der Erweiterung der französischen Garantie aus dem Ostpaktprojekt ans Deutschland, wie sie von der englischen Negierung vorgeschlagen und von Frankreich angenommen worden sind, einverstanden sei.
Tie Erklärung stimmt überein mit den Erklärungen, die die Botschafter der U. d. S. S. R. — in Paris und London der französischen bzw. der englischen Negierung in diesem Punkt abgegeben haben.
Keine Beteiligung Schwedens am Ostpakk
Der schwedische Außenminister Sandler hielt in Fajköping eine Rede, in der er u. a. erklärte, man müsse die Einzelheiten des Osteuropa-Paktes näher kennen, um dazu Stellung zu nehmen. Schweden würde ein solches Abkommen begrüßen, wenn es eine Festigung der Politik in Mittel- und Osteuropa zur Folge hätte. Für Schweden, das dem Gebiet der nördlichen Länder mit stabilisierten politischen Verhältnissen angchöre, bestehe kein Grund, am Ostpakt teilzuneh- men. Tie Außenpolitik Schwedens müsse einzig und allein durch die besonderen Bedingungen ihres Landes bestimmt werden. Wenn Schweden eine Annäherung an andere Länder suchen wolle, so müsse es sich an die Länder des Nordens wenden. Ans die Arbeiten in Genf übergehend, erklärte Sandler, daß diese Arbeiten durch einen Eintritt Sowjetrußlands in den Völkerbund gefördert werden dürften.
Verstärkte Süm-eizer Propaganda
gegen den Eintritt Sowjetrutzlands in den Völkerbund
Genf, 23. Juli.
Tie Aktion schweizerischer internationaler und patriotischer Kreise gegen den Eintritt Sowjetrußlands in den Völkerbund hat infolge der Gerüchte, daß die Eintrittserklärrmg schon Anfang August erfolgen soll, einen neuen Aufschwung erfahren. Nachdem kürzlich 21 politische Parteien und patriotische Vereine von Genf mit dem Ersuchen an den Bundesrat herangetreten sind, sich gegen den Eintritt Sowjetrustlands in den Völkerbund
auszusprechen, da dieser Eintritt höchst wahrscheinlich eine Volksinitiative zum Austritt der Schweiz aus dem Völkerbund vervorrnfen würde, hat der schweizerische vaterländische Verband nunmehr beschlossen, einen Aktionsausschuß gegen die Ausnahme Rußlands in den Völkerbund zu bilden. In der Begründung wird die Befürchtung ausgesprochen, daß eine Aufnahme Sowetrußlands in den Völkerbund in absehbarer Zeit auch eine Anerkennung Sowjetrußlands durch die Schweiz im Gefolge haben würde. Vom Bundesrat müsse daher eine ablehnende Haltung erwartet werden, da ständige Sowjetvertreter in der Schweiz unerwünscht seien.
Die Vereidigung des neuen Bischofs von MMetm
Berlin, 23. Juli.
Der preuß. Kultusminister R u st empfing heute den neuernannten Bischof von Hildesheim, Dr. Mächens, der in Begleitung der Domkapitulare Blnel und Schneider in Berlin eingetroffcn war, zur Vereidigung im preußischen Kultusministerium. Auf die von freundschaftlichem Geist getragene Ansprache des Herrn Bischofs antwortete Reichs- und Staatsminister Rust, indem er darauf hin- wics, daß der nationalsozialistische Staat alles daransetzc, das Zusammengehörigkcitsbewußt- sein im deutschen Volke zu stärken. Er betonte, daß die Aufgaben der verantwortlichen nationalsozialistischen Staatslertunq andere seien, als die der christlichen Kirchen, daß sie aber in keinem feindlichen Gegensatz zueinander stehen würden.
Weiter wies der Minister darauf hin, daß eine verantwortungsbewußte Zusammenarbeit insbesondere Lei den Verantwortlichen Leitern sehr rasch zur Klärung von Meinungsverschiedenheiten führen würde.
EtumWrer Hermann Ziegler ReichsMrer -er Deutschen FachschuWast
Berlin, 23. Juli.
Der Führer der Reichsschast, Pg. Andreas Feickert, hat am Montag den bisherigen stellvertretenden Reichsführer der Deutschen Fachschulschaft, Hermann Ziegler, zum Reichsführer der Selbstverwaltnngsorgam- latiorr der,Fachschüler ernannt.
Ziegler, der selbst Fachschüler war, betätigte sich seit längerer Zeit in der Fach- «chularbeit des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes und konnte dort die Erfahrungen sammeln, die für den Ausbau Ser Deutschen Fachschulschaft notwendig sind.
SbergritppenWttr Hühnlein an Mussolini
Berlin, 23. Juli.
Der Führer des Deutschen Kraftfahrsports. Obergruppenführer Hühnlein, hat an Mussolini folgendes Telegramm gerichtet: „Dankbar für die Entsendung der Mannschaft Ihrer Leibgarde, sowie von Offizieren der italienischen Straßen-Miliz und von Faschisten zur Teilnahme an den 2000 Kilometern durch Deutschland 1934 und in Bewunderung der von Ihnen bewiesenen und mit dem ersten Preis ausgezeichneten sportlichen Leistungen entbiete ich als Führer des deutschen Kraftfahrsports Eurer Exzellenz die ergebensten Grüße."
NaurrnlmWnd in riapaa
Tokio, 23. Juli.
Während über großen anderen Gebieten Japans übermäßig viel Regen niedergegangen ist, leiden einzelne Provinzen unter unsäglicher Dürre. In einer Ortschaft in der Provinz Chinzuoka ist es zu Ausschreitungen von Bauern gekommen, die von den Behörden Wasser für ihre Pflanzungen forderten. Nachdem sie das Wasserwerk des benachbarten Ortes zerstört hatten, zertrümmerten sie die Häuser mehrerer Beamter. 285 Aufrührer wurden von der Polizei verhaftet. Eine Reihe von ihnen leistete den Beamten heftigen Widerstand. Zahlreiche Bauern wurden dabei verletzt.
Freispruch im Hirtsteserprozeß
Berlin, 23. Juli.
Die Große Strafkammer d>-- Berliner Landgerichtes verkündete am Montag im Hirtsteserprozeß folgendes Urteil: Das Verfahren gegen den angeklagten Geschäftsführer Dr. Heinrich Gerlich und den früheren Ministerialdirektor Hermann Peters im Falle der Verleihung des Ehrendoktortitels an Minister a. D. Hirtsiefer wird auf Grund der politischen Amnestie eingestellt. Im Uebrigen werden sämtliche Angeklagte, also Staatsminister a. D. Dr. Heinrich Hirtsiefer. Staatssekretär a. D. Professor Dr. Adolj