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Die heilige Nacht.
Don Sei,na Lagerlöf.
Als ich 5 Jahre alt war, hatte ich einen grochen Kummer. Ich weiß kaum, ob ich seitdem einen größeren gehabt habe.
Das ivar als meine Großmutter starb. Bis dahin hatte sie jeden Tag auf dem Ecksofa in ihrer Stube gesessen und Märchen erzäylt.
Ich weiß es nicht anders, als daß Großmutter dasaß und erzählte, vorn Morgen bis zum Abend, und wir Kinder saßen still neben ihr und hörten zu. Das war ein herrliches Leben. Es gab keine Kinder, denen es so gut ging wie uns.
Ich entsinne mich auch, daß sie schöne Lieder singen konnte, aber das tat sie nicht alle Tage. Eines dieser Lieder handelte von einem Ritter und einer Meerjungfrau und es hatte den Kehrreim: „Es weht so kalt, es weht so kalt, wohl über die weite See."
Dann entsinne ich mich eines kleinen Gebets, das sie mich lehrte, und eines Psalmoerses.
Bon allen den Geschichten, die sie mir erzählte, habe ich nur eine schwache, unklare Erinnerung. Nur an eine einzige von ihnen erinnere ich mich so gut, daß ich sie erzählen könnte. Es ist eine kleine Geschichte von Jesu Geburt.
Nach heute, nach vierzig Jahren, wie ich da sitze und die Legenden über Christus sammle, die ich drüben im Morgenland gehört habe, wacht die kleine Geschichte von Jesu Geburt, die meine Großmutter zu erzählen pflegte, in mir auf. Und ich bekomme Lust, sie noch einmal zu erzählen und sie auch in meine Sammlung mit aufzunehmen.
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Es war an einem Weihnachtstag, alle waren zur Kirche gefahren, außer Großmutter und mir. Ich glaube, wir beide waren im ganzen Hause allein. Wir hatten nicht milfahren können, weil die eine zu jung und die andere zu alt war. Und alle beiden waren wir betrübt, daß wir nicht zum Mettegesang fahren und die Weihnachtslichter sehen konnten.
Aber wie wir so in unserer Einsamkeit saßen, fing Großmutter zu erzählen an.
„Es war einmal ein Mann," sagte sie, „der in die dunkle Nacht hinausging, um sich Feuer zu leihen. Er ging von Haus zu Haus und klopfte an. ,Ihr lieben Leute, helft mir!' sagte er. .Mein Weib hat eben ein Kindlein geboren, und ich muß Feuer anzünden, um sie und den Kleinen zu erwärmen.'
Aber es war tiefe Nacht, so daß alle Menschen schliefen, und niemand antwortete ihm.
Der Mann ging und ging. Endlich erblickte er in weiter Ferne einen Feuerschein. Da wanderte er dieser Richtung zu und sah, daß das Feuer im Freien brannte. Eine Menge weiße Schafe lagen rings um das Feuer und schliefen und ein alter Hirt wachte über der Herde.
Als der Mann, der Feuer leihen wollte, zu den Schafen kam, sah er, daß drei große Hunde zu Füßen des Hirten ruhten und schliefen. Sie erwachten alle drei bei seinem Kommen und sperrten ihre weiten Rachen auf, als ob sie bellen wollten, aber man vernahm keinen Laut. Der Mann sah, daß sich die Haare auf ihrem Rücken sträubten, er sah, wie ihre scharfen Zähne funkelnd weiß im Feuerschein leuchteten, und wie sie auf ihn losstürzten. Er fühlte, daß einer von ihnen nach seinen Beinen schnappte und einer nach seiner Hand, und daß einer sich an seine Kehle hängte. Aber die Kinnlade und die Zähne, mit denen die Hunde beißen wollten, gehorchten ihnen nicht, und der Mann litt nicht den kleinsten Schaden.
Nun wollte der Mann weiter gehen, um das zu finden, was er brauchte. Aber die Schafe lagen so dicht nebeneinander, Rücken an Rücken, daß er nicht vorwärts kommen konnte. Da stieg der Mann auf die Rücken der Tiere und wanderte über sie hin dem Feuer zu. Und keins von den Tieren wachte auf oder regte sich."
So weit hatte die Großmutter ungestört erzählen können, aber nun konnte ich es nicht lassen, sie zu unterbrechen. „Warum regten sie sich. nicht, Großmutter fragte ich?" „Das wirst du nach einem Weilchen schon erfahren", sagte Großmutter und fuhr mit ihrer Geschichte fort.
