Seit, « — Nr. IW
De, Gesellschafter
Freitag, den 18. Juli 1SS4.
S Ereignis age, auf die Huj-
zwar »icht mrf ei«
zurück, sondern auf eine sitensage.
Groß war ja der Schrecken, den die Hus- sitenzüge und -kriege im Anfang des 15. Jahrhunderts in den Gebieten des Reiches verbreiteten, die an Böhmen grenzten, ganz besonders in Sachsen. Schon die begeisterten Schlachtgesänge der aus Böhmen ins Reich eingebrochenen Husstten und das Rollen ihrer Wagen, die sich im Kampf zu unüberwin d-
Das Naumduraer Kirschseft
t„Unb zu Ehren des Mirakel ist alljährlich ein Spektakel")
lichen Wagenburgen zusammenschlossen, verjagte das damalige Reichsaufgebot. Auch in die Nähe Naumburgs kam das Hussitenheer.
Die Sage spinnt nun ihre Fäden weiter.
40 000 Feinde lagen vor der Stadl. Tie Bürger hatten Mauern und Tore wohl besetzt. An Waffen war kein Mangel. Doch die Uebermacht war zu groß, und Prokop, der Führer des Hussitenheeres, sandte am 28. Juli einen böhmischen Herold und ließ der Stadt verkündigen, daß der kommende Tag für Naumburgs Bürger der letzte sein werde, weil er sie und die Stadt mit Feuer und Schwert vertilgen wolle. Nun machte der biedere Schlossermeister Wilhelm Wolfs seinen Mitbürgern den Vorschlag, am frühen Morgen des kommenden Tages alle Kinder von 7—14 Jahren, in weiße Sterbehemden gekleidet, in das feindliche Lager zu schicken, damit sie vor dem unerbittlichen Heerführer einen Fußfall täten und um Gnade für die Stadt zu bäten.
Der Kinderbrttzug setzte sich am anderen Ausführung brachte.
Morgen in Bewegung, zog durch das Stadttor in das Lager der Husstten vor das Zelt Prokops. Die Kinder fielen auf die Knie und riefen laut: „Gnade! Gnade!" Das Herz des harten Mannes wurde gerührt, und er versprach, die Stadt zu schonen, ließ seine böhmischen Spielleute herberkommen, die den
Kindern fröhliche Weisen vorspielten, damit die Zeit der Beeren und Schwämme.
>re danach tanzen konnten. Außerdem ver- i teilte er Kirschen und anderes Obst unter sie. I Wenn draußen auf den sonnsertigen Lei- so daß den Kindern jede Angst genommen >en unserer Waldhermat würziger Heugeruch wurde. Abends sandte er die Kinder nach sich mit dem Golddufte der Saaten mischt Hause. Jedes mußte einen grünen Zweig und allerorten aus den Dörfern fröhlicher in die Hand nehmen und fröhlich in die Luft Dengeltakt weitum erklingt, dann wird es schwingen, am Tore aber mußten ne rusen: auch mit einem Male in den sonst so ab- „Mctoria Hussiata!" Die Hussiten zogen ab. ^ geschiedenen und stillen Hölzern lebendig, und Rat und Bürgerschaft der Stadt be- Hat doch der liebe Gott sür die kleinen Leut' schloffen, den 28. Juli künftig zum Andenken , hier auf dem Boden deS Waldes eine Ernte an die Errettung aus schwerster Kriegsnvt zugerichtet. aus der Tausende Freude und festlich zu begehen. Die ganze Begebenheit Gewinn schöpfen. Und reibt sich der Bergist in einem humorigen Kirschfestlied also bauer behaglich die breiten Hände zwischen
Sas RuteafeV in sravensburg
Auch die alte schwäbische Reichsstadt Ravensburg durchwogt in den letzten Tagen des Monats Juli, ehe sich der Vakanz goldene Freiheitstore össnen, festliches Treiben. Das Rutenfeft wird gefeiert, von dem man auch aus anderen Städten berichtet, wie etwa von Regensburg. Die Lehrer sollen einst mit ihren Kindern in den Wald gezogen sein, um Ruten zu schneiden für den bekannten erzieherischen Gebrauch, so wollte man die Sache auslegen. Zweifellos ist auch dieses Fest ein in den Hochsommer hinein verlegtes Maienfest, bei dem die mit grünem, fegen- und gesundheitbringendem Laub behangenen Ruten und Zweige eingeholt werden.