„Als der Mann fast beim Feuer angelangt war, sah der Hirt auf. Es war ein alter, mürrischer Mann, der unwirsch und hart gegen alle Menschen war. Und als er einen Fremden kommen sah, griff er nach einem langen spitzigen Stabe, den er in der Hand zu halten pflegte, wenn er seine Herde hütete, und warf ibnnach ihm. Und der Stab fuhr zischend gerade aus den Mann los, aber ehe er ihn traf, wich er zur Seite und sauste, an ihm vorbei, weit über das Feld."
Als Großmutter soweit gekommen war, unterbrach ich sie abermals. „Großmutter, warum wollte der Stock den Mann nicht schlagen?" Aber Großmutter ließ es sich nicht einfallen, mir zu antworten, sondern fuhr mit ihrer Erzählung fort.
„Nun kam der Mann zu dem Hirten und sagte zu ihm: .Guter Freund, hilf mir, und leih mir ein wenig Feuer. Mein Weib hat eben ein Kindlein geboren, und ich muß Feuer machen, um sie und den Kleinen zu erwärmen.'
Der Hirt hätte am liebsten nein gesagt, aber als er daran dachte, daß die Hunde dem Manne nicht hatten schaden können, daß die Schafe nicht vor ihm davon gelaufen waren, und daß sein Stab ihn nicht fällen wollte, da wurde ihm ein wenig bange, und er wagte es nicht, dem Fremden das abzuschlagen, was er begehrte.
.Nimm, soviel du brauchst', sagte er zu dem Manne.
Aber das Feuer mar beinahe ausgebrannt. Es waren keine Scheite und Zweige mehr übrig, sondern nur ein großer Gluthausen, upd der Fremde hatte weder Schaufel noch Eimer, worin er die roten Kohlen hätte tragen können.
Als der Hirt dies sah. sagte er abermals: .Nimm, so viel du brauchst!' Und er freute sich, daß der Mann kein Feuer wegtragen konnte. Aber der Mann beugte sich hinunter, holte die Kohlen nüt bloßen Händen aus der Asche und legte sie in seinen Mangel. Und weder versengten die Kohlen seine Hände, als er sie berührte, noch versengten sie seinen Mantel, sondern der Mann trug sie fort, als weizii es Nüsse oder Apfel gewesen wären."
Aber hier wurde die Märchenerzählern! zum drittenmal unterbrochen. „Großmutter, warum wollte die Kohle den Mann nicht brennen?"
„Das wirst du schon hören," sagte Großmutter, und dann erzählte sie weiter.
„Als dieser Hirt, der ein so böser, mürrischer Mann war, dies alles sah, begann er sich bei sich^selbst zu wundern: .Was kann dies für eine Nacht sein, ivo die Hunde die Schafe nicht beißen, die Schafe nicht erschrecken, die Lanze nicht tötet und das Feuer nicht brennt?" Er ries den Fremden zurück und sagte zu ihm: ,Was ist dies für eine Nacht? Und woher kommt es, daß alle Dinge dir Barmherzigkeit zeigen?"
Da sagte der Mann: ,Ich kann es dir nicht sagen, wenn du selber es nicht siehst.' Und er wollte seiner Wege gehen, um bald ein Feuer anzuzünden und Weib und Kind wärmen zu können.
Aber da dachte der Hirt, daß der Mann nicht einmal eine Hütte hatte, um darin zu wohnen, sondern er hatte sein Weib und sein Kind in einer Berggrotte liegen, wo es nichts gab als nackte, kalte Steinwände.
Aber der Hirt dachte, daß das arme unschuldige Kind- kein vielleicht dort in der Grotte erfrieren würde, und obgleich er ein harter Mann war. wurde er davon doch ergriffen und beschloß, dem Kinde zu helfen. Und er löste sein Ränze! von der Schulter und nahm daraus ein weiches, weißes Schaffell hervor. Das gab er dem fremden Manne und sagte, er möge das Kind darauf betten.
Aber in demselben Augenblick, in dem er zeigte, daß auch er barmherzig sein konnte, wurden ihm die Augen geöffnet, und er sah, was er vorher nicht hatte sehen, und hörte, was er vorher nicht hatte hören können.
Er sah. daß rund um ihn ein dichter Kreis von kleinen silberbeflügelten Engiein stand. Und jedes von ihnen hielt ein Saitenspiel in der Hand, und alle sangen sie mit lauter Stimme, daß in dieser Nacht der Heiland geboren wäre, der die Welt von ihren Sünden erlösen sollte.
Da begriff er, warum in dieser Nacht alle Dinge so froh waren, daß sie niemand etwas zuleide tun wollten.
Und nicht nur riugs um den Hirten waren Engel, sondern er sah sie überall. Sie saßen in der Grotte, und sie saßen auf dem Berge, und sie flogen unter dem Himmel. Sie kamen in großen Scharen über den Weg gegangen, und wie sie vorbeikamen, blieben sie stehen und warfen einen.Blick auf das Kind.
Es herrschte eitel Jubel und Freude und Singen und Spiel, und das alles sah er in der dunkeln Nacht, in der er früher nichts zu gewahren vermocht hatte. Und er wurde so froh, daß seine Augen geöffnet waren, daß er auf die Knie siel und Gott dankte".
Aber als Großmutter sowest gekommen war, seufzte sie und sagte: „Aber was der Hirte sah, das könnten wir auch sehen, denn die Engel fliegen in jeder Weihnacht unter dem Himmel, wenn wir sie nur zu gewahren vermögen."
Und dann legte Großmutter ihre Hand aus meinen Kopf und sagte: „Dies sollst du dir merken, denn es ist so wahr, wie daß ich dich sehe und du mich siehst. Nicht auf Lichter und Lampen kommt es an, und es liegt nicht an Mond und Sonne, sondern was not tut, ist. daß wir Augen haben, die Gottes Herrlichkeit sehen können".
Wir entnehmen die vorstehende Erzählung aus den „Christuslegenden" der großen schwedischen Dichterin Selma Lagerlöf, die vor einigen Jahren den Literaturpreis der Nobelstistung erhielt.
Weihnachten.
Bon Friedrich Lienhard.
Das Lichtfest mitten im Winter ist die Verherrlichung eines Kindes.
Die Geburt dieses Kindes ist in den Evangelien mit starker Betonung hervorgehoben. Engel, Könige aus dem Morgenland, Kindermord in Bethlehem, ein entarteter Tyrann, fromme Hirten, ein einfacher Stall—dies alles bildet eine außerordentliche Umrahmung zu jener außerordentlichen Geburt.
Auf manchen Gemälden sind jene Ereignisse zusammengedrängt. Doch immer liegt im Mittelpunkte das strahlende Kind. Man kann nicht von diesem Kinde sprechen, ohne in Symbolik einzutreten. Denn diese Geburt ist mehr als ein bloß historischer Vorgang: sie ist eine Erlösungstat für die Menschheit und sie entspricht einem Wendepunkt im seelischen Leben des einzelnen Menschen.
Kindersinn ist Einfachheit, geniale Einfachheit: das Wesentliche mit einem unverkünstelten Blick zusammenfassend. Für jeden Menschen kann der Augenblick kommen, wo in uns das Kindlich-Einfache geboren wird, da ja auch in uns Engel, Hirten, Tyrannen und allerlei Tiere versammelt sind. Das höhere Selbst in uns ist mitten in alledem das strahlende Kind mit den erlösenden Blicken.
Nichts in der Welt ist an Wesen und Wirkung dem Christus-Ereignis vergleichbar. Man sehe sich um, was von dort ausgegangen ist! Ohne Christus-Einfluß ist die Kultur Europas u. der davon ausgestrahlten Zivilisationen undenkbar.
Europa hat die Führung. Und so ist der Christus- Einfluß an der Arbeit, die Führung der Erde zu übernehmen und wenn es noch so viele Jahrtausende dauern wird.
So kommt zu Goethes abaearbeitetem „Schatzgräber"' der in der Erde wühlt, ein „Licht": „eben als es zwölfe schlug", mitten im tiefsten Erdendunkel. Und mit dem Licht ein Kind, ein Knabe, der eine Schale trägt:
„Heller ward's mit einem Male Bon dem Glanz der vollen Schale,
Me ein schöner Knabe trug."
Dieser Knabe bringt die Erlösung mit den Worten: „Trinke Mut des reinen Lebens!"
Das ganze Christus-Ereignis ist ein Lichtoorgang. Es beginnt mit jener „Klarheit des Herrn", die um die nächtlichen Hirten leuchtete, u. mit dem Stern von Bethlehem; es rundet sich ab mit dem Pfingstfeuer über den Häuptern der Apostel.
Sich mit der Leuchtkraft solcher Gedanken zu durch- dringen und sie umzusetzen in Lehen: das nannte die alte Kirche Glauben. _
Das Christkind schickt den Winter auf die Erde.
Märchen von Marg. Heil-Fröhlich.
An einem schönen Tag, auf der Erde waren die Bäume schon kahl und kein Blümlein blühte mehr draußen auf dem Felde, im Wald sang kein Vögelein, kein Bienlein summte, an diesem Tag schaute das Chriftkindlein oben zum Himmelssenster heraus hinab auf die Erde. Es blickte dorthin, wo das Meer die Küste bespült, dann wanderten seine Augen über weite Ebenen und Hügelland. Auch bergige Länder und die allerhöchsten Bergriesen betrachtete es eine ganze Weile. Dann machte das Christkind das Himmelsfenster wieder zu.