Das Ravensburger Rutenfest hat eine große Aufmachung bekommen und ist zu einem allgemeinen oberschwäbischen Volksfest geworden. Mit einem Theaterstück. das von den Schülern der höheren Schulen aufgesührt wird, bekommt das Fest seine Einleitung. Wie in anderen Orten bewegt sich ein bunter Festzug in die geräumige Turnhalle. wo mit Gesang. Festrede und Gedichtvorträgen ein feierlicher Festakt stattfindet, daran sich das Wettspringen der Kinder anschließt. Am übernächsten Tag wird noch einmal gefestet und der Nachmittag bringt das Adlerschießen. Auf einer hohen Stange prangt ein aus kleinen hölzernen Teilen lose Zusammengesetzter Reichsadler mit Krone, Szepter und Reichsapfel. Nach Absingen eines Liedes und einer Anrede des Schützenhauptmanns wird mit der Armbrust aus den Reichsadler geschossen. Jeder treffende Pfeil reißt ein Stück desselben herab. Wer den Reichsadler herunterschießt, ist Schützenkönig. Lauter Jubel umfängt den Glücklichen.
Aas Schützenfest von Niberach
Ein ähnliches Fest begeht eine andere oberschwäbische ehemalige Reichsstadt. Biber- ach, mit seinem Schützenfest, und auch hier leitet eine Theateraufführung, die in der Stadt alter Theaterkultur, wo Wieland die ersten Shakespearestücke in Deutschland zur von bemerkenswertem
Range ist, die mehrtägigen Festlichkeiten ein. Auch hier bewegt sich ein bunter Festzug in historischen, ländlichen und allgemeinen festlichen Gewandungen durch die Straßen der Stadt auf den eigenartigen Festplatz mit alten urtümlichen Volksbelustigungsemrich- tungen auf dem Gigelberg. wo dann das Fest unter Teilnahme der gesamten Bevölkerung, also auch der Erwachsenen, sein besonderes Biberacher Gesicht und seinen besonderen Biberacher Atem bekommt. Der Jugend sollen Freudenkränze gewunden werden. Kinder seh'n nur Rosen / auf den Lebensweg gestreut, / seh'n nur Blumen sprossen; / nur für Freude schlägt das Herz / fremd ist ihnen Gram und Schmerz. Feierlich erschallt aus den Kehlen eines Männerchors das gemüt- und herzweitende Schützenfestlied:
Rund um mich her ist alles Freude, Verschönt ist, Schöpfer, deine Welt!
Es prangt in seinem Feierkleide Gebirg und Tal und Wald und Feld! Wie heilig wird mir jede Stätte! Wohin ich seh'. wohin ich trete.
Erblick ich dich, o Schöpfer dich;
Wohin ich seh' auf allen Fluren,
In allen deinen Kreaturen Erblick ich, aller Vater, dich.
Es ist ein Lied und eine Melodie, das wie „Freude schöner Götterfunken" die Herzen der Hörer hinausträgt über den Alltag und sie im festlichen Atem dem Unendlichen verbindet. und die letzte Strophe beschließt das Festlied also:
Stimm ein in der Geschöpfe Chöre:
Dir, Gott, sei Preis, dir Dank und Ehre.
Der du der Ewiggute bist!
Wenn man wirklich die gemüterhebenden, volksverbindenden Kräfte eines Festes erleben will, hier in der alten schwäbischen Reichsstadt Bibe- rach fühlt man die Festesfreude wirklich in tiefen Pulsen schlagen, und mit all den genannten Festen, werden sie in Kaufbeuren gefeiert oder in Naumburg, in Ravensburg oder in Teinach oder wo es auch sein möge (es gibt noch viele andere), steht auch dieses hell und leuchtend am blauen, sonnflimmernden Sommerhimmel in den Tagen geruhigeren Atmens zwischen Heu- und Getreid ernte drin.
bedeutet für die Kleine« immer edr München, ein seeliges Märchen von Glück. Da hauset unten auf dem weichen Moosesgrunde, wo die Stauden die blaue Beerentracht kaum zu halten vermögen, ein winzig Wichtlein, das den Kindern Tops und Krüg- lein füllt und von dem sie singen: „Hoawa-mo, Hoawa-mo (Heidelbeermann), Brock ma mei Hafer! o Und a schön's Gipfal dras.
Na bist brav! Juhu —I"
Aber auch ein Bösewicht und Schelm durchstreift den grünen Beerenschlag — und so ein Kindlein seinen Krug ins Kraut gestellt und darüber geschlafen und geträumt hat, findet es zu seinem Schrecken, wenn's erwacht, das Krüglein leer — ausgepickt bis zum Grunde. Und wieder muß es rupfen und zupfen mit doppeltem Fleiß, soll es den Schaden einbringen und nicht gezankt und gescholten sein. Und so singt es denn auch vor dem Sammelkorbe beim Einschütten dem Brüderlein und Schwesterlein seine Klage: „Da Guckaza (Kuckuck) is ma ms Hafal
ei'g'sess'n.
Hat ma dö ganz'n Hoawa (Heidelbeeren)
ausg'fress'n!
Hon a mö wieder niedagnockt.
Und ho's Wieda voi obrockt! (voll abgebrockt- abgepflückt) Juhu —!"
Ob's damit gut Gehör und Glauben findet, hängt ganz von seinem Mäulchen ab. Zahn- und Zungenprobe ist im Beerenholz immer ein gefährlich Ding, selbst wenn über dem ausgepickten Krüglein der Kuckuck schrei'n sollt'. Und bedenk es wohl — wofür hätte der liebe Gott im Walde sonst seinen Tisch
Beerenzett / Herrlichkeit!
Von Karl Mayrhofer
Wohl keine Zeit des Jahres erfüllt Berg, Heide und Wald mit so lustigem Leben, mit so viel Jubel und kindlicher Reimerei, als
erzählt:
Die Husstten zogen vor Naumburg Ueber Jena her und Camburg;
Aus der ganzen Dogelwies'
Sah man nichts als Schwert und Spieß, An die hunderttausend.
Als sie nun vor Naumburg lagen.
Kam darein ein großes Klagen:
Hunger quälte. Durst tat weh.
Und ein einzig Lot Kaffee Kam auf sechzehn Pfenn'ge.
Als die Nor nun stieg zum Gipfel, — Faßt' die Hoffnung man beim Zipfel, Und ein Lehrer von der Schul'
Sann auf Rettung und verful Endlich auf die Kinder.
Kmder. sprach er. ihr seid Kinder. Unschuldsvoll und keine Sünder;
Ich führ' zum Prokop euch hin.
Der wird nicht so grausam sin.
Euch zu massakrieren.
Dem Prokopen tat' es scheinen,
Kirschen kauft er für die Kleinen;
Zog darauf sein langes Schwert, Kommandierte: Rechts um, kehrt! Hinterwärts von Naumburg.
Und zu Ehren des Mirakel Ist alljährlich ein Spektakel:
Kennt ihr nicht das Kirschenfest,
Wo man's Geld in Zelten läßt.
Freiheit und Viktoria!
Seyferth 1832.
So soll also das Naumburger Kirschfest, das ja gewiß als Maienfest seinen Vorgänger hatte und als solches schon 50 Jahre vor dem Hussitenkrieg bezeugt ist, entstanden sein, das die Kinder zu einem frohen, farbigen Festtag zusammengibt bei Spiel und Tanz in festlichen Kleidern, ein Fest, das ihnen Kirschen spendet und durch die Jahrzehnte des ganzen Lebens hindurch seinen Zauber suchten läßt.
rotem Klee und gelbem Korn, auch den armen Schluckern läuft's in die Finger, und es ist keiner im Wald, der sie nicht schnackeln und schnalzen ließ. Und so geht's mit Sack und Pack, mit Kübeln und Körben, mit
I« den Beere«!
Rutenseft tn Ravensburg
(Festzug, vorn Schützen Einzug durchs
Obere Tor, rechts davon der Meblsack-Turm. Im Hintergrund die Belts bürg - ehemals Stammburg der Welken.)
Krügen und Eimern frühtags. wenn der Bauer in den Tau steigt, in lichten Schwärmen hinaus in des Herrgotts freien, lustigen Wald.
Schon die Ausfahrt der sangessrohen Schar mutet meist wie der Auszug zu einem Märchen an: Das Weibsvolk barfüßig, mit kurzen, bunt- geslickten Röcken, mit knallroten und blauen Leibchen und einem blühweißen Tüchl aus dem Kopf, und auf dem Buckel die Kirm (Rückcn- korb) oder ein Kind im Wickel. Struwel- haarig und braun die Buben, am Strick Karren und Geiß. So geht's in den Beerenschlag. Und ein rechter Bauernbursch, der sie also vorüberwalzen läßt, ruckt die Sense vors Gesicht, spiazt auf den^Stein und wetzt den stahl. Ja, was ein ganzer Bauernmensch will heißen, der hat für die Zupfer von Profession wenig übrig an Herz und Sinn und kann's nur mit eingekniffenen Augen sehen, wenn sie so frei wie die Böglein des Waldes zu Holze ziehen und ernten, >vo sie nicht gesät. Und daß sie grad just um die Zeit, wo der Bauer den Buckel voll Arbeit und Sorgen hat, und die Hand voller Schwielen und Schweiß, ihm am Acker vorübersingen und sich lieber den Schnabel mit Beeren stopfen als mit Speck und Kraut, das bleibt ihm ewiger Verdruß.
Und doch ist auch die Zupserei ein arg saures Stückl Arbeit, hinter der des Lebens Ernst und manchmal viel graue und leidige Not steckt. Daß sie sich äußerst heiter und lustig ansieht, ist eine eigene Geschichte, wozu das heimelige Waldesrauschen. daS Reimen und Mären der Kinder und! Gottes Güte die rein-! sten Töne schafft. Mag draußen die Welt vorüberbrausen! Beerenzeit im deutschen Walde
Elisabeth Lörcher
gedeckt, wenn nicht füi das kleine, leichtfüßige und leichtbeschwingte Völklein in Moos und Kraut: für die viel hundert Vögel und Vögelein wie für die tausend Goldkäfer ebensowohl als für die Häuslbuben und Wald- dirnlein im schäbigen Röcklein und Kleide. Hier sind sie alle Könige des Reiches und die graue, grämliche Not. die aus den durchwetzten Aermeln und mageren Gesichtlein schaut, rst Traum. Das Schwelgen und Atmen im vollen ist Leben. Die alltägliche Geißmilch im Kruge wird zu Wein; das verschimmelte Stück Schwarzbrot im Ranzen zu köstlichem Kuchen, und so einer nur Ohren, Aug' und Maul auftut. ziehen ihm wundersame Dinge genug ins Herz, daß es zu klm- gen und singen anhebt von den Märlein im grünen Walde: vom Heidelmännchen, das mit seinem Weiblein und einem ganzen Stabe von Fliegen und Spinnen und Käfern den Wald durchfährt: vom Beerenbüblein, das es einmal eingesangen und wieder in die grüne Freiheit des Waldes hat gesetzt, wofür sich das Krüglein niemals mehr erschöpfte. Und wo diese Geschichten klingen, hat jedes das Herz voll Hoffnung, daß ihm irgendwann das Wunder begegne und einmal sein Krüglein segne. So wird zur Lust des kleinen Waldvolkes Sorge und Geschäftigkeit um ein paar bittere Notpfennige für die langen Wochen, wo Wald und Heide verödet im Schnee liegen.
Doch neigt sich der Sommerabend überm dunklen Bergwald, dann grüßen sie ihn zu guter Letzt und singen:
„Pfüat dö Gott, mei Hoawaholz,
Hast ma g'schenkt mei Krüagal voi.
Auf und auf. aus und auf.
Und a schän's Gipfal drauf.
Hierauf, hierauf schütt' ma's fei not Wieda aus, Hoawahafal. Hoawahafal. gupft voi! Juhu!"
(Heidelbeerhafen. übervoll!)
(Aus: Ahnenerbe, von Karl Mayrhofer. Verlag R. Oldenbourg. München.)
Herausgegeben >m Auftrag oer NS.-Presse Württemberg von Hans Reyh'ng (Ulm a. Dp