Zwei Englein waren ihm nachgeschlichen, sie hätten auch gern ein wenig hinunter auf die Welt geblinzelt. Das Christkindlein konnte nicht anders, es mußte ein wenig lächeln, aber doch drohte es den zweien mit dem Finger. Dann rief es alle Englein herbei und sprach: „Meine lieben Engelein, auf der Erde ist die Zeit so weit, daß ich mich aufs Weihnachtsfest rüsten muß. Die Sonne scheint dort drunten nicht mehr warm, an allen Ecken und Enden siehts traurig und öde aus. Drum schnell, ihr Engelein, fliegt ins Hintere Himmelstal, dort wo ganz weit hinten mein Weihnachtsbackofen steht. Dort in meinem Backosental hat sich der Winter letztes Jahr zum Schlafe niedergelegt. Fliegt, ihr Engelein und weckt ihn! Er soll auf der Erde den ^Kindern Freude machen und sorgen, daß die Pflanzen ihre warme Schneedecke zum Winterschlafe bekommen."
Die Engelein sahen einander erschrocken an. Sie wußten es noch vom letzten Jahr, was der Winter für ein kalter, mürrischer Alter ist. . Aber die zwei, die schon vorher dem Christkind nachgeschlichen waren, die riefen: „Wir führen euch an!" Schnell machte sich die Schar auf den Weg, am Paradiesgarten flogen sie vorbei. Dort erboten sich' die beiden Engelein von dem schönen großen Pfau Rat. Der schenkte ihnen zwei von seinen langen Schwanzfedern und nickte: „Die zwei Federn werden euch guten Dienst leisten." Fort gings weit über die Himmelswiefe, an der Milchstraße vorbei, durch eine schmale dunkle Gasse und auf einmal waren sie in Christkindleins Backofental. Und richtig dort lags wie ein großer weißer Hügel. Das war der Winter. Unbeweglich lag er. Er schlief so tief und fest, daß er nicht einmal schnarchte. Die Engel flogen ganz sachte zu ihm hin, voran die beiden mit den Pfauenfedern. Als sie nahe genug waren, riefen sie ein paarnial: „Winter, Winter!" Aber der Winter hörte es nicht. Er bewegte sich nicht. „Wollen wir?" fragte ein Engelein das andere, und alle Engeleiy nickten den beiden zu. Die nahmen ihre Pfaufedern und kitzelten den Winter, jedes an einem seiner eisigen Ohren. Wie die Engelein da erschrocken! Der Winter reckte sich und drehte sich aus die andere Seite und brüllte im Halbschlaf: „Hu — hu — hu!" Gleich stoben die Engel nach allen Ecken auseinander und versteckten sich. Und auf der Erde wehte ein starker kalter Sturm, so stark, daß die Leute schnell in die Häuser sprangen.
Aber der Winter wollte noch nicht ausstehen. Er legte sich auf das linke Ohr und schnarchte. Und wie er schnarchte, so blies auf der Welt der rauhe Nordwind. Das wollte das Christkindchen nicht. Es rief den Engelein und sprach: „Hurtig, Engelein, weckt den alten Brummelbär vollständig auf, sonst erfrieren durch sein Schnarchen alle Pflanzen auf der Erde!" Da kitzelten die zwei Engelein mit Pfaufedern den Winter an der Nase. Der mußte nießen, so gewaltig, daß auf der Erde fast die Bäume mitsamt den Wurzeln ausgerissen wurden. Aber jetzt war der Winter auch ganz wach geworden. Er stand langsam auf. Die Engelem bekamen Angst vor dem großen alten Mann. Weißes Haar aus dem Kos und Eiszapfen hatte er im Bart. Und wie er so stand und die verängstigten Engelein sah, da mußte er sich schütteln vor Lachen, und dicke Schneeflocken flogen von seinem Schneemantel hinunter auf die Erde.
„Auf die Erde sollst du! riefen die Engelein ihm zu. „Deine Pflicht sollst du tun!" Und husch waren sie fortgeslogen.
Der Winter brummelte etwas in seinen Bart. Dann schritt er die Himmelsstraße hinab. An der Frau Holle ihrem Haus mußte er vorbei. Und im Vorbeigehen schlug er mit seiner Faust an ihren Laden und brüllte: „Heraus, alte Frau Holle! Der Winter darf auch nicht mehr schlafen!" Noch ehe die Frau Holle sich besonnen hatte, war der Winter bei den Menschen auf der Erde. Doch die Frau Holle schüttelte ihre Betten auf seinen Kopf, und wo er ging, ließ sie ihm Schneeflocken um die Nase tanzen. Das war den Kindern recht. Auch die Pflanzen freuten sich, als sie die warme Schneedecke fühlten. Und oben am Himmel saßen die Engelein auf rosigen Schneewölkchen und klatschten vor Freude in die Hände, als sie die schöne schneeweiße Erde und die frohen Kinder sahen